Geschichten:Schatten über Waldstein Teil 9
Teil 9: Schatten über Waldstein
Burg Zankenblatt, Baronie Syrrenholt:
Unruhig schritt die Halbelfe in ihrem Gemach auf und ab. Draußen, hinter den zugezogenen Samtvorhängen, lag der Hof der prachtvollen Burg Zankenblatt, des Herrschaftssitzes der Barone von Syrrenholt seit vielen Generationen. Aidaloê von Gorsingen war hier Gast am Hofe ihres Lehnsherren, Baron Erlan von Zankenblatt zu Syrrenholt. Ebenso war es Nimmgalf von Hirschfurten, jener stolze Baron zu Leihenbutt aus der Grafschaft Waldstein, welcher beraubt seiner Heimat durch die Machenschaften seiner eigenen einst geliebten Frau Simiona di Silastide-Marvinko nun von ihr verfolgt wurde und erst vor wenigen
Stunden aus seiner Ohnmacht erwacht war.
In Gedanken versunken hielt die Junkerin von Ferinstein in ihrem steten, beinahe militärisch strammen Marsch, dem sie seit einigen Sanduhren gefolgt war, inne und rief sich selbst in die Gegenwart des Gastgemaches zurück. Überrascht starrte sie auf die Spur der Verwüstung, die sie einer durchgehenden Herde von Pferden gleich in diesem vornehm eingerichteten Gastgemach hinterlassen hatte: Die fein gewebten Teppiche hatten die schlanken Füße der Junkerin Tritt für Tritt unter Bett und Teetischchen gestopft, jenes Tischchen hatte sich wie aus Furcht vor der gedankenlosen Gewalt der Halbelfe an die dahinterliegende Wand gedrängt einem von Jägern in die Ecke gejagtem Reh gleich. Achtlos lagen der Junkerin Überwurf und Handschuhe auf dem Bett. Aidaloê seufzte, rieb sich die glühenden Wangen heftig und versuchte Ordnung in das Chaos ihrer eigenen Gedanken zu bringen.
Sie hätte sich Gedanken machen müssen über die Versorgung ihrer Bürger und Bauern, ihrer Dörfer und Weiler oder über die Fortschritte der ausgehobenen Landwehr im Kampf gegen die Räuberplagen, die Garetien heimsuchten. Die Getreidespeicher waren lediglich bis zur Hälfte gefüllt, da die letzten beiden Ernten karg gewesen waren und die kommende würde auch nicht ergiebiger sein. Doch es waren nicht Waffen und Speicher, um die die Gedanken der Junkerin kreisten.
Sie dachte an jenen Mann im Gastgemach unter der Pflege des Traviageweihten. Sie dachte an Nimmgalf – und sie dachte an die Gefühle, die sie schwammig empfangen hatte, als sie ihn beruhigend auf die Wange geküsst hatte. Und noch mehr an jene Gefühle, die *sie* empfunden hatte. Er war doch verheiratet? //Und mit wem?!// schalt sich Aidaloê stumm. //Mit einer Dämonenbuhle!// Dieser innere Kampf dauerte nicht lang und schon befand sie sich auf dem Weg zu Nimmgalfs Ruhestätte, ihr Kleid auf dem Boden rauschend wie ein leiser Wasserfall. Sie musste und sie wollte ihn sehen.
Mit einem Krachen schloss sich die Tür des Zimmers hinter ihr und sie stand im Vorraum, in dem eine vollkommen entsetzte Odana Hoeckmann stand, hochaufgeschossen, in der Hand die Reste eines Wollschals, dessen Faden sich langsam aufzwirbelte. Aidaloê hatte ihr mit dem plötzlichen Aufbruch einen furchtbaren Schrecken eingejagt und nun musste sie erst mal das Herzchen der Zofe in ruhige Bahnen lenken.
Die Junkerin senkte betreten den Kopf. „Verzeih mir, Odana. Ich wollte Dich nicht erschrecken... ich muss... nur...“ Sie hob den Kopf und merkte, wie sie schon an der Zimmertür, die Hand an der Klinge. „Ich bin gleich wieder da...“
Odana schrak auf, als ihre Herrin die Tür öffnete und mit geradezu elfischer Grazie hinausglitt. Rasch warf sie ihre Handarbeit auf die Chaiselongue und eilte Aidaloê hinterher. „Aber .. Herrin...“ schnappte sie entsetzt. „... so wartet doch, ich begleite Euch...“ und tappte in ledernen Sohlen hinterher.
Aidaloê achtete nicht auf das standesgemäße Entsetzen ihrer Zofe, die doch darauf bestand, ihre Herrin zu begleiten, wie es der Anstand gebot, sondern eilte ohne zu zögern durch die Flure der Burg Zankenblatt vorbei an den zarten Wandteppichen und den vereinzelten Gemälden. //Und der Baron will sich hier verschanzen?!//, dachte sie ein wenig erbost, doch war der Gedanke gleich wieder verdrängt – darum musste sie sich andernzeits kümmern. Ihr goldenes Haar wehte offen hinter ihr her, die schwere dunkelblaue Samtschleppe ihres höfischen Kleides, der Saum mit Pelz verziert, schleifte über den sauberen Boden der Burg Zankenblatt.
Ein Diener bog um eine Ecke und hielt erschrocken inne in seinem Weg, als zuerst die Junkerin von Ferinstein an ihm vorbeischritt und dann die Zofe Odana hinterherstürzte wie ein Küken der Glucke. Es dauerte nicht lang und Aidaloê stand vor der angestrebten Türe. Odana hielt sich den Bauch, japste kurz nach Luft und schickte sich an, ihre Herrin zu begleiten, als diese sich umdrehte und ihr die Anweisung gab in der Kemenate des barönlichen Gastgemachs zu warten. „Wenn du mir schon gefolgt bist, so verhalte dich zumindest ruhig.“ Dann klopfte sie an die Tür und ein Leibdiener des Barons von Syrrenholt, den er seinem Freund zur Seite gestellt hatte, ließ die Junkerin von Ferinstein ein. Odana folgte ihr in das Vorzimmer – die Kemenate – und setzte sich dann artig auf einen Stuhl. Ihre Herrin hatte einen solch barschen Ton bisher nie gezeigt – doch sie schien sich langsam in die Rolle einer stolzen Adligen einzufügen.
Aidaloê indes betrat das Ruhezimmer des Barons auf leisen Sohlen. Der Traviageweihte war verschwunden, und Nimmgalf von Hirschfurten saß halb aufgerichtet in seinem Bett und las ein Buch, einen Roman scheinbar. Als der Diener die Junkerin erst formell ankündigte und diese dann grazilen Schrittes eintrat, da zeigte sich ein Lächeln in seinem fein geschnittenen, angenehm anzusehenden Gesicht und er strich sich mit der kampferprobten rechten Hand durch das volle blonde Haar. Immer noch sah er blass aus, der Angriff des niederhöllischen Unwesens hatte ihn schließlich sehr stark mitgenommen – doch das Lächeln zeigte, dass er auf dem Wege der Besserung war und keinen geistigen Schaden genommen hatte. //Travia sei Dank!// betete Aidaloê stumm und erwiderte das Lächeln des Barons.
„Euer Hochgeboren...“ wollte sie ihn formell grüßen, als dieser ihr ins Worte fiel. „So sagt doch Nimmgalf, meine Teuerste – seid Ihr doch die Schwester meines geschätzten Bundesbruders Carolan.“ Ob es noch einen anderen Grund gab, warum sie ihn beim Vornamen nennen sollte, sprach er nicht aus. Und Aidaloê hütete sich, Nimmgalfs Gedanken oder auch nur seine Gefühle zu erspüren. “Was verschafft mir die Ehre?“
Die Halbelfe trat näher und strich sich in leichter Nervosität eine goldene Strähne hinter das spitze Ohr. In Ermangelung eines freien Stuhles – obwohl sich der livrierte Diener anschickte, einen mit Schriftstücken belegten Stuhl frei zu machen – setzte sie sich sanft auf die Bettkante und rückte dann die Falten ihres Kleides zurecht. Sie lächelte. „Ich ... ich machte mir Sorgen um Euch, Ho... Nimmgalf“, sprach sie leise. „Ich wollte sehen, wie Ihr Euch fühlt.“
Nimmgalf legte das Buch beiseite. Wie fühlte er sich? Er suchte selber nach einer Antwort auf diese indirekte Frage – wie er sich nach dem Angriff des Dämons fühlte konnte er leicht beantworten. Er befand sich auf dem Weg der Besserung. Doch wie er sich beim Anblick der Junkerin von Ferinstein fühlte – wusste er es? „Ich fühle mich...“ Eine kurze Pause entstand. „... besser“, war die reichlich unbefriedigende Antwort. Als der Diener wieder neben dem Bett stand, bereit dem Baron aufzuwarten, da scheuchte Nimmgalf ihn mit einer knappen Handbewegung hinaus. Als die Tür ins Schloss fiel, waren sie allein...
Nimmgalf und Aidaloê.
Stille.
Um diese Stille zu durchbrechen, tastete Aidaloê nach dem Buch, welches Nimmgalf gelesen hatte. „Horas und Lamea?“ las sie erstaunt den Titel und sah Nimmgalf verwundert an. Leichte Röte stieg an seinen Ohren auf. Aber es lag auch ein Schleier der Trauer auf seinen Augen – eine Trauer, die sehr stark zu spüren war. „Meine Fr... Simi... die Comtessa ... hat es mir geschenkt, damals.“
Er brachte nur mühsam diese Worte hervor, als er von seiner Frau sprach. „Eine Geschichte, die von wahrer Liebe handelt, Lamea segelte Horas hinterher über das gefährliche Meer der Sieben Winde ... und fand ihn.“ Er sah auf und der Schmerz, das Gefühl von der einzigen Person verraten worden zu sein, die er geliebt hatte, stand wie in dicken Lettern geschrieben in seinem Gesicht.
Aidaloê konnte nicht anders und strich Nimmgalf durch das dichte blonde Haar, zart, sanft, liebkosend. Sie lächelte – stand da etwas in diesem Lächeln? Sprach es von mehr als nur von Zuversicht? „Sie hat Euch nicht verdient. Sie wird ihre gerechte Strafe erhalten, Rahja wird es fügen.“ Nimmgalf sah die Halbelfe an und umschloss mit seiner Hand, stark und warm, das zarte Handgelenk Aidaloês. Sie widerstand dem reflexartigen Drang, sie zurückzuziehen und genoss dann einen Augenblick später die wohltuende Wärme und Stärke Nimmgalfs.
Nimmgalf blickte ihr tief in die Augen. „Als... als ich die Beweise dafür fand, dass meine Frau ein falsches Spiel mit mir gespielt hatte, da konnte und wollte ich einfach nicht glauben, dass alles, wofür ich gelebt und gekämpft hatte, plötzlich vorbei sein sollte. Irgendwo tief in mir lag immer noch die Hoffnung, dass es irgendwann wieder so sein würde wie früher.“ Er machte eine Pause. „Diese Hoffnung ist nun erloschen. Endgültig. Sie hat mich nie so geliebt wie ich sie, ansonsten hätte sie mir das nicht angetan.“
Eine kleine Träne rann herab. Aidaloê streichelte ihn zärtlich mit der anderen Hand über die Wange und flüsterte vorsichtig: „Vielleicht ist da nun ein Platz in deinem Herzen für eine neue Hoffnung, Nimmgalf?“ Der Baron lächelte sie an und langsam näherte sich sein Gesicht dem ihren. „Ja, vielleicht!“ antwortete er leise. Dann berührten sich ihre Lippen.