Geschichten:Der Spatz auf dem Papier - Prolog
Burg Feidewald, 4. Efferd 1032
"Euer Hochgeboren, ich habe eine Nachricht für Euch" der Bote fühlte sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut, soviel konnte Selmira erkennen. Ihr Blick huschte jedoch sogleich zu ihrer Herrin. Diese gab ihr einen Wink, das Schreiben des Mannes in Empfang zu nehmen. Die Zofe erhob sich in einer fließenden Bewegung und ging vier Schritte auf den Mann zu, der ihr seinerseits ein Stück entgegenkam.
"Woher kommt die Nachricht?" wollte Udina von Quintian-Quandt wissen. "Aus Hutt" antwortete der unglückliche Bote wahrheitsgemäß, während er Selmira den Brief überreichte. Diese huschte sogleich zu ihrer Herrin zurück und reichte ihn weiter. Udina prüfte kurz das Siegel. Die Schwingen waren ihr wohlvertraut. Ein Brief von Jolea offenbar. War Anselm mal wieder unterwegs, oder warum schrieb er nicht selbst?
Sie brach das Wachs und entfaltete das Pergament, dem anzusehen war, dass es schon mehrfach abgeschabt worden war. Die Sparsamkeit eines echten Quintian-Quandt hatte ihr Sohn also endlich auch seinen Gefolgsleuten beigebracht, dachte sie mit einem lächeln. Dann fing sie an zu lesen.
Nach ein paar Zeilen fasste sie sich an die Brust und rang nach Luft. Selmira sah erschrocken zur Baronin. Der Brief musste noch schlimmere Nachrichten enthalten, als das Verhalten des Boten erwarten ließ. "Herrin?" fragte Selmira vorsichtig, ohne eine Reaktion zu erhalten. Udina zwang sich sichtlich, den Brief zuende zu lesen. Dann sank sie in sich zusammen. "Herrin?" fragte die Zofe erneut, diesmal etwas lauter. Als sie erneut keine Antwort erhielt, stand sie eilends auf und fühlte nach dem Herzschlag der Baronin. "Holt den Medicus" rief sie dem Boten zu. Der brauchte einen kurzen Moment, um zu verstehen, dann rannte er los. Doch Selmira rann eine Träne über die Wange und tropfte auf die Worte, die ihre Herrin ihr Leben hatten aushauchen lassen. Kurz überflog sie den Brief. Anselm war verschwunden. Von seiner Burg entführt. Und die Hartsteens steckten dahinter. Selmira strich ihrer Herrin über die Augen, um sie zu schließen. Wenigstens diese hatte jetzt ihren Frieden.