Geschichten:Zweifelfelser Zwist – Wahn und Wirklichkeit III.
Burg Zweifelfels, Baronie Zweiflingen, 6. Rondra 1040 BF:
Mit ernsten Blick durchschritt Vögtin Ehrgard von Wetterfels die hölzerne, zweiflügelige Tür. Im großen Rittersaal hinter ihr herrschten tumultartige Zustände. Die Forderung der Vögtin war wie ein Paukenschlag. Damit hatte keiner so recht gerechnet. Als ihr Blick auf Gisborn fiel, ließ sie sich zu einem überheblichen Lächeln hinreißen. Auch er schien noch immer nicht glauben zu können, was er gerade vernommen hatte.
Der öffentliche Auftritt Emers am Vortag spielte ihr zu, das war ihr nur zu bewusst, denn nun waren auch die letzten Kritiker davon überzeugt, dass die Baronin derzeit nicht für ihre Kinder sorgen könnte. Der Ruf nach einem Vormund wurde immer lauter. Ehrgards Ziel, selber die Vormundschaft übertragen zu bekommen, scheiterte am Widerstand der Traditionalisten und Rondrianer unter Führung ihrer Tochter Leumunde, sowie an Leomars Waldsteiner Patrioten. Zuletzt könnte sich Leumunde durchsetzen und so ernannte sie der Familienrat mit knapper Mehrheit zum Vormund von Debreks Erben.
Doch die Wetterfels ließ sich nicht so leicht kleinkriegen. Also hatte die Vögtin von Zweiflingen gefordert, die Nachkommen Debreks von der Erbfolge auszuschließen und statt dessen Debreks Schwester Rondriga zur Baronin zu erheben und ihre Kinder zu den Erben. Die Stammlande der Familie Zweifelfels bräuchten eine starke Führung und keine kindliche Baronin.
Was folgte, war eine lautstarke Auseinandersetzung, die gar in Handgreiflichkeiten ausuferte. Leomars Gefolgsmann Bernhelm verpasste Ehrgard Vertrauten Falkwin gar ein blaues Auge. Sie hatte den Nerv vieler getroffen, denn eine minderjährige Baronin behagte so einigen nicht. Rondriga als Baronin, das wollten wiederum Leomar und Leumunde natürlich unbedingt verhindern, doch waren beide Lager so sehr von gegenseitigen Misstrauen durchdrungen, dass sie keine gemeinsame Linie finden konnte.
So verließ Ehrgard einen zutiefst zerstrittenen Familienrat, der sich in allen Angelegenheiten nur noch selber blockierte. Und genau das war das Ziel der Wetterfels, konnte sie doch so ihre Macht als Vögtin festigen. In Kürze würde sie einige Hofämter neu besetzten. Burgvogt und Hauptmann der Garde würden ihren Posten räumen müssen und ihr loyalen Personen Platz machen. Leumunde mochte nun Vormund der Erben sein, doch sich mit ihr anlegen, das würde sie nicht wagen, da war sich Ehrgard sicher.
Überlegen schaute sie nach draußen in den Burghof. Dort sah sie zwei Gestalten hastig über den Hof huschen. Eine von ihnen trug ein kleines Bündel schützend an den Körper gepresst. Es waren Yselde und ihr Gemahl Alderan von Bärenau. Unverzüglich winkte sie Falkwin zu sich, der sofort von seiner Rangelei mit Bernhelm abließ.
„Falkwin, folge den beiden,“ Ehrgard deutete aus dem Fenster auf den Burghof, „ich möchte wissen was da vor sich geht!“
„Sehr wohl!“ Falkwin nickte gehorsam und verschwand.
Die Vögtin wandte sich nun wieder Gisborn zu, der die ganze Zeit an der Tür zum Rittersaal stand und die Szenerie beobachtete.
„Die Kabinettshure wird scheitern, genauso wie die gefallene Leunin.“ Die Vögtin grinste hämisch. „Du wirst schon sehen.“
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