Geschichten:Herz aus Glas - Zweifel

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Hauptquartier der Waldsteiner Wölfe, 13. Praios 1034 BF


Nachdenklich hockte Yalinda von Streitzig j.H. in ihrer Stube im Hauptquartier der Waldsteiner Wölfe auf einem Schemel und starrte gedankenverloren auf das kleine Glasfigürchen, das mitten auf der schmalen Anrichte stand. Aus einer Laune heraus hatte sie es neulich auf dem Markt erstanden, ohne wirklich darüber nachzudenken. Sicher, irgendeiner dieser Krämer hatte es ihr angeboten, die Vorzüge der filigranen Handwerkskunst gepriesen, und kurzentschlossen hatte sie die Geldkatze gezückt und das kleine Kunstwerk erworben. Nicht, dass sie viel von Kunst verstanden hätte – ihre eigene musische Begabung belief sich auf durchschnittliche Sangesfähigkeiten, die sie dennoch in der Regel nur für Sauflieder in Zechgelagen nutzte. Dennoch war ihr klar, dass sie selbst eine derartiges Werk niemals zustande bekommen hätte; wer gewohnt war, eine Waffe zu schwingen und dies mit dem Wehrheimer Drill eingebläut bekommen hatte ließ das Feingefühl für filigrane und detailierte Arbeiten vermissen, und so ging es ihr selbst auch.

»Wehrheim, pah!« dachte sie wütend und erinnerte sich an ihre Jahre auf der Akademie, die sie rückblickend noch mehr als Qual empfand, als es damals schon der Fall gewesen war. Renitent und aufsässig, so hatte man sie dort nicht nur einmal gescholten – mit den entsprechenden Folgen, von denen das weitberühmt-berüchtige „Wehrheimer Strammstehen“ noch das geringste Übel gewesen war, selbst wenn es mehrere Stunden andauerte. Es geschah der Stadt recht, dass sie von der Verderbnis der Schwarzen Horden niedergemacht worden war, denn Yalinda vermisste keine einzige Minute, die sie in Wehrheim hatte zubringen müssen. Lediglich der Umstand, dass es nun ausgerechnet die finstersten Möchte gewesen waren, verliehen ihrem annähernd befriedigten Rachedurst einen unangenehmen Beigeschmack, ebenso wie der Verlust ihres Bruders Halgan, der auf dem Mythraelsfeld gefallen war und selbst im Tod noch einige Tage keine Ruhe hatte finden können.

Die Repressalien dieser Ausbildungsjahre hatte sie niemals vergessen, und es war daher nach ihrem Weggang von der Akademie undenkbar gewesen, eine Karriere in der Reichsarmee einzuschlagen und damit weiterhin im Sold derjenigen zu stehen, denen dem Grunde nach auch die verhaßte Akademie unterstand. Und auch das Offizierspatent, welches sie durch den immerhin erfolgreichen Abschluß erworben hatte, bedeutete ihr letztlich nichts.

Irgendwann, im zweiten Jahr auf der Akademie, hatte sie klein beigegeben und ihre Aufsässigkeit zu unterdrücken begonnen; für manche der Lehrer zu spät, die sich auf immer ihrer Untaten erinnerten und sie deswegen missachteten oder besonders hart herannahmen. Für Andere hingegen war sie an der Ausbildung gereift und von jenen fortan besser gelitten. Und wenn sie an diesen jungen Schnösel unter den Ausbildern dachte, dem sie sich angebiedert hatte, um einen gewissen Beistand innerhalb des Lehrkörpers zu haben, hätte sie am liebsten gewürgt; jenen hatte es aber bereits in der Dritten Dämonenschlacht dahingerafft. Einziger Trost war, dass sie ihre Unschuld bereits zuvor an einen anderen Rekruten verloren hatte und diese notwendigen Schäferstündchen auch den gewünschten Erfolg gebracht hatte. Letztlich war sie sogar eine der Besten ihren Abschlußjahrganges gewesen. Im Gegensatz zu vielen anderen Absolventen hing sie weder diesen Umstand noch ihre Wehrheimer Zeit an sich an die große Glocke, und manche verachtete sie sogar dafür. Doch letztlich hatten alle jene Großkotze irgendwann das erhalten, was sie verdienten, selbst der Möchtegern-Ritter Nimmgalf von Hirschfurten.

Dennoch, sie war unzufrieden; mit Ihrer Situation, mit ihrem Leben insgesamt und vor allen Dingen mit sich selbst, das die Dinge eben so waren. Jahr für Jahr war ins Land gegangen, ohne dass sich irgendetwas geändert hatte. Anderen hingegen ging es immer besser, sie machten Fortschritte, erzielten Erfolge. Sie hingegen war auf der Stufe stehen geblieben, auf der sie die Akademie verlassen hatte. Irgendetwas würde sich ändern müssen, es war an der Zeit.

Wieder fiel ihr Blick unbewußt auf das Glasfigürchen. Ja, sie würde etwas unternehmen, und dort ansetzen, wo sie am ehesten etwas bewirken konnte: Bei Wulf. Sie würde ihren Bruder zur Rede stellen.

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