Geschichten:Des Greifen Tatzen - Reiterei voran!
Südlager, Kaiserlich Neue Rabenbrücke, Anfang Ingerimm 1044 BF
Reichsvogt Bärfried saß an seinem Schreibtisch und sah seine Korrespondenz durch, als ein aufgeregtes Weibel in sein Zelt platzte. Der Einäugige blickte erst verwundert dann erbost auf, ob der so plötzlichen Störung.
„Euer Wohlgeboren! Entschuldigt die Störung, doch die Patrouille ist soeben zurückgekehrt und bringt wichtige Kunde!“, erklärte sich die Frau aufgeregt. Der Einäugige richtete sich mit einem Seufzen auf. Sicherlich würde die Patrouille wieder einmal davon berichten, dass entweder sie selbst oder der Posten an der Desme-Brücke angegriffen wurde. Sowas war doch keine nennenswerte Neuigkeit mehr.
„Bringt mich zu ihnen, Weibel“, herrschte er die Gardistin an, „und wenn es wieder nur eine Meldung über einen weiteren Überfall ist, werdet ihr die nächsten Wochen Nachtwache schieben!“.
Auf dem Platz angekommen wechselte Bärfried mit den Gardisten einige Worte. Es wurde ein Gambeson vorgezeigt, weitere Worte ausgetauscht, Leute wurden in das Nordlager, zu den Stallungen und in die Waffenkammer geschickt. In Windeseile wurden Pferde gesattelt und Reiter zusammengeholt.
„Ich will ihn lebend, versteht ihr?! Seine Begleiter sind mir gleich, es geht nur um den Adligen und nun auf!“, rief der Reichsvogt voller Innbrunst, wendete sein Pferd und preschte los. Ihm folgte eine beachtliche Anzahl an Reitern, die nun gemeinsam mit ihm über die fertige Reichsstraße und Brücke preschten.
Es war ein wolkenloser Tag und die Praiosscheibe schien unerbittlich auf die Reichsstraße hinab. Zwei Fuhrwerke und einige Bauern, die derzeit auf dieser Straße unterwegs waren, hatten ihre liebe Not der kaiserlichen Reiterei schnell genug auszuweichen.
Erst als das Aufgebot den Markt Hausen erreichte verlangsamten sie ihren Ritt. Argwöhnisch wurden sie von den Bürgerlichen und Marktwachen beäugt, doch da sie keine Anstalten machten stehen zu bleiben, schien es niemanden zu geben, der mit ihnen ein Wort wechseln wollte. Ein Umstand, der für die Kaiserlichen normal war. Seitdem sie offener gegen die Übergriffe vorgingen und auch vermehrt auf der Reichsstraße patrouillierten war das Verhältnis zwischen Kaiserliche und Bevölkerung mehr als angespannt. Wer konnte, mied den Kontakt zu den Männern und Frauen unter dem Greifenbanner.
Erst hinter dem Markt nahm die Reiterei wieder an Geschwindigkeit auf und preschte über die nun schmalere Straße Richtung Oberhausen.
Im Dorf angekommen, stand schon der Edle auf dem Dorfplatz bereit, umringt von seinem Waffenvolk, das sich nervös einer Übermacht kaiserlicher Reiter entgegensah. Die meisten Bewohner hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen und beobachteten das Spektakel aus ihren Fenstern. Nur vereinzelt standen kleinere Gruppen am Rande des Platzes.
„Den Zwölfen zum Gruß, verehrte Streiter des Reichs! Sprecht, was bereitet uns einfachen Leute das Vergnügen Euch hier zu sehen?“, rief der Edle mit sichtlichem Unbehagen.
Der blonde Mann, dessen Augenklappe ihn zweifelsfrei als den Reichsvogt der Rabenbrücke auswies ritt vor und hob die Hand zum Gruß. „Seid Ihr seine Wohlgeboren Eboreus von Gluckenhagen, der Edle auf Oberhausen?“.
Der Angesprochene nickte knapp, „so ist es, der bin ich! Wie kann ich Euch, Euer Wohlgeboren zu diensten sein?“. Schweißperlen sammelten sich auf Eboreus‘ Stirn.
„Euch wird zur Last gelegt, mit den Angriffen auf die Bauarbeiten der kaiserlichen Brücken und Reichsstraßen, sowie Bauarbeiten, welche im Auftrag Ihrer Kaiserlichen Majestät in Verbindung zu stehen! Diese Angriffe gelten nicht nur als Verrat an der Kaiserin, sondern auch als Angriff auf das Reich. Kurzum, die Anklage lautet Reichsverrat! Befehlt Euren Leuten die Waffen zu strecken und ergebt Euch, auf dass Euch der Prozess gemacht wird!“, rief Bärfried so laut und deutlich, wie er nur konnte, damit es jeder in der Umgebung mitbekommen konnte.
Das Waffenvolk um den Edlen blickte sich nervös an und auch Eboreus von Gluckenhagen wirkte schlagartig noch bleicher. Er hob beschwichtigend die Hände und trat einige Schritte an den Reichsvogt heran. „Bitte Euer Wohlgeboren! Wir sollten nichts überstürzen, setzen wir uns gemeinsam zusammen und sprechen in Ruhe über diese Dinge“. Der Edle lächelte verunsichert und sein Blick wanderte von Kaiserlichen zu Kaiserlichen.
„Ihr widersetzt Euch also den Anordnungen Ihrer kaiserlichen Majestät in Person Ihres Reichsvogts?!“, die Reihen der Kaiserlichen wurden nun ebenfalls unruhig. Die Pferde trappelten vernehmbar auf der Stelle und auch die Gardisten waren angespannt.
Plötzlich ging alles ganz schnell. Reichsvogt von Hardenstatt bellte Befehle, einige Gardisten sprangen voran, wollten den Edlen festsetzen, doch dieser flüchtete hinter seine Waffenknechte, welche sich wiederum überrascht den Kaiserlichen entgegenstellten. Dadurch aufgestachelt griffen eine Handvoll Bauern ebenfalls die Kaiserlichen an. Das kurze Scharmützel wiederum nutzte Eboreus, um in Richtung seines Hauses zu fliehen, doch weit kam er nicht, denn der einäugige Reichsvogt stellte sich ihm in den Weg. Der Edle zog verunsichert sein Schwert und hob es schützend vor sich. Doch war er kein Gegner für Bärfried, der mit einer Finte das Schwert seines Gegenüber unterlief und ihm seinen Anderthalbhänder tief in die Brust stach.
Nach wenigen Augenblicken hatten die Kaiserlichen die Lage auf dem Platz wieder unter Kontrolle. Einige der Waffenknechte sowie Bauern des Edlen lagen schwer blutend am Boden, der Rest stand verunsichert in kleinen Gruppen zusammen. In der Mitte stand der Reichsvogt, vor ihm der, in seinem eigenen Blut, liegenden Edle.
„Die versuchte Flucht und das Aufbegehren seiner Leute sehe ich als Schuldeingeständnis des Edlen an! Eboreus von Gluckenhagen hat sich in den Augen der Krone schuldig des Verrats an Ihrer kaiserlichen Majestät gemacht!“, rief der Einäugige laut und deutlich über den Platz. Er ließ seinen Blick über die Bewohner des Dorfs schweifen und sah verunsicherte, aber auch hasserfüllte Gesichter.
„Als Vertreter der Krone und im Ansinnen meines Auftrags Recht und Ordnung, in den von der Fehde versehrten Lande, herzustellen, streckte ich, Bärfried von Hardenstatt, Reichsvogt der neuen Rabenbrücke, Eboreus von Gluckenhagen, Edler auf Oberhausen, nieder als dieser das Schwert erhob und letztlich offen gegen die Ordnung agierte!“. Er gab seinen Leuten einen kurzen Wink woraufhin diese anfingen, alle, die ihre Hand hoben zusammenzutreiben. Sie würden nach Oberkreuth verbracht werden.
Ob Eboreus von Gluckenhagen tatsächlich mit den andauernden Angriffen auf die kaiserlichen Nachschubzüge, Bauarbeiten und Patrouillen im Zusammenhang stand wird wohl nie gänzlich aufzuklären sein. Die Kaiserlichen haben jedenfalls genug Beweise gesammelt, um von seiner Schuld überzeugt zu sein. Nach dem Tod des Edlen kommt es bis Mitte Rahja jedoch noch zu weiteren, teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen kaiserlichen Truppen und Renegaten. Erst mit Fertigstellung der Reichsstraße, in beide Richtungen, sowie dem Befestigen der Brücken kommen diese Angriffe zum Erliegen. Woran genau dies liegt ist ungewiss, offiziell lassen die Kaiserlichen verlauten, dass sie den Renegaten genug schmerzhafte Verluste bereitet haben, wodurch diese keinen Sinn in der Weiterführung der Kampfhandlungen sahen. Sicher ist jedoch, dass sich die kaiserlichen Truppen und allen voran Reichsvogt Bärfried von Hardenstatt, bei den Bewohnern des nördlichen Schlunds, mehr als unbeliebt gemacht haben.
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