Geschichten:Was man nicht an den großen Gong hängt: Unterschied zwischen den Versionen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
VerschiebeBot (D | B) K (WartungsBot korrigiert Seite 22 / 308) |
||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
Einen solch sonnigen und warmen Tag hatte das Zedernkabinett lange nicht genossen: Eine lange Tafel war in den Garten der Staatscantzley geschafft worden, mit einem weißen Tischtuch (mit gülden abgesetzter Borte) bedeckt und mit sieben hochlehnigen Stühlen umgeben worden. Der Staatsrat hatte den kleinen Gong, den ihm ein nicht genannter Collega zum Neujahr geschenkt hatte, mehrmals zum Einsatz gebracht, um die immer wieder abschweifende Aufmerksamkeit [[ | Einen solch sonnigen und warmen Tag hatte das Zedernkabinett lange nicht genossen: Eine lange Tafel war in den Garten der Staatscantzley geschafft worden, mit einem weißen Tischtuch (mit gülden abgesetzter Borte) bedeckt und mit sieben hochlehnigen Stühlen umgeben worden. Der Staatsrat hatte den kleinen Gong, den ihm ein nicht genannter Collega zum Neujahr geschenkt hatte, mehrmals zum Einsatz gebracht, um die immer wieder abschweifende Aufmerksamkeit [[Kategorie:Zedernkabinett|der Burggrafen]] zurückzugewinnen, während der Kreis über das kommende Jahr gesprochen und anstehende Probleme beraten hatte. | ||
Nachdem auch Trautmann Karfenck gehört worden war, der als Bürgermeister der Reichsstadt Alt-Gareth seine Anliegen vorgebracht hatte, entließ der Staatsrat seine Collegen, bat die Burggrafen [[Garetien:Oldebor von Weyringhaus|Oldebor von der Raulsmark]] und Eran von der Gerbaldmark, mit dem Mittagsmahl am üblichen Ort auf ihn zu warten, und blickte den sich entfernenden Burggrafen nach. Er schlug noch einmal – und unnötigerweise – den Gong, lauschte dem vergehenden Geräusch und zupfte derweil an seinem Schnurrbart. | Nachdem auch Trautmann Karfenck gehört worden war, der als Bürgermeister der Reichsstadt Alt-Gareth seine Anliegen vorgebracht hatte, entließ der Staatsrat seine Collegen, bat die Burggrafen [[Garetien:Oldebor von Weyringhaus|Oldebor von der Raulsmark]] und Eran von der Gerbaldmark, mit dem Mittagsmahl am üblichen Ort auf ihn zu warten, und blickte den sich entfernenden Burggrafen nach. Er schlug noch einmal – und unnötigerweise – den Gong, lauschte dem vergehenden Geräusch und zupfte derweil an seinem Schnurrbart. |
Version vom 31. Januar 2010, 00:46 Uhr
Einen solch sonnigen und warmen Tag hatte das Zedernkabinett lange nicht genossen: Eine lange Tafel war in den Garten der Staatscantzley geschafft worden, mit einem weißen Tischtuch (mit gülden abgesetzter Borte) bedeckt und mit sieben hochlehnigen Stühlen umgeben worden. Der Staatsrat hatte den kleinen Gong, den ihm ein nicht genannter Collega zum Neujahr geschenkt hatte, mehrmals zum Einsatz gebracht, um die immer wieder abschweifende Aufmerksamkeit zurückzugewinnen, während der Kreis über das kommende Jahr gesprochen und anstehende Probleme beraten hatte.
Nachdem auch Trautmann Karfenck gehört worden war, der als Bürgermeister der Reichsstadt Alt-Gareth seine Anliegen vorgebracht hatte, entließ der Staatsrat seine Collegen, bat die Burggrafen Oldebor von der Raulsmark und Eran von der Gerbaldmark, mit dem Mittagsmahl am üblichen Ort auf ihn zu warten, und blickte den sich entfernenden Burggrafen nach. Er schlug noch einmal – und unnötigerweise – den Gong, lauschte dem vergehenden Geräusch und zupfte derweil an seinem Schnurrbart.
Gsevino vom Prutzenbogen, des Staatsrats Secretair und Schreiberling, wieselte herbei, offensichtlich der Meinung, der helle Gongton habe ihm gegolten: »Exzellenz?«
Praiodan wandte den Kopf, erkannte seinen Wasserträger und schob ihm die Mappe mit den Urkunden an die Tischkante. Gsevino blieb neben dem Stuhl seines Herrn stehen, so dass Luring den Kopf noch weiter drehen musste, um den jungen Schreiber ansehen zu können. »Gsevino, ich ... Herrpraios! Nun geh schon ein Stück darüber! So. – Gsevino, ist die Dame da?«
»Jawohl, Exzellenz. Sie wartet im Zederncabinett auf Euch.«
»Gut.« Schwungvoll erhob sich Garetiens Erster Königlicher Rat, so dass die drei Sphärenkugeln seines Ornats lautstark aneinander klimperten. Luring hielt kurz inne und murmelte: »So sollten Gongs klingen!« und schritt dann durch den Garten auf das Gebäude der Staatscantzley zu. Gsevino vom Prutzenbogen verharrte noch einen Augenblick, bis Luring im Gebäude verschwunden war, und betätigte seinerseits leise mehrmals den Gong. »Zuhören, meine Herrschaften!« wisperte er, während er eine möglichst autoritäre Haltung einnahm. »Eran von Gareth! Wann werdet Ihr endlich heimischen Tabak zu rauchen beginnen? Das bornische Totenmoor ist seines Torfes schon weitgehend beraubt, weil Ihr ihn durch den Kopf Eurer zerbissenen Pfeife jagt«, ahmte er Lurings spöttisch-tadelnden Ton nach. Dann wandte er sich einem anderen Stuhl zu und flüsterte: »Ardo vom Eberstamm! Ihr seid unter Freunden und noblen Collegen. Es tut nicht Not, diesen schmucken Stuhl aus Kaiser Eslams Tagen zu traktieren, als wolltet Ihr eine störrische Mähre in die Schlacht von Jergan führen!« Der schrullige Schreiber setzte sein Theater noch eine ganze Weile fort und nahm zwischendurch auch die Rolle der anderen Cabinettsmitglieder ein, ehe er die Urkundenmappe und den Gong zusammenraffte und in die Cantzley zurückkehrte.
Praiodan von Luring war derweil in das Zederncabinett getreten, das dem Colleg der Garether Burggrafen seinen Namen überlassen hatte. Eine schlanke Frau von über vierzig Lenzen erwartete ihn dort, die Arme energisch im Rücken verschränkt, gewandet in eher unauffällige, wenn auch sorgfältig geschneiderte Kleidung adeliger Damen der südlichen garetischen Landschaften. Luring zog die Flügeltüren hinter sich zu, ohne die Dame aus dem Blick zu lassen. Dann trat er zu ihr: »Ich grüße Euch, Hochgeboren. Und ich danke Euch, dass Ihr hergekommen seid.«
»Wie Ihr befehlt, Exzellenz.«
»Setzen wir uns doch«, bot der Staatsrat an, musste dann aber feststellen, dass die Stühle des Zederncabinetts noch draußen im Garten standen. Als zog er kurzerhand zwei Schemel, die üblicherweise den vertrauensvollen Schreibern vorbehalten waren, an die runde Tafel und setzte sich. Nachdem sich auch die Baronin elegant auf ihren Schemel gesetzt hatte, hub Luring an: »Habt Ihr Nachrichten für mich?«
»Die habe ich, Exzellenz. Ein Gewährsmann berichtete mir, dass sich ein Unwetter zusammenbraut: Der Turnierbund der Pulethaner wähnt, den Schuldigen für den Anschlag auf einige der ihren bei Greifenhorst in der Mark gefunden zu haben.« Luring nickte; soviel wusste er auch schon. Die Baronin fuhr fort: »Sie glauben, es sei Pfalzgraf Bernhelm von Wetterfels.«
»Unwetterfels!« entfuhr es dem Staatsrat; dann setzte er ruhiger fort: »Unwetterfels. Das Gerücht habe ich über meine ... anderen Verbindungen auch schon gehört. Weiter!«
»Es scheint, als habe die Mesalliance Gallstein und Brendiltal ausgelöst, was nun geschieht. Jedenfalls brachen vor wenigen Tagen mehr Reiter aus Perricum auf, als der Reichsfrieden erlauben würde. Geführt werden sie von Brendiltal und Haselhain. Wie mir aus Eslamsgrund berichtet wurde, ist auch Gallstein aufgebrochen. Ich erwarte noch Nachricht aus dem Norden – Ihr batet mich ja, alle Pulethaner in die Überlegung miteinzubeziehen. Ob Dunkelsfarn kommt, werde ich bald wissen.« »Gut, gut. Sie befinden sich also auf ihrem Ritt in den Reichsgau.« Luring begann laut zu denken. »Was sie wollen, ist ihnen vermutlich selbst nicht ganz klar. Sie werden Wetterfels kaum vor seine Burg zerren wollen, um ihn da nach Barbarenart zu Tode zu schleifen. Vielleicht wollen sie ein Duell? Hm. Hm. Dazu braucht man keine Armee. Andererseits: Um den alten Ogerfresser aus der Festung zu locken, braucht man schon eine. Hm. – Hochgeboren, wie viele reiten?«
»Genaue Zahlen kann ich nicht nennen, Exzellenz, ich möchte aber anfügen, dass auch Baron Nimmgalf von Hirschfurten gen Reichsgau zieht.«
»Leihenbutt? Der dumme Junge!« Luring schüttelte den Kopf.
Die Baronin unterbrach des Staatsrats Gedanken: »was wünscht Ihr, soll geschehen?«
»Nichts, meine Liebe, gar nichts. Die Pulethaner, den Pförtner im Gepäck, werden in Reichsgau entweder ein lästiges Übel beseitigen, diesen Rohling, der sich Schwager meines Vetters schimpft. Oder sie werden sich die längst überfälligen blutigen Nasen holen. In beiden Fällen gewinnt die Ordnung, triumphiert sie durch Unordnung. Mag es auch aussehen wie die Wiedergeburt des garetischen Fehdewesens, so wird sich doch alles zum Guten wenden, wie PRAios es für uns ausersehen.« Die Baronin blähte beim letzten Satz des Staatsrats unmerklich die Nasenflügel; offenbar hielt sie nicht viel von salbadernden Worten der großen göttlichen Ordnung des Götterfürsten.
Luring visierte nun just diese Nase der Baronin an, die dem edlen Exponenten ihres Gesichtes sofort wieder ein unschuldiges und unbeteiligtes Aussehen verlieh. »Baronin, mich interessiert eines viel mehr: Wer streute eigentlich die Gerüchte, dass Wetterfels der Schuldige sei? Verfolgt die Nachrichten zu ihrem Ursprung zurück. Lasst Eure Kontakte spielen. Gebt Gold aus, wenn es sein muss. Ich wittere mehr hinter dieser Fehde. Wetterfels hat den Anschlag garantiert nicht durchgeführt. Erstens hätte er nichts davon, Pulethaner aus dem Weg zuräumen, schon gar nicht heimlich, und zweitens nehme ich an, dass seine Reichsgauer Armbruster besser getroffen hätten. Nein, nein. Die Frage ist, Hochgeboren: Cui bonum? Wem nützt es? Zuerst waren die Pfortenritter im Verdacht – ich musste meinen gräflichen Vetter davon abhalten, jeden einzelnen Pulethaner zum Ordal zu fordern. Nun ist es Wetterfels, der verdächtigt wird. Mir scheint aber, der wahre Schuldige lauert noch im Schatten und reibt sich die Hände. Mit Wetterfels ist ein gutes Täuschungsmanöver gelungen: der Mann ist so grob, dass man ihm alles zutrauen würde. Zudem ist er bei beiden Ritterbünden abgeblitzt, so dass sein Groll auf diese äußerst plausibel ist. Doch weil er so grob ist, hätte er seine Rache sicher sofort geübt, statt Monde zu warten und dann aus dem Hinterhalt zuzuschlagen.«
»Ich bin mir dessen nicht ganz sicher, Exzellenz. Bedenket, dass der Pfalzgraf nicht schlecht beraten wird«, warf die Baronin ein.
»Von diesem Firunslicht ... Firunshecht ... Firuns ...?«
»Höh. Firunshöh.«
»Ihr gebt das Richtige zu bedenken. Firnushecht ... höh ... könnte noch Ambitionen haben. Wetterfels ist oben angekommen. Mehr geht nicht. Dieser Junker aber ... Kümmert Euch um ihn: Fragt sein Umfeld ab, prüft seinen Leumund, findet sein Liebchen. Wir werden sehen.«
»Ich fasse zusammen, Exzellenz: In der Angelegenheit ›Ritt in den Reichsgau‹ wünscht Ihr kein Eingreifen. Stattdessen sollen wir die Gerüchte in anderer Richtung verfolgen und uns schließlich Firunshöh vornehmen.«
»Ganz recht. Aber: Schickt einen Mann nach Reichsgau, der sich das Ganze aus nächster Nähe ansieht.« Die Baronin erhob sich formvollendet, machte aber noch keine Anstalten zu gehen. Luring erhob sich ebenfalls: »Hochgeboren, noch eins: Nehmt Eure besten Leute – zwei – und schickt sie nach Greifenhorst. Ich beginne mich nun doch für das Attentat zu interessieren. Ein Attentat, das nur die Attentäter das Leben kostete. Die beiden sollen sich da oben umhören und herausfinden, woher die Strauchdiebe kamen und ob sich jemand für sie interessierte. Eruiert auch, was der Lehnsnehmer dieser Einöde getan hat, um das Verbrechen aufzuklären – oder was irgendjemand dazu unternommen hat. Ich meine: Nicht einmal ich habe das bisher.«
Luring war offensichtlich fertig, doch die Baronin rührte sich noch immer nicht. »Exzellenz?« »Ja? Ach ja! Quid pro quo. Ich vergaß«, grinste Luring wölfisch und rief laut nach Gsevino. Dieser erschien alsbald im Zederncabinett, ein flaches Täschchen in den Händen. Luring nahm es ihm ab und reichte es an die Baronin weiter: »Hochgeboren, hier habt Ihr das Gewünschte. Die Amnestien liegen zuoberst, die Grundrisse des Amtsitzes meines geschätzten Amtscollegen Rafik darunter. Ich erwarte, dass mit allem, was ich Euch gebe, nichts geschieht, was nicht Zwölfgöttergefällig wäre.« »Ihr habt mein Wort – wie immer Hochwürden.«
»Dann ist ja alles gut, Hochwürden. Und wollt Ihr diesen Gong als Zeichen meiner Wertschätzung ...? Weg ist sie. Gsevino: Bring diesen lächerlichen Gong in die Katakomben.«
Dieser tat, wie ihm geheißen, und seither steht der Gong dort; auf Gsevinos eigenem Pult.
(26.01.04)