Geschichten:Ein Kressenburger Sommer - Kassandra und Kasimir
Dramatis Personae
Kassandra von Praiostann, Edeldame
Kasimir von Kieselholm, Ritter
Madalieb, Bibliothekarin im Hesinde-Tempel zu Kressenburg
Praiomel, Laienbruder im Praios-Tempel zu Kressenburg
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Andächtig blätterte Kassandra die dünnen Pergamentseiten um. Sie verschlang die Bücher der Hesinde-Bibliothek geradezu, die Schwester Madalieb ihr zu lesen gab. Die romantischen Gedichte von edlen Rittern und holden Prinzessinnen wurden in ihrer Fantasie stets lebendig und mit ehrlicher Entrüstung las sie Geschichten von Verrat und Intrige. Fasziniert lauschte sie stets den Erklärungen der Bibliothekarin, wenn diese die wahren Namen hinter den literarischen Figuren preisgab, wodurch Tragödien und Skandale oft noch größer wurden als sie niedergeschrieben standen. Nur mit großem Bedauern kehrte Kassandra danach zu den Bosparano-Lehrstunden und frommen Gebeten ihres Onkels, dem hiesigen Praios-Prätor, zurück.
Als sie ein leises Klopfen an der Tür des Studierzimmers vernahm, schreckte sie kurz auf und warf einen Blick auf die Stundenkerze auf dem Tisch. Ihr blieb noch etwas über eine halbe Stunde bevor sie zur Abendmesse im Praios-Tempel zurück erwartet wurde. Wahrscheinlich hatte ihr Onkel wieder einen seiner eifrigen Novizen geschickt um sie abzuholen. Seufzend brach sie mitten in der Lektüre ab, schloss das Buch vorsichtig und stellte es zurück in der Regal hinter dem Lesepult. „Tretet ein.“
Durch die Tür kam jedoch kein Praios-Novize, sondern ein junger Ritter in edler Kleidung, der schnell auf sie zukam und sie in die Arme schloss. Ein freudiges Lächeln legte sich auf Kassandras Lippen. Doch wich dies schnell dem Ausdruck von Verwirrung und Besorgnis, als sie die gramvolle Miene ihres Liebsten erkannte.
„Oh Kasimir, welch eine Freude dich zu sehen. Aber was ist mit dir? Hat Schwester Madalieb dich eingelassen? Du weißt was passiert wenn Onkel Badilak erfährt, dass man uns zusammen gesehen hat.“
Langsam trat der Ritter von ihr zurück und behielt nur ihre Hände in den seinen.
„Ja. Ja, ich weiß. Bitte verzeih, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Es ist nur,... ich musste dich unbedingt sehen. Ich weiß es ist hier nicht ungefährlich aber ich konnte nicht länger warten.“
Die junge Edeldame erkannte die Aufgewühltheit und den unterdrückten Zorn in seinen Augen. Irgendetwas Furchtbares musste passiert sein, wenn es den sonst so ausgeglichenen und lustigen Kasimir so aus der Spur warf. Beruhigend legte sie seine Hand an ihre Wange und wirklich gewann sein Blick fast sofort jene Ruhe und Sicherheit zurück, die ihr jedes Mal das Gefühl von Geborgenheit vermittelte. Leise hob der Ritter zu erzählen an.
„Es ist einfach furchtbar Kassandra. Meine Geschwister sind gerade mit dem Baron und deinem Onkel aus Kieselbronn zurückgekommen. Du weißt ja, sie wollten diesen Druiden jagen der unsere Fischteiche und das Mühlrad eurer Sägemühle zerstört hat. Sie haben ihn auch wirklich erwischt, mit einem halben Dutzend Pfeilen. Er war natürlich schon tot, aber dein Onkel hat ihn auf dem Marktplatz aufhängen lassen, zur Mahnung was mit dem Gesindel passiert, dass unter meiner Nase der Praiosgefälligen Ordnung trotzt, hat er gesagt. Leider haben sie ihn nicht so ohne weiteres erwischen können. Mein Neffe, der Erbe meines Bruders, ist getötet worden. Es heißt der Druide hätte sich in einen Bären verwandelt und Sebulon mit einem einzigen Prankenhieb erschlagen. Meine Schwester war sofort bei ihm, du weißt ja, dass sie eine Magierin ist, aber auch sie konnte ihm nicht mehr helfen. Es sieht wirklich grässlich aus.“ Für einen Moment schloss Kasimir die Augen um das Bild des zermalmten Schädels aus seinen Gedanken zu bekommen. „Das ist leider noch nicht alles. Dieser Scharlatan hatte einen Schüler. Die Treiber haben ihn erwischt und mit einem Netz gefangen, nachdem er sich von seinem Meister getrennt hatte. Ich habe ihn gesehen und ich kann es noch immer nicht glauben, aber der junge Kerl ist meinem Bruder Balduin wie aus dem Gesicht geschnitten. Wir konnten uns erst keinen Reim darauf machen, bis meine Schwester auf die Idee kam, dass es Travian sein könnte. Der jüngere Sohn Balduins, der vor zehn Götterläufen im Wald verschwunden war. Wir haben ihn alle für tot gehalten, aber nun sieht es so aus, als hätte dieser Druide ihn sich geholt. Mein Bruder ist völlig aufgelöst. Er hat den Prätor angebrüllt und beschuldigt er hätte Sebulon auf dem Gewissen, er hat geheult und geschrien und ich habe Angst, dass er sich noch in sein Schwert stürzt vor Kummer.“
Mit vor Schrecken geweiteten Augen und die Hände vor den Mund geschlagen hatte Kassandra zugehört. Es war ihr, als wäre eine ihrer vielen Geschichten lebendig geworden, nur war diese hier ganz und gar grauenvoll. Kasimir hatte sich schließlich kraftlos auf einem Stuhl fallen lassen. Sanft nahm sie wieder seine Hand und drückte sie zärtlich. Ihr fehlten die Worte, doch war ihm ihre Stille Anteilnahme für den Moment Trost genug.
Ein weiteres Klopfen ließ sie diesmal beide aufschrecken. Kassandra zog schnell die Hand zurück und strich nervös ihr Kleid glatt. Im nächsten Augenblick wirbelte die Bibliothekarin Madalieb herein und winkte die junge Edeldame nervös mit den Händen herbei.
„Komm, mein Kind, beeile dich. Bruder Praiomel wartet in der Halle um dich zu holen. Der Prätor hat ihn persönlich geschickt. Und wir wollen deinen Onkel doch nicht warten lassen.“
Sie zeigte ein schiefes Lächeln und schob Kassandra leicht vor sich her. Kasimir hatte sich eilig erhoben und schritt hinter den beiden Frauen her. Wie angekündigt erwartete sie ein Mann in der Gewandung der Laienbrüder des Praios-Tempels. Als er die kleine Prozession auf sich zukommen sah, zog er missbilligend die Brauen zusammen. „Dame Kassandra, ich möchte meine Sorge zum Ausdruck bringen, in welcher Gesellschaft ich Euch hier antreffe. Ihro Gnaden würde dieser Umgang sicherlich missfallen.“
Kassandra schlug schuldbewusst die Augen nieder doch die Bibliothekarin trat energisch einen Schritt vor.
„Werter Bruder Praiomel, ich denke es gibt an diesem Haus und den Personen die hier verkehren nichts auszusetzen. Wir achten hier gerade in der Bibliothek auf Disziplin und Ordnung, wie es auch dem Herrn Praios gefällig ist und jeder, der Wissen begehrt oder es uns zutragen möchte ist hier willkommen. Ich denke es steht Euch nicht zu über jene zu urteilen, die hier in Hesindes Namen verkehren.“
„Natürlich nicht, werte Schwester Madalieb. Es ist, wie ich schon sagte, weniger meine Sorge als die des ehrenwerten Prätors. Er hat, wie ihr wisst, in vielen Dingen eine spezielle Meinung über die zu urteilen ich mir nicht anmaßen will. Dame Kassandra, wenn Ihr mich dann jetzt begleiten wollt.“
Madalieb nickte der jungen Frau aufmunternd zu und hieß sie mit einem Wink zu gehen, bevor sie sich an Kasimir wandte. „Geht nur Kind. Ich werde Euch das Buch morgen wieder bereitlegen lassen. Und nun zu Euch edler Herr. Kommt doch bitte mit ins Scriptorium und seit so gut den Bericht für den Schreiber zu wiederholen. Er wird zwar nur aus zweiter Hand sein, aber ich fürchte durch die ganze Aufregung werden wir so schnell niemanden sonst finden der sich die Zeit dafür nehmen kann...“