Geschichten:Fremd in der Heimat - Teil 29: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 2. November 2022, 01:33 Uhr

Diesen Teil der Geschichte kannst du hier aus Baronin Escalias Sicht erleben.


Als am nächsten Tag, die Sonne ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass man Firuns Atem noch lange nicht spüren würde, die Menschen am Weiher sich zum Mittagsmahl trafen, kam plötzlich Unruhe in der Gruppe auf. Die Blicke wanderten gen Praios und als auch Hartor in diese Richtung schaute, nahm er eine Gruppe von vier Reitern wahr. Die Entfernung war noch zu groß, um Genaueres erkennen zu können; Gefahr jedoch schien schon wegen der geringen Zahl nicht von ihnen auszugehen und so blieben alle an ihrem Platz, jedoch aufmerksam. Mit abnehmender Entfernung jedoch erkannte er zumindest die einzige Frau unter den vieren, es war Escalia von Hahnentritt. Während er seine Erkenntnis den Umstehenden mitteilte, hatten auch andere ihre ehemalige Baroness erkannt und die Nachricht machte die Runde; schon standen viele auf und gingen ihr entgegen. Kein lauter Ton war zu hören, lediglich Getuschel und leise Fragen ob ihres Anliegens ging durch die Menge. Erwartungsvoll, aber auch unsicher schauten die Menschen sie an und machten den Weg für die Ankömmlinge frei.
Hartor ging ihnen entgegen. Als er mit ihnen zusammentraf, beeilte er sich, sie zu begrüßen.
„Euer Hochgeboren, wir sind hier, wie Ihr befohlen habt. Einige fehlen noch, aber wir zweifeln nicht daran, dass auch diese noch herkommen werden.“
Die Baronin nickte, dann blickte sie in die Runde, und zweihundert vom Schicksal Geschlagene schauten zu ihr auf. Vierhundert Augen voller Hoffnung auf bessere Zeiten. Hartor war sich nicht sicher, senkte sie tatsächlich den Blick oder kam ihm dies nur so vor, als sie vom Pferd stieg. Er hielt das Tier ruhig, während sie sich sortierte. Dann schaute sie in die Menge und sprach:
„Ihr lieben Fremmelshofer. Lange habt ihr euch gedulden müssen, bevor ich euer Leid wahrnahm. Verzeiht mir dies.“
Wieder schaute sie zu Boden; als sie jedoch weitersprach, war ihre Stimme stark und ihr Blick voller Selbstvertrauen.
„Doch ab heute soll es euch besser ergehen.“ Ohne eine Reaktion abzuwarten, fuhr sie fort: „Dies sind Ihro Gnaden Geppert Groterian, Diener der Göttin Peraine, Ihro Gnaden Alabrecht Giselhold von Eychgras, Diener der Travia und dies“, sie deutete zu ihrer Rechten, „ist Ihro Gnaden Irean Gippelstein, Diener Kors. Diese Drei sollen heute Zeugen im Namen der Götter sein.“
Die Anwesenden schauten sich fragend an, auch Hartor war sich nicht sicher, was dies zu bedeuten hatte.
Mit einem Male trat sie auf Hartor zu, der prompt das Pferd losließ und sie fragenden Blickes ansah.
„Tritt zu mir, Hartor Sesemurm!“, forderte sie ihn feierlich auf.
Die drei Geweihten bildeten einen Halbkreis hinter Escalia und obgleich die Menge von hinten zur Szene drängte, wichen die Nächststehenden intuitiv einen Schritt zurück, so dass nun ein kreisrunder Raum entstand, in dessen Zentrum sich der Sohn des ehemaligen Verwalters von Fremmelshof und die Tochter seines ehemaligen Barons gegenüberstanden. Stille breitete sich aus.

„Im Namen der Zwölfgötter, Praios voran, dem das Recht und die Ordnung lieb sind. Ich habe mich versichert, dass Ihr frei und von edler Gesinnung seid und dass Euch durch eure Fähigkeiten das zusteht, was ich Euch geben will. So frage ich Euch: Begehrt Ihr, Euch durch Euren Schwur der Gemeinschaft des über die garetischen Lande in Praios Namen herrschenden Adels anzuschließen?“

Hartor starrte sie an. Er war nicht wirklich in der Lage, einzuordnen, was gerade passierte. Er wollte doch ein Dorf für diese Menschen!
Leise und vertraulich flüsterte Escalia ihm zu: „Sag Ja!“
„Ja“, erwiderte er, eher mechanisch, als dass er begriffen hätte, was er da tat.

„Ihr begehrt, was groß ist, aber kennt Ihr auch die Pflichten, die Ihr als Lehensmann erfüllen müsst? Seid Ihr bereit, Eurer Lehensherrin immer mit Eurem Rat zu helfen, wenn sie dessen bedarf? Seid Ihr bereit, ihrem Ruf mit Euren Bewaffneten zu folgen, wie es die Lehnspflicht gebietet? Werdet Ihr all Eure Fähigkeiten und Euer Leben in ihren Dienst stellen, wie es recht und billig ist?“

Langsam verstand Hartor, was sie im Begriff war zu tun. Sein Körper straffte sich, er sah ihr in die Augen und Dankbarkeit und Stolz waren darin zu sehen. Dann kniete er nieder.
„Bei Praios und seinen Geschwistern, das bin ich.“

„Ihr habt Eurer Lehensherrin bei den heiligen und ewigen Zwölfen die Treue geschworen und Treue soll mit Treue vergolten werden.
Und so schwöre ich Euch unter den Augen der unsterblichen Zwölfe, dass ich Euch ebenfalls die Treue halten werde, dass ich nichts von Euch verlangen werde, was ich nicht selbst zum Wohle des Landes zu geben bereit bin und dass ich Euch Schutz und Schirm vor den Feinden der zwölfgöttlichen Ordnung zusichere.
So ist ein heiliger Bund der Treue geschlossen worden zwischen mir und Euch, unter den Augen der Götter. Diesen Bund soll keiner brechen, doch so Ihr uns untreu werdet, werdet Ihr des Titels und Lehens verlustig gehen. Wir fordern Euch auf, götterfürchtig, gerecht und weise und eurer Verantwortung gemäß über das neue Junkertum Birkenweiher zu herrschen, das wir Euch hiermit zum Lehen geben. Doch nun erhebt euch und seid willkommen in unserer Gemeinschaft, Hartor Sesemurm, Junker von Birkenweiher.“

Hartor stand auf und blickte Escalia von Hahnentritt an, seine Baronin und nunmehrige Lehnsherrin. Seine Gedanken flogen durcheinander, gleichzeitig verarbeitete er Vergangenes, Gegenwart und bereits Pläne für die Zukunft.
Während der neue Junker von Birkenweiher offensichtlich noch das Geschehene verarbeitete, hatten auch die restlichen Fremmelshofer begriffen, was gerade vorgegangen war. Jubel brandete auf. Die Menschen lagen sich in den Armen, lachten und weinten. Einige starrten fassungslos auf Escalia, die lächelnd im Zentrum des Trubels stand. Hartor selbst stand wie erstarrt in diesem Trubel und sah alles wie aus der Ferne. Seine Starre löste sich erst, als die Geweihten der Peraine und der Travia zu ihm traten und ihn segneten. Danach trat der Kor-Geweihte zu ihm und überreichte ihm ein Schwert.
Mit festem Griff schloss sich seine Rechte und wog die Waffe – ein gutes Gefühl. Er hatte sein Ziel erreicht, er hatte diesen Menschen eine Zukunft ermöglicht. Er hatte gewagt, alles eingesetzt und gewonnen. Und mehr noch, er hatte sogar mehr erhalten, als er jemals für möglich gehalten hatte. Nun war er endgültig für die Menschen hier verantwortlich, zusammen trugen sie nun die Verantwortung dafür, unter seiner Führung diese Zukunft positiv zu gestalten. Es würde nicht leicht werden, sicher nicht. Die Menschen würden sich verändern und auch ihre Beziehung zu ihm; ja, e r würde sich verändern. Jedoch glaubte er an ihrer aller Fähigkeiten.
Er löste sich aus seinen Gedanken und lud Escalia und die drei Geweihten zu einem Fest ein. Einige hatten bereits Flöten aus den Gewändern gezogen, andere aus Stöcken und Holz einfache Schlaginstrumente gefertigt. Musik erklang, am Feuer wurde das fertige Mittagsmahl verteilt und zusammen begannen sie ein Fest, das bis in die Nacht dauerte.

Und so wurde der 19. Rondra im Jahre 1031 BF der Tag, an dem über 200 Menschen nach über 400 Jahren wieder in ihrer Heimat ankamen. Mit der Geburt des neuen Junkertums Birkenweiher und der darauffolgenden Gründung des Dorfes Birkenweiher begann auch für sie ein neues Leben.


Ende


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