Geschichten:Die Jagd in Breitenhof - Teil 2
Das Praiosauge sandte seine gleißenden Strahlen vom tief blauen Himmel herab und bescherte den Menschen Greifenfurts einen weiteren heißen Sommertag.
Der dichte Wald ließ nur an vereinzelten Stellen das Licht der Sonne durch sein dunkelgrünes Blätterdach, so dass der von zahllosen Farnen und niedrigen Sträuchern bedeckte Boden marmoriert erschien.
Die Hufe der schweren, schnaubenden Rösser stampften in den trockenen Boden und wirbelten hier und da Erdreich auf. Gemächlich trabte die Jagdgesellschaft durch die Ausläufer des Forstes; man hatte den Breitenhof erst kürzlich hinter sich gelassen. Allen voran ritt Baron Otwin von Greifenhorst. Aufrecht im Sattel, das Pferd sicher im Griff, reckte er stolz das Kinn nach oben. Man merkte, dass es ihm eine rechte Freude war eine solch noble Gesellschaft durch die Wälder seiner Heimat zu führen.
Er hatte zuvor in Erfahrung gebracht, dass es in der Gegend auch genügend Jagdbeute vorzufinden gab. Sein barönlicher Jagdmeister Wilbor Tannschlag hatte umsichtig die Wälder durchstreift, und allerlei Spuren gesichtet, die auf Schwarzkittel und anderes Wild deutete. So war dieser Wald ein durchaus lohnendes Ziel der Jagdgesellschaft.
Etliche Knechte, der Jagdmeister des Junkers, sowie drei Soldaten und die Hundeführer von Eslam und Rondrigo begleiteten den ganzen Tross im Laufschritt. Die Treiber waren schon zeitig aufgebrochen und man hoffte, dass sich bald das eine oder andere Tier blicken lassen würde.
Trotz Jagd hatte Rondrigo seine Rüstung angelegt, da man in letzter Zeit immer wieder einzelne streunende Orken in der Gegend gesichtet hatte.
„Wie geht es Eurem Arm?“ Die dunkle Stimme des Gallsteiners übertönte spielend das Schnaufen und Trampeln der Pferde. Rondrigo zügelte sein Pferd ein wenig, so dass er gleichauf mit Yendor ritt. Der Junker streckte demonstrativ seinen linken Arm und rief: „Es ist wieder besser, Herr Baron. Euer letzter Lanzenstoß auf dem Turnier zu Greifenfurt war recht heftig. Dennoch war es mir eine Freude im rondragefälligen Stechen gegen Euch anzutreten. Vielleicht ist mir die Herrin der Stürme und Schlachten beim nächsten Mal eher gewogen.“
Lächelnd nickte der Baron von Gallstein und erwiderte sicher: „Bestimmt, guter Junker. Ihr seid ein tapferer aber auch noch junger Mann. Mit der Zeit werdet Ihr immer mehr Turniere bestreiten und eine Nase dafür bekommen. Wichtig ist nur, dass ihr im echten Kampf der Sieger bleibt.“
Von Ahrenstedt lachte ermutigt: „Keine Sorge, dass wird so schnell nicht geschehen.“
„Im Übrigen, ich danke Euch noch einmal herzlich für dieses vorzügliche Geschenk, welches Ihr mir gemacht hat. Es ist ein prächtiges Stück.“
Noch bevor Rondrigo etwas erwidern konnte, hob Otwin von Greifenhorst die rechte Hand und zügelte sein Pferd. „Wir sollten hier anhalten, dort vorne lichtet sich der Wald, da haben wir ein gutes Schussfeld.“
Eslam brachte sein prächtiges Ross ebenfalls zum Stehen. Es war ein Erlebnis dem Baron von Brendiltal beim Reiten zuzusehen. Die anderen Edelleute waren zwar auch gute Reiter, aber das eindrucksvolle Zuchtpferd des Marben parierte wirklich unmittelbar bei jedem Schenkeldruck.
In der Ferne war der Lärm der Treiber zu hören. Schwer atmend standen die Knechte einige Schritte abseits ihrer Herren und freuten sich insgeheim über eine Verschnaufpause. Otwin nahm seinen Bogen vom Pferd und reichte ihn an einen seiner Bediensteten, der sofort die Sehne einspannte.
Während Eslam aus dem Sattel sprang, machte Yendor seine Armbrust schussbereit und auch der Junker von Breitenhof bereitete seinen Bogen vor.
Die Gesellschaft musste nicht lange warten, bis zwei struppige Wildschweine in gut zweihundert Schritten auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung aus dem Wald trotteten. Der Größenunterschied zwischen den Schweinen ließ die Vermutung zu, dass es entweder eine Bache mit einem Jungtier, oder ein Keiler mit seiner Gefährtin war.
Rondrigo machte einen Schritt auf Baron Otwin zu deutete auf die Beute. „Gebt Ihr doch bitte den ersten Schuss ab, um dieses firungefällige Jagdtreiben zu eröffnen, Hochgeboren.“ Der Adelige aus dem benachbarten Greifenhorst bedankte sich freundlich und ließ sich einen Pfeil reichen. „Habt Dank, Herr von Ahrenstedt, gerne will ich sogleich für ein prachtvolles Nachtmahl sorgen.“ Vorsichtig näherten sich die Jäger ihrer Seite der Lichtung, dicht gefolgt von Meister Grimmwulf, der seinen Hirschfänger und etliche Seile und Netze schon bereit hielt.
Geduldig warteten die Edlen schweigend, bis die beiden schwarzen Tiere sich ein gutes Stück genähert hatten.
Als die Beute auf einhundert Schritte heran war, spannte Baron Otwin den Bogen und zielte sorgfältig. „Ich werde mir gleich diesen großen Brocken vornehmen!“ Eslam und Rondrigo fassten das kleinere Wildschwein als Ziel ins Auge, während Yendor seine gespannte Armbrust an einen Knecht reichte und dann den Langbogen, den er als Geschenk erhalten hatte, zur Hand nahm. „Gleich werden wir sehen, was dieses Präsent taugt,“ raunte er mit einem verschmitzten Lächeln.
Bange Herzschläge vergingen, dann ließ der Baron von Greifenhorst endlich den Pfeil von der Sehne. Das Geschoss schnellte über die mit niedrigem Gras bewachsene Lichtung und bohrte sich zielsicher in die Seite des großen Wildschweins. Das Tier strauchelte und kippte zur Seite. Erschrocken preschte das zweite, kleinere Tier los. Eslam und Rondrigo folgten dem flüchtenden Tier mit ihren Pfeilspitzen, und schickten dann nach einigen Augenblicken ebenfalls ihre Pfeile los. Eines der spitzen Geschosse bohrte sich einen Schritt hinter dem Schwein ins Gras, der zweite Schuss aber traf die Wildsau im Genick. Mit einem lauten Quieken gaben die Beine unter dem Tier nach und es überschlug sich, bevor es zum Liegen kam.
Der mächtige Keiler hingegen raffte sich noch einmal auf und schien nun reichlich wütend. Yendor zielte genau und schoss, doch sein Pfeil verfehlte das Schwein um gute zwei Schritte. Meister Grimmwulf eilte herbei und rief: "Der Wind weht dem Tier entgegen! Eilt Euch, sonst wittert er uns!"
Just in diesem Moment begann das Wildschwein trampelnd auf die Position der Edlen zu zustürmen. Regungslos lehnte der Baron von Gallstein seinen Bogen an einen kleinen Baum und streckte seinem Knecht die Hand entgegen. "Armbrust!" Der Bedienstete reichte dem grimmigen Baron schnell die Waffe und wich dann zurück. Yendor presste die Waffe fest an die Schulter, zielte und schoss. Der Bolzen erwischte das Wildschwein an der Schulter. Das Tier grunzte erzürnt, stolperte, schien aber noch nicht gefällt. Mit glühender Augen und schwer schnaubend stampfte das Tier weiter auf die Edlen zu. Eslam klopfte seinem Freund auf die Schultern: "Yändorr, wirst Du ätwa ald? Odär willst Du uns auch noch ain wänig Spaß lassän?"
„Wer sagt denn das ich es erlegen wollte? Die Jagd soll doch spannend werden, oder? Ich bin sicher du findest ein Mittel.“ Die beiden Adeligen unterhielten sich geradeso, als würde nicht ein wild gewordener Keiler auf sie zustürmen, sondern so als würden sie sich in einem Garten zum vergnüglichen Gespräch getroffen haben. Noch vierzig Schritte war das wütende Tier entfernt. Rondrigo, Eslam und Otwin spannten ihre Bögen beinahe gleichzeitig. Noch dreißig Schritte.
"Finf Dukadtän für dän, där ihm dän Bladdschuss sätzt." Eslam lächelte, es würde ein Kinderspiel werden. "Einverstanden!" kam es zeitgleich vom Junker und vom Baron von Greifenhorst. Noch zwanzig Schritte. Dann zischten die Pfeile durch die Luft. Ein Stakkato dumpfer Einschläge war zu hören, als die drei Pfeile sich in den heran preschenden Keiler bohrten. Die Wildsau stürzte schwer und blieb fünfzehn Schritte vor den Edlen reglos liegen.
Sofort stürzte der Herr aus Nebachot vor und prüfte die Beute. "Har! Hähr mit dän finf Dukadtän, mainä Härrän!" Rondrigo musterte kurz das tote Schwein und zuckte dann mit den Achseln. Auch Otwin musste erkennen, dass er zwar, wie der Junker getroffen hatte, aber letztenendes war es wohl Eslams Kopfschuss gewesen, der das Tier gestoppt hatte.