Geschichten:Im Sturm - Zwei Querköpfe

Aus GaretienWiki
Version vom 10. März 2022, 21:01 Uhr von Steinfelde (D | B)
(U) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (U) | Nächstjüngere Version → (U)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Stadt Natzungen, der Abend des 05. Travia 1030 BF


Er hatte absichtlich länger auf sich warten lassen, um ihr klar zu machen, dass er sich von ihr nicht rumkommandieren lassen würde. Vorher hatte er seine Rüstung abgelegt und trug nun ein einfaches Hemd, darüber einen schlichten schwarzen Wappenrock. Seinen Gurt mit dem Anderthalbhänder hatte er ebenfalls umgelegt. Seit seiner Zeit bei der Armee hatte er sich angewöhnt, seine Waffe nie lange abzulegen. Viele hatten sich schon darüber lustig gemacht, aber die meisten von ihnen führten entweder kein gefährliches Leben oder waren tot. So stand er nun vor Taniras Gemächern und nickte dem Diener zu. Dieser klopfte vorsichtig an der Tür, öffnete sie schließlich, um hereinzutreten und Hadrumir anzukündigen. Hadrumir schaute sich in der Zwischenzeit einen Wandteppich an. Er zeigte zwei Schwäne auf einem Teich.

„Die Baronin bittet Euch herein!“ sprach der Diener, als er mit einem Heiler aus dem Zimmer der Baronin zurückkehrte und öffnete die Tür.

Hadrumir trat ein, während sich der Heiler, der ein Gerstunger Wappen auf dem Hemd trug, sich entfernte. Er schaute sich kurz um. „Ihr habt mich rufen lassen?“ sprach er, da er den Diener hinter sich wusste. Der Raum, den Hadrumir nun sah, entsprach nicht dem, was er erwartet hätte. Tanira residierte nicht in den prunkvollen Gemächern, die vorher Maline und Aldare bezogen hatten. Sie hatte eines der Gesindezimmer bezogen. Ein einfaches schmales Bett, ein Tisch, ein bequemer Stuhl und eine Kleiderkiste waren in dem Zimmer zu sehen.

Natzungen wendete ihm den Rücken zu und schloss eine einfache Tunika über dem Verband, den der Heiler wohl gerade gewechselt hatte. Im Umdrehen antwortete sie ihm: „Nein, ich hatte angewiesen man solle Euch fragen, ob Ihr etwas Zeit für mich erübrigen könntet.“ Sie nickte dem Diener zu. Auf ihr Zeichen schloss dieser die Türe von außen. Tanira setzte sich vorsichtig und langsam auf die Kante des Bettes und bot Hadrumir mit einer Handbewegung den Stuhl an. „Ich hoffe man hat daraus keinen Befehl gemacht? Das war nicht meine Absicht.“ Sie schloss kurz die Augen.

’Sie sieht abgekämpft aus’, schoss es Hadrumir durch den Kopf, als er sich setzte. „Nun, wenn die Baronin von Natzungen zu einem Gespräch bittet, dann kann man dies als Befehl auffassen. Aber lassen wir das! Ich will nicht über die Spitzfindigkeiten von Formulierungen diskutieren!“ unterband er jede weitere Diskussion. „Du siehst nicht gut aus! Immer noch der Schwerthieb?“

Tanira nickte müde: „Der Heiler hat sich erneut darum gekümmert.“

Sie sammelte sich kurz. Dann deutete sie zu dem Tisch, auf welchem das Schreiben Graf Geismars lag. „Der Graf möchte mich unverzüglich sehen!“

Hadrumir nahm das Schreiben vom Tisch und überflog die Zeilen. „Es geht mal wieder nicht nach seinem Kopf! Also stößt der alte Lurch Drohungen aus“, schmunzelte Hadrumir.

Tanira lächelte leicht. „Ich verstehe nicht, warum Du ihn unterstützt, wenn Du ihn doch gar nicht leiden kannst?“

Hadrumir schaute sie aus undurchdringlichen Augen an. ’Noch bist Du nicht dafür bereit, aber irgendwann wirst Du es verstehen’, dachte er bei sich und antwortete laut: „Er ist der rechtmäßige Graf. Also hat er meine Unterstützung.“

Tanira merkte, dass Hadrumir nicht darüber reden wollte und sprach daher: „Ich werde mich nach Feidewald begeben müssen.“

„In der Tat! Ich werde Dir die Reiterei zur Verfügung stellen.“

Tanira blickte ihn mit Unbehagen an. „Und was machst Du?“

„Ich werde mit Danaris nach Orbetreu reiten. Thronhardt wird in der Familiengruft beigesetzt.“

Das missfiel Tanira merklich. „Ich würde es gut finden, wenn Du mich nach Feidewald begleitest. Ich möchte Geismar den Lehnseid halten. Sobald dies geschehen ist, will ich die Hochzeit mit Dir bekannt machen.“

„Nach dem Lehnseid?“ fragte Hadrumir überrascht. „Das wird Geismar aber nicht gefallen.“

Sie lächelte ihn an. „Was Geismar gefällt oder nicht gefällt, ist doch nicht mein Problem.“

Hadrumir lachte. ’Die Kleine gefällt mir immer besser.’ „Also gut, dann werde ich Dich begleiten. Das Gesicht Geismars möchte ich doch sehen. Danach reiten wir aber nach Orbetreu. Ich denke, ich bin es meinem Onkel schuldig.“

Tanira nickte müde.

Hadrumir bemerkte, dass sie sehr verausgabt war. „Du hättest nicht den ganzen Tag durch die Stadt rennen sollen. Wozu hast Du einen Stadtvogt?“

Tanira seufzte auf „Ich weiß nicht, wie ich es begründen soll, aber er ist mir unsympathisch. Seit ich hier bin, versucht er sich bei mir einzuschmeicheln und seine Vorteile und mir seinen „starken Arm“ schmackhaft zu machen. Manchmal habe ich regelrecht eine Gänsehaut, wenn er im Zimmer ist.“

Sie blickte ihn entschuldigend an: „Halt mich nicht für verrückt, bitte. Und durch die Stadt bin ich heute aus anderen Gründen gegangen. Ich möchte, dass das Volk weiß, dass ich mich um es sorge. Ich bin damit bei den Kameraden meiner Einheit immer gut zu recht gekommen und möchte so auch diese Baronie führen. Jeder Bauer, jeder Bürger soll wissen, dass sich seine Baronin um jeden einzelnen sorgt und er sich jederzeit an sie wenden kann. Glaub mir, das wird uns irgendwann zu Gute kommen.“ Sie rutschte weiter hinauf aufs Bett, um sich an der Wand anlehnen zu können, ehe sie weitersprach: „Wen würdest du als Befehlshaber für die Truppen während unserer Abwesenheit vorschlagen? Ich werde dem Vogt genug Aufgaben bei Aufräumarbeiten und anderen Vorbereitungen hinterlassen, damit er einsieht, dass er sich nicht um alles kümmern kann. Außerdem wäre es gut, wenn er von der Person, die wir einsetzen, etwas beobachtet werden würde.“

„Das sind keine Kameraden bei der Armee, es sind Bürger und Bauern. Kameraden bei der Armee wollen, dass sie sich auf Dich verlassen können. Bei der Armee zählt die Einheit über alles. Aber ein Bauer will Schutz haben – für sich und seine Familie. Vergiss das nicht! Aus diesem Grund kann ich Dir auch keinen meiner Leute als Befehlshaber nennen. Du vergisst dabei aber auch, dass sich der Gerstunger durchaus übergangen fühlen kann.“

„Mir egal, was der Kerl fühlt.“

„Ich meine: Du bist noch nicht allzu lange Baronin und hast hier alles auf den Kopf gestellt. Im Kampf gegen den Grützer hast Du mich, einen Auswärtigen, zum Kommandanten gemacht.“

„Vielleicht hast Du Recht, trotzdem will ich ihn nicht als Befehlshaber über die Truppen!“

Hadrumir nickte. „Wie wäre es dann mit diesem Wulfensteyr?“

„Der Waldläufer?“ sprach Tanira entsetzt.

„Ja, stimmt! Er ist vielleicht doch nicht so geeignet. Wie wäre es mit einem der Greyfentrutzer? Dieser Brodrik von Greyfentrutz hat Dir doch geholfen. Sein Vater Eberhelm weiß vermutlich schon vom Tod seines Sohnes und wird so oder so hierher kommen. Du solltest ihn um ein Gespräch bitten.“

Tanira wirkte nicht überzeugt. „Er hat seinen Sohn verloren!“

„Dem er selbst den Befehl gegeben hat, hierher zu reiten. Er hat es mir gesagt. Also, bitte ihn um ein Gespräch, erzähle ihm, wie tapfer sein Sohn war und teile ihm mit, dass du seinen Sohn eigentlich während deiner Abwesenheit zum Stadtkommandanten machen wolltest. Mit Glück springt er darauf an und nennt Dir alternativ jemanden aus seiner Familie oder bietet sich selbst an.“

„Ich soll ihm schmeicheln?“ fragte Tanira.

Hadrumir nickte.

„Gut, ich werde mit ihm reden.“


Hadrumir bemerkte, dass Tanira erschöpft war. Und doch wandte er sich nicht zum Gehen, sondern fragte: „Du hast gesagt, dass Du diese Baronie führen willst. Verstehe mich nicht falsch: Ich habe nichts dagegen, aber ich kenne Dich nicht. Welche Rolle hast Du mir bei dieser Vereinbarung zugedacht?“

Tanira sah ihn überlegend an. „Das kommt darauf an, welche Rolle du haben möchtest. Und wie weit du bereit bist, mich und diese Baronie als Teil der Deinen anzusehen.“ Ihr Blick wurde prüfender. „Zu Beginn könnte ich mir vorstellen, dass Du offiziell erst einmal alle militärischen Leitungen in dieser Baronie übernimmst. Vor gravierenden Entscheidungen möchte ich aber, dass Du Dich mit mir berätst. Ebenso werde ich es mit größeren Entscheidungen in meinen Bereichen halten. Ich bin bereit, Dir einen ebenso großen Anteil zukommen zu lassen – wenn du mir beweißt, dass Du Dich mit Natzungen identifizieren kannst und treu zu mir stehst – wie zu den Mitgliedern deiner Familie, denen Du vertraust.“ Sie seufzte leise. „Wir können aus dieser Vereinbarung eine für alle gewinnbringende Unternehmung machen, die auf gegenseitigem Respekt beruht.“

Sie wartete nun auf seine Reaktion. Hadrumir schaute sie abwägend an, griff dann in eine Seitentasche und zog eine Liste hervor. „Wo Du das Thema Gewinn ansprichst. Dies ist die Kostenrechnung für die Orbetreuer Schwingen. Dein Stadtvogt wollte uns ja schon mit einem Vertrag behelligen. Dieser ist ja nun mit Dir zu Stande gekommen, also darf ich Dir auch die Rechnung übergeben.“

Tanira war fassungslos und blickte ihn sprachlos an.

„Keine Angst, ich habe die Kosten für Kost und Logis schon gegengerechnet.“

„Das ist ein Witz!“

Hadrumir erwiderte ernst: „Gerade Du solltest wissen, dass sich Truppen nicht von selbst ernähren lassen.“

„Das weiss ich sehr wohl, aber das gibt Dir nicht das Recht, dreiste Forderungen zu stellen. Die Schwingen wurden mir für den Lehnseid versprochen.“

„Ich habe Dir gar nichts versprochen. Nur Natzungen gegen den Grützer zu verteidigen. Außerdem musst Du dies anders sehen. Du willst in Entscheidungen eingreifen. Das finde ich gut. Dann lass uns aber nach außen hin auch klar machen, dass wir, was die Führung der Orbetreuer Schwingen angeht, gleich berechtigt sind. Obendrein, wenn Natzungen einen Teil des Solds trägt, kann uns Geismar nicht so schnell in unsere Belange reinreden. Wenn er von mir verlangt, die Truppen nach Hutt zu verlegen, kann man ihm entgegen halten, dass Natzungen für den Sold aufkommt. Du siehst, ich habe das mit dem gewinnbringend durchaus verstanden. Geismar wird sich an uns zwei Querköpfen die Zähne ausbeißen.“ Ein dickes Grinsen umspielte Hadrumirs Gesicht.

Tanira konnte nicht anders, als zu versuchen herzlich zu lachen. Durch einen schmerzhaften Stich in ihrer Seite musste sie dies aber aufgeben. „Du bist ja richtig findig. Das stellt das Ganze unter ein anderes Licht. Geismar wird toben. Ich werde veranlassen, dass die Kosten übernommen werden. Ich hoffe, dass die Baronie das verkraften wird.“

Hadrumir runzelte etwas die Stirn ’Der Streich sollte sie nicht so sehr behindern.’ und nickte nur nachdenklich zu ihren Worten.

Sie blickte ihn müde an. „Wenn der Greyfentrutzer morgen vor Mittag eintreffen sollte, werde ich mit ihm reden. Wenn nicht – können wir noch kurzfristig festlegen, wem wir den Befehl übergeben. Und gegen Mittag werden wir gen Feidewald reiten. Deine Base wird wohl direkt mit dem Leichnam ihres Vaters zurück nach Orbetreu reiten? Wenn Geismar uns zügig empfängt, sollten wir passend zur Grablegung zurück sein. Doch wenn du nichts Wichtiges mehr hast, würde ich mich jetzt gerne ausruhen.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen, um sich von ihm zu verabschieden. Hadrumir ergriff sie im Aufstehen mit festem Druck. Ihre Hand lag warm in seiner – er konnte leichte Schwielen darin fühlen, die anzeigten, dass sie das Schwert doch öfter auch zum Üben in der Hand hatte.

„Schlafe gut, Hadrumir.“

„Du auch, Tanira.“