Geschichten:Familienfrieden - Eine Kriegerin der Mark
Eine Kriegerin der Mark
Rondra 1034 BF
„Praiadne Leuinherz Keilholtz! Tretet vor!“
Die Stimme des greisen Hlûthar von Schellenstein hallte über den Hof der märkischen Kriegerakademie Lechdans Erbe. Die etwa drei Dutzend Bewohner der Akademie, Schüler, Ausbilder und Bedienstete, waren komplett versammelt, um die erfolgreichen Schüler des Abschlussjahrganges zu verabschieden. An der Seite des Akademieleiters stand Bodar von Reifenberg, der alte Rondra-Geweihte, der seit Eröffnung der Schule vor fast zwei Jahrzehnten als geistiger Beistand für alle Schüler fungierte und immer daran gemahnte, die erlernten Fertigkeiten im Sinne der Leuin zu benutzen. Er hielt das Schwert, auf das nun schon eine Generation junger Greifenfurter den Schwur auf den Heiligen Lechdan geleistet hatten.
Der Moment erfüllte Praiadne mit Stolz und sie konnte ein Lächeln beim besten Willen nicht unterdrücken. Gemessenen Schrittes trat sie aus den Reihen der Schüler hervor, von denen sie die jüngsten im letzten Götterlauf noch selber mitgeschult hatte. Kraftvoll und sicher sprach sie die rituellen Worte mit denen ein jeder Abgänger sich im Angesicht Rondras zum Schutz der Schutzlosen und dem Dienst an der Mark Greifenfurt verpflichtete. Bodar von Reifenberg nickte anerkennend und erteilte ihr seinen Segen. Praiadne machte auf den Hacken eine viertel Drehung und wandte sich so dem Schellensteiner zu. Aus seiner Hand empfing die junge Frau zwei Schriftrollen aus Pergament, eine mit dem Siegel der Akademie und eine mit dem der Mark Greifenfurt.
„Praiadne Leuinherz Keilholtz! Ihr habt die Ausbildung an der Märkischen Kriegerschule mit Bravour bestanden. Vom heutigen Tage an erhaltet Ihr das verbriefte Recht Waffen zu tragen wie es einer Kriegerin zusteht. Ihr habt zudem im letzten Götterlauf unter Beweis gestellt, dass Ihr nicht nur eine gelehrige Schülerin seid, sondern das gelernte Wissen auch weiterzuvermitteln wisst. Aus diesem Grund wurde beschlossen, Euch sogleich im Anschluss Eurer Ausbildung nach Broien in Eslamsroden zu versetzen. Ihr erhaltet den Rang eines Leutnants und werdet als Adjudantin des dort zuständigen märkischen Hauptmanns die Ausbildung der südlichen Landwehren beaufsichtigen.“
Die Überraschung stand der frischgebackenen Kriegerin deutlich ins hübsche Gesicht geschrieben. In ihr rangen widerstreitende Gefühle um die Vorherrschaft aber keines wollte obsiegen. Gerne wäre sie im Anschluss sofort zurück nach Weidensee geeilt um ihre Großmutter und die Geschwister endlich einmal wieder zu sehen. Ihren ältesten Bruder hatte sie immerhin seit über einem halben Götterlauf nicht mehr zu Gesicht bekommen. Andererseits waren der neue militärische Rang und die verantwortungsvolle Aufgabe eine unerwartete Auszeichnung, mit der sie so früh nicht hatte rechnen dürfen. Zudem war es von Broien aus kein halber Tagesritt zum heimatlichen Gut.
Praiadne salutierte pflichtbewusst vor ihrem Ausbilder, der ihr wie vielen anderen Rekruten ab dem zwölften Lebensjahr ein Vaterersatz gewesen war. Mit einem freundschaftlichen Lächeln klopfte ihr der alternde Recke auf die Schultern.
„Herzlichen Glückwunsch Mädchen! Es ist leider erstmal nur die Landwehr geworden, mehr habe ich gegenwärtig nicht erreichen können. Der Nebelsteiner wollte auf biegen und brechen keine neuen Rekruten für die Finsterwacht. Aber ich bin mir sicher du wirst deinen Weg gehen. Mach mir keine Schande und pass gut auf dich auf.“
Dankbar strahlte die junge Kriegerin den Schellensteiner an.
„Das werde ich. Versprochen.“
Zusammen mit den restlichen vier Abgängern des Jahrganges machte sich Praiadne noch am Mittag auf gen Greifenfurt. Ihre wenige persönliche Habe hatte sie in den Satteltaschen verstaut. Mit Freude und Stolz trug sie das Wappen der Mark und als sie vor dem Aufbruch nach Eslamsroden ein letztes Mal in der Greifenfurter Kaserne schlief, hielt ihre Aufregung sie noch bis weit in die Nacht wach.