Geschichten:Weyringhaus - Abschied vom Erben XII: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 24. November 2021, 22:41 Uhr
Abschiedsworte
Nachmittägliche Boronsstunde am 4. Phex 1043 BF
Dramatis personae: Oldebor, Rhodena, Ulmia, Roban, Merisa, Fenia, Ondinai
Schließlich waren alle in der Kapelle versammelt. Burggraf Oldebor atmete tief durch. “Ich will nicht viele Worte machen”, begann er seine Ansprache mit den altbekannten, häufig belächelten, mitunter kopierten, fast schon geflügelten Worten, “denn ganz gleich, wie viel ich auch reden würde, ich könnte doch nicht alles sagen, was in mir vorgeht. In der Boronkirche …” (war es ein Zufall, dass sein Blick gerade in diesem Moment seine Tochter Ondinai streifte?) “... kennt man den Satz ‘Mögest du nach deinen Eltern sterben und vor deinen Kindern’. Für die Priester des Raben ist das ein Segenswunsch. In den letzten Monden habe ich verstanden, weshalb.”
Er zuckte mit den Schultern und versuchte sich hilflos an einem Lächeln. “Für solche Anlässe gibt es kein Protokoll und keine Etikette in unserem Hause. Mag sonst noch jemand ein paar Worte sprechen?” Er schaute zuvörderst seine Gattin, Roban und Ulmia an, dann Rhodena, danach ließ er seinen Blick in die Runde schweifen.
“Wir hätten uns so fern sein sollen und doch waren wir uns so nah”, meinte Rhodena leise und es schwang etwas Geheimnisvolles in ihrer Stimme mit, dann ließ sie ihre Kapuze erstmalig an diesem Tag in den Nacken sinken und man sah deutlich ihre vom Weinen geröteten Augen. “Doch so sehr ich dich auch vermisste und jetzt vermisse, muss ich nun erkennen,... dass wir ... uns auf Dere … nicht wiedersehen werden.”
Ulmia straffte die Schultern und blickte ihren Großvater an. War da ein stiller Vorwurf in ihrem Blick? Doch dann glitt er weiter zu ihrer Mutter und im Gegensatz zu dieser schnitten ihre Worte beinahe scharf durch die Luft, da sie die Stimme nicht senkte, sondern klar und deutlich die Worte sprach, die sie sich sicherlich sorgfältig zurecht gelegt hatte: “Viel zu früh bist du von uns gegangen, Vater, viel zu früh und unbarmherzig hat Golgari dich über das Nirgendmeer getragen. Fort von uns, die wir zurückbleiben müssen. Der Tod ist gewiss, nur seine Stunde ungewiss - auch das besagt die Lehre der Boronkirche - und so hält die Zeit uns alle zum Narren. Doch es bleibt”, Ulmia macht eine Pause, in der sie wieder zu Oldebor sah, “viel zu früh.”
Der Burggraf nickte leicht - so leicht, dass es mehr wie ein Zittern seines Kinnes aussah. Die Worte seiner Enkelin schlugen eine Saite in ihm an. Eine Saite, die er schon lange zum Verstummen gebracht hatte. ‘Viel zu früh’, das waren auch seine Gedanken gewesen, als er in der Gruft vor den Särgen seiner eigenen Eltern gestanden hatte. Alle Welt sprach davon, dass er nunmehr seit fünfzig Götterläufen der Burggraf von Kaiserlich Raulsmark war. Sie sprachen davon, als sei er schon immer derselbe gewesen, mit den Erfahrungen eines langen Lebens. Vermutlich konnte sich niemand vorstellen, dass auch Oldebor einmal ein junger Mann gewesen sein könnte: gerade einmal achtzehn Jahre alt, als er sein Amt antrat. Unsicher, unerfahren, die Eltern und die Geschwister schon allesamt in Borons Armen.
“Von Geburt an warst du mir gefühlt immer einen Schritt voraus, doch ich lernte, mit dir Schritt zu halten und später gar Seite an Seite mit dir zu schreiten und zu streiten,” hob nun Roban an. “Später gingen wir jeder unserer eigenen Wege, darauf vertrauend, dass uns unser Zwillingsband immer wieder zueinander führen würde. Warum musstest du jetzt unseren alten Wettstreit auf diese Weise wieder aufnehmen? Viel lieber wäre ich gemeinsam mit oder kurz nach dir über das Nirgendmeer gereist, Bruder. Nun heißt es für uns beide aufeinander zu warten. Ich verspreche dir: Ich werde mit vielen Geschichten zu dir kommen.”
Nach einem Moment des Schweigens konnte man Merisas Stimme hören, zögerlich. Die Augen hatte sie geschlossen, über ihrer Nasenwurzel zeigten sich leichte Falten und es war erst nicht klar, ob vor unterdrückter Tränen oder vor Konzentration. Langsam rezitierte sie: “Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang, nur vor dem Tode derer, die mir nah sind. [...] Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur, doch mit dem Tod der andern muß man leben.”
Bei den letzten Worten rannen doch wieder Tränen über ihre Wangen und sie barg ihr Gesicht an Oldebors Schulter. Ihr Gatte strich ihr über das Haar. In seinen Augen standen ebenfalls Tränen.
Rhodena stand allein und weitere Tränen sammelten sich in ihren Augen, hilfesuchend blickte sie zu ihren Kindern, doch zumindest Fenia blickte demonstrativ zum Altar. Dann erhob sich Ihre Zweitgeborene und trat hinaus in die Gasse zwischen den Bänken. Obwohl von Antlitz und Gestalt ganz die Mutter, schien Fenias Gesicht unbewegt, doch die wenigen aus der Familie, die sie besser kannten, wußten hinter der Fassade ihre bittere Miene zu erkennen.
Kurz streifte ihr Blick das niedrige Bäumchen, dass vorne neben dem Altar stand und seinen Duft so deutlich über den von altem Staub und Weihrauch, aber auch von Wachskerzen und Frühlingsblumen legte, bis sie sich abwandte - zur Nische mit den Hochzeitsgaben.
Noch im Gehen streifte sie sich das schwere Sorgband des Samtbeutels über ihr Handgelenk. Aus dem Inneren entnahm sie vorsichtig eine schlichte Papierrolle, weitete aber mit einer fast groben Bewegung den Samt. Das schwarze Rund warf sie fast achtlos über die Öffnung der gesprungenen Vase ihrer Eltern und aus der Papierrolle nahm sie fünf lange Blütenstengel, gekrönt von einem blassgelben Blütenbüschel. Rasch fuhr sie mit dem Finger in den Samt und schaffte eine Vertiefung, in die sie die Stengel gleiten ließ: Diese fielen über Kreuz auseinander, in entgegengesetzte Richtungen, aber doch verbunden.
“Aus dem Sommer deines Lebens bist du in den Winter vorausgegangen. Mag dir der Goldene Frühlingsschlüssel das Tor zu einem neuen Sein öffnen, denn jedes Ende ist auch ein Anfang.” Die entschiedenen Worte verklangen und Fenia ließ das Papier in ihrem Ärmel verschwinden, als sie leise zurück zu ihrem Platz trat.
Von ihren vorangegangenen Emotionen noch recht ungezügelt schenkte Rhodena ihrer Tochter ein kurzes zärtliches Lächeln.
Auch Ulmia begegnete dem Blick ihrer Mutter zwar, doch blickte sie eher unverwandt auf die Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte. Sie hätte nicht gewusst, was sie ihr sagen sollte nach den Jahren der schleichenden Entfremdung, auch wenn sie es vielleicht nicht ganz so empfand wie Fenia, da sie immerhin auch selbst seit Jahren schon nicht mehr in ihrem Elternhaus lebte.
Rhodena fragte sich kurz, ob sie eine andere Reaktion ihrer Töchter erwartet hatte, doch auch, wenn ein großer Teil ihres Herzens sich etwas anderes ersehnt hatte, musste sie sich eingestehen, dass genau das das Opfer war, das sie für ihre Aufgabe vor dem Listenreichen eingehen musste. Sigman hatte es verstanden, aber ihre Liebe war fest und erwachsen. Doch, wie hätte man es den Kindern erklären sollen? Und jetzt waren die Wunden gerissen. In die Trauer um ihren Mann mischte sich die um die verlorene Zeit mit ihren Kindern. Doch nur einen Moment noch, dann zog sie wieder die Kapuze über ihren Kopf und richtete sie ein stilles Gebet an Phex, um sich Mut und Zuversicht zuzusprechen.
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