Geschichten:Familientreffen - Mutterliebe

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Kressenburg / Ingerimm 1032 BF

Etwa drei Stunden brauchte die kleine Delegation, bestehend aus Neu-Baron Ardo von Keilholtz, Alt-Vogt Phexian von Kieselholm und dessen Großnichte und Pagin Mechthild von Kieselholm, um die fünfzehn Meilen zwischen der Stadt Kressenburg und dem kleinen Junkergut Kieselbronn zurückzulegen. Kam man auf der gut ausgebauten Straße erst recht schnell vorwärts, so ging es etwa nach der Hälfte des Weges deutlich langsamer voran. Der schmale Karrenweg der in Richtung des Gutshofes abzweigte war stellenweise durch die frische Vegetation des Waldes stark zugewuchert und auch sonst ließ der Zustand des Pfades sehr zu wünschen übrig. Immer wieder mussten die drei Reiter absteigen um Bruchholz beiseite zu räumen oder besonders schlammigen Stellen durch das Unterholz zu umgehen. Offensichtlich war man hier noch nicht einmal dazu gekommen die Schäden des Winters auszubessern. Die Frage nach dem warum, war sicherlich berechtigt, war Junkerin Uschel doch sonst stets darauf bedacht ihren Pflichten trotz ihres hohen Alters und ihrer Gebrechen treu nachzukommen.

Da man erst spät nach dem Frühstück in Kressenburg aufgebrochen war, traf die kleine Reisegruppe schließlich etwa zur Mittagszeit in Kieselbronn ein. Von einem Moment auf den anderen lichteten sich die Bäume und sie kamen auf eine recht große Lichtung. Umgeben von den kleinen Hütten der Holzfäller, Köhler und Waldbauern lag der Gutshof windgeschützt in der Talsenke zwischen den umliegenden Hügeln. Auf den ersten Blick sah man etwa ein Dutzend Menschen geschäftig zwischen den Hütten arbeiten, doch blieb die Ankunft der hohen Gäste nicht unbemerkt. Sie waren kaum wenige Schritte aus dem Wald hervorgekommen, als schon die ersten Willkommensrufe erschollen. Schnell wurde die Arbeit unterbrochen und alt und jung lief vor dem großen Herrschaftshaus der Junkerin zusammen.

Gerade als die drei Reisenden von ihren Pferden stiegen, trat Uschel von Keilholtz-Kieselholm aus der Tür. Sie stützte sich auf ihren Gehstock und man sah ihr an, dass es ihr große Mühe bereitete nur dort zu stehen und sie hereinzubitten. Die Tiere wurden sofort zum Stall geführt, Schaber für die schlammigen Stiefel gebracht und schließlich nach einer Magd gerufen die die Herrschaften bedienen sollte.

„Phexian, Mechthild, sehe ich euch auch mal wieder. Und den jungen Ardo habt ihr auch gleich mitgebracht. Sei willkommen in Travias Namen. Schön, schön. Nächstes Mal sagt aber Bescheid. Wir haben vor dem Abendessen mit niemandem gerechnet.“ Jetzt erst bemerkte Ardo, dass von der Familie niemand weiter gekommen war um sie zu begrüßen. „Wo sind denn alle? Wir haben einige Neuigkeiten zu berichten.“ Neugierig schaute Uschel zu ihm auf als sie am großen Tisch Platz nahm. „Du warst bei der Kaiserin habe ich gehört. Da gibt es sicherlich viel zu erzählen. Aber außer Siglinde ist niemand zu Hause. Sie sitzt wie immer oben über ihren Büchern. Die anderen sind bei den Teichen oder noch weiter im Wald. Ein Bär hat sich letzte Nacht über die Forellen hergemacht und die Wehre dabei zerstört. Gertrud leitet die Reparaturen. Sie hofft auch flussabwärts noch ein paar der Tiere wieder einfangen zu können. Balduin, Alwin und Sebulon haben sich auf die Suche nach dem Untier gemacht. Zum Abend sollten alle wieder da sein. Wollt ihr bis dahin mit euren Geschichten warten? Marga wird euch gleich etwas zu trinken bringen. Habt ihr Hunger?“ Ardo schaute von Phexian der sich auch gesetzt hatte, zu Mechthild die noch immer unentschlossen in der Stube stand und entschied sich dann dagegen.

„Danke Uschel, aber wir haben spät gefrühstückt. Außerdem wird Mechthild sicher erst ihre Mutter begrüßen wollen.“ Damit gab er dem Mädchen einen Wink, das sofort freudestrahlend die Treppe hinaufeilte. „Aber du kannst uns schon einmal davon ins Bild setzen was mit der Straße passiert ist. Das sie so übergewuchert ist hat doch sicherlich nichts mit dem Bären zu tun, oder?“ Missmutig schüttelte die Junkerin den Kopf ohne jedoch sofort auf die Frage einzugehen. „Das soll dir nachher Siglinde erzählen. Die hat davon mehr Ahnung. Aber verrate du mir doch mal warum mein werter Bruder seit eurer Ankunft kaum ein Wort der Begrüßung gesagt hat und seit wann du das Wappen Kressenburgs trägst. Du glaubst doch nicht, dass mir das entgangen ist? Ich mag alt und verkrüppelt sein, aber ich bin weder blind noch dumm.“ Mit Nachdruck legte sie ihren Gehstock vor sich auf den Tisch, das es laut klapperte. Ein fröhliches Lächeln stahl sich auf Ardos Lippen. Die direkte Art der alten Junkerin war ihm schon immer am liebsten gewesen. In diesem Moment kam die Magd herein und stellte drei Krüge mit Kressenburger Bier auf dem Tisch ab. Ardo griff sofort zum Humpen und prostete Uschel zu. „Also weißt du, so redet man doch nicht mit seinem neuen Baron.“ Er nahm einen tiefen Schluck des Bieres und genoss im nächsten Moment nicht nur dessen Geschmack sondern auch den ungläubigen Gesichtsausdruck der Junkerin, die überrascht von ihm zu Phexian schaute.

Uschel hatte ihre Überaschung noch nicht verdaut als Schritte auf der Treppe zu hören waren. Hinter Mechthild kam nun auch ihre Mutter Siglinde herunter. Behutsam achtete sie darauf, dass der Saum ihrer weißen Robe nicht den vom Frühlingsmatsch verdreckten Boden berührte, während das eisenbeschlagene Ende ihres Stabes bei jedem Schritt deutlich auf den Holzdielen wiederhallte. „Onkel Phexian, wie schön dich mal wieder hier zu sehen!“ Fröhlich fiel sie dem alten Vogt um den Hals bevor sie sich etwas ernster Ardo zuwandte. „Euer Hochgeboren. Ich habe gerade von Euer Erhebung erfahren und möchte Euch in Praios Namen dazu gratulieren.“ Jetzt war es an Ardo verdutzt zu schauen. Er hatte Siglinde zwar einige Zeit nicht mehr gesehen, aber er erinnerte sich lebhaft daran, wie er und ihr Bruder Kasimir ihr immer Streiche gespielt hatten wenn sie während Ardos Knappenzeit ihren Onkel Phexian besucht hatte. Sie war schon damals eine strenge Magierin gewesen, hatte ihnen ihre Streiche nach einer angemessenen Standpauke aber stehts mit einem fröhlichen Lachen verziehen. Sollte sie sich in den letzten Jahren so verändert haben? Ardo war zwar jetzt Baron, aber das war doch eigentlich kein Grund alte Freundschaften zu vergessen. Plötzlich sah er wieder den Schalk in ihren Augen blitzen, jenes untrügliche Anzeichen, welches immer das Ende einer Strafpredigt und die Rückkehr zur guten Laune eingeleitet hatte. Siglinde konnte denn auch nicht umhin endlich ihre starre Maske aufzugeben und drückte auch Ardo mit einem herzlichen Lächeln an sich. „Ich freue mich wirklich für dich Ardo. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Nun ja, ich habe als Kind auch nie für möglich gehalten irgendwann einmal Magierin zu sein, aber eigentlich dachte ich ich wäre danke meiner Ausbildung aus der Phase der Irrtümer hinausgewachsen.“ Mit einem Grinsen setzte sich der junge Baron wieder an den Tisch und wartete, bis Mutter und Tochter es ihm gleich getan hatten. „Ich freue mich auch dich endlich einmal wieder zu sehen Siglinde. Seit ich nach Greifenfurt zur Armee ging habe ich dich nicht mehr gesehen. Aber wie es aussieht werde ich jetzt wieder öfter hier vorbeischauen können.“

Ardo wurde wieder ernst und räusperte sich um das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. Natürlich war dies auch sein Einstandsbesuch, aber das eigentlich wichtige Thema war Mechthilds angedachte Knappenschaft. Deswegen entschloss er sich schnell zum Punkt zu kommen, bevor das Gespräch sich in Erzählungen und Erinnerungen verlor.

„Uschel, Siglinde, ich bin heute noch aus einem anderen Grund gekommen. Phexian hat mir in den letzten Tagen von den Fortschritten in Mechthilds Ausbildung erzählt. Er ist der Meinung sie sei nun alt genug, um endlich in Knappenschaft zu gehen und die ritterlichen Tugenden zu erlernen. Auch ich als neuer Baron von Kressenburg würde es begrüßen in der Zukunft auf ihr Schwert zählen zu können.“

Betretenes Schweigen machte sich im Raum breit. Mechthild senkte leicht den Kopf, während sich Uschel und Siglinde ratlos ansahen. Nur Phexian, der ja Bescheid wusste schaute mit einem zufriedenen Lächeln drein. Schließlich wandte sich die alte Junkerin an Ardo.

„Weißt du Junge, darüber haben wir auch schon lange nachgedacht, nur habe nwir noch keine Lösung gefunden. Zu Alwins Familie nach Hasenfeld mag ich sie nicht geben. Die Gegend dort ist seit Wehrheim einfach zu unsicher geworden. Man hört auch kaum noch etwas. Faralda hätte man fragen können, aber ich will nicht, dass Mechthild in Gareth zur Zierpflanze verkommt oder gar nach Punin geschleppt wird. Phexian ist nicht mehr in der Verfassung dazu und ich sowieso nicht. Balduin hat schon seinen eigenen Sohn unter die Fittiche genommen und außerdem soll nicht auch noch Mechthild hier auf dem Hof versauern. Sie soll etwas von der Welt dort draußen sehen und verstehen. Das lernt sie nicht hier in Kieselbronn, selbst wenn ihre Mutter sie unterrichtet. Ich habe zu meiner Zeit das Reich bereist, bin zuletzt sogar in Rashia’Hal gewesen, und ich behaupte ich verstehe mehr von den Dingen die im Reich vorgehen als mein Enkel Sebulon, der es bisher kaum bis nach Greifenfurt geschafft hat.“

Plötzlich wirkte sie müde und man konnte ihr ansehen wie sehr sie das Thema grämte. „Ich hätte ja deinen Vater gefragt Ardo, aber der gute Mann vergräbt sich noch immer in seiner Trauer. Es ist jetzt acht Jahre her, aber es wird nicht besser. Besuch ihn mal, vielleicht kannst du etwas bewirken. Sonst endet er irgendwann wie der Orkenwaller. Letztlich blieben nur die Praiostanns, aber ich hacke mir lieber meinen gesunden Fuss ab bevor ich die um Hilfe bitte! Wenn sich nicht noch etwas ergibt, werden wir Mechthild wohl auf die Akademie schicken müssen, auch wenn ich noch nicht weiß wie wir das bezahlen sollen.“

Hilflos blickte sie zu ihrem Bruder und auch Siglinde sah ihren Onkel hoffnungsvoll an. Es war ein offenes Geheimnis, dass es Phexian vor einigen Jahren durch einen Kniff in der Abrechnung und mit dem Wohlwollen der Hesindeverehrenden Altbaronin gelungen war die Kosten für Siglindes magische Ausbildung in Gareth aufzubringen. Mit einem leichten Kopfschütteln zeigte er an, dass er diesmal nicht die Lösung des Problems sein würde, deutete aber zu Ardo hinüber. Als die Blicke von Mutter, Tochter und Enkelin auf ihm ruhten musste auch der wieder lächeln.

„Ja, ich denke ich kann euch hier helfen. Wie ihr wisst bin ich erst seit wenigen Wochen Baron und habe zuvor in der Armee gedient. Ich bin zwar Ritter, aber bisher hatte ich weder Gelegenheit noch Veranlasssung mir einen Knappen zu nehmen. Da mich Phexian als mein alter Schwertvater darum gebeten hat, biete ich euch an Mechthild als Knappin zu mir zu nehmen. Ich werde sie nach bestem Wissen und Gewissen alles lehren was sie als Ritterin zu wissen hat. Und glaube mir Uschel, ich sorge dafür, dass sie nicht hier in Kressenburg versauert. Was sagt ihr.“

Mit einem jungenhaften Grinsen, das ihn selbst wieder wie einen schelmischen Knappen aussehen ließ, blickte Ardo die Frauen an. Mechthild war deutlich anzusehen, dass ihr diese Zukunftsaussicht erheblich mehr zusagte als bei ihrem Onkel auf Kieselbronn in Knappenschaft zu gehen. Uschel und Siglinde schauten sich eine Weile sprachlos an, bevor die Junkerin ihrer schließlich Tochter zunickte.

„Ardo, und natürlich auch Onkel Phexian, ich danke euch ganz herzlich. Das ist die beste Lösung die wir uns hätten erträumen können. Ich weiß ich sollte warten bis Alwin heute Abend wieder hier ist. Aber ich glaube nicht, dass er etwas dagegen haben wird. Also ja, ich würde mich freuen und es wäre eine Ehre für uns wenn du Mechthild zur Knappin nehmen würdest. Wenn sie das denn auch möchte...“ Ein stürmisches Nicken ihrer Tochter ließ sie verstummen und zauberte ein Schmunzeln auf das Gesicht der Magierin.

„Wunderbar, darauf sollten wir gleich noch einmal anstoßen. Mechthild, ich verspreche dir ein strenger und fordernder aber auch gerechter Schwertvater zu sein. Sobald dein Vater heute Abend noch seinen Segen gegeben hat, wirst du bis zu deinem Ritterschlag meine Knappin sein. Du wirst auch erstmal nicht viel Zeit haben zu lernen, denn in vier Wochen beginnt schon das Turnier in Greifenfurt. Da wirst du als meine Knappin einen tadellosen Eindruck hinterlassen müssen.“

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