Geschichten:Ein Kressenburger Sommer - Kressenburger Ränke
Dramatis Personae:
- Badilak von Praiostann, Praios-Prätor von Kressenburg
- Braniborian von Praiostann, Ritter zu Praiostann
- Praiomel, Laienbruder im Praios-Tempel zu Kressenburg
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„Das wäre dann alles, Bruder Praiomel. Schickt nun meinen Gast hinein.“ Badilak winkte ungeduldig, auf das sein Schreiber sich entfernen möge.
„Sehr wohl Euer Ganden.“ Eilig sammelte Praiomel die frisch gesiegelten Schriftrollen vom Tisch und entfernte sich mit einer Verbeugung. Er verließ die Amtsstube und ging den Ritter von Praiostann holen, der schon ungeduldig im Gang wartete.
„Seine Gnaden, der ehrenwerte Prätor, ist nun bereit Euch zu empfangen, Euer Wohlgeboren von Praiostann.“
Ohne ein Wort an den einfachen Laienbruder zu verschwenden betrat der Ritter das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Badilak machte sich nicht die Mühe sich zu erheben sondern wies nur generös auf den Stuhl auf dem Bruder Praiomel bis eben gesessen hatte. „Praios zum Gruße mein Neffe“
„Praios zum Gruße, Euer Gnaden. Es ist schön, dass Ihr mich wieder einmal habt zu Euch rufen lassen. Ich hatte lange nicht mehr die Ehre einer Privataudienz.“ Mit einer kurzen und wenig Ehrbezeugenden Verbeugung ließ sich Braniborian auf dem noch immer angewärmten Stuhl nieder. „Gibt es etwas wobei ich Euch behilflich sein kann? Oder ist es wegen Kassandra? Sie macht Euch doch wohl hoffentlich keinen Kummer.“
„Es ist ein wenig von allem, um der Wahrheit genüge zu tun.“ Ein mildes Lächeln umspielte Badilaks Lippen als er den verwirrten Blick des Ritters sah. Er wusste, sein Neffe konnte mit versteckten Anspielungen nicht viel anfangen. Der Prätor entschloss sich, die schlechte Nachricht zuerst zur Sprache zu bringen. „Es ist tatsächlich wegen Kassandra. Keine Sorge, sie ist gehorsam und voller Lerneifer. Dennoch gibt es eine Sache über die wir reden müssen. Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie sich seit geraumer Zeit schon heimlich mit einem Verehrer trifft.“ Sein Gegenüber schreckte hoch und schien vor Entrüstung über den Tisch springen zu wollen. „Oh, bleib sitzen. Wie ich sagte, das ist kein Grund zur Aufregung. Die Treffen finden in der Bibliothek des Hesinde-Schreins statt, wo Schwester Madalieb oder ein Novize stets ein Auge auf sie hat. Zudem ist ihr Verehrer von Adel, auch wenn dich sein Name befremden wird.“ Nach einer kurzen Kunstpause ließ Badilak endlich die Katze aus dem Sack. „Es ist Kasimir von Kieselholm.“
Hatte er sich auch mühevoll zurückgehalten, war es nun um die Beherrschung des Ritters geschehen. Wütend sprang er auf und riss dabei fast den Stuhl um. „Was? Meine Schwester und dieser aufgeblasene Kieselstein? Das ist eine Frechheit! Konntet Ihr das denn nicht unterbinden? Was hatte sie überhaupt im Hesinde-Schrein verloren?“
„Mäßige dich!“ Badilak wartete bis der Ritter sich wieder gesetzt hatte. „Zum einen, deine Schwester ist durchaus eine Praios fürchtige junge Frau, doch fehlt ihr die nötige Hingabe um wahrhaft berufen zu werden oder gar die Weihe zu empfangen. Deswegen habe ich ihr den Zugang zu den weltlichen Schriften der Bibliothek gestattet, damit sie auf das Leben außerhalb der Tempelmauern vorbereitet wird. Ich verliere eine hoffnungsvolle Nachfolgerin, das mag sein. Aber die Familie gewinnt eine gebildete und zudem attraktive Edeldame, die man zu unserem Wohle verheiraten kann.“
„Ach? Und wer glaubt Ihr wird sie nehmen wollen, wenn herauskommt wie lange dieser Kieselholm schon um sie herumschwänzelt?“ Der Ritter von Praiostann war wenig beruhigt.
„Nun, eben jener Kasimir von Kieselholm natürlich.“
„Ihr! Ich...“ Braniborian fehlten einmal mehr die Worte. Wie so oft wenn er mit einer unerwarteten Situation konfrontiert wurde. So war er nur aufgesprungen und seine Mund klappte einige Augenblicke tonlos auf und zu wie bei einem Karpfen auf dem Trockenen. „Meine Schwester einem Kieselholm zur Frau geben? Mein Vater, Euer Bruder, würde in Alveran Tränen vergießen wenn er das erleben müsste!“
„Ich dagegen bin mir sicher, er würde es verstehen und begrüßen. Lass es mich erklären. Und setz dich um der Liebe Praios’ Willen wieder hin!“ Badilak zog ein Pergament aus dem Stapel der Tagesberichte und reichte sei seinem Neffen. „Wie du sicherlich selbst in der Abgeschiedenheit von Praiostann mitbekommen hast, ist vor einigen Tagen die alte Junkerin Uschel von Kieselbronn zu Boron gegangen. Jetzt ist ihr Sohn Balduin der Junker von Kieselbronn. Wie dir ebenfalls nicht entgangen sein dürfte wenn du meine Briefe ließt, hat Ritter... Junker Balduin jüngst seinen erstgeborenen Sohn und Erben verloren. Sein jüngerer Sproß war zudem lange Zeit verschollen und wurde unlängst von mir der frevelhaften Anwendung von Magie überführt, wenn er sich auch seiner gerechten Strafe entzogen hat. Junker Balduin hat keine weiteren Erben und wird von seiner Frau wohl auch keine mehr erwarten können.“
Ungeduldig unterbrach Braniborian seinen Onkel. „Aber was hat das bitte sehr mit Kassandra zu tun?“
„Schweig und höre was ich zu sagen habe! Die nächste in der Linie wäre Balduins Schwester Siglinde. Doch sie und ihr Zweitgeborener sind von Mada verflucht. Der Junge wurde gerade erst nach Gareth gebracht, wo ihm die rechte Zurückhaltung im Umgang mit Madas Frevel gelehrt werden soll. Siglinde von Kieselholm und bald auch ihr Sohn sind durch ihre Ausbildung dem Reich verpflichtet und können somit jederzeit zum Kampf wider die Schwarzen Lande abberufen werden. Und wir wissen beide, wie kurz ein Leben sein kann, wenn man sich in diesen Gegenden befindet. Siglinde von Kieselholm hat auch noch eine Tochter, die von Madas Fluch verschont wurde und gerade als Knappin in die Dienste des neuen Barons getreten ist.“
Zur Verdeutlichung hielt er seinem Neffen ein Schreiben mit dem Siegel den Barons unter die Nase. „Nun ist der junge Keilholtzer aber ein rechter Rumtreiber. Folgt jedem Ruf dieses Koscher Prinzen auf seine meist gefährlichen Questen, reist der Kaiserin zu den Konventen hinterher und ist auch sonst oft auswärts um im Garethischen Turniere zu besuchen und fremder Leute Hader auszufechten. Solch ein Reiseleben kann gefährlich sein. Denk nur daran, was dem Eslamsrodener auf dem Weg in den Windhag widerfahren ist. Jetzt will der junge Herr Baron erst nach Weiden, wo die Schwarzpelze noch immer frei herumlaufen wie sie wollen und im Frühjahr ins Ferkinaverseuchte Perricum. Da kann das Leben einer Knappin schon einmal recht kurz sein.“
Badilak machte eine Pause bevor er weitersprach um seinem Neffen die Gelegenheit zu geben seine Worte im vollen Umfang zu begreifen.
„Der Letzte in der Reihe ist Kasimir von Kieselholm. Sollte der kleinen Knappin etwas zustoßen, müsste er von Rechts wegen nach dem Tod seines Bruders als Verwalter Kieselbronns eingesetzt werden, denn weder seine Schwester noch ihr Sohn dürften wegen Madas Fluch das Erbe direkt antreten.“
Mit einem Lächeln breitet Badilak die Arme aus, als sei alles Weitere selbsterklärend. Doch Braniborian sah ihn nur verständnislos an. Seufzend nahm der Prätor den Faden wieder auf.
„Wenn Praios es so fügen will und Kasimir von Kieselholm in einigen Götterläufen der Letzte seines von Mada verfluchten Geschlechts ist, wäre es von großem Vorteil wenn er mit einer Praiostann vermählt ist. Sollte Kasimir dereinst Junker von Kieselbronn werden, bleibt abzuwarten ob er Erben hat und wenn, ob diese vom Fluch seiner Familie verschont bleiben. Stirbt er ohne vorzeigbaren oder mündigen Erben, geht die Verwaltung des Lehens zuerst an seine Frau. Ist dies Kassandra, so haben wir Kieselbronn in unserer Hand. Sollte er mit deiner Schwester doch erbfähige Kinder haben, so sind diese halbe Praiostanns. Ich werde einen Ehevertrag aufsetzen lassen der regelt, dass dies im Namen der Kinder ersichtlich ist und das Erstgeborene, so es ohne Madas Frevel ist, sonst das Zweitgeborene und so weiter, als Dank für Unseren Segen, der Praios-Kirche gegeben wird.“
Besonders diese letzten beiden Punkte waren Badilak wichtig und er würde als unumstößliche Bedingung darauf bestehen. Er war sich sicher, dass das verliebte junge Paar darauf eingehen würde.
„Natürlich ist all das was sein könnte von Praios’ Gnade abhängig. Doch nach den letzten Ereignissen kann ich mir nicht vorstellen, dass er noch viel seiner Gnade an die Kieselholms verschwenden wird.“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung deutete er auf das Schreiben welches ihn von Junkerin Uschels Tod unterrichtet hatte. „Kassandra hat natürlich Angst was du und ich tun werden wenn wir von ihr und Kasimir erfahren. Sie ist jung und verliebt. Gibst du dich in diesem Punkt wider ihre Erwartungen nachgiebig und verständnisvoll, so wird sie auch dich dafür lieben und wird an der Seite des Kieselholms stets in deinem Sinne sprechen.“
Langsam machte sich auch in Ritter Braniborians Gesicht das Verstehen breit. Es gab sicherlich ein paar Unwägbarkeiten, aber er war sich sicher, dass mit Praios’ Hilfe alles so kommen würde wie sein Onkel es ihm ausgemahlt hatte. Immerhin war er der Prätor und wer wenn nicht er sollte Praios’ Willen für Kressenburg kennen.
„Wir sollten Kassandra die frohe Botschaft gleich überbringen. Je eher sie uns auf ihrer Seite weiß, desto geringer ist die Gefahr, dass deine Schwester etwas Törichtes unternimmt. Diese jungen Dinger können manchmal sehr irrational sein.“ Badilak erhob sich und Ritter Braniborian beeilte sich zur Tür zu kommen um sie dem Prätor zu öffnen.
Im Nebenzimmer saß unterdessen Bruder Praiomel und kopierte Listen der Abgaben an den Tempel für das Archiv. Prätor Badilak hatte sich nicht die Mühe gemacht die durch einen Vorhang verborgene Tür zu verschließen und so war sein Sekretarius in den Genuss dieser konspirativen Unterredung gekommen. Natürlich kannte Praiomel die Haltung des Prätors und der Praiostanns zu den Junkern von Kieselbronn. Doch das hier war auch für ihn eine neue Dimension der Ränke. Etwas, das er seinem Prätor niemals zugetraut hätte. Natürlich hatte Praiomel ihm alles über Kassandra und Kasimir erzählt was er wusste oder vermutete, das war schließlich seine Aufgabe gewesen. Doch hätte er nie im Traum daran gedacht, dass Badilak dieses Wissen für seine persönlichen Ziele ausnutzen würde. Lange saß der Sekretarius noch da nachdem die beiden Männer die Amtsstube schon verlassen hatten und dachte nach. Schweren Herzens griff er schließlich zu Feder und Pergament und schrieb zum ersten Mal seit Jahren wieder einen Brief an seinen Vater.