Geschichten:Der letzte Tropfen

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Kloster St. Therbûn zu Eychgras, Königlich Halhof, 14. Ingerimm 1047 BF

Leoprecht von Sichelaue schlenderte mit seinem Weidenkörbchen erfreut durch die Gänge des Klosters und platze beinahe vor Vorfreude. Er hatte lange gegrübelt, einige Dinge ausprobiert und war nun der Meinung endlich DEN Tropfen gebrannt zu haben. Den ganzen Winter über hatte er in der Bibliothek und der Küche verbracht. Hatte sich Früchte der verschiedensten Art und sogar Kräuter angesehen, nachgelesen welche Wirkungen ihnen zugeschrieben wurde oder wie der Geschmack beschrieben wurde. Sobald es wärmer geworden war, hatte er sich an der neuen Kreation versucht und gewartet.

Heute war es also soweit! Beinahe hätte er den Brennprozess zu früh beendet und hätte den Vorlauf abgefüllt. Wie peinlich! Und besorgniserregend! Peraine allein wusste, was mit denen geschehen wäre, die den Vorlauf gekostet hätten! Das hätte er sich nie verzeihen können. Immerhin hatte er seine kleine Runde aus Verkostern zu sehr ins Herz geschlossen!

Der meist eher übelgelaunte (weil in seiner Bewegung stark eingeschränkte) ehemalige Hausritter Helmbrecht von Necata sowie der Abt persönlich gehörten seiner illustren Runde an. Während das höchste Lob des einstigen Hausritters ein, „ist trinkbar“ war, fiel das Urteil seiner Hochwürden meist wesentlich umfangreicher aus. Tolak von Riesingsau verstand es die noch so verstecktesten Geschmacksnoten aus einem Brand herauszuschmecken und sie zu beschreiben.

Gerade lief Leoprecht um eine Ecke, die ihn zum Platz des Genusses führte (so nannten die drei ihre Bank, die unter einer alten Linde stand, welche sie zur Verköstigung aufsuchten, scherzhaft), als er beinahe in den Abt hineinlief. „Oh, Euer Hochwürden! Entschuldigt bitte vielmals, ich habe Euch gar nicht laufen gehört“.

Tolak hob mit einem breiten Lächeln die Hand, „keine Sorge mein Bester. Wie ich sehe habt Ihr die neuste Kreation mitgebracht? Sehr fein, sehr fein! Aber leider kann ich dieses Mal nicht an der Verköstigung teilnehmen. Ich wurde zum Junker gerufen, eine seiner Rosenzüchtungen macht ihm Sorge!“.

Leoprecht blickte etwas betrübt drein, „wie bedauerlich! Dabei kann ich es fast nicht erwarten diesen Tropfen endlich zu probieren. Ich habe mir wirklich viele Gedanken bei seiner Herstellung gemacht, müsst ihr wissen…“.

Der Abt lachte belustigt auf, „keine Sorge werter Freund, das ist mir durchaus bewusst! Daher betrübt es mich in großem Ausmaße, dass ich bei der ersten Verkostung nicht dabei sein werde! Mir war bereits aufgefallen, dass ihr den Winter für Nachforschungen genutzt habt. Die ein oder andere Arbeitsstunde scheint dabei verloren gegangen zu sein“, stellte er mit einem Schmunzeln fest. Leoprecht blickte etwas beschämt zur Seite und begann eine Entschuldigung vor sich hinzustammeln, doch Abt Tolak hob beschwichtigend die Hände.

„Alles gut, das war kein Vorwurf. Ich wollte vielmehr Euch verdeutlichen, dass ich großes erwarte! Umso mehr freue mich natürlich auf meine Rückkehr und hoffe, dass ihr genug gebrannt habt, um mehr als ein Fläschchen zu befüllen“. Er rieb sich zufrieden den Bauch, „bevor ich es vergesse: an meiner Statt wird ein Gast an der Verkostung teilnehmen! Der hohe Herr Geiselor von Garm, ein Ritter aus dem Schlundgau. Vom alter her ist es schwer zu sagen, ob er oder Helmbrecht älter ist… Jedenfalls befindet sich der alte Mann auf der Durchreise und ich habe vernommen, dass er ein Kenner und Fröhner der Brennkunst ist. Ein geeigneter Ersatz!“.


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Leoprecht hatte es tatsächlich geschafft! Sein Brand war vorzüglich, etwas schwach am Anfang, doch mit genügend gekippten Becher konnte dies ohne Probleme ausgeglichen werden. Ein voller Erfolg, selbst der alte Helmbrecht hatte verkündet, dass „dieser Fusel wahrlich weich und herrlich trinkbar“ war. Ein höheres Lob (oder allgemein mehr Worte) hatte er von dem Alten seit dessen Einzug in das Kloster nicht vernommen. Auch der Zeugmeister der Burg Jochstein hatte den Schnaps für gut befunden. Er hatte sogar Interesse an einer ganzen Kiste bekundet und freute sich diese, auf seinem Rückweg, im Kloster abholen zu können.

Doch jetzt brummte ihnen der Schädel und der Brauch krampfte. Wahrscheinlich war der Eintopf vom Abendessen nicht mehr gut gewesen, weswegen er ihnen allen Bettruhe und Wasser verordnet hatte. Morgen würden die Schmerzen weg sein.


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Tolak von Riesingsau stand am Boronanger seines Klosters. Das ansonsten so fröhliche Gesicht zu einer ernsten Trauermine versteinert, blickte er auf die drei Gräber vor ihm. Leoprecht von Sichelaue, Helmbrecht von Necata und Geiselor von Garm waren darin bestattet worden. Er musste tief durchatmen und den Schmerz loslassen. Bei Helbrecht war es natürlich nur eine Frage der Zeit, doch sein Tod schmerzte den Abt dennoch sehr. Immerhin war der einstige Dienstritter neben ihm das längste hier lebende Mitglied des Klosters gewesen.

Auch der Tod des alternden Zeugmeisters von Burg Jochstein entlockte dem grundfröhlichen Abt eine Träne. Auch wenn der Mann im Winter seines Lebens gestanden hatte, so war auch ieser Verlust schmerzlich für jemanden, dessen ganzes Leben im Dienste Peraines stand.

Von Leoprecht musste er gar nicht erst anfangen. Nur einige Götterläufe älter als er selbst, hatte Golgari ihn definitiv zu früh geholt! Das stand für Tolak fest und er machte sich Vorwürfe, dass er nicht den Abend abgewartet hatte, ehe er zum Junker aufgebrochen war. Er hätte sicherlich erkannt, dass der Brand nicht gut war, dass Leoprecht – wahrscheinlich aufgrund seiner brodelnden Vorfreude – nicht sauber gearbeitet hatte. Doch der Abt war nicht dagewesen, hatte keine Möglichkeit gehabt einzugreifen. Darum waren nun drei Leben verloren.