Perricum:Von Flüchen, Märchen und Legenden

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Der Fluch der Nebachoten

»Und als die Streiter Bosparans so zahlreich vor den Mauern Nebachots erschienen wie die Schwärme der alljährlich wiederkehrenden Zugvögel, bestand keine Hoffnung mehr, die Stadt der Herrin aller Streiter dem Sultanat zu erhalten. Und so war es die höchste Streiterin daselbst, die ihre Gunst von den Unseren wendete und die Mauern der Stadt erschütterte und die Tore zu Asche machte. Da legte der letzte Sultan von Nebachot die Zeichen seiner Würde ab und verlangte nach seiner Rüstung. Er begab sich zwischen seine besten Krieger, auf dass sie neun seien, schnitt sich den neunten Finger ab, opferte ihn Kor und schwor bei seinem Blute, dass erst, wenn die Schuld des Volkes Nebachots erkannt und sein Frevel an der Leuin getilgt, die Männer aus dem Volke des Stammes Nebachot wieder würdig sein würden, Ihr zu dienen und sie ohne Frevel anrufen zu können. Bis zu jenem Tage aber solle das Volk von Nebachot in Knechtschaft unter fremden Herrschern stehen. Schließlich wandte er sich mit seinen Kriegern den in seine Stadt eindringenden Feinden zu. Und sie erschlugen neun mal neun Feinde, ehe sie selbst zu Boden gingen. Und die Feinde rächten sich bitterlich und zerschlugen die Leichname der Neun Korosan und zerstreuten sie über den Trümmern der Stadt, wo ihre Seelen bis zum Tage der Vergebung gebunden und vor der Wiedergeburt durch die Milde Schwester Tsa verborgen sein sollen. Die Waffen der Neun aber nahmen sie mit sich und brachten sie nach Bosparan zum Zeichen ihres unumschränkten und rondragewollten Triumphes über Nebachot ...«


Von Ahn'Alazina

"So kann ich euch erzählen von einer Zeit, als Rondra die Götter hieß, ihre Augen vor uns zu verschließen, als Phex unsere Listen einfältig machte, als Hesinde uns verblendete, Tsa unsere Ahnen von Wiedergeburt und Vergebung ausschloss und Praios uns außerhalb jeder Ordnung stellte. Denn als die Posaunen endlich schwiegen, bebte die Erde. Die Mauern fielen. Die Tore wurden zu Asche und die Stadt war in Flammen. Dort, wo zuvor Streitwagen auf den Mauern entlang fahren konnten, war lodernde und doch dunkelste Nacht. Denn der blendende Hagel von Aberhunderten von brennenden Pfeilen regnete vom Himmel, um alles Leben in der Stadt Nebachot auszulöschen. Damals starben die letzten Streiter des Sultans auf den Stufen unseres großen Tempels und unser Allerheiligstes fiel in fremde und ungläubige Hände. Doch eine Hure vermochte das zu retten, was kein Schwert unserer Väter hatte schützen können. Die Tänzerin Ahn'alazina war eine schöne Frau und eine einfallsreiche Dirne. Sie konnte so vollkommen tanzen wie Raschia selbst. Als die Mauern zerbarsten, verlor sie ihren Favoriten, der im Kampf wider den grausamen Feldherren des Horas fiel. Sterbend auf ihrem Schoß bat er Ahn'alazina zu verhindern, dass die Bosparaner die Heimstatt der sechsarmigen Göttin Rondra entweihten. Und während im Innern des Tempels Rondras Kämpfer fielen, lief die Dirne zu den Überlebenden, die im Schutze des Morgens ihrem siegestrunkenen Feind entfliehen wollten. Sie überredete sie mit süßen Worten, die Statue der Göttin zu retten, und versprach ihnen zum Lohn all den Schmuck, den sie von ihren Liebhabern einst geschenkt bekommen hatte. So begab sich die Tänzerin zum Zelt des Siegers, das auf dem Vorhof des Tempels stand. Es geschah hoch über der Stadt, wo der Triumphierende sich am Anblick des brennenden Nebachots labte. Ahn'alazina hatte sich in einen dunklen Mantel gehüllt und wurde als Bittstellerin vor den bosparanischen Feldherrn gelassen. Sie trat auf die Zinnen des Tempels, damit ein jeder in der Stadt sie erblicken konnte. Da zog sie ihre Säbel, warf ihren Mantel ab und begann, den Widerschein der Flammen im Rücken, über den gefallenen Mauern zu tanzen. Die Schritte ihrer Füße, das Kreisen ihres Beckens, der Klang der Schellen, das Sirren ihrer Klingen und der Schweiß ihrer leuchtenden Nacktheit woben ein Netz, das die Blicke der Bosparaner gefangen hielt. Ahn'alazina lächelte, während ihre Füße bluteten vom scharfen Schutt. Sie tanzte zwölf Stunden, bis sie zusammenbrach. Doch diese Zeit genügte, um die Sechsarmige in Sicherheit zu bringen und mit ihr viele unserer Väter. Der Feldherr in seinem Zorn aber ließ Ahn'alazina binden und warf sie seinen Männern vor, um sie erst nach Stunden durch den Tod zu erlösen. Ihre Peiniger starben zwölf Tage später an einer ebenso mysteriösen wie peinvollen Krankheit. Keiner von ihnen hinterließ einen Erben. Der Feldherr ließ die mit der Statue Flüchtenden verfolgen, denn teuer war ihm die Sechsarmige Rondra als Beute. Kurz vor der Furt bei Baburin wurden sie eingeholt. Da griffen die letzten neun mal neun Kämpfer der Nordstämme zu ihren Säbeln. Sie riefen Kor, den Herrn der Schlachten, an und warfen sich den übermächtigen Bosparanern entgegen. Voll Zorn und unbändigem Hass stürmten sie auf ihre Feinde ein, um sie alle niederzuschlagen. Sie kannten kein Erbarmen, als wären sie beseelt von der Göttin Sohn selbst. So wurde die Sechsarmige bewahrt. Unsere Väter aber befehdeten sich ob der Frage, wie das Opfer Ahn'alazinas und die Schlacht an der Furt zu deuten seien. Ein jeder glaubte, den Fingerzeig der Götter zu verstehen, der unseren Weg zur Sühne aufzeigen sollte. Darüber teilte sich das Volk in die Nebachoten und Baburen. Wir, die Nebachoten, verzweifelten an der Niederlage und suchen bis heute ständig nach neuer Stärke und Härte, um niemals wieder vor der Göttin zu fehlen. Der andere Teil, die Baburen, war überzeugt davon, den Weg der Vergebung beschreiten zu dürfen. Daraufhin empfahlen sie sich in Ehrfurcht und Hingabe der Göttin. So sind und bleiben wir uneins und zersplittert bis zu jenem Tage, wenn der Donner über das Land rollt, die Trommeln die Stämme zusammenrufen und die Herrin Rondra ihren Streitern Einigkeit befiehlt. Dann wird sie endlich vergeben."


Vom Größten der Korosan

" Okam'Awahr war der sechste Korosan des Sultans. Er war einer der mächtigsten Anführer und stärksten Krieger. Seine Arme waren lang, seine Muskeln stark, sein Geist fest, sein Schlag tödlich – aber sein Herz war schwer wie der Gigant selbst. Als er gegen die Mogule stritt, wurde er mit den Seinen in einer Klamm gefangen und sein Rückzug vereitelt. Es war ihm befohlen, die Flucht der Menschen, die vor den Feinden davoneilten, zu decken." Die Erzählerin hält inne, während die Trommeln ein drohendes Grollen von sich geben. "Die Feinde bedrängten ihn wie Heuschrecken ein reifes Feld. Da sprach Okam'Awahr, er werde hier entweder für Nebachot sterben oder unbesiegbar sein für alle Zeiten. Das vernahm der göttliche Streiter der Schlachten. Er lauschte der tödlichen Klinge des Menschen, er hörte die Schreie der sterbenden Feinde, er sah sie fallen und weitere nachrücken. Da durchbohrte eine Lanze Okam'Awahrs Herz und er fiel als letzter der Seinen. Die Feinde aber setzten den armen Menschen nach, die da flohen, und töteten alle, wie auch die Kinder Okam'Awahrs. Der Herr der Schlachten aber, Kor, war zornig auf seine Mutter. Denn er wollte nicht wahrhaben, dass der Kampf zwischen seinen Kämpfern und den Mogulen so einseitig war. Da stieg er hinab in die Klamm zum Leichnam Okam'Awahrs, besah ihn sich und wirkte sein Wunder." Ein einziger heftiger Schlag der Pauken unterbricht die Geschichte, bis die Geweihte nach einem Moment des Schweigens wieder die Stimme erhebt. "Kor nahm das zerschmetterte Herz und fügte es aus neun Splittern wieder zusammen: Asche, Blut, Leid, Hass, Trauer, Zorn, Kälte, Wahn und Verzweiflung. Da sprang Okam'Awahr wieder auf seine Beine. Er fühlte weder Schmerz noch Pein in seinem Leib – er empfand nur noch die kalten Gaben Kors. Okam'Awahr lief den Feinden hinterher und zerschlug sie alle, trank ihr Blut und aß in seinem Wahn ihr Fleisch. Fortan war Okam'Awahr der größte Kämpfer, ein eiserner Feldherr, gefürchtet gleichermaßen in Fasar, Khunchom und Nebachot. Nach neun Jahren wagte kein Herr der Mogulen mehr, Okam'Awahr anzugreifen. Dieser aber bedauerte sein Leben. Die Pein in seinem Geist war so groß, sein Wissen um seine Kälte so stark, dass er begriff: Er war nur noch ein Werkzeug der Schlachten und Kämpfe. Da begab er sich zur wandelbaren und immer jungen Göttin, auf dass er sein Leben zurückerhalten könne. Doch die Priesterinnen waren nicht in der Lage, sein zerstörtes Herz zu heilen und ihm ein neues Leben zu schenken." Ein sanftes Donnern der Trommeln erfüllt wie das gedämpfte Prasseln eines Sommerregens die Halle. "So flehten die Priesterinnen zur Göttin und sprachen acht Tage später eine Prophezeiung über die Zukunft des Kriegers: Er müsse wissen, dass sein Leben, solange die Verwandlung und Wiedergeburt seiner Seele andauere, überschattet sei. Überschattet von Leid und Schmerz und Blut, Hass, Trauer, Zorn, Kälte, Wahn und Verzweiflung. Diese Schatten würden seinen Weg begleiten, auch wenn sein Geschick ihn zum Helden jeder Schlacht mache. Dies würde mehr als ein Leben lang dauern."