Geschichten:Ankunft - Teil 3
Tsaiana war etwas rot geworden, als Ungolf sich doch tatsächlich an das Küchendesaster erinnerte. Das gab noch eine Standpauke von Tantchen ... Dabei konnte sie doch nicht wissen, dass das Regal nicht fest war… „Danke, ich werde es mir schmecken lassen, es richt ja auch zu gut. Und nein, Ungolf, das macht mir gewiss nichts aus, ich bin sehr froh mal wieder normal behandelt zu werden. Und danke,“ sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht,“ ich finde auch das ich mich zu meinem Vorteil verändert habe.“ Sie grinste ihn an. „Aber wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich nach dem Essen gerne versuchen mit dem Baron zu reden. Soll ich vielleicht was von dem Eintopf mit hochnehmen? Vielleicht mag er ja doch was. Und wenn nicht… ich bin gut im überreden.“ Sie grinste wieder freundlich in die Runde und vermied es, Blickkontakt mit Wulf aufzubauen, da sie nicht sicher war, ob er das überstehen würde.
Ungolf schaute kurz kritisch und erwiderte dann: „Ich werde Euch gleich den Weg weisen und kurz ankündigen, der Etikette halbe“ Er zwinkerte und fuhr fort: „Aber das mit dem Essen lassen wir besser, wir haben schon gemerkt das er da sehr eigen ist und ,nun ja, ich kann es durchaus nachvollziehen. Ich weiß nur nicht in welcher Laune er gerade ist. Gestern war er kurz draußen und hat sich an einer alten Strohpuppe ausgelassen, sie war zwar noch aus Zornbrechts Zeiten aber war noch vollkommen in Ordnung. Raulbrin hat sie dann in einer halben Stunde zu einem Strohhaufen verwandelt.“
Tsaiana musste unweigerlich grinsen. Ja, dass kannte sie. Und nicht Essen … Das könnte ihr Vater sein. Aber egal. Sie wollte trotzdem kurz mit dem neuen Baron sprechen. Es gehört sich nicht, irgendwo zu Gast zu sein und dem Hausherren nicht die Aufwartung zu machen. Von daher wollte sie es wenigstens versuchen. Hoffentlich war er nicht genauso grießgrämig und in sich gekehrt wie ihr Vater. Noch so einen von Freude verlassenen Menschen mochte sie sich nicht mal vorstellen. Na, dann lieber erstmal ordentlich essen.
Das Mahl wurde von kurzen Witzeleien untereinander begleitet und obwohl er frühzeitig fertig war wartete Ungolf geduldig. Als Tsaiana fertig gegessen hatte stand er auf. „ Dann wollen wir einmal schauen, mit was für Launen der Herr heute geschlagen ist.“ Er grinste „Wenn ihr mir folgen wollt, junge Dame.“ Er hielt Tsaiana die Türe auf, um sich dann wieder vor sie zu setzten. So führte er sie in Richtung Burgfried und die Treppe empor. Schon auf halbem Wege zum Turmzimmer, kam ihnen der Geruch der Zigarren Raulbrins entgegen.
Ungolf klopfte an die Türe, als Antwort kam von drinnen nur ein kurzes: „ JA?“ Ungolf öffnete die Türe einen Spalt und steckte den Kopf hindurch. „Herr, wir haben einen Gast der euch ihre Aufwartung machen möchte. Tsaiana von Waldfang-Angerwilde ist auf der Reise zur ihrer Tante und es hat sie nach hier verschlagen. Sie hat darum gebeten eine kurze Unterredung mit euch zu führen.“ Alles, was von drinnen zu hören war, war, wie ein Fenster geöffnet wurde, und dann sagte die Stimme leise. „Ja, Ungolf, schick sie herein ... ach, und Ungolf, bitte bringe das hier zu jemandem, der es drucken kann.“ Ein Blatt Papier wurde Ungolf überreicht, dann trat dieser zurück, drehte sich ummund sagte leise zu Tsaiana: „Viel Glück.“ Nachdem er sich an ihr vorbei geschoben hatte, konnte Tsaiana erkennen, dass die Türe geöffnet war und den Blick auf das Arbeitszimmer des Barons freigegeben hatte. Wüst sah es aus. Rüstungsteile und Waffen lagen auf einem Schemel an der Wand, auf dem Schreibtisch lagen Unzählige Papiere und Pergamente verteilt und es roch stark nach Zigarrenqualm. Neben der Türe stand Raulbrin von Rallerspfort, gekleidet in einen samtenen, schwarzen Gehrock. „Willkommen auf der Feste Rotkrähenborn, tretet ein.“ Er machte eine einladende Handbewegung und es war im anzusehen das er sich mühte zu lächeln.
Tsaiana lächelte zurück und trat ein. Sie stellte sich direkt vor Raulbrin und deutete eine Verbeugung an. „Verzeiht, wenn ich euch noch zu so später Stunde störe, aber es gehört sich nicht dem Herren eines Hauses, in dem man im Travias Sinne um Unterschlupf bat, nicht wenigstens zu begrüßen. Wie Ungolf schon bemerkte, ich bin Tsaiana von Waldfang-Angerwilde, Nichte Tsaburgas. Ich war auf dem zu ihr, um ihre Geschäfte zu regeln bis sie wieder genesen ist. Leider ist es lange her seit ich das letzte mal hier war und so habe ich mich, zu meiner Schande, verritten. Aber, bei der jungen Göttin, so habe ich euer Heim gefunden. Und Ungolf und Edo wieder getroffen. Wie gesagt, mein letzter Besuch ist Jahre her, noch vor meiner Ausbildung. Euch habe ich leider noch nie hier angetroffen, aber ich denke, dieses holen wir heute nach.“ Sie lächelte Raulbrin an, errötete leicht und nach einem kurzen Räuspern:“ Verzeiht, genug von mir, ich bin immer ein wenig stürmisch bei Gesprächen, ich hoffe ich habe euch nicht gelangweilt?“ Sie schaut unsicher an und knibbelt nervös an einer ihrer langen, blonden Haarsträhnen.
„Nun ja, gelangweilt? Nach der kleinen Vorstellung? Keineswegs! Kommt herein und nehmt Platz.“ Raulbrin deutete auf zwei Stühle, die vor dem Kamin auf einem dicken Teppich standen. Ein kleiner Beistelltisch war zwischen ihnen platziert. Auf ihm standen Zinnkrüge und eine Zinnkaraffe. Raulbrin schloss die Türe hinter Tsaiana und ging zum Schreibtisch, während er sie weiter ansah. „An Eure Tante kann ich mich selber nur dunkel erinnern, und was eure Vermutung angeht: Nein, wir hatten noch nicht das Vergnügen. Nehmt bitte Platz, ich bin direkt bei Euch.“ Raulbrin verschob einige Papiere, nahm einige Sachen vom Tisch und schritt auf die Sessel zu. „Bitte sagt etwas, falls es zu kalt für Euch werden sollte, ich dachte, es wäre angemessen, Euch nicht in einer Räucherkammer zu empfangen.“
Sie nahm gerne Platz:„Nun ja, ganz so zart besaitet bin ich ja nun doch nicht, was die Kälte betrifft, aber danke für das Lüften.“ Tsaiana lächelte Raulbrin freundlich an. „Nun, meine Tante galt als verschollen, doch ward nicht gefallen, aber schwerst verwundet. Deswegen bin ich hier um ihr etwas unter die Arme zu greifen. Es sollte eigentlich mein Vater tun, doch dieser… ist nicht in der Lage dazu. Tja und ich muss nun schauen wie ich das beste draus mache. Ihr seid auch erst kürzlich zurückgekehrt, sagte Edo. Mein tiefempfundenes Beileid, ich weiß wie euch zu mute sein muss.“ Sie schaute traurig zum Fenster raus. „Meine Mutter ist beim Kampf um Gareth getötet worden. Seitdem ist mein Vater nur noch eine sterbliche Hülle, die jegliche Freude am Leben vergessen hat. Es ist schwer, diesem Verfall hilflos zusehen müssen.“ Sie beobachtete in Gedanken versunken die Sterne am Himmel.
„Ich muss euch mein Mitgefühl ausdrücken, Tsaiana. Ich für meinen Teil bin einfach traurig, weil ich mich so auf ein Wiedersehen gefreut habe. Trauern, ja, das tue ich ... um meine Mutter, möge sie sanft ruhen. Aber stolz bin ich auf meinen Vater, auch auf eure Mutter ...“ Raulbrin musste schlucken und sich sichtlich seine Tränen verkneifen, mit fast brechender Stimme fuhr er fort: „Ich bin stolz auf alle, die ihr Leben ließen ... es ... sind Helden ... allesamt, vom Bauern bis zum Edelmann ... Helden.“ Raulbrin wischte sich seine Tränen aus dem Gesicht, nahm einen kräftigen Schluck von dem schweren Wein und blickte Tsaiana fest in die Augen. „Ich bete für eure Tante, sie ist eine starke Frau und wird es schaffen. Bei Kor, nicht noch mehr ... nicht noch mehr ...“ Für eine Weile starrte Raulbrin ins Feuer, dann sagte er plötzlich: „Was habt ihr für eine Ausbildung genossen, Tsaiana? Bitte sagt mir nicht, diese verweichlichten, horasischen Sitten haben auch in Eure Familie Einzug gehalten. Es gibt schon genug Faulenzer und Taugenichtse“ Mit einem schelmischen Grinsen schaute er Tsaiana an. Dies sah bei ihm wegen der Narbe und der Augenklappe vollkommen deplaziert und dadurch noch lustiger aus.
Weiter mit dem vierten Teil