Geschichten:Zeitenwende - Falkenschrei: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 25. April 2024, 09:32 Uhr
Burg Hutt, Mitte Rondra 1046 BF
»Bist du zufrieden mit dem Ratschlag, den du von deinen Vasallen bekommen hast?«
In ihrem weißen Geweihtengewand stand Solaria von Hartsteen im Dienstzimmer ihres Bruders Odilbert. Der Graf saß hinter seinem großen Schreibtisch – der Tisch seines Vater Luidor, den er eigens nach dem Ende der Fehdekämpfe von Burg Oberhartsteen auf Burg Butt hatte karren lassen – und brummte etwas, was wie eine Antwort klang. Aus den Hügeln der Eingaben seiner Untertanen waren Aktenberge und Pergamentflüsse geworden. Es verging kein Tag, an dem sein Kammerdiener nicht weitere Bitten um Gehör, Klagen über unliebsame Nachbarn und Anfragen an das gräfliche Säckel brachte.
»Du wirst also nach Auenwacht reisen und dort den neuen Großfürsten treffen, vielleicht sogar mit ihm unter vier Augen sprechen?«
Solarias Stimme klang milde und hatte doch den Unterton eines unmissverständlichen Befehls. Der Graf blickte düster in Richtung seiner Schwester und hoffte insgeheim, dass sie sich umgehend in einen Falken verwandelte und durch das geöffnete Fenster in Richtung Kahler Schirch verschwände. Er hatte die Erinnerung an die Tage seiner Kindheit ganz verdrängt gehabt, in denen sie ihn durch ihre altkluge und erwachsene Ausdrucksweise schier in den Wahnsinn getrieben hatte, bis an jenen Tag, als sie aus ihrem Greifenfurter Noviziat heimgekehrt war.
»Dann wirst du Seine Königliche Durchlaucht auch darauf hinweisen, dass die besonderen Vorzüge seiner Hartsteener Untertanen noch keine adäquate ministerielle Repräsentanz an seinem neuen Hof gefunden hat?«
Odilbert atmete tief durch. Er gab nichts auf den Großfürsten. Er hatte den Trubel um Sigman, den Großfuchs von Garetien, abgelehnt und er konnte sich nicht mit dem Gedanken an einen Halbmaraskaner auf steter Wanderschaft durch das Königreich anfreunden. Je länger er hinter diesem Schreibtisch saß, umso stärker empfand er die Position seines Vaters, nämlich dass alle Herrschaft über das Land vom Adel ausgehen sollte. Dem Monarch solle die Rolle des Ersten unter Gleichen zukommen, jemanden, der durch tägliche Erfahrung wusste, was die Kunst der Regierung, die Odilbert derzeit so mühsam in seiner vollen Breite erlernte – nicht eines aufgeplusterten Popanz‘, den man geschmückt durch die Lande trug und vor dem sich alle in den Staub warfen, weil sein Name zufälligerweise „von Gareth“ lautete. Wie viel mehr Respekt hätte Odilbert vor jemanden wie Alderan, wenn dieser als Markvogt von Gareth mit den täglichen Regierungsgeschäften vertraut wäre und in dieser Stellung die Ehre hätte, für alle seine hochadligen Standesgenossen zu sprechen.
»Und schließlich wirst du die Lanze nehmen und dich mit deinem hochgerühmten Talent an der Großfürstenturnei beteiligen, damit ganz Garetien sehe, dass der heißblütige Ritter in den letzten Jahren die nötige Demut gelernt hat?«
»Es ist genug!« Odilbert war aufgestanden und seine Halschlagader pochte deutlich sichtbar. Auch wenn es ihm fern lag die Hand gegen seine Schwester und die Kirche des Götterfürsten zu erheben, war er kurz davor der kleinen Rudane zu zeigen, wo ihr Platz in diesen Hallen war.
»Ja, es ist genug. Und es ist an der Zeit, dass du die Rolle des Grafen von Hartsteen nicht nur wie in einem Dorftheater nur spielst, sondern dich ihrer entsprechend auch verhältst. Zügle deinen Hochmut und zügle deinen Zorn. Nichts anderes haben deine Vasallen dir aufgetragen zu tun und nichts anderes wirst du unternehmen. Ich bin nicht zurückgekommen, um die Geschäfte meiner Familie durch die Torheit meines Bruders ruiniert zu sehen, sondern um dich daran zu erinnern, dass es um mehr geht als deine eitle Empfindsamkeit. Und ich hoffe, ich bin nicht zu spät gekommen, denn weder deine engsten Vertrauten wie der Junker von Steinfelde oder deine eigene Gemahlin haben den Mut dir ins Gesicht zu sagen, dass du irrst. Dass dein Weg dich in eine gefährliche Position führt – nicht nur für dich sondern für deine gesamte Familie. Daher befehle ich dir, als deine Ratgeberin, als Dienerin des Götterfürsten und als Spross vom selben Blute wie du selbst: Gehe nach Auenwacht und sei deinen Vasallen, deinen Freunden und Feinden ein Vorbild an Adel und Größe.«
Mit diesen Worten machte Solaria auf dem Absatz kehrt und verließ mit aufgerichtetem Kopf das Zimmer. Odilbert blickte ihr noch einen Moment nach. Einen Moment des Zorns, einen Moment der Verwirrung und einen Moment der Unsicherheit. Dann setzte er sich wieder an seinen Tisch und schrieb an Kanzler Horulf, dass der Graf von Hartsteen zum Großfürstlichen Hoftage und dem Großfürstenturnei erscheinen werde.
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