Geschichten:Grauen am Darpat - Markt der Eitelkeiten

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Dramatis Personae


Markt der Eitelkeiten

Marktplatz Stadt Gnitzenkuhl – Ingerimm 1032 BF Der Markt war trotz der späten Stunde noch gut besucht, jedoch stellte sich heraus, dass es nicht die Händler waren, die vergessen hatten nach Hause zu gehen, sondern es waren Schaulustige die um den Platz herum standen, und eine Gruppe von Menschen begafften deren erklärtes Ziel wohl war Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Schon bei ihrer Zusammenkunft am Tor, war die Isenbrunnerin von den Bütteln zur Seite genommen worden, und man hatte ihr rasch Meldung gemacht. Die lässige Geste die darauf folgte war wenig aufschlussreich für ihre Begleiter und sie machte auch keine Anstalten die Aufregung der Torwache zu klären. Stattdessen war sie still vor sich hin grinsend voraus geritten. Erst als sie am Markt angekommen waren, machte sie sich im Sattel groß und beäugte sie illustre Runde, die sich um die wenigen noch verbliebenen Stände scharte. Zu ihren Begleitern gewandt meinte sie dann feixend. “Das sollten wir uns ansehen und hören. Vielleicht haben die Kämpfer hier was uns fehlt?”

“Ach, bei dem Barte meines Bruders, du willst mich wohl für dumm verkaufen Mann! Wir befreien euch von dieser Bestie und du willst mich über den Tisch ziehen? Was glaubst du wen du vor dir hast? Du weist es nicht? Dann will ich es dir hier vor aller Augen sagen. Ich bin Drogosch, Sohn des Drogolam, aus Zwerch. Mir ist noch keine Beute lebend entkommen.” Bekräftigend donnerte er dabei mit dem Stiel seines Felsspalters auf den Boden. “Und so wahr ich Drogosch Sohn des Drogolam bin, ich habe schon erstklassige Drachentöter gesehen. Was du mir hier für diesen Preis zeigst ist höchstens die Hälfte wert.”

Die rumpelnde Stimme, die diese Verhandlung so stimmgewaltig führte kam für Unberittene kaum sichtbar von einem Zwerg. Er nannte eine sehr imposante Kettenrüstung sein eigen. Die rotbraunen Haare standen ihm wild zersaust vom Kopfe ab. Lediglich das Barthaar schien einer Ordnung zu folgen und endete in zwei langen geflochtenen Zöpfen. Die Hände waren nie in Ruhe sondern bewegten sich unablässig gestenreich in Richtung eines jungen Mannes, der noch nicht recht wusste, ob er sich über diesen überraschend späten Besucher freuen, oder vor ihm Angst haben sollte. Die Antwort des Verhandlungspartners fiel dann auch dementsprechend leise und beschwichtigend aus.

Am Rande des Geschehens stand ein schlaksiger Mann, der die Szenerie argwöhnisch im Blick behielt. Sein ganzes Gebaren erinnerte Leomara an ein witterndes Wildtier bereit zur Flucht. Auch ihre Ankunft war ihm nicht entgangen. Er drehte sich zwar etwas weg von ihr, mied den direkten Augenkontakt, doch man konnte vermuten, dass er sie noch immer mit halbem Auge im Blick hielt. Sein Erscheinungsbild war weniger auffällig. Es war schwer einzuschätzen womit er seinen Lebensunterhalt verdiente, doch seiner Kleidung nach zu urteilen kam er aus dem Mittelreichischen.

Wen Leomara erst mit dem dritten Blick wahrgenommen hatte, war den Männern vermutlich sofort ins Auge gestochen. Eine dralle blonde Frau, die schon von der Seite besehen Männerherzen in Wallung versetzen konnte. Kurven an den richtigen Stellen aber schlanke Gelenke und keine derbe Gestalt. Sie geizte wohl nicht, zu zeigen was sie hatte, soweit das bei der Tracht einer Kriegerin möglich war. Die praktische Lederrüstung war an einigen Stellen schon ausgebessert, doch durchaus noch ansehnlich. Fast so, als ob sie spürte, dass sich einige neue Zuschauer hinzu gesellt hatten drehte sie sich zu den Gästen Geshlas um.

Unswin musste der Atem stocken, denn hier stand ihm sozusagen sein weibliches Ebenbild gegenüber schoss es Leomara durch den Kopf. Die Verstümmelung zog sich über die gesamte rechte Gesichtshälfte der blonden Söldnerin. Über dem Auge hatte sie eine Augenklappe, auf der ein merkwürdiges Symbol war. Sie war durch eine Klinge entstellt worden soviel konnte man sehen. Ihr Lächeln war auf der rechten Gesichtshälfte für alle Zeiten eingefroren und hinterließ bei Leomara ein ungutes Gefühl. Hart hatte sie die Neuankömmlinge angesehen, bevor sie sich wieder in ihre leise Verhandlung mit einem hiesigen Krämer einließ.

In ihrer Mitte befand sich noch eine vierte Person, die kaum zu den anderen Dreien passen wollte. Ein horasischer Stutzer - allein die lange schlanke Waffe weckte bei Leomara den Wunsch diesem Burschen zu raten sich hier besser noch mit einer echten Waffe auszurüsten, bevor er wirklich dem Monster gegenübertreten wollte. Und dann diese weibische Kleidung. Rüschen und Borten, dass Geshla neidisch werden konnte. Gut, die seinen waren verdreckt und wirkten eher abgerissen, aber dennoch…! Ein aberwitziger Haufen. Insoweit musste sie sich dem Urteil der Wachen am Tor anschließen. Doch wohl kaum eine Konkurrenz für sie.

Langsam drehte sie sich im Sattel um. “Was meint ihr? Mir wurde mitgeteilt, dass diese Truppe hier das Ungeheuer gesehen und es bereits einmal verjagt haben will. Wollt ihr mit ihnen sprechen? Ich muss noch Bericht erstatten bevor ich mich frisch machen kann.”

Voll unverhohlener Neugier hatte Unswin sich die merkwürdige Reisegesellschaft angeschaut. Auch er hatte nicht schlecht gestaunt, als er die Verletzung der Kriegerin gesehen hatte. Den nervösen Unscheinbaren hätte er neben dessen sehr auffälligen Gefährten dagegen fast übersehen. Anscheinend zogen die Gerüchte um das Monster nicht nur ehrbare Streiter an, sondern auch solche Glücksritter aus nah und fern. Fragend blickte er zu Alfred Beradje hinüber, was er zu tun gedachte. Für einen umfassenden Gedankenaustausch war noch keine Zeit gewesen. Blieb zu entscheiden ob man damit noch länger warten sollte, um der wahrscheinlich hemmungslos übertriebenen Geschichten dieser zerlumpten Gestalten eventuell weitere fragwürdige Informationen zuentnehmen oder ob man den Weg zur Burg sogleich fortsetzten wollte.

"Ich denke, wir sollten uns diesen Haufen einmal näher besehen Unswin", meinte der Leutnant hinsichtlich der unausgesprochenen Frage des Novizen. Alfred hatte sich die Gruppe kurz besehen – bei der Kriegerin würde er es lieber nicht mit demjenigenzu tun bekommen, der dieser die Wunde verpasst hatte. Den Stutzer betrachtete er eindringlich – er würde nicht den Fehler machen und die schnelle, schlanke Klinge des Mannes zu unterschätzen. An Leomara gewandt meinte der Zorneskrieger, "Wir sollten uns erkundigen, was diese hier zu berichten haben." Der Edelknappe beließ es wiederum bei einem bestätigenden Nicken. So auskunftsfreudig er den Ritterinnen gegenüber am Flussufer bei den Untersuchungen gewesen war, so schweigsam war er spätestensam Hafen geworden, als die höheren Autoritäten des Ordens wieder dazu gestoßen waren. Inzwischen war auch seine Miene wieder sehr grimmig geworden, wo sie noch kurz zuvor fast als aufgeschlossen hätte bezeichnet werden können. Unswin lenkte sein Pferd wortlos an die rechte Seite Alfred's um wie automatisch den Waffenarm seines Herrn abzudecken als sie auf die Gruppe zuritten.

Der Sturmfelser musterte die seltsame Schar auf dem Marktplatz nur kurz. Heimatlose Rumtreiber,wie es sie immer gegeben hatte und immer geben würde. Wenn es sich vermeiden lies, dann wollte er mit ihnen nichts zu tun haben. Allerdings diese hier behaupteten zumindest etwas zur Lösung des Ganzen beitragen zu können. Auch wenn er nicht angesprochen worden war, so antwortete er doch auf den Leutnant der Zornesritter. "Ihr habt Recht, vielleicht können sie etwas zur Lösung des Ganzen beitragen. Wollen wir?"

"Sicher!", erwiderte Alfred nickend und trat näher heran, während er sich in erster Linie dem Zwergen näherte.

Selinde hatte dieses Quartett von ‚Abenteurern` ebenfalls zur Kenntnis genommen und näher in Augenschein genommen, wobei sie aus ihrer Abneigung gegen sie keinen Hehl machte, wie ihr Blick deutlich verriet. Wirkliches Interesse an Ihnen hatte sie aber nicht; derlei Gestalten trieben sich – leider – dieser Tage zuhauf in der sogenannten ‚Wildermark` herum und folgten zumeist dem Golde anstatt göttergefälligeren Motiven. Keine Leute, mit denen sich die Baronesse mehr als unbedingt nötig abgeben wollte. Der Einwurf des Zorneskriegers hatte aber was für sich: Egal, was für merkwürdige Gesellen das auch sein mochten, vielleicht hatten sie ja auf den Weg hierhin ja was Interessantes beobachtet oder erlebt, das für den Suchtrupp von Bedeutungsein mochte.

An Leomara gewandt sprach sie daher: "Ich stimme Herrn Alfred zu; vielleicht haben diese Gestaltenja etwas für uns Bedeutsames erlebt oder gesehen; wir sollten sie fragen."

Die Ritterin Leomara von Isenbrunn nutzte also die einhellige Meinung ihrer Begleiter um die wenigen neuen Informationen die sie hatte so schnell als möglich ihrer Schwester zu überbringen. Und wie sie aus leidvoller Erfahrung wusste, waren die Überbringer schlechter Nachrichten oft diejenigen, an denen man seine Launen ausließ. Daher malte sie sich auf dem Weg zur Burg, vorbei an den zahlreichen mit Ziegelngedeckten Häuschen aus, womit sie sich am Abend belohnen wollte.

Kaum war die Rittfrau vom Platz geritten, und die Lücke in ihren Reihen geschlossen worden winkte die Junkerin zu Allwinnen die Kriegerin zu sich: "Heda, sie, komme Sie einmal her,ich möchte sie etwas fragen!"

Es war fast greifbar,dass sich in dem Moment, in dem sich die Baroness an die Frau wandte die Stimmung der Angeredeten und auch zweier ihrer Begleiter wandelte. Der ewig taxierende Blick des Mannes am Rande der Gesellschaft verharrte nun länger und auch keinesfalls mehr um Heimlichkeit bemüht auf den eingetroffenen Reitern und auch dem Fußvolk. Völlig anders hingegen reagierte der horasische Recke auf die Anrede Selindes. Ein Strahlen machte sich auf seinem Gesicht breit und er beeilte sich an die Seite seiner Gefährtin zu kommen. "Gesine hast du nicht vernommen. Die Hochwohlgeborene Dame möchte etwas von dir." Ihre Seite flankierend traten die beiden an die ihnen fremde Frau heran. An sich war sie wohl noch mitten in den Verkaufsverhandlungen gewesen, denn nun stand eine zwielichtige Frau in mittleren Jahren Tabak kauend an einem Karren und blickte ihr griesgrämig hinterher. Der Mann verbeugte sich formvollendet und zog seinen in die Jahre gekommenen Hut. Seine Begleiterin senkte nur leicht das Haupt. Jedoch warteten beide darauf erneut angesprochen zu werden.

Die Baronesse nickte dem horasischen Stutzer, der immerhin noch so was wie Etikette zu besitzen schien, mit einem leichten Lächeln kurz zu, bevor sie das Wort an die vermeintliche Kriegerin richtete. "Praios zum Gruße werte Reisige! Mir ist zu Ohren gekommen, dass sie und ihre Gefährten auf dem Weg hierher dem sogenannten Ungeheuer vom Darpat begegnet sind. Wir", dabei deutete Selinde auf ihre Mitstreiter, "sind auf der Suche nach diesem Monstrum, um es mit der Götter Hilfe zur Strecke zu bringen. Was kann sie mir über diese Begegnung, so sie denn stattfand, berichten?"

Hakon von Sturmfels hielt sich mit dem Prätor aus Dergelmund etwas abseits. Die Baroness hatte den rechten Ton getroffen. Was zu erfahren war, sie würde es sicher erfahren, sodass er lieber am Rande stehen blieb. Er hatte wenig Lust zu Füßen der Reiter mit diesen Rumtreibern zu sprechen, die Berittenen stets hinter oder neben sich.

***

Kor’win und Kain beobachteten die Szenerie am Markt. Vielleicht sollte Fes (Phex) ihnen hold sein und sie würden hier bereits einiges erfahren, bevor sie weiter zur Marbena mussten. Kain wäre dies zwar gar nicht recht, immerhin war die Baronin doch nett anzusehen, doch hielt er sich an dem was Kor’win sagte und lauschte den Worten. Dabei schwand jedoch bald seine Aufmerksamkeit dem Treiben auf der Mitte des Platzes, so dass er sich fast gelangweilt die Zuschauer anschaute. Als sich jetzt allerdings einige der ‚Zuschauer‘ mit diesen “‘Basiliskentötern‘ abgaben, konzentrierte er sich wieder. So wie es aussah, sollte es doch noch spannend werden. Wer waren diese Herrschaften da bloß? Die Sprecherin schien – nach ihrem Gehabe – von Stand zu sein. Der Aussprache nach kam sie nicht aus der direkten Umgebung sondern mehr aus den Randgebieten, den ‚neuen‘ Teilen des Sultanats oder der Markgrafschaft wie es die ‚Garäty‘ auch nannten. Bei drei weiteren schien es sich um Ordensritter zu handeln. Kain musste breit lächeln und war in diesem Augenblick froh, dass er sein, am Helm turbanartig befestigtes Tuch – ebenso wie Kor’win - vor sein Gesicht gezogen hatte und ein Betrachter nur seine Augen in diesem Augenblick erkennen konnte. ‚Rondrianer‘ dachte er belustigend, Männer die glaubten der Mutter Kors gerecht werden zu können. Pah, diesen Fehler hatten sie vor nahezu 2000 Götterläufen gemacht und diese Raulschen scheinen nichts daraus gelernt zu haben. Seltsam kam Kain diese Runde allerdings schon vor, zumal noch etwas Abseits ein Seemann und ein Geweihter des launischen Eff’herds standen und anscheinend zu ihnen gehören würden. Was hatten sie nur vor? Aufmerksam folgte er dem Beispiel seines Mentors, hielt sich ruhig um Hintergrund und lauschte.

***

Die Kriegerin schien sich zu konzentrieren, bildeten sich doch über ihrer Nasenwurzel Falten, die bei manchen Menschen das Denken begleiteten. Dann musterte sie die Menschen, die Selinde in die großzügig ausgefallene Geste unter “Wir” einbezogenen hatte. Die Falten verstärkten sich noch einmal, derweil eine Augenbraue Überraschen erkennen ließ. Noch immer hatte sie nicht geantwortet und die Pause die sich nun ergab wurde unangenehm. Der noch immer lächelnde Mann gab einen tadelnden Laut von sich, und schubste ganz sacht die Kriegerin, die ihn augenblicklich anfunkelte. “Gesine die hohen Herrschaften haben sicher nicht den ganzen Tag Zeit, bis du deine Gedanken sortiert hast. Soll ich…?” Ein Brummen unterbrach ihn, dass scheinbar von der Frau ausgegangen war, dann sah sie der Reiterin mit dem verbliebenen Auge ins Gesicht. Irritierend war auch das verschlungene Muster, das auf die schwarze Augenklappe aufgestickt war. Sie Reden zu sehen war kein sonderlich angenehmer Anblick. Das Narbengewebe um den Mund spannte bei jeder Bewegung. Ein grünes Auge ließ erahnen wie nett sie einst ausgesehen haben musste. Doch nun näherte sie sich der Junkerin und starrte sie an. “Das Vieh scheint ja überall zu sein. Meine Kameraden hier und ich ham schon so einiges von dem Zeugs in der Mark erlegt. Alles was uns vor die Waffe läuft und hier nix verloren hat.” Sie machte eine eindeutige Geste mit ihrem Finger am Hals entlang. Ihre Stimme klang rau, wie wenn sie krank wäre, auch schien es als ob sie merkwürdigen Tabak kauen würde, denn der Geruch, der von ihr ausging war alles andere als angenehm. “Aber für das hier, brauchts wohl größere Waffen.” Bedeutungsvoll riß sie ihr verbliebenes Auge noch weiter auf und legte den Kopf abschätzend musternd schräg, als sie die Frau von unten nach oben mit Blicken maß, als ob sie gekauft werden sollte. “Das ist nix für Unerfahrene. Da muss man schon genau wissen was man tut, und vor allem mit wem.” Sie deutete zu dem Zwerg, der inzwischen seinen Ton etwas gemäßigt hatte, denn der Schmied war von seiner Esse raus gekommen, um zu sehen, was der Lärm zu bedeuten hatte. Scheinbar hatte sich das Gespräch eher zu einer Art Fachsimpelei entwickelt hatte man fast den Eindruck. “Wir ham hier nen echten Drachentöter unter uns. Der wusste gleich was hier Sache ist. Und unserm Riko da drüben, dem macht in Sachen Spurenlesen keiner was vor. Es is nur uns zu verdanken, dass das jetzt nich mehr den Darpat hoch unterwegs is. Nachdems mit uns Bekanntschaft gemacht hat, isses umgedreht. Pah geflohen isses, Nur weil wir noch nicht die richtigen Mittel hatten isses noch ma davon gekomm. Es is nur ne Frage der Zeit, bis wirs ham. Sind nah dran. Ziehn auch nachher noch weiter. Die Treidler ham gsagt, `s wär schon wieder in Sabadonn gesehn wordn.” Nach dieser erschöpfend langen Rede, trat sie wieder von Selinde zurück, und schien darauf zu warten sich entfernen zu dürfen.

Die Vellbergerin ignorierte das in ihren Augen recht impertinente Verhalten der Kriegerin ihr gegenüber ebenso, wie die prahlerischen Worte der Frau am Ende ihrer Ausführungen, auch wenn der Ortsname ‚Sabadonn‘ zumindest einen vagen Hinweis auf den Aufenthaltsort des Untiers lieferte. Ansonsten war die Adlige unschlüssig, ob diese Herumtreiber überhaupt etwas Relevantes gesehen hatten oder sich nur aufspielten.

“Interessant”, entgegnete Selinde lakonisch auf die Aufschneiderei ihrer Gesprächspartnerin. “Und hätte sie auch noch die Güte, mir mitzuteilen, wie diese Kreatur nun genau aussah?” Mit einem ironischen Unterton fügte die Baronesse noch hinzu: “Sie und ihre Gefährten müssen das Monstrum ja aus nächster Nähe gesehen haben, als sie es verjagten.”

“Naja…” Sie schaute in den sich verfärbenden Himmel hinauf und nickte mehrmals sinnierend mit dem Kopf. “Im Nebel lässt sich schwer sagen, was man da vor sich hat. Mindestens 7 Schritt lang, 3 Schritt hoch, und der Kopf…nen guten Schritt lang würde ich meinen. Hatte Schuppen. Grau, glaub ich…, ach ja, und es kam ausm Wasser.” Mit wachsender Aufmerksamkeit lauschte die Baronesse der Beschreibung des Monsters. Endlich einmal konkrete Angaben! Nach einer kurzen Pause antwortete sie der Kriegerin: “Sie sei bedankt für diese Beschreibung, die sich als nützlich erweisen mag. Sie kann sich nun wieder ihren Angelegenheiten zuwenden.”

Insgeheim bezweifelte die Adlige den Wahrheitsgehalt der Aussage sehr; erst floh diese angeblich so riesige Kreatur vor diesen Herumtreibern und dann konnten diese das Wesen noch nicht einmal richtig erkennen! Und ein so großes Untier hätte doch auch entsprechende Spuren hinterlassen müssen. Dennoch wollte sie die Möglichkeit, dass die Beschreibung der Kriegerin doch zutreffend war, nicht gänzlich verwerfen; zwar kannte Selinde kein Tier, auf das diese Beschreibung passen mochte, aber die nahe Blutige See mochte auch allerlei unheiliges Getier – wie das gerade beschriebene – hervorgebracht haben.

Schließlich teilte die Baronesse die gewonnenen Erkenntnisse einschließlich ihrer eigenen Meinung dazu den am Marktplatz bei ihr verbliebenen Mitgliedern des Suchtrupps mit.

Der Seeritter nahm das Ganze nickend zu Kenntnis. Er hatte nicht mit mehr gerechnet. Die letzten Tage hatte er schon oft genug Leute befragt und Geschichten gehört. Im Kern dasselbe und kaum zu gebrauchen. Es gab da etwas, aber was? Nun, sie würden sehen. Jetzt schlossen er und Taseco sich erst einmal der Vellbergerin an und machten sich auf zum Sitz der Baronin.

***

Alfred und Unswin hatten sich mittlerweile ebenso angenähert und das Ganze verfolgt. “So, einen echten Drachtentöter hat sie und ihre Gefährten unter sich. Sage mir”, sagte der Leutnant, “zu welchem Schlusse Du, Drogosch, Sohn des Drogolam im Angesicht des Ungetüms gekommen bist. Warum handelt es sich und gibt es Beweise?” Ein stattlicher Zwerg, wie man nun aus der Nähe besehen erkennen konnte, war Teil dieser bemerkenswerten Gruppe. Eine Ansammlung verschiedenster Erinnerungsstücke fand sich teils an Ketten um den Hals hängend, teils waren sie an seinem Rucksack befestigt. Da war eine Kralle groß wie die Pfote eines Rotpüschels und eine merkwürdige Schuppe, auf deren Oberfläche sich rot schillernd die letzten Sonnenstrahlen brachen. Drogosch drehte sich nach einem kurzen Einwurf in Richtung des Schmiedes lachend um. “So, wer wollte mich sprechen? Ich kann ja schlecht Verhandlungen führen und gleichzeitig mit euch…!” Überrascht schwieg er als er merkte wer da alles die Augen auf seine Wenigkeit gerichtet hatte. Scheinbar war er der einzige, der sich herzlich wenig um die adlige Schar gekümmert hatte. Fast als ob er nun seinem Hauptmann gegenüber treten würde, nahm er merklich Haltung an, ja warf sich fast in die Brust, und sprach dann weiter. “Oh ich vermute, die Kunde, dass das Ende des Ungeheuers naht, verschafft mir die Ehre?”

“Nun, in der Tat, habe ich, haben wir.” Alfred machte eine ausladende Geste mit seiner linken Hand und deutete damit auf die Adligen und Rittersleute und räusperte sich. “Entschuldige, ich bin unhöflich.” Mit der gleichzeitigen Ausführung des rondrianischen Grußes stellte sich der Leutnant dann mit seinem Namen, Rang und Ordenszugehörigkeit vor. Für die Umstehenden hatte dieses Bild dann doch etwas Eigenartiges – auf der einen Seite, der rustikale Zwerg, der den stattlichen, annähernd zwei Schritt großen Krieger gerade mal in etwa bis zur Hüfte reichte. Und doch, schienen sich die beiden, jeder auf seine Art und Weise mit Respekt zu begegnen. “Wir wollen mit den richtigen Mitteln dem Ungeheuer begegnen und das Volk von dieser Plage befreien Drogosch. Nicht Ruhm noch Ehre treiben uns an, sondern die Sorge um diejenigen die des Schutzes bedürfen. So bitte ich nun Dich und die Deinen wahrheitsgemäß und ohne etwas auszulassen oder ob des Ruhmesdurstes hinzuzufügen von eurer Begegnung mit dem Monster zu berichten!”

Unswin war es einfach unbegreiflich wie sein Herr und Meister so vollkommen ruhig bleiben konnte wenn er mit dem Pöbel sprach. Mochten sie auch den Anschein mehr oder weniger fähiger Kämpfer erwecken, so war das noch lange kein Grund mit ihnen wie mit Leuten von Stand zu sprechen. Wer vor ihnen stand konnten sie genauso gut an den Schilden ablesen und wenn sie dies nicht vermochten, so sollte ihnen trotzdem klar sein, das hier höhere Herren zu ihnen sprachen. Aber gut, sein Herr würde schon wissen wie er schnell an sichere Informationen gelangen konnte. Wenn Unswin in seiner Zeit beim Orden eines gelernt hatte, dann war es Alfred nicht zu unterschätzen. Stumm ließ der Edelknappe seinen Blick über die Abenteurer streifen um jede noch so kleine feindliche Bewegung sofort zu erkennen. Zwar war es unwahrscheinlich, dass sie hier mitten auf dem Marktplatz gegen eine so deutliche Übermacht die Waffen erheben würden. Aber diese Personen sahen verwegen genug aus um im Zweifelsfall etwas vollkommen Irrationales zu tun.

Im Verlauf der Worte des gerüsteten Zornesritters war das Gesicht des kriegerischen Zwerges wieder um einiges verschlossener geworden. Die buschigen Augenbrauen die nun eine steile Kerbe auf der gerunzelten Stirn bildeten ließen ihn ziemlich wild aussehen. Mehrfach wurden Blicke zwischen den Kameraden ausgetauscht während der Leutnant seine Ausführungen beendete. Die Frau schüttelte nur einmal kurz den Kopf während der Spurenleser nur kurz die Schultern gehoben hatte. Inzwischen machte der Zwerg ein Gesicht als ob er Selemer Sauerbrot essen sollte. Mit der Rechten kratzte er sich ratlos im Barte. “Ähm, ja, was soll ich sagen…? Es war ja schließlich Nacht…!”

Mit theatralischer Geste schritt der in Rüschen und teure Stoffe gewandete Mann nun zu ihnen herüber. “Drogosch mein Freund, lass mich, Ludovigo di Linari, doch einfach deine Verhandlungen mit dem werten Schmied hier beenden, derweil du ein wenig abseits des Trubels die gewünschten Auskünfte gibst. Was hältst du davon? Schließlich wollen wir den Wohlgeborenen Herrschaften doch Auskunft erteilen, so gut wir das können…!” Er schaute dabei dem Zwerg lange in die wie Kohlen glänzenden Äuglein. Irritiert glotzt der Zwerg zurück, zuckte dann aber nur kurz die Schultern und grummelte nur so etwas wie “Soll mir recht sein…!” bevor er sich daran machte an Alfred vorbei zu stapfen geradewegs auf eine kleine Schenke zu, vor deren einzigen Fenster ein Tisch mit einer Bank auf die Gasse gestellt worden war. Geräuschvoll ließ er sich daran nieder und klopfte neben sich, als er der Schankmaid mit zwei erhobenen Fingern seine Wünsche geäußert hatte.

Alfred war nun in der Tat dem Zwergen gefolgt und hatte Unswin bedeutet, ihm zu folgen und sagte leise zu diesem, während der Zwerg seine Humpen bestellte, “Dieser hier scheint der einzig etwas Vernünftige aus dem Haufen zu sein. Wenn Du etwas fragen willst…nur zu!” “Sehr wohl hoher Herr. Wenn mir etwas auffällt werde ich mich äußern.” Während der folgenden Unterhaltung blieb der Knappe einen Schritt hinter Alfred stehen und hielt die die beiden Pferde am Zügel nach man abgestiegen war, da sie hier nirgendwo festgemacht werden konnten.

“Wundert mich, dass ihr euch um das Biest kümmert. Ich mein, sind doch genug Adlige in der Gegend, nicht wahr? Aber das hat mich nichts anzugehen, ich weiß. Also, ihr wolltet wissen, was ich gesehen habe in der Nacht? Es war stockfinster und neblig, kein heller Schein vom Madamal erhellte das Ufer, denn aufziehende Wolken taten ihr übriges, um den Vieh zu sichern ungesehen an Land zu kommen. Kalt war’s geworden und plötzlich war da dieses Geräusch. Wellen, die sich an etwas brachen, was vorher nicht war, Gräser und Schilf dass nicht mehr aneinander rieb durch den Wind, sondern das umgeknickt wurde durch…Oh, danke mein Kind!” Der Zwerg gab der Frau, die ziemlich klein aber nicht eben schmächtig war einen ordentlichen Klaps auf den Hintern, bevor er seinem Gegenüber zuprostete. Er hatte scheinbar zwei Humpen Dunkles bestellt, wovon er einen zu dem Ritter hinüber geschoben hatte. Geräuschvoll wischte er sich nach einigen tiefen Zügen den Mund ab, und überlegte wo er stehen geblieben war. “Genau, im Schilf. Ja. Also es machte den Anschein, als ob es direkt heraus kommen wollte aus dem Ufergürtel, doch da hat ers wohl mit der Angst zu tun bekommen, und hat geschrien. He! Kommt da raus ihr Gauner, ich weiß doch genau, dass ihrs seid. Ihr wollt dem alten Fredo nur nen Schrecken einjagen, denkt euch, ich merk das nicht. Los, schieb deinen Hintern hierher Linnert.”

Mit wachsendem Unmut hatte er der Rede des Zwergen gelauscht, bis er schließlich von den letzten Ausrufen völlig verwirrt wurde. Irgendwie standen sie in keinem Zusammenhang zum vorher gesagten. “Von wem redest Du da? Willst Du mir sagen, dass Du Dich im Schilf vor einem Fredo versteckt hast, oder was? Zudem, ist ja gut und schön, dass es Dunkel war aber ich hörte das gerade die Angroschim besonders gut im Dunkeln sehen können?” Alfred selbst hatte sich nicht gesetzt und auch den Humpen nicht angerührt. Es machte den Anschein, dass er selbigen gar nicht bemerkte. Hier beugte sich Unswin ein Stück vor um seinem Herrn seine Gedanken weiterzugeben. “Wenn ich das richtig verstehe so vermute ich eher, dass sie einen Wilddieb und seinen Kumpanen im Schilf überrascht haben, bevor das Monster auftauchte. Wenn dem so ist könnte es weitere Zeugen geben.” Ruhig trat der Knappe wieder den halben Schritt zurück und lauschte dem weiteren Gespräch.

“Ich? Ja ne, ich mein…nu lasst Drogosch doch mal ausreden ihr Jungvolk. Immer so ungeduldig und ungestüm, es wird euch sicher gleich alles klarer. Werdet ihr erst einmal so alt wie ich, dass lehrt euch, dass alles seine Zeit braucht.” An dieser Stelle schüttelte er kurz tadelnd den Kopf nahm wieder einen tiefen Schluck aus dem Humpen, und bemerkte, dass Alfred sich weder hingesetzt noch einen Schluck des süffigen Gebräus versucht hatte. “Was is? Das Bier hier ist zwar keines von einem zwergischen Braumeister, aber durchaus trinkbar. Nun setzt euch doch. Es ist ungemütlich, wenn ihr steht.” Das war wohl nicht der eigentliche Grund seines Wunsches, wie sich leicht erahnen ließ. Nun, wo sich der Angroscho hingesetzt hatte, war der Größenunterschied zwischen ihm und seinen menschlichen Gesprächspartnern noch deutlicher und er musste seinen Kopf doch sehr in den Nacken legen, um ihnen ins Gesicht zu blicken. Dem Ansinnen des Zwerges sich zu setzten gab der Leutnant nach. Jedoch nahm er den Krug noch nicht auf.

“Also nachdem Fredo dies ausgerufen hatte, war es zunächst still geworden, doch dann erhob sich ein Brausen und Geheul, dass ihm Angst und bang wurde. Gar nicht rühren konnte er sich nur starren in die die Dunkelheit. Und dann sah er es…” Hier hieb der Zwerg gewaltig mit der Faust auf die unebene Tischplatte, sodass die Humpen beträchtlich ins Wanken gerieten. “Ein Kopf wie von einem Drachen mit funkelnden Augen aber eisigem Atem erhob sich aus dem Schilf. Der Körper dazu musste riesig sein. Alles glänzte und funkelte an ihm. Schreiend und völlig panisch ist er um sein Leben gerannt.” Drogosch schaute die beiden Männer wissend an, so als ob auch ihnen nun alles klar sein müsste. Erstaunt registrierte er, dass sie ihm eher fragende Blicke zu warfen. “Ja, so ist uns der Fredo dann geradewegs in die Arme gerannt. Wir haben unser Nachtlager etwas landeinwärts unter ein paar Bäumen aufgeschlagen, und er ist mir mitten in meine Wache geplatzt. Hätte ihn beinah mit meiner Waffe direkt zu euren Göttern geschickt. Hat ne Weile gedauert, bis ich aus seinem unverständlichen Gestammel klug geworden bin. Aber dann…dann sind wir alle los gestürmt. Nur unser Mädchen ham wer bei ihm gelassen. Bei Angrosch! Wir waren drauf und dran das Vieh zu kriegen, aber es ist dann einfach in den Fluss zurück, und war wie vom Erdboden verschluckt.”

Mit Mühe konnte Unswin ein süffisantes Lächeln unterdrücken. Wahrscheinlich hätte wegen seiner Narben sowieso kaum jemand diese Gesichtsregung als solche erkannt. Dennoch war er mehr als betrübt, dass sich diese vermeintliche Wissenquelle doch nur als ein aufgeblasener Erlebnisbericht aus zweiter Hand herausstellte. “Nun denn”, sagte der Leutnant, “Dies spiegelt gewissermaßen die Berichte, die uns bereits vorliegen. Es sei Dir gedankt für den Bericht Drogosch.” Alfred nahm nun zum Schluss den Krug und prostete dem Zwergen zu. Einen kleinen Schluck trank er von dem Gerstensaft – er hatte jetzt nicht vor den Krug zu leeren und stellte ihn wieder auf die Platte. “Nun denn, werden wir uns wieder aufmachen, das Untier zu jagen. Gehabe Dich wohl, Drogosch.” Sprach der Leutnant und begann aufzustehen, um zu gehen. Zu Unswin gewandt meinte er dann, “oder hast Du noch eine Frage an den Herrn Angoschim?”

“Nein hoher Herr, ich habe keine weiteren Fragen.” Mit einer knappen Verbeugung gegenüber Alfred wandte sich Unswin dennoch noch einmal an den Zwerg, den er mit einem sehr brüchigen Rogolan ansprach. “Drogosch, Sohn des Drogolam, wir danken dir für deine Zeit. Möge Angrosch dich erhalten und noch lange deinen Geschichten lauschen.” Damit deutete er ein kurzes Nicken an, offenbarte seine Enttäuschung über die mageren Informationen jedoch mit keiner Regung. Geschickt manövrierte er sodann die Pferde von der Taverne weg zurück in Richtung Markplatz um sie aus dem Gedränge herauszubekommen, dass sich in der kurzen Zeit um den Tisch gebildet hatte. Die Gruppe war nicht unbemerkt geblieben und die Geschichte um eine neue Sichtung des Ungeheuers hatte einige interessierte Zuhörer angezogen. Unswin zweifelte nicht daran, dass Drogosch seine Geschichte heute noch viele Male erzählen und dabei zur Befeuchtung seiner Kehle manches Bier ausgegeben bekommen würde. Als er die Tiere aus dem dichtesten Gewirr herausbekommen hatte, wartete er auf seinem Herren Alfred, bevor er selbst aufsaß und den Ordensritter fragend anblickte. “Reiten wir nun hinauf zur Baronin und hoffen, dass sich im Laufe des Tages von anderer Seite bessere Informationen ergeben haben? Oder habt Ihr noch andere Befehle?”

Da die beiden Ordensritter nicht weiter zum Tisch zurücksahen, bemerkten sie auch nicht den jungen Nebachoten, der sich von einem Nachbartisch erhob und Drogosch nun seinerseits ein Bier ausgab. Kain wußte noch nicht, was er von diesen „Jägern“ halten sollte, hatte jedoch vor, den Anweisungen seines Mentors nachzukommen und möglichst viel über sie und das Untier zu erfahren.



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