Geschichten:Schäumende Wasser - An der Brücke I: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 26. Januar 2022, 11:47 Uhr
Sta.-Reshmina-Brücke, 30. Tsa 1043 BF
Noch nie hatte die Brücke in ihrer - kurzen und äußerst wechselhaften - Geschichte so prächtig ausgesehen. So war sie herausgeputzt worden und markgräfliche Banner flatterten im angenehmen Frühlingswind, während ein kleiner Trupp markgräflicher Gardeleute in Paradeuniformen und mit Zierwaffen entlang der Brüstung Aufstellung nahm. Sie machten einen prachtvollen Eindruck zwischen den Statuen der Brücke. An den Aufgängen zu ihr hatten sich einige Reshminianer*innen und ebenfalls herausgeputzte Bewaffnete des Rabicumer Junkertums und der Bergthanner Baronie bereitgemacht. Während um sie herum Ufer und Brücke sich mit etlichen Schaulustigen füllten - alle in begeisterter Erwartung der Triumphparade auf dem Darpat, welche gestern in Wasserburg gestartet war. Es herrschte eine äußerst ausgelassene Stimmung, beinahe wirkte es als sei Perricum ein zusammengewachsener Schmelztiegel, wenn nicht hier und da sich Grüppchen bilden und verstohlene Blicke ausgetauscht würden. Doch Heiterkeit und die Perricumer und markgräflichen Farben mochten dies zu übertünchen. Inmitten all dieser Szenerie stand Seneschall Zordan von Rabicum, als Symbol der Markgrafschaft, an des Markgrafen Stelle, die helle metallische Rüstung mit den Seeschlangen-Schulterstücken kontrastiert durch das kräftige Blau seines Wappenrockes, dass das Zeichen und die Farben der Rabicumer zeigte. Wie der Zufall es wollte waren die Rabicumer Farben den Farben der Markgrafschaft gleich. Er ließ den Blick über die beginnende Festivität streifen und war zufrieden.
Die kleine Reisegruppe aus Zackenberg bahnte sich ihren Weg durch die Menschenmasse. Von der Familie Zackenberg waren Orlana samt Ehemann sowie Onkel Cordovan gekommen. Die Hardenstätter waren mit besagtem Ehemann der Baroness, sowie dessen Mutter, der Schwägerin und den beiden Vettern erschienen. Komplettiert wurden sie durch die Landvögtin von Aarenhaupt sowie dem Hausritter Hal von Zackenberg. Die Militaristen der beiden Familien, namentlich der Heermeister sowie die Hardenstätter Bärfried und Dara waren jeweils an anderer Stelle und würden in den Reihen des Militärs dem Fest beiwohnen, beziehungsweise sogar Teil der offiziellen Parade sein. Geplant war jedoch nach dem offiziellen Teil gemeinsam den Rest des Festes zu genießen. Alle waren sie in typischer Gewandung der zackenberger Adligen gekleidet. Die beiden Ritter und der Schwertgeselle stachen durch ihre glänzenden jedoch schlichten Rüstungsplatten aus der Gruppe heraus. Während man langsam aber zielstrebig zu den vorderen Reihen strebte, um hoffentlich einen Blick auf das Schiff werfen zu können, welches Dara vorbeisteuern würde, blieben einzelne Gruppenmitglieder stehen und wechselten hier und da kurze Worte ohne gänzlich den Anschluss an den Rest zu verlieren.
Auf gegenüberliegender Seite der Zackenberger Reisegruppe und des Darpats wurde auch für Fatime von Pfiffenstock ein Weg durch die zunehmende Menge gebahnt, ihre Saba’Ran(i) schufen sanft eine Schneise durch die wartenden Menschen, die von irgendwem mit kleinen Wimpeln in den Farben blau und weiß ausgestattet worden waren, die nun eifrig im kühlen Wind flatterten. Auf dem Weg zu den zusammengezimmerten hölzernen Tribünen am Fuße der beiden Brückenenden für die Adligen begleiteten die Baronin von Haselhain - abgesehen von ihren Saba’Ran(i) - der etwas sinister wirkende Gelehrte Miran und der höfische Adlige Astaran von Pfiffenstock. Die trotz ihrer familiären Zusammengehörigkeit keine Ähnlichkeit erkennen ließen. Im vorbeigehen erblickten sie die Edle Nera von Sturmfels, mit einer kleinen Bedeckung aus zwei Kämpfer*innen in den Farben der Baronie Herdentor. Fatime bedachte ihre Nachbarin mit einem freundlichen Lächeln, dachte aber auch so gleich an das “Unglück” was dort vor einem Jahr geschehen war und das die Sturmfelser dort nun hatte schalten und walten konnten, aber die Zügel vermutlich nicht mehr völlig in der Hand hatten. Dementsprechend blieb sie auch im Gespräch mit Astaran und nahm letztlich gemeinsam mit ihren Begleitern auf der festlich geschmückten Tribüne neben Rondrara von Alxertis Platz, mit der sie sich zunehmend besser verstand und sich für diesen Tag hier mit ihr verabredet hatte. Denn diese hatte es sich auch nicht nehmen lassen wollen, der Triumphparade beizuwohnen, zumal auch nicht wenige Alxertiser in die letzten Geschehnisse mehr oder weniger eingebunden waren. “Seht nur, beste Fatime,...”, plauderte die Alxertiserin mit der Sparren- und Säbelwappenbrosche nach einer ausführlichen Begrüßung, “seht nur ein Meer aus blau und weiß und wer steht in dessen Zentrum?” In ihrer Stimme lag Anerkennung, aber auch eine gewisse rebellischer Kampfgeist - typisch für die Alxertiser.
Mit Nachdruck schoben sich die drei markgräflichen Knappinnen Pernula von Zolipantessa, Xanjida von Sanzerforst und Nedime Eorcaïdos von Aimar-Gor durch die Menschenmassen. Sie waren etwas spät dran, hatten sie doch schlicht und einfach nicht erwartet hier diesen Menschenauflauf vorzufinden. Es war vor allem großes Erstaunen was in den jungen Frauen vorherrschte. In Garetien tobt eine blutige Fehde und hier in Perricum feierten die Menschen … ja was eigentlich? Den Sieg über die Untiere des Darpat? Perricum? Den Markgrafen? Oder doch den Seneschall, der diese Feierlichkeit perfekt zu inszenieren wusste. Womöglich alles ein bisschen. Die drei Perricumer Amazonen, wie sie am Markgrafenhof ehrfurchtsvoll genannt wurden, hatten den Winter über im Garetischen verbracht. Der große gesellschaftliche Höhepunkt war unzweifelhaft die Winterhochzeit gewesen. Xanjidas Bruder Alderan hatte dort ihre Freundin Caya vom Greifener Land geehelicht. Was für eine Festivität das doch gewesen ist. Doch wo viel Licht war, da war auch viel Schatten, wie die drei Knappinnen erfahren mussten. Doch nichtsdestotrotz, die Zeit in Randersburg war eine gelungene Abwechslung. Den Firunmond verbrachten die drei dann bei Nedimes Onkel Reto und ihrer Großmutter Rymiona in der Kaisermark. Die Fehde ruhte während des Winters und doch könnten die Mädchen einen guten Eindruck darüber gewinnen. Noch vor dem Wiederaufflammen der Fehde führte ihr Weg wieder nach Perricum. Dabei reisten sie gemeinsam mit Alderan und Caya, die ihren Ländereien in den Perrinmarschen einen Besuch abstatten wollten. Und nun standen Pernula, Xanjida und Nedime hier, inmitten der Menschenmenge und sie wussten nicht so recht wie ihnen geschah. Wie viel sich doch veränderte in einer nur so kurzen Zeit.
Eskortiert von zweien seiner Soldaten - die über diese Art von Dienst nicht sonderlich begeistert zu sein schienen - hatte sich Hauptmann Siegerain von Bregelsaum-Berg zusammen mit seiner Gattin Olberthe in einer Mietkutsche auf den Weg zur Brücke gemacht. Beide hatten sich für den Anlass ebenso prächtig wie kostspielig herausgeputzt - man war ja schließlich nicht irgendwer. Während Olberthe beinahe ohne Unterlass auf ihren Gatten einredete - zumeist Themen die Etikette, den neuesten Tratsch und mit wem man sich bei den Feierlichkeiten besser gut stellen sollte betreffend - beschränkte der Offizier seine Konversation auf das Minimum, dass seiner Frau noch zuzumuten war, ohne Vorhaltungen ihrerseits ob seines Desinteresses an ihren wichtigen Ausführungen zu riskieren. So freudig er der Feierlichkeit einerseits entgegen sah, so sehr beschäftigten ihn andererseits die nicht unbeträchtlichen damit verbundenen Kosten. Allein die gemietete Kutsche verschlang ein kleines Vermögen. Andererseits wusste das Paar - oder glaubte zumindest zu wissen - dass man zu einem solch´ außerordentlichen Ereignis mit einer so erlesenen Gästeschar den bestmöglichen Eindruck hinterlassen musste. Und der kostete nun einmal.
“Bist Du nicht auch meiner Meinung, Schatz?!, riss Siegerain die hohe Stimme Olberthes aus seinen Gedanken.
“Äh, aber ja doch, Liebes. Du hast völlig Recht.” Dass er nicht einmal wusste, wovon seine Gemahlin gerade gesprochen hatte, bekümmerte ihn nicht, da sie erfahrungsgemäß nur sehr selten etwas von sich gab, dass das Zuhören oder gar einer komplexeren Antwort lohnte.
Ein paar hundert Schritt vor der Brücke stoppte die Kutsche, da der Rest des Weges mit Menschen angefüllt war, die das gleiche Ziel hatten, wie das ungleiche Paar. Der Hauptmann bezahlte den Kutscher und half dann seiner Gattin aus dem Wagen. Diese warf einen pikierten Blick auf den staubigen Boden und die vielen Leute um sie herum.
“Das ist aber schlecht organisiert. Man hätte meinen können, dass für die wichtigsten Gäste ein separater Weg freigehalten wird und diese nicht dicht gedrängt mit dem gemeinen Pöbel den letzten Teil des Wegs zurücklegen müssen. So ruinier´ ich mir doch mein Kleid! Nicht auszudenken, wenn mich so seine Erlaucht zu sehen bekäme!”
‘Ja, nicht auszudenken und noch weniger auszuhalten’, dachte sich Siegerain, welcher die Situation deutlich gelassener aufnahm, während er stattdessen entgegnete: “Da hast Du völlig Recht, Liebes.”
Malina von Niederriet stand ganz in der Nähe des Seneschalls, der wie das Zentrum eines Bildes wirkte hier oben. Sie trug den weiß-blauen Wappenrock der Reshminianer und passte sich somit hervorragend an die in weiß und blau gehaltene Szenerie an. Genauso wie ihre Bundesgenoss*innen, die an den Brückenenden postiert waren, zusammen mit den Bergthanner und Rabicumer Garden, bei denen ebenfalls die Farben blau und weiß vorherrschten. Dabei hatten es sich die Reshminianer allerdings nicht nehmen lassen das Wappen auf ihren Röcken leicht anzupassen. Der Querbalken war verschwunden, der Längsbalken - den Darpat symbolisierend hatte an Breite und Wichtigkeit gewonnen. Aber das entscheidenste war, Parierstange und Griff des Schwerts wiesen nun andere Formen auf und erinnerten entfernt an Flügel und Leib eines Insekts. Außenstehenden würde letzteres kaum auffallen, aber ihnen gab es ein weiteres Gefühl von Zusammengehörigkeit, vor allem hier, unter so vielen anderen und fern der Finsterbinge, war diese Gemeinschaft noch wichtiger. Das Summen hatte sie hierher beordert - weshalb Malina sich hier oben postiert hatte um den Überblick zu behalten. Über die Stellung kleiner Bänder an den Speeren konnte sie grob mit den anderen an den Brückenenden kommunizieren und selber konnte sie erspähen wie sich immer mehr Perricumer auf der Brücke und an den Ufern tummelten. Beispielsweise erspähte sie Pfiffenstocker und Alxertiser Farben, aber auch die das Gluckenbanner Gluckenhangs, angereichert mit den Farben und den Symbolen des Markgrafen. Rondira von Sturmfels und ihre Gefolgsleute wollten anscheinend ihre weit bekannte Loyalität nochmals bekräftigen, Malina schätze die Baronin, vor allem aber dass sie und Selo von Alxertis die Reshminianer in Gluckenhang gewähren ließen, wohl auch in gutem Glauben an die alten Werte der Reshminianer. Malina lächelte, so falsch war das ja auch nicht, die innere Gemeinschaft war eine starke Stütze für die der Markgrafschaft und das würden die Anwesenden sehen.
Der Hengefeldter Baronsgemahl Roban von Rauleu stand am nördlichen Brückenkopf zusammen mit dem Hengefeldter Hausritter Perdin von Dunkelfarn und der Knappin Rondriga von Rauleu. Wie so oft an der Seite des Zackenritters war auch der Barde Gneisbald von Firunslicht, der die Erlebnisse der Hengefeldter Rittersleut virtuos in Versform brachte. Besonders die Ereignisse am Rothandfelsen zu Beginn des Götterlaufs hatte bei allen Beteiligten einen tiefen spirituellen Eindruck hinterlassen. Das Land, es war wieder erwacht und hatte die Rothandfelsen als sein Heiligtum auserkoren, da war sich Roban sicher. Eine Meinung die auch seine schwangere Frau und viele andere in Hengefeldt teilten. Roban reckte seinen Hals und blickte sich um. Nach den Schrecknissen hatten die Perricumer es verdient sich zu feiern. Auch gehörte es wohl zur Perrinländer Lebensart alles etwas opulenter anzugehen. Er, der in der Reichsstadt Perricum aufgewachsen war, erkannte die Sinnhaftigkeit dahinter, doch die vielen Götterläufe in den Zacken hatten ihn geprägt. Demut, das war es, was er sich gewünscht hätte und keine ausschweifende Zurschaustellung von Macht, das nur zur Beweihräucherung einiger weniger diente.
Der Heermeister vom Darpatmund stand in der Nähe des Seneschalls. Die beiden Männer waren schon vom Äußerlichen zwei krasse Gegensätze. Wo der Rabicum Verzierungen und Ziselierungen an der Rüstung zur Schau trug, hatte sich der Zackenberg für eine schlichte, polierte Metallplatte entschieden. Darüber trug er eine Schärpe mit den Farben der Markgrafschaft. Hinter ihm stand ein Teil seiner Stabs-Offiziere und ließen ebenfalls ihre Blicke schweifen aber wahrten dennoch einen angemessenen Abstand zu ihrem Herrn. Dafür standen zwei andere Personen ganz nahe beim Heermeister. Linkerhand seine persönliche Knappin, Praiadne Sefira vom Greifener Land, rechterhand sein ehemaliger Knappe und jetzigen Leutnant im Bombardenregiment, Bärfried von Hardenstatt. “Ein prächtiges Fest, dass der Markgraf da ausrichten lässt!”, stellte der Einäugige mit gewisser Zufriedenheit fest. Der Zackenberger schmunzelte etwas und blickte säuerlich zum Seneschall, “der Markgraf oder doch eher sein Seneschall? Und überhaupt ist das doch mehr als übertrieben”, konstatierte er. Der Baron aus den Trollzacken war kein Mann für Paraden, funkelnden Festen und derlei getue, er war allerdings klug genug zu erkennen, dass er hier nicht einfach grundlos fehlen konnte. Mit einer kurzen Handbewegung setzte sich der Tross des Heermeisters in Bewegung. Auch sie mussten noch Stellung beziehen.
Kusimo von Perricum bewegte sich durch die Menge auf der Brücke mit phexischer Leichtigkeit. Nicht dass er einer dieser geschickten Fassadenkletterer war, aber er kannte die Menschen und wusste sich zwischen ihnen zu bewegen. Er hätte sicherlich und mit Leichtigkeit einen Platz auf einer der Tribünen am Ufer oder in der Nähe des Seneschalls ergattern können, aber das war nicht sein Stil - zumindest heute nicht. Entsprechend gut gelaunt lehnte er sich locker an die Statue der “Gläubigen Efferdane”, die Schutzheilige gegen untiefe Umtriebe - bei den letzten Ereignissen wusste man ja nie, sein Glück sollte man nicht herausfordern, dachte Kusimo schelmisch. Von hier aus hatte er einen wunderbaren Ausblick, vor allem auf die vielen kleinen versteckten Geheimnisse, die Leute - von Stand oder nicht - vermeinten in so einer großen Masse versteckt zu wissen. Kleine Gaunereien, Bündnisabsprachen, Handelsvereinbarungen und auch Fehdegedanken. Wer kam mit wem, wer meide wieder die anderen, und so weiter - wertvolle Informationen. Auch auf dem Weg hierauf hatte er solche schon gesammelt - z.B. war die kaiserliche Isppernberg auf Gerbenwald nicht selbst angereist, aber bei der einen oder anderen Person hatte Kusimo eine klare Vermutung, dass sie in ihrem Auftrag hier waren - auch wenn diese es nicht waren - eine klare Positionierung. Und auch der junge Baron von Dürsten-Darrenfurt war nicht selbst angereist, hatte aber durchaus stattliche und äußerst offizielle Gesandte geschickt, etwa die eigene Schwester und den schmucken Ritter Hamedan von Waraqis. Viel wichtiger war aber der kurze Gesprächsfetzen den Kusimo aufgeschnappt hatte, der Baron weilte zur Zeit gar nicht in Perricum, sondern war auf einem wichtigen Familientreffen im garetischen zugegen - trotz bzw. gerade wegen der dort tobenden Fehde. Vmtl. seinem Ehebund mit der Weyringhauserin geschuldet. Interessant war das allemal. Aber er war ja nicht nur wegen der Geschäfte hier, so winkte er eine umherlaufende Frau herbei, die perricumsche Köstlichkeiten aus ihrem Bauchladen heraus verkaufte. Kusimo gönnte sich einen fruchtigen Fischhappen und einen kleinen Grillspieß sowie ein Minzplätzchen für danach. Der geschäftstüchtigen Frau, gab er ein feines Trinkgeld, heute musste man nicht knausern - und wandt sich nach einer augenzwinkernden Bemerkung wieder dem Fluß zu, in der Ferne konnte man schon die Schiffe der Flottille erahnen. Das Spektakel würde bald beginnen.
Noch eine Biegung dann käme die St. Reshima Brücke in Sicht. Wie oft war sie wohl schon an dieser Stelle vorbei gesegelt? Yanda konnte keine genaue Antwort auf diese Frage finden. Dutzende Male? Einhundert? Bei einer Sache war sie sich jedoch sehr sicher: Dem alten Darpat war das egal. Er trug alles gleichmütig mit sich und ging dann im Ozean, in Efferd auf.
Die Kommandantin der Sonderflottille hatte die letzten Wochen als Vorbereitung auf diese Parade genutzt. Ihr erster Gang führte sie Anfang TSA ins Archiv der Sonderflottille im Kriegshafen zu Perricum. Dort wollte sie in den Dienstvorschriften nach einem Leitfaden zur Durchführung von Paraden suchen. Diesen eintönigen und drögen Teil der Arbeit kannten die meisten Außenstehenden nicht und doch waren das Militär und Vorschriften untrennbar miteinander verbunden. Das hatte auch Dara von Hardenstatt in ihren ersten Tagen als Stützpunktkommandantin in Wasserburg erfahren. Kein Antreten funktioniert ohne Planung und kein Ablegen kommt ohne Protokoll aus.
Einen ganzen Vormittag wühlte sich Yanda durch die Aktenberge. 20/3 Vorschrift zur Dienstgrad- und Vertretungsstruktur 32/1 Vorschrift zur Materialkatalogisierung auf Patroullienfahrten 66/11 Vorschrift zum Schriftverkehr innerhalb des Flottenverbandes Zu jedem erdenklichen Ereignis fand sie eine Vorschrift, aber keine zur Abhaltung von Paraden. Wie von Hesinde geohrfeigt hielt sie plötzlich vor dem aufgetürmten Berg an Akten inne. In ihrer ganzen Dienstzeit gab es keine einzige Parade der Sonderflottille Flußwacht. Nichtmal zur Zeit der darpatischen Cron-Marine, deswegen fand sie dazu nichts in den Unterlagen. Nun sie könnte natürlich zum Archiv der Perlenmeerflotte hinüber gehen und sich dort die nötigen Vorschriften holen. Diese hatten ja mehr als genug Erfahrung im Abhalten von Paraden. Beispielsweise bevor sie auf Kriegsfahrt lossegelten, oder wenn sie von einer Kriegsfahrt zurückkamen, oder wenn sie wieder einmal ein neues Schiff einweihten, oder am Lichterfest in der Perricumer Bucht, wenn die Sonderflottille dafür zuständig war, die bunten Laternen ins Wasser zu lassen. “Aber dabei bitte alle Lichter an Bord löschen um bloß nicht gesehen werden zu können... um dann von einer verdammten Seeschlange angegriffen zu werden und den ganzen Jahrgang der Flottenakademie zu verlieren.” Die Gedanken der kurzhaarigen Frau waren kurz abgeschweift. Der Schmerz saß noch tief. Nein! Sie würde nicht zur Perlenmeerflotte hinüber gehen. Dieses mal ist es die Parade der Sonderflottille Flußwacht. Diese Parade wurde auch für die viele Frauen und Maenner abgehalten, die in ihrer Uniform gestorben sind. Und sie als deren Kommandantin war ihnen eine würdige Ehrung schuldig. Sie würde selbst eine Vorschrift entwickeln, zugeschnitten auf Flussparaden und die Sonderflottille Flußwacht, auch wenn das noch einige Wochen mehr Schreibarbeit und Formaldienst bedeuten würde.
Sie wusste was jetzt zu befehlen war, allerdings verschlug es ihr beim Anblick der Menschenmenge einige Augenblicke die Sprache.
Diesmal war es fast ein Segen, dass die St. Reshima Brücke nie die Möglichkeit hatte in die Jahre zu kommen. Denn unter den üppigen Verzierungen und vor allem bei der Masse an Menschen die sich auf die Brücke drängten, wäre ein älteres Bauwerk sicherlich zusammengebrochen und einfach in den Darpat gestürzt.
Doch die Menschenmasse beschränkte sich nicht nur auf die Brücke. Die prominenten Tribünen der Ehrengäste erhoben sich wie kleine Gebäude an den Brückenenden und auch hier war kein Platz unbesetzt.
Schon aus der Ferne konnte man sehen wie sich die Leute nun den Schiffen zuwandten. Für eine Sekunde stellte sie sich vor, diese Parade würde nur für die Sonderflottille abgehalten. Eine schöne, aber ebenso unrealistische Vorstellung.
“Sonderflottille Flußwacht hört auf mein Kommando!”, rief sie vom Heck aus auf das Deck. Die Matrosen gingen in Habacht-Stellung. “Sonderflottille Flußwacht, Paradeaufstellung!”
Im Schatten all dieser Dinge, seine Umgebung kaum noch wahrnehmend, stand Jovis von Cardebas in der Nähe der hochrangigeren Efferdgeweihten, die tiefkehlige und laute Lobgesänge darboten, seine Augen stets auf den Südweiser vor ihnen gerichtet. Obwohl es dies nicht einmal gebraucht hätte, denn er konnte das Kleinod spüren. Wie es immer stärker zu pulsieren begann und nur kurz war er abgelenkt, als er nicht fern, bei der Brücke jemand anderen wahrnahm, der es auch spüren konnte und der dem jungen Novizen unglaublich vertraut vorkam, als würde ihn ein Strom genau dort hinführen. Wie erwartet, der Strom geriet immer wieder in Unruhe, je näher sie der Brücke kamen. Dann nahm er in der Ferne Fanfaren wahr, es war soweit, Jovis war bereit und fokussierte sich auf seine vor ihm liegende Bestimmung.