Heroldartikel:Zu Gast in Orkenwall

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Auf der Rückreise von Puleth gen Finsterrode legte Hochgeboren Genzmer von Radulfshausen einen kurzen Halt ein in Orkenwall bei seinem langjährigen Freund und Kampfgefährten aus dem Orkensturm, Hochgeboren Aergan Düsterfluß.

Auf dem Konvente in Puleh hatte sich so einiges zugetragen, und so gab es viel zu bereden. Aber auch in Greifenfurt stand die Zeit nicht still. Da waren zum einen die Vorbereitungen für die Jubiläumsfeier der Befreiung Greifenfurts von den Schwarzpelzen, zum anderen aber auch der "Besuch aus dem Kosch", der den Winter über in der Markgrafschaft verweilte und sich nicht anschickte, allzu bald wieder in seine Heimat zurückzukehren, sondern andere Ziele verfolgte.

Ziele, die dem Baron zu Finsterrode nicht behagten und daraus machte er auch keinen Hehl, ganz so wie es nun mal seine Art war. Und somit war auch geklärt, welches das beherrschende Thema am abendlichen Kaminfeuer sein sollte.

Nachdem das Essen abgeräumt war, griff der Finsterroder erneut nach dem Humpen mit dem guten Quastenbräu und setzte zu einer Tirade gegen den Koscher Prinzen an.

"Oh, ja der hochfeine Koscher Prinz. Wie man hört, hat er sich mit seinen Leuten den ganzen Winter über in Greifenfurt eingenistet? Als ob wir nicht genug Probleme hätten in Greifenfurt, besonders in der kalten Jahreszeit! Aber Travias Gebot hat natürlich Vorrang, das mag ich nicht bestreiten. Aber warum reist er überhaupt mitten im Winter durch unsere Lande? Greifenfurt ist nicht gemacht für einen solchen Höfling."

"Ich denke, dass Prinz Edelbrecht einfach rechtzeitig zu den Feierlichkeiten in unserem schönen Greifenfurt eintreffen wollte und die Reisedauer etwas überschätzt hat ..." Genzmer musste lauthals lachen, denn solche spitzen Bemerkungen passten für gewöhnlich nicht zu dem ansonsten sehr bodenständigen Orkenwaller.

"Jaja, da mögt Ihr Recht haben guter Freund. Ja, die Feierlichkeiten. Ich sehe ihnen ein wenig mit gemischten Gefühlen entgegen. Ich glaube nicht, dass die Gefahr durch die Schwarzpelze endgültig besiegt ist. Von daher mag eine Feier nicht so recht passen. Allerdings gibt es durchaus etwas zu feiern, nämlich uns Greifenfurter, die wir es geschafft haben, diese Ungetüme wieder aus unserer Heimat zu werfen."

Der Orkenwaller nickte nachdenklich. "Und es gilt all denen zu gedenken, die wir in dieser schlimmen Zeit verloren haben ..."

Genzmer schwieg zunächst eine Zeitlang. Ihm war noch zu gut in Erinnerung, welche Opfer der Orkensturm gefordert hatte. Sein Bruder und viele Freunde tot, seine Frau ... Er liebte sie noch immer und musste trotz des schweren Schicksals, das ihnen die Götter auferlegt hatten, kurz lächeln.

Aber auch der Orkenwaller hatte - wie wohl jeder Greifenfurter - herbe Verluste zu beklagen. Ihm war seine geliebte Frau gestorben, was den einstmals so lebensfreudigen Kämpen sichtlich getroffen hatte. Nur sein Sohn war ihm geblieben, Rondradan. Der Junge hatte von seinem Vater den Mut und von der Mutter das gute Aussehen geerbt. Zur Zeit befand er sich in Knappschaft bei der Kanzlerin der Mark, Faduhenne von Gluckenhagen, und man munkelte, die Rittfrau hielte große Stücke auf ihn. Genzmer wusste, seit dem Tod Riannas von Orkenwall war es einzig der Gedanke an den Sohn, in dem das Erbe der geliebten Frau weiterlebte, der den alten Haudegen aufrecht hielt.

"Ja, in der Tat, wir haben alle viel verloren. Die Verstorbenen dürfen niemals vergessen werden..." Der Orkenwaller schenkte noch etwas Quastenbräu nach.

Baron Genzmer erhob wieder die Stimme: "Gerade deswegen aber sollte man sich auch nicht in einer falschen Sicherheit wiegen. Die Orks sind derzeit ruhig, aber wer weiß, wie lange das anhält. Ist der ausgehandelte Friede mit den Heldentrutzern nicht in Kürze zuende? Wer weiß, was die Zukunft bringen mag. Das Reich ist derzeit in keiner starken Position. Die Gefahr aus dem Osten ..., aber auch im Süden rumort es. Was, wenn der Ork jetzt zurückkehrte?

Nein, Greifenfurt braucht gerade in dieser Zeit eine starke Hand, die die Markgrafschaft führen kann."

"Die Markgräfin ..."

"Ja, die Markgräfin!", fuhr ihm Genzmer ins Wort. "Sie ist in der Tat eine starke Persönlichkeit. Auch sie hat viel erleiden müssen. Aber auch sie ist allein der Sache nicht gewachsen. Sie ist jung und voller Tatendrang, aber sie braucht Unterstützung. Zu viel Zeit beansprucht das Amt der Markgräfin. Sie muss zu oft Greifenfurt verlassen. Was zuletzt geschehen ist, als sie nicht da war, habt Ihr ja gesehen. Ungebetener Besuch frisst sich durch die Markgrafschaft.

Nein. Ich denke, die Markgräfin sollte sich einen Ehemann suchen, mit dem sie gemeinsam für das Wohl Greifenfurts einstehen kann!"

"Nun, ich denke genau das ist der wahre Grund, weswegen der Koscher in unseren Landen weilt. Er macht daraus auch kein großes Geheimnis, dass er hier ist, um um die Markgräfin zu freien."

"Das weiß ich wohl, und bei dem Gedanken daran, dreht sich bei mir der Magen um. In Puleth hatte ich das 'Vergnügen' eine Gesandtschaft des Koscher Prinzen kennenzulernen. Ich berichtete Euch ja von dem verdammenswerten Anschlag auf das Leben Königin Rohajas. Nun, während nahezu alle Anwesenden des Konventes bemüht waren, die Angelegenheit aufzuklären, befleißigte sich diese Koscher Gesandtschaft statt dessen, einen Eber zu erlegen, um diesen der Markgräfin zum Geschenk zu machen! Nein, nein, der Koscher Prinz ist kein rechter Gemahl für die Markgräfin. Als Gemahl kommt nur ein wackerer Greifenfurter in Frage und nicht so ein dahergelaufener Schönling aus dem Kosch." Der Baron aus Finsterrode hatte sich in Fahrt geredet und stockte nur kurz, um einen neuen Schluck des Gerstensaftes seine Kehle hinunter zu schicken. "Und ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden, Argaen. Wenn ich von einem wackeren Greifenfurter spreche, dann spreche ich selbstverständlich von Euch! Ihr, vieldekorierter Veteran aus dem Orkensturm, genau Ihr seid der geeignete Kandidat! Das Volk verehrt Euch ob Eurer Heldentaten während des Orkensturms. Ihr wäret in der Lage, Greifenfurt zu neuer Stärke zu verhelfen - gemeinsam mit der Markgräfin."

Argaen Düsterfluß war nicht gänzlich unvorbereitet gewesen, dazu waren die Andeutungen des Finsterroders im Laufe des Tages einfach zu eindeutig gewesen. "Nun, mich ehrt Eure Einschätzung sehr. Glaubt mir. Doch es gibt ein paar Gründe, die gegen das Werben um die Hand der Markgräfin sprechen. Zum einen bin ich meines Zeichens nur Baron. Dies ist kein Stand, der sich als Partner für die Markgräfin ziemt. Und auch habe ich nicht vor, Greifenfurt zu spalten. So gibt es durchaus einige Befürworter des Vorhabens des Prinzen. Ich denke hier an den Greifenhorster, Reto von Schattenstein oder auch der Rothenborner. Außerdem bin ich schon in die Jahre gekommen, ich glaube kaum, dass die Markgräfin jemand so alten wie mich erwählen würde..."

"Ihr stellt Euer Licht mal wieder unter den Scheffel, werter Argaen. Alt... der Dunkelsfarner ist alt, aber Ihr... Aber genau das ist der Grund, warum Ihr es werden solltet. Ihr denkt nicht zuerst an Euch selbst, sondern an das Wohl der Mark! Etwas, was man von den Koschern wohl kaum behaupten kann. Und was Euren Stand als Baron angeht... Immerhin seid Ihr ein gestandener Kriegsveteran, ausgezeichnet mit den höchsten Orden. Ich denke, dass das einiges aufwiegen wird. Und Euer Alter, ja das ist doch gerade ein Grund, der für Euch spricht! Ihr verfügt über Lebenserfahrung, noch etwas, womit sich der junge Koscher nicht rühmen kann.

So sehr es Euch auch ehrt, dass Ihr Greifenfurt nicht spalten wollt. Greifenfurt ist es leider schon. Auf der einen Seite die von Euch aufgezählten. Die versprechen sich von dem Koscher sicherlich vor allem eins: Gold. Ich möchte nur an die Belehnung des Barons von Gallstein seitens des Greifenhorsters erinnern. Da war auch mehr im Spiel als pure Nächstenliebe, wenn Ihr mich fragt. So sehr ich den Gallsteiner auch schätze ...

Und Ihr könntet Euch der Unterstützung des Großteils des Greifenfurter Adels gewiss sein. Die Dergelsteinerin, der Boronshofer, der Quastenbroicher, der Dunkelsfarner ... All diese sind auf Eurer Seite und gegen den Koscher! Bedenkt dies ..."

Argaen blickte nachdenklich in seinen Humpen, an dessen Boden sich noch etwas Quastenbräu befand, das er hin und her schwappen ließ. "Ihr sprecht wahr, alter Freund. Ich mag Eure Begründungen nachvollziehen. Vielleicht wäre es wirklich das Beste für Greifenfurt, wenn die Markgräfin nicht mehr allein die Bürde der Verantwortung tragen müsste...

Gleichwohl ich nicht weiß, ob ich nach dem Tod meiner Frau noch einmal in der Lage sein werde, einen Traviabund einzugehen. Zu sehr liebe ich sie noch immer. Ich versprach ihr auf dem Sterebett..." Die beiden Männer schwiegen. Erst nach einiger Zeit ergriff der Finsterroder ein letztes Mal das Wort. "Ich verstehe Euch und Euer Zögern sehr gut, das wisst Ihr. Ich mag Euch zu nichts drängen. Doch denkt darüber nach. Greifenfurt wäre Euch auf ewig zu Dank verpflichtet, mehr noch, als es das jetzt schon ist."

Die Barone saßen noch etwas vor dem prasselnden Kaminfeuer, ohne dass einer noch mal das Wort erhoben hätte. Ihre Gedanken kreisten um die zwölf Jahre zurückliegenden Ereignisse und die vor ihnen liegenden ...



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Zu Gast in Orkenwall


Kapitel 1

Eine Königliche Jagd
Autor: Richard W.