Geschichten:Im Sturm - Ruhe nach dem Sturm?: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 21. Juli 2009, 14:59 Uhr

Stadt Natzungen, Abend des 4. Travia 1030 BF


Tanira fühlte sich unendlich alt. Ihre Seite brannte wie Feuer. Ein Heiler des Gerstungers hatte die Wunde gesäubert und ihr dann eine feste Bandage um den Leib geschnürt. Scheinbar war Rondra ihr hold gewesen – nur eine leichte Fleischwunde hatte sie davon getragen. Trotzdem machten die Schmerzen sie fast verrückt. Außerdem machte sich ihre Kopfverletzung bemerkbar. ’Ist es wirklich erst dreieinhalb Tage her, dass ich niedergeschlagen und nach Orbetreu verschleppt wurde?’ Sie stöhnte leise, als sie nach einem wattierten Waffenrock griff und ihn überstreifte. Anschließend legte sie den Waffengurt wieder um und verließ mit kleinen Schritten ihre Gemächer. Ihr Ziel lag in dem kleinen Boronschrein, in dem Thronhardt von Schwingenfels aufgebart lag. Mittlerweile wusste sie, dass sie den Überbringer der Todesnachricht falsch verstanden hatte. Sie hatte nicht gewusst, dass auch Hadrumirs Onkel ein Junker war, der Junker zu Hinterwalden.

Leise betrat sie den Schrein und blickte sich um. Viele Menschen hatten heute den Tod gefunden – und nicht nur die Natzunger Verluste lagen in der Stadt, um an Boron übergeben zu werden. Doch diesen Schrein hatte man für Thronhardt freigehalten. Neben der Bahre, auf der er lag, konnte sie mehrere Gestalten erkennen. Hadrumir, Danaris und einige aus dem Führungsstab der Orbetreuer Schwingen erwiesen ihm das letzte Geleit und hielten Totenwache.

Tanira trat an die Bahre heran, schlug das Zeichen des gebrochenen Rades und dankte dem Schwingenfelser schweigend für seine Aufopferung – dann blickte sie ihn näher an – und erkannte die tödliche Wunde. Sie runzelte die Stirn und blickte zur Seite, wo Hadrumir stand und sie schweigend beobachtete. Sie nickte ihm kurz zu, ehe sie wieder mit schwerem Schritt den Schrein verlies.


Stadt Natzungen, späterer Nachmittag des 5. Travia 1030 BF


Endlos waren ihr die letzten Stunden erschienen. Gerade hatte sie sich endlich zum ersten Mal an diesem Tag in ihrem Arbeitszimmer hingesetzt, nachdem sie den ganzen Tag an den verschiedensten Stellen der Stadt nach dem Rechten gesehen hatte, als es schon wieder klopfte. Tanira richtete sich wieder etwas im Sessel auf und hieß den Störenfried einzutreten. Einer der Diener trat ein und meldete mit leiser Stimme, dass der Baron von Hutt sie zu sprechen wünsche. Tanira runzelte kurz die Stirn doch dann nickte sie: „Lasst ihn vor!“ Der Diener verschwand wieder, um Baron Anselm von Quintian-Quandt in Taniras Arbeitsräume zu geleiten.

Die Natzungerin griff sich leise aufstöhnend an die Seite, wo unter der festen Bandage ihre Wunde heftig pochte. Gerne hätte sie heute irgendwann noch mit Hadrumir gesprochen gehabt, bevor sie mit dem Verwandten des Grafen zusammentraf – doch Hadrumir war mit anderen Dingen zu sehr beschäftigt gewesen. Tanira hatte ohne Zögern akzeptiert, dass es in Kriegsfällen wichtigeres gab, als Konferenzen abzuhalten. Hadrumir sollte seinen Onkel erst betrauern und beerdigen können. Sie schloss die Augen, um sich noch einen Moment auszuruhen, bevor Anselm das Zimmer betreten würde.

Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte sich nur einen kurzen Moment der Ruhe zu gönnen, schreckte sie hoch, als der Diener den Baron von Hutt lautstark ankündigte. Sie war kurz eingenickt.

Für einen kurzen Moment sah sie verwirrt zur Türe, an der sich Anselm gerade leicht verbeugte und dann näher trat. Unter dem Arm trug er eine flache Ledertasche in der er wohl Korrespondenz beförderte. Tanira versuchte sich kurz aus dem Sessel zu erheben, stöhnte durch einen stechenden Schmerz in der Seite jedoch auf und brach den Versuch ab. „Verzeiht, euer Hochgeboren, aber eine Verletzung behindert mich zur Zeit doch etwas. Gestattet, dass ich sitzen bleibe.“

Anselm trat auf den Schreibtisch zu, hinter dem Tanira saß. „Aber sicher doch, Euer Hochgeboren. Ich hörte von Eurem Erfolg und dass Ihr den Grützer zum Rückzug gezwungen habt. Meine Hochachtung dafür. Darf ich mich setzen?“

Tanira nickte ihm zu: „Natürlich, setzt Euch und bedient Euch.“ Sie wies mit der Hand auf ein paar Erfrischungen, die auf dem Tisch standen. Mit einem leichten Schmunzeln bedachte sie seine doch so anders anmutende Aufmachung. Statt der stutzerhaften Kleidung, in der er ihr auf Orbetreu gegenüber getreten war, trug er heute Gambeson, Kettenhemd und darüber einen Wappenrock der Baronie Hutt.

„Nun, als Erfolg würde ich das ganze nicht bezeichnen. Wir haben zu viele Verluste zu beklagen. Unter anderem fiel der Junker Thronhardt von Schwingenfels einem hinterhältigen Angriff zum Opfer. Ein Windischgrütz mischte sich in einen Kampf ein und trieb ihm den Dolch von hinten durch den Hals.“

Taniras Worte zeugten von Schwäche – auch entging Anselms aufmerksamen Blick nicht, dass sie blass war und ihre Augen einen leichten ungesunden Glanz zeigten.

„Dies ist schmerzlich zu hören, Euer Hochgeboren. Doch trotzdem – Ihr seit in der Stadt, Ihr lebt und dies dürfte das durchaus Wichtigste sein. Ich habe die Ehre, Euch die Antwort des Grafen auf Euren Brief zu überbringen.“ Mit diesen Worten zog er ein Schriftstück aus der Mappe und reichte es Tanira über den Tisch. Sie griff zu, zerbrach das Siegel und lass dann den Brief.


An Ihro Wohlgeboren Tanira von Natzungen,


im Namen der Zwölfgötter, Praios voran, dem das Recht und die Ordnung lieb sind. Ihr habt uns versichert, dass Ihr frei und adlig in rechtmäßiger Ehe geboren seid und dass Euch durch Eure Geburt und Eure Fähigkeiten das zusteht, was Ihr fordert. Auch habt Ihr uns versichert, dass Ihr keine Magie anwendet, wie es seit dem Garether Pamphlet Vorraussetzung für die Belehnung eines Adligen ist. Ebenfalls habt Ihr erklärt, dass Ihr keiner der Kirchen der Zwölfe als Geweihte verbunden seid.

Ferner habt Ihr bekundet, Euch durch Euren Schwur der Gemeinschaft des über die garetischen Lande in Praios Namen herrschenden Adels anschließen zu begehren.

Ihr begehrt, was groß ist, und Ihr kennt auch die Pflichten, die ihr als Baronin erfüllen müsst. Ihr seid bereit, Ihrer Majestät Königin Rohaja immer mit Eurem Rat zu helfen, wenn sie dessen bedarf. Ihr seid bereit, ihrem Ruf mit Euren Bewaffneten zu folgen, wie es die Lehnspflicht gebietet. Ihr werdet all Eure Fähigkeiten und Euer Leben in den Dienst der Königin stellen, wie es recht und billig ist.

Wir sind bereit, Euren Eid in dieser schriftlichen Form entgegen zu nehmen, bis Ihr Euch auf Burg Feidewald einfindet, um ihn persönlich zu leisten. Solltet Ihr dies nicht unverzüglich tun, werden Wir das von Euch beanspruchte Lehen als heimgefallen betrachten.


Gegeben zu Feidewald, den 3. Tag des Traviamondes im Jahre 1030 nach dem Fall Bosparans.


Während die Baronin den Brief lass, bediente sich Anselm an den Erfrischungen und schenkte sich einen Becher Wein ein. Unauffällig beobachtete er dabei die Natzungerin, die gerade den letzten Absatz des Briefes lass und die Stirn unwillig in Falten legte.

„Ich rate Euch, schnell wieder auf die Beine zu kommen. Zumal ich nicht weiß, wie lange es so ruhig bleibt wie jetzt. Ich war doch erstaunt, tatsächlich unbehelligt hierher kommen zu können.“

Die Natzungerin musterte Anselm nachdenklich. „Mir mag es am kämpferischen Können fehlen, Euer Hochgeboren, doch weiß ich vielleicht besser wie manch Anderer wie man Kämpfer versorgt – oder eben dies verhindert.“

„Dies habe ich nicht bezweifelt“, schmunzelte Anselm.

Die Frau überflog ein weiteres Mal den letzten Absatz des Briefes. „Ist Euer Onkel immer der Meinung, seine Wünsche mit Drohungen untermauern zu müssen? Kennt ihr den genauen Wortlaut des Schreibens?“

Wieder lächelte der Quintian-Quandt, etwas verschmitzt diesmal. „Nein, aber ich vermute, dass er in seiner unnachahmlichen Art seine Wünsche deutlich zum Ausdruck bringt.“

„Er droht mit dem Lehensheimfall, sollte ich mich nicht unverzüglich nach Feidewald begeben.“

„Dann würde ich sagen, solltet ihr am besten gleich mitkommen.“

Tanira dachte mit Unbehagen an die Zustände in der Stadt und an die Arbeit, die sie noch nicht gelernt hatte zu delegieren. „Wenn dies so einfach wäre.“

Der Baron von Hutt sah sie an. „Was hindert Euch?“

„Ich würde die Stadt in der jetzigen Situation nur ungern verlassen. Es sind noch Aufräumarbeiten zu leiten, eine Menge Menschen zu Grabe zu tragen, unter anderem ein doch recht wichtiger. Und meine Leibgarde ist sehr angeschlagen – ja, fast nicht mehr vorhanden.“

„Ihr seid ja bald wieder da“, versuchte Anselm zu beschwichtigen.

„Ich möchte den Schwingenfelser in seiner Trauer nicht stören, damit er mir Geleit gibt.“

„Es ist Eure Entscheidung. Ich denke, zwei Tage Verzug wird Graf Geismar noch hinnehmen, aber danach kann ich für nichts garantieren.“

Tanira nickte leicht „Ich werde mich erkundigen, wann Thronhart von Schwingenfels zu Grabe gebettet wird – oder eher wo. Vielleicht lässt sich ja beides vom Weg her vereinigen.“

„Feidewald liegt nicht sehr weit von Orbetreu“ bestätigte Anselm.

Tanira beendete dieses Thema mit einem Nicken und blickte dann Anselm ernst an. „Wäret ihr bereit, mir einige Fragen zu beantworten?“

„Selbstverständlich!“ ’Solange ihr nicht die Wahrheit als Antwort erwartet’ dachte sich Anselm dabei.

„Der Schwingenfelser sprach mir gegenüber davon, dass er mit dieser Hochzeit beabsichtigt, dem Oberhaupt seiner Familie und Graf Geismar eins auszuwischen – erklärt mir bitte, wie er das meint. Welche Probleme bestehen zwischen ihm und diesen beiden Männern?“

Der Mann ihr gegenüber musste unwillkürlich schmunzeln. „Hadrumir ist ein Mann der Tat, sein Vetter Ludorand ein Zauderer.“

Tanira konnte sich des Schmunzelns auch nicht erwehren. „In der Tat, er packt an. Und wie steht Graf Geismar zu ihm?“

„Hadrumir pflegt außerdem, selbst Entscheidungen zu treffen – die nicht immer dem entsprechen, was Graf Geismar für den besten Weg hält.“

Tanira lachte leise auf. ’Ob der Graf meine Entführung für den besten Weg gehalten hätte?’ „Also wäre es wohl klüger, zuerst ihm den Lehnseid zu leisten, bevor man den Grafen über die Hochzeitspläne in Kenntnis setzt?“

„Auf jeden Fall!“ bekräftigte Anselm Tanira mit dieser Einschätzung.

„Wie sollte man ihn davon am besten in Kenntnis setzen? Was denkt ihr?“

„Ladet ihn zu Eurer Hochzeit ein – dies gehört sich ohnehin.“

„Dies ist selbstverständlich, auch wenn ich denke, dass sie vom Rahmen eher klein ausfallen wird.“

„Er wird ohnehin nicht kommen“ warf Anselm ein.

Tanira schaute ihn erstaunt an „Sind ihm seine Lehen nicht wichtig?“

„Doch, aber eine Hochzeit, die er nicht gutheißt, wird er wohl kaum mit seiner hochgeschätzten Anwesenheit beehren.“

Die Baronin runzelte leicht die Stirn „Dann verratet mir eins, Euer Hochgeboren. Warum habt Ihr, dem dies klar gewesen sein muss, mir zu dieser Verbindung geraten. Wollt Ihr mir schaden, indem ich mich bei meinem Lehnsherrn gleich in die Nesseln setze?“

Anselm ließ sich keine Regung anmerken, als er antwortete: „Weil ich es für die beste Lösung halte. Je fester wir verbunden sind, desto mehr kann man sich auf einander verlassen. Und Hadrumirs Treue zum Haus Quintian-Quandt ist über jeden Zweifel erhaben.“ Absichtlich sprach er wohl nicht von der Person des Grafen.

Die Worte Hadrumis gingen dabei der Natzungerin durch den Kopf. ’Wenn er wüsste, dass sich Hadrumir nur sich selbst und den seinen verpflichtet fühlt.’ Äußerlich zwang sich die junge Baronin, sich nichts anmerken zu lassen. Einzig die Erschöpfung malte weiter ihre Spuren in ihr Gesicht. „Ich denke, Graf Geismar traut Hadrumir nicht? Wie soll er sich dann auf Natzungen verlassen können?“

„Es gibt in Hartsteen nicht nur Geismar – und damit meine ich nicht Luidor.“

Tanira hob erstaunt eine Augenbraue „So?“

Anselm wechselte jedoch elegant das Thema. „Aber sagt, wenn ich schon ein wenig hier verweile: wo kann ich mich nützlich machen?“

Tanira versuchte sich bequemer hinzusetzen – tat dies jedoch nur sehr langsam und vorsichtig.

„Versucht mir nicht mit meinem Stadtvogt aneinander zu geraten. Er fühlt sich zu recht etwas übergangen die letzten Tage und dies wird sich verstärken, wenn ich die Hochzeitspläne publik mache. Ich glaube, er hoffte auf meine Hand.“

„Ein Mann mit Ambitionen!“ erwiderte Anselm.

„Vielleicht zuviel Ambitionen. Ich kann mit so etwas nicht umgehen - vielleicht könntet ihr ihn etwas aushorchen? Mir wäre wichtig zu wissen, womit ich ihn in Zufriedenheit versetzen kann und ihm weiter vertrauen kann.“ Sie blickte Anselm bittend an.

„Ich werde das Gespräch mit ihm suchen, ja. Da wird sich hoffentlich etwas finden lassen“

„Zur Zeit widerstrebt es mir, ihn in Natzungen alleine zu lassen“, drückte Tanira ihre Sorge aus.

„Habt ihr hier niemanden, dem ihr vertrauen könnt?“

Tanira grinste kurz: „Ihr vergesst - ich wuchs in einer Kadettenschule auf und war dann sechs Jahre beim Heer - ich kenne weder die Leute hier, noch die Machtstrukturen. Zwei Familien, auf die ich mich laut den Unterlagen meiner Kusine verlassen hätte sollen, sind abgefallen und zum Grützer übergelaufen. Vier Zehntel meiner Streitkräfte sind gestern gefallen - und auch einige der Schwingenfelser. Der Grützer hat auch einen hohen Blutzoll zahlen müssen - aber ein wirklicher Sieg war es auch nicht.“

Kurz überlegte Anselm, Jolea von Schwingenfels mit ein paar nostrischen Söldnern zu schicken, doch dann sah er ein, dass dies zu knapp werden würde und schwieg.

Tanira überlegte noch kurz – doch langsam machte sich in ihr der Schmerz zu sehr breit ’Verdammt - warum hört das nicht auf zu pochen - ich muss den Heiler noch mal kommen lassen’ und sie suchte das Gespräch zu beenden. „Doch nun bitte entschuldigt, ich bin schon den ganzen Tag auf den Beinen - doch nun fordert meine Verletzung ihren Tribut.“

„Gewiss. Ihr solltet Euch schonen, so gut es geht. Peraines Segen mit Euch.“ Anselm stand auf, verneigte sich jedoch nicht, um Tanira nicht zu einer Gegengeste zu zwingen und ging hinaus, um als Nächstes den Stadtvogt aufzusuchen.

Als der Hutter Baron ihr Arbeitszimmer verlassen hatte, erhob sich Tanira schwerfällig, um in ihr Schlafzimmer zu gehen. Dort beauftragte sie einen Bediensteten ihr den Heiler noch einmal herbei zu schaffen – und ebenso bei Hadrumir von Schwingenfels anzufragen, ob er sich für ein paar Minuten freimachen könnte, um sie für eine Unterredung in ihren Gemächern aufzusuchen.


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