Geschichten:Ibelsteiner Irrungen - Erklärungen

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Stadthaus der Familie Ibelstein in Bärenau, Nachmittag des 6. Praios 1035

Alyssea, dein Gockel ist hier. Sieh es als Zeichen meines guten Willens, dass ich ihn nicht sofort einen Kopf kürzer gemacht habe“, drang die tiefe Stimme ihres Vaters durch die Tür. Dann knackte der Schlüssel im Schloss und kurz darauf stolperte jemand in die Kemenate. „Ihr habt bis zum Abendessen Zeit.“ Der Ibelsteiner winkte dem Diener, wieder abzuschließen.

Bei den Worten ihres Vaters zuckte Alyssea von Ibelstein erschrocken zusammen. Hatte ihr Liebster die zweite – warnende – Nachricht nicht bekommen, oder war er so kühn – oder dumm – gewesen, die drohende Gefahr nicht zu achten? Beinahe aber musste sie loslachen, als sie denjenigen in Augenschein nahm, den ihr Vater hereingeführt hatte. Denn fürwahr, dieser hier hatte mit seinen blonden Stoppeln und dem deutlich abgetragenen Wams so gar nichts gemein mit den dunklen schulterlangen Locken und dem stets wohlgepflegten Äußeren ihres Liebsten. Was für einen erbärmlichen Hungerleider hatte ihr Vater hier aufgegabelt? Wollte er sie etwa absichtlich ärgern?

Alyssea erhob sich von ihrem Schemel und fragte mit kaltem Ton in der Stimme: „Zum Gruße. Mit wem habe ich das Vergnügen?“

Zögernd kam er ein Stückchen näher: „Praioswin von Steinfelde. Ich weiß gar nicht so recht, was hier überhaupt vor sich geht. Ihr seid Alyssea von Ibelstein?“

Sie nickte: „Ich kann mich nicht erinnern, Euch schon einmal begegnet zu sein.“

Er schüttelte den Kopf: „Das geht mir genauso. Aber erklärt mit doch, was das alles zu bedeuten hat. Aus Eurem Vater bin ich leider nicht schlau geworden.“

Die in sein Gesicht geschriebene Verwirrung über das Geschehen war nicht zu übersehen. Sie beschloss, den Zustand noch ein wenig zu verlängern und sagte: „Im Grunde ist es doch ganz einfach, Ihr seid der Vater des Kindes, das ich in mir trage.“

Er blickte sie entgeistert an: „Was? Wie kommt Ihr darauf? Gerade sagtet Ihr doch...!“ Wenn ihr Vater den Mann angestellt hatte, spielte er seine Rolle wirklich gut, nahm sie zur Kenntnis.

„Nun, zumindest ist mein Herr Vater der Ansicht, dass Ihr das seid. Immerhin habt Ihr euch hier und heute eingefunden, wie von meinem Vater verlangt und von mir initiiert.“

„Bei allen Zwölfen, haltet mich nicht zum Narren, indem Ihr das Pferd von hinten aufzäumt! Niemand hat mich hierher eingeladen!“ Fuhr er ihr in die Rede.

Sein aufkeimender Zorn schien tatsächlich echt zu sein, stellte sie fest. Sachlicher sprach sie darum weiter: „Mein Vater denkt, dass Ihr mein Liebhaber und Vater meines Kindes wäret, weil Ihr heute hierher gekommen seid. Er hatte eine Falle ausgelegt, um diesen und mich wegen unseres Tuns zu strafen. Nur hat er nicht damit gerechnet, dass er etwas anderes fangen könnte, als das, was er wollte. Nennt es einen Zufall, aber ihr seid eben hinein getappt.“

„Na fein!“ Er sah sich in dem Raum um, ging dann an Alyssea vorbei zum Fenster und sah hinaus.

„Es ist zu hoch zum springen“, bemerkte sie, „Ich habe selbst schon überlegt, aber das Risiko ist zu hoch, sich ernsthaft zu verletzen. Außerdem ist die hintere Hofpforte bewacht. Ihr kämet also nicht weit, bevor Ihr erwischt werdet.“

Er drehte sich wieder zu Ihr um: „Wer ist der Mann, der hier eigentlich an meiner statt stehen sollte?“

Sie lächelte: „Ich glaube nicht, dass das Euch etwas angeht.“ Nie würde ihr der Name über die Lippen kommen, so lange es ihrem rachsüchtiger Vater irgendwie zu Ohren kommen könnte.

„Dann helft mir, hier herauszukommen. Ihr wisst ja, dass ich nicht derjenige bin, für den ich von eurem Vater gehalten werde. Überzeugt ihn, mich gehen zu lassen. Ich werde auch zu niemandem ein Wort darüber sprechen, was hier geschehen ist.“

„Ich weiß nicht, ob mein Vater auf mich hören wird“, wandte sie ein, „aber ich will sehen, was ich tun kann. Etwas würde mich aber schon interessieren. Wie und warum seid Ihr überhaupt hier herein gekommen?“

„Eigentlich wollten wir nur aus der Stadt hinaus. Es gab gestern ein paar Unannehmlichkeiten im Scherbenkrug und jemand hat heute der Wache davon berichtet. Aber wir legten keinen gesteigerten Wert darein, Bärenauer Verliese kennenzulernen, und haben uns auf die tobrische Art empfohlen. Ich habe ein vorübergehendes Versteck gesucht und die offene Tür dieses Hauses bot sich einfach an.“

Jetzt war es an Alyssea verwirrt dreinzublicken: „Wer ist ‚wir‘?“

„Mein Zwillingsbruder Praioswald und ich. Er hat die Stadt schon verlassen können, weil die Wache auf meinen und nicht auf seinen Fersen war.“

„Habt Ihr jemanden getötet?“ Der Gedanke, mit einem Mörder den Raum zu teilen behagte ihr gar nicht, doch er schüttelte den Kopf.

„Nicht gestern, nein. Mein Bruder hat Würfel gespielt und gewonnen. Aber jemand hat den schlechten Verlierer markiert und wollte handgreiflich werden. Da habe ich den wiederum mit dem Messer gekitzelt. Das reicht offenbar schon, um sich in der Stadt strafbar zu machen, zumal, wenn man ein Ortsfremder ist.“

„Wo kommt Ihr denn her?“

„Aus Hutt. Mein Oheim ist Vasall des Grafenbruders.“

Der Kerl war höchstwahrscheinlich ein landloser Ritter, ein Hinterwäldler, der sich für einen erbärmlichen Sold zur Bewachung von Kaufleuten und Warenzügen hergab, wenn er sie nicht gerade selbst überfiel, wie es dieser Tage so häufig vorkam. Sie hatte schon die wildesten Geschichten darüber gehört, wie Hartsteener Ritter an das Geld gelangten, das der Landverweser Alrik von Blautann für seinen Kampf wider Haffax von ihnen verlangte. Auch der Name Steinfelde war dabei gefallen... So weit sie das beurteilen konnte, hatte dieses Edikt der allgemeinen Sicherheit der Straßen keineswegs gut getan, zumal die Reichssoldaten nicht überall gleichzeitig sein konnten.

Alyssea beschloss, das Gespräch zu beenden: „Nun gut, Praioswin von Steinfelde aus Hutt. Ich werde meinen Vater bitten, Euch gehen zu lassen.“ Sie ging zur Tür, klopfte und rief laut: „Ardo, ich weiß genau, dass du mich hören kannst! Sag meinem Vater, dass ich mit ihm sprechen möchte.“


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6. Pra 1035 BF zur abendlichen Boronstunde
Erklärungen
Todesbote


Kapitel 5

Autor: Steinfelde