Benutzer:Robert O./Briefspiel
Praiosgefällige Anarchie
Kriegsrat vor den Toren
13. Hesinde 1036 BF, Vor den Toren der Reichsstadt Eslamsroden, am Abend
Jetzt wusste Gerbald, warum er statt der Panzerrüstung ein leichtes Kettenhemd trug. Die zwei Lagen Unterkleidung hätten nie darunter gepasst und er hätte jämmerlich frieren müssen. Dabei spürte er bereits jetzt die Kälte in den Knochen. Ja, er war alt geworden und musste sich zu seiner Schande gestehen, dass er in den letzten Jahren das ein oder andere Dunkle zu viel getrunken hatte. Nun, war es wohl an der Zeit diese Nachlässigkeiten zu bereuen. Bei dieser Winterbelagerung würden die Rationen wieder magerer ausfallen. Trotz seiner sechzig Götterläufe war er aber immer noch eine imposante Erscheinung. Nicht zuletzt auf dem Waldsteiner Turnier hatte er allen bewiesen, dass auch mit den alten Haudegen noch zu rechnen war.
Diesen Gedanken sann er auf dem kurzen Ritt zu Ardos Hauptquartier nach, begleitet nur von einem seiner Ritter und seinem Knappen Odilon, der ein entfernter Verwandter des Keilholtzers war. Ardo hatte ihn ihm vermittelt, wollte Gerbald doch noch einmal in der ihm noch verbleibenden Zeit einen Ritter ausbilden.
Ohne Probleme erreichten die drei Ardos Hauptquartier. Der junge Kressenburger Baron, der vom Alter her sein Enkel hätte sein können, kam ihm ebenfalls in Kette gerüstet mit festen Schritten entgegen. Der festgetretene Schnee knirschte unter seinen Stiefeln. Ein Junge und ein Mädchen die mit den typischen Kurzschwertern und Lederwämsern von Knappen gerüstet waren, kümmerten sich sofort um die Pferde der Ankömmlinge. Nach einer kurzen Begrüßung bat Ardo sie in die gute Stube des Hofes, wo sich auch Wulfhart von Keilholtz und Ardos Knappin aufhielten. Zudem gesellten sich noch ein halbes Dutzend von Ardos Rittern. Neben Ritter Eldwin erkannte Gerbald noch den alten Imminger, Junker Braniborian, die Ritter Alwin und Kasimir aus Kieselbronn und Kasimirs junge Knappin Robana, die jüngeren Schwester seines eigenen Knappen. Zugegen war auch ein Geweihter des Praios, welchen Ardo wohlweislich mitgenommen hatte. Auch der Hundsgraber nebst Knappe hatte sich inzwischen eingefunden, nachdem er erst vor wenigen Stunden mit seinen Truppen vor der Stadt eingetroffen war.
Gerbald neigte den Kopf vor dem Geweihten und begrüßte die Gefährten. Dann setzte er sich auf einen Stuhl an einen Tisch, auf dem eine Karte der Umgebung ausgebreitet war und legte die Tasche des gefangenen Botens darauf. Ein weiterer Knappe brachte Krüge mit verdünntem heißen Wein für alle.
„Meine Herren, wir können mit dem Verlauf der Blockade bisher zufrieden sein, denke ich. Soweit ich es beurteile, hat es bisher niemand geschafft aus der Stadt zu entkommen oder in sie hinein zukommen. Diese Depeschen haben meine Reiter heute einem Melder abnehmen können, der sich nach Greifenfurt durchschlagen wollte,“ er wies auf die Tasche und holte die Brief hervor. „Ich habe die Siegel unberührt gelassen, kann mir aber denken, was in den Briefen steht. Der Stadtmeister wird in einseitiger Darstellung von unserer hinterhältigen Belagerung berichten und um Hilfe ersuchen.“ An den Praiosgeweihten gewandt vor er fort: „Euer Gnaden, ihr alle seid meine Zeugen, dass diese Siegel nicht gebrochen waren und ich die Regeln des Krieges gewahrt habe. Auch der junge Melder ist wohlauf und nur mein Gefangener.“ Der Priester nickte knapp und nahm die Briefe an sich.
"Was mich beunruhigt ist, dass sie auf das Vermittlungsangebot seiner Eminenz überhaupt nicht reagiert haben", gab Ardo zu bedenken. "Selbst seine Forderung mit einem Glaubensbruder aus der Stadt zu sprechen blieb unbeantwortet. Ich mache mir größte Sorgen um das Wohl der Geweihtenschaft der Stadt, vor allem wenn man bedenkt, dass der Mob anderswo bereits Geweihte auf den Scheiterhaufen gezerrt hat. Man sollte den Gefangenen dehingehend einmal eingehend befragen."
"In der Tat", stimmte der Praiot dem Kressenburger bedächtig zu um sich sogleich wieder an Gerbald zu wenden. "Euer Hochgeboren, es wäre gut, wenn Ihr mir den Gefangenen nach unserer Besprechung so schnell als möglich zur Befragung vorführen würdet."
Keilholtzer Neuordnung
Firuns kalter Atem
Burg Keilholtz, 17. Firun 1036 BF, Zur Mittagsstunde
Unbarmherzig pfiff der eisige Ostwind um die Zinnen der alten Keilholtzer Stammburg. Der Burghof lag einen halben Schritt tief unter dem Schnee vergraben, während Eiszapfen von ebensolcher Länge an den Mauervorsprüngen hingen. Das Burgtor war schon seit zwei Tagen nicht mehr geöffnet worden und wurde inzwischen durch die Schneewehen von außen besser geschützt, als durch den stabilen steineichernen Balken auf der Innenseite. Einzig das Mannloch war noch begehbar.
Im Torhaus hielt gegen Mittag Marbert, der einzige Knecht auf der Burg, einsame Wacht. Seine Frau Griselda diente der herrschaftlichen Familie als Köchin, Magd und Mädchen für alles und war gerade dabei das Mittagsmahl aufzutischen. Marbert hatte am frühen Morgen eines der Kanninchen geschlachtet und so würde es heute eine recht kräftige Brühe geben. Der Knecht freute sich in Gedanken bereits auf die Reste. Seit der alte Bogumil nicht mehr so recht bei sich war, bleib für ihn und Griselda immer mehr übrig. Die junge Dame aß sowieso wenig und die Kinder waren noch zu klein um als rechte Esser zu zählen, wobei der Junge in letzter Zeit einen guten Appetit zu entwickeln schien.
Ein lautes Pochen riss Marbert aus seinen Tagträumen. Zuerst dachte er an Schwarzpelze und einen Rammbock, doch als sein Herzschlag sich nach dem ersten Schrecken beruhigt hatte, hörte er über den Sturm hinweg ein regelmäßiges vierfaches Klopfen am Mannloch des Burgtores. Der Knecht eilte zum Tor und hörte nun sogar ein undeutliches Rufen. Die Stimme schien menschlich zu sein. Vorsichtig öffnete er den Sichtschlitz am Manntor und sah einen dick verhüllten Mann davor stehen. Mehrere Lagen Unterkleidung quollen fast unter einem leichten Kettenhemd hervor das wiederum mit einem Wappenrock bedeckt war. Darüber war ein schwerer Pelzmantel geworfen den eine behandschuhte Hand mit Mühe vor dem Körper zusammenhielt. Um den Kopf trug er eine Art Tuch, das mehrfach gewickelt war und nur einen schmalen Schlitz für die Augen frei ließ. Zudem hielt der Fremde ein langes Schwert, mit dessen Knauf er beständig auf das Tor einschlug.
"Heda! Was ist Euer Begehr," machte sich Marbert laut rufend über den Wind hinweg bemerkbar.
Der Fremde zuckte kurz zusammen, sah sich dann um woher die Stimme gekommen war und stapfte mühevoll zum Manntor mit dem jetzt geöffneten Sehschlitz. "Main Namä ist Gawain von Mendlicum. Isch bin ain Rittär där Mark und erbittä Ainlass in Travias Namän." Während er sprach steckte der Fremde das Schwert in die Scheide und drängte sich an das Tor um sich so gut es ging vor den Winden zu schützen.
Marbert hatte Schwierigkeiten den Dialekt des Mannes zu verstehen. Auch die Haut die er nun im Gesicht des Mannes erkennen konnte schien ihm unnatürlich dunkel zu sein. Dennoch hatte er Travias Namen geführt und trug den Greifen auf dem Wappenrock. Was sollte er tun? Einem fremdem Gewappneten das Tor zu öffnen hieße den Tod über alle in der Burg zu bringen wenn er böse Absichten hegte. Doch ihn bei diesem Wetter vor dem Tor stehen zu lassen würde bedeuten, dass der Ritter bis zum Abend erfroren war und sein Tod hernach auf Marberts Seele laste. Mit einem götterergebenen Seufzen schob er den schweren Riegel zurück und öffnete die Pforte. "Tretet ein in Travias Namen!"
Schnell zwängte sich der gewappnete durch das kleine Tor und suchte im nächsten Mauerwinkel Schutz, während Marbert die Pforte wieder verriegelte. "Folgt bitte mir, Hoher Herr. Ich bringe Euch zu den Herrschaften. Sie nehmen gerade ihr Mittagsmal ein und für eine nEsser mehr wird es sicherlich reichen." Sie hielten sich an den Wänden der Stallungen und inneren Burgmauer, wo der Schnee nicht gar so hoch aufgetürmt lag und umrundeten so den Hof um zum Eingang des Wohnhauses zu gelangen. Sie erklommen eine steile enge Treppe und einige Augenblicke später fand sich Gawain im Esszimmer wieder.
"Euer Wohlgeboren," beeilte sich Marbert den Gast anzukündigen, "ein Ritter der Mark hat bei uns Zuflucht gesucht Gastung in Travias Namen erbeten."
Gawain beeilte sich den nach der Art seiner Heimat gewickelten Turban vom Kopf zu nehmen, um seine Gastgeber nicht mit seiner Vermummung zu erschrecken. Als er hinter dem Knecht hervortrat sah er am Tisch einen Greis, zu seiner Rechten eine junge Frau und einen Knaben sitzen, während auf einem Fell nahe beim Feuer ein Säugling friedlich in dicke Decken gehüllt schlief. Auf dem Tisch stand ein Topf mit dampfendem Eintopf, aus dem die Magd gerade auf die Teller auftat.
Er sah die teils erwartungsvollen, teils besorgten Blicke, welche ihn trafen und beeilte sich, sich mit einer knappen Verbeugung vorzustellen. "Gawain von Mendlicum, Rittär där Mark, zu Eiren Dienstän." Mit von der Kälte noch steifen Fingern löste er langsam den Schwertgurt und stellte die Waffe neben der Tür an die Wand. "Isch wurdä vom Sturm ieberrascht und habä bei einäm Schnästurz mein Pferd verlorän. Isch erbittä darum Gastung und Untärkunft bis das Wettär sich gebessärt hat und isch ins Tal zuriek kehrän kann."
Die junge Edeldame zuckte kurz zusammen als sie seinen fremdartigen Dialekt vernahm, doch der trübe Blick des alten Junkers Bogumil schien sich kurz aufzuklären. "Gawain? Ein Krieger aus dem Süden? Ich kann mich daran erinnern von Euch gehört zu haben junger Mann. Es heißt der alte Schroffensteiner habe Euch zum Knappen genommen?"
"So ist es, mein Härr. Isch war sein Knappä und är schlug misch vor etwa drei Göttärleufän zum Rittär."
"Ist das schon wieder so lange her? Mir ist es als wäre es gestern gewesen." Der Greis sprach mehr zu sich als zu seinem Gast und schien einige Augenblicke geistig weit weg zu sein. Dann klärte sich sein Blick wieder. "Wie dem auch sei. Willkommen auf Burg Keilholtz Gawain von Mendlicum. Ich bin Bogumil von Keilholtz, Oberhaupt des älteren Hauses unserer Familie und Junker zu Keilholtz. Wenn ich vorstellen darf, dies ist mein Weib Edala, der Knabe dort mein Sohn und Erbe Gumbald." Den Säugling am Kamin bedachte er ebensowenig wie die Magd. "Nehmt nun also Platz und teilt das Mahl mit uns."
"Sehr gernä. Seid bedankt." Der Ritter folgte dem Wink des Alten und ging zu dem Stuhl zu dessen Linken. Als er sich setzte erkannte er mit Erstaunen wie jung die ihm nun gegenübersitzende Gemahlin des Junkers war. Hätte er es nicht besser gewusst, hätte er sie für die Enkelin oder Tochter des Hausherren gehalten. Der alte Junker sprach sodann ein Dankgebet zum Herrn Praios und hernach aßen alle schweigend und mit gesenkten Köpfen. Selbst der kleine Gumbald hielt sich bereits an diese eiserne Disziplin. Gawain warf hin und wieder verstohlene Blicke in die Runde und bemerkte, wie Edala immer wieder kummervoll zu dem Säugling am Kamin hinübersah und als sie bemerkte, dass er sie beobachtete, beschämt die Augen niederschlug. Irgendetwas ging hier vor sich auf das er sich keinen Reim machen konnte.
Das Mahl zog sich mit borongefälligen Schweigen hin und nachdem alle gesättigt waren, befahl Bogumil der Magd schroff abzudecken und dem Gast ein Zimmer zu weisen. Gawain bedankte sich artig und wurde mit dem Hinweis, dass der Junker das Abendmahl im Kreise seiner Familie ungestört zu sich nehmen wolle, entlassen.
Golgaris Schwingen über dem Kamm
Burg Keilholtz, 17. Firun 1036 BF, Zur Mitternachtsstunde
Ritter Gawain hatte sein Abendmahl zusammen mit dem Knecht Marbert und dessen Gattin Griselda in der Küche der Burg zu sich genommen. Marbert erwies sich als ähnlich redselig wie der Fels aus dem die Mauern der Burg gefügt waren, doch seine Frau, die als Magd des mürrischen Junkers oft genug zu schweigen und zu leiden hatte, gab dem gutaussehenden Nebachoten in allem gerne Auskunft. So erfuhr der Gast, dass es um die geistige Gesundheit des Patriarchen nicht wohl bestimmt war. Seit er im letzten Götterlauf auf dem Großen Kabinett zu Grambusch weilte, war er wunderlich geworden und erkannte zu Zeiten nicht einmal seine Frau und seinen Sohn. Seiner Tochter, dem Säugling der bei Mittagsmahl in den Fellen vor dem Kamin gelegen hatte, hatte er noch kein einziges Mal Beachtung geschenkt. Irgendetwas musste im Süden vorgefallen sein, dass dem alten Patriarchen seine Kraft und den Lebensmut geraubt hatte.
Angefüllt mit diesen Geschichten war Gawain dann zu Bett gegangen. Seine Bettstatt war groß genug für zwei und hatte gar einen Himmel. Griselda hatte ihm verraten, dass dies das Traviagemach eines Großneffen des alten Junkers und dessen Frau gewesen war, bevor diese vor einigen Götterläufen bei einem Unfall von der Burgmauer hinab in den Tod gestürzt waren. Die strohgefüllte Matratze war lange nicht mehr ausgetauscht worden und roch leicht nach Schimmel. Decken bekam der Gast dagegen reichlich, wenn die meisten auch von Motten angefressen waren. Insgesamt schienen Gawain die vielen Zimmer der Burg für deutlich mehr Bewohner ausgelegt zu sein, doch standen sie alle verlassen und kalter Wind heulte durch manch leeres Fenster. Mit dem beunruhigenden Gedanken an die Geister der Toten schlief der Nebachote schließlich irgendwann ein.
Ein spitzer Schrei ließ Gawain aus seinem unruhigen Schlaf aufschrecken. Hastig sprang er in seine Stiefel. Einen Moment suchte er nach seinem Hemd, doch dann schnappte Gawain sich nur sein Schwert und stürmte mit freiem Oberkörper aus dem kalten Zimmer auf den eisigen Flur. In dem dunklen Gang stieß er beinahe mit Marbert zusammen, der aus der Küche kommend zum Palas hinübereilte.
"Hoher Herr? Kommt schnell! Es kam aus den Gemächern der Herrschaften!" Atemlos hechtete der Knecht weiter. "Geben die Götter...das keine Harpyien...eingefallen sind." Keine Minute später waren sie an der schweren Eichentür angelangt hinter dem sich das Schlafgemach des Junkers befand. Die Tür war verriegelt und außer dem Wimmern eines Kindes war kein Laut zu hören.
"Euär Wohlgeborän? Ist alläs in Ordnung?" Gawain schlug kräftig mit der Faust gegen die Tür und rüttelte an der Klinke. "Euär Wohlgeborän!" Die Augenblicke verstrichen und im Inneren des Zimmers schien sich nichts zu rühren. Der Nebachote wollte gerade anfangen dem harten Holz mit seinem Schwert zu Leibe zu rücken, als der Riegel deutlich hörbar fortgeschoben wurde und die Tür nach innen aufschwang.
"Tretet ein." Edala sprach leise, ohne dabei zu flüstern. Sie war im dünnen Nachgewand und hatte sich ein großes Fell gegen die Kälte über die Schultern geworfen. An ihren Beinen klammerte sich der kleine Gumbald, offensichtlich sehr verstört, und schluchzte leise vor sich hin.
"Was ist dänn passiert." Gawain sah sich im Raum um. Zwei kleine Öllämpchen waren alles was den Raum im Moment beleuchtete und so dauerte es einen Moment, bis er die reglose Gestalt des Junkers zwischen den Fellen auf dem Bett entdeckte.
"Golgari ist gekommen und wieder gegangen und hat die Seele meines Gemahl mit sich genommen." Die Stimme der jungen Frau klang sehr gefasst, fast unterkühlt. "Marbert, sei so gut und hole Griselda. Die Kinder sollen den Rest der Nacht bei euch in der Küche schlafen. Danach wirst du deinem Herren einen letzten Dienst erweisen und ihn hinunter in die Gewölbe bringen. Dort wird sein Körper ruhen bis Herr Firun den Boronsanger wieder aus seinem eisigen Griff entlässt und wir ihn angemessen begraben können. Ritter Gawain," wand sie sich an den noch immer mit gezogenem Schwerte erstarrten Nebachoten zu, "bitte habt die Güte und geht Marbert zur Hand. Mein Gemahl nahm euch in Travias Namen in seiner Halle auf, nun seid ihm bitte in Borons Namen zu Diensten."
"Natierlich Hohä Damä." Der Ritter der Mark steckte eilig das Schwert weg und ging zum Bett hinüber, während der Knecht eilig die Treppen wieder hinunter lief um seine Frau zu holen. Der Junker lag mit weit aufgerissenen Augen da, das Gesicht erstarrt zu einer Grimasse des Schmerzes. "Was ist dänn ieberhaupt passiert?"
"Der Schlag hat ihn getroffen wie mir scheint." Wieder war Edalas Stimme sachlich und kühl. "Er war nicht mehr jung und in den letzten Monden hat sein Geist ihn mehr und mehr verlassen. So gesehen war es wahrhaft gnädig vom Herrn Boron ihn nun zu sich zu holen." Vorsichtig löste sie sich aus dem ängstlichen Griff ihres Sohnes und ging zu einer schweren alten Wäschetruhe neben dem Bett. Sie wuchtete den massigen Deckel hoch und holte nach wenigen Augenblicken ein großes Laken hervor. Als sie zu Gawain aufblickte, der noch immer halbnackt in dem kalten Zimmer stand und wartete, zögerte sie nur kurz und griff dann ein weiteres Mal in die Truhe. „Ritter Gawain, bitte nehmt dies hier.“ In ihrer Stimme schwang ein Hauch fürsorglicher Wärme mit. „Die Herrin Travia wird es nicht gerne sehen, wenn ich meinen Gast erfrieren lasse.“ Mit diesen Worten reichte sie dem Nebachoten einen schweren Fellmantel, dem man auf den ersten Blick ansah, dass er zwar mit wenig handwirklichem Geschick, dafür aber umso gewissenhafter genäht worden war.
„Seid bedankt, Euär Wohlgeborän.“ Gawain war nicht entgangen, dass die neue Herrin der Burg soeben sein Gastrecht erneuert hatte. Sie würde ihn also nicht postwendend zurück in den Schnee schicken, was ihn sehr erleichterte.
Edala breitet das Tuch sorgfältig neben ihrem toten Gemahl und bedeutete dem Ritter dann, den noch warmen Leichnam darauf zu rollen. Die fiel Gawain trotz der störenden Felle recht leicht, da der Junker in den letzten Monden zunehmender geistiger Umnachtung rapide abgemagert war. Gerade als sie die Decke über Bogumil zugeschlagen hatten, kam Marbert mit seiner Frau zurück. Die Magd ging sogleich zu dem verängstigt Gumbald, der noch immer wimmernd in einer Ecke am Kamin stand.
„Griselda, bring Gumbald in die Küche. Sorge dafür, dass der Junge noch etwas isst und dann bleibe im Schlaf bei ihm. Ich nehme Arwen mit hinunter.“ Die Magd zögerte keinen Moment der mit harter Stimme gegebenen Anweisung zu folgen und Gumbald ging mit verstörtem Blick aber ohne Widerwillen mit ihr. „Marbert, wir sind soweit. Der Junker kann hinunter ins Gewölbe. Ritter Gawain wird dir dabei behilflich sein. Edler Herr“, wand sie sich an den Letztgenannten. Ihr Befehlston verschwand und ihre eben noch harten Züge wurden vor kaum verhohlener Sorge deutlich weicher. „Ich würde es begrüßen, wenn Ihr den Rest des Winters auf Burg Keilholtz bleiben würdet. Marbert ist kein Krieger und wie ihr seht, sind hier sonst nur noch zwei schwache Weiber und zwei kleine Kinder, die weder sich noch die Mauern gegen Schwarzpelze oder anderes Getier verteidigen können. Im Frühjahr werde ich wohl beim Baron um ein paar Soldaten bitten müssen, doch bis dahin wäre Euer starker Schwertarm mehr als willkommen. Bitte denkt darüber nach und sagt mir morgen wie Ihr Euch entschieden habt.“
Nach diesen Worten ging sie zur Wiege und hob das schlafende Mädchen mitsamt seiner Decken und Felle heraus. Sie drückte das kleine Bündel behutsam an sich und schritt nach einem letzten ausdruckslosen Blick auf den eingewickelten Leichnam des Junkers zur Tür hinaus.
DEUS VULT
Ein Tempel für Answin
Baron zu Kressenburg
Praios zum Gruße!
Die Ereignisse der letzten Monde haben Uns dazu bewogen, erneut über Euer Gesuch nach finanzieller Unterstützung zu entscheiden. Wie in Unserem ersten Bescheid beschrieben, sind die Pflichten der Praios-Kirche vielfältig und eine jede bedarf sorgfältiger und fortlaufender Überprüfung um die Belastungen für die Kirche in einem tragbaren Rahmen zu halten.
Uns stets gegenwärtig ist jedoch auch der Wille des Götterfürsten. Die Ereignisse in Gareth und die Rückkehr des Ewigen Lichts lassen keine Zweifel mehr daran, welchen Weg der Herr Praios für seine derischen Diener vorgesehen hat. Sein Wort zu verkünden und von Seiner Macht zu zeugen soll Unser oberstes Gebot sein.
Aus diesem Grund werden Wir Euch großzügigerweise im selben Maße unterstützen, wie es Euch die Markgräfin bereits von Seiten der Mark zugesichert hat. Seid gemahnt, dass wir Uns des zügigen Fortschritt stets versichern werden und weder Verzögerung noch Schlendrian an diesem Praios gefälligen Bau dulden werden.
Da Ihr bereits mit Eurem Vorhaben des Neubaus Eure Praios gefällige Gesinnung bewiesen habt, wollen Wir Euch ein weiteres Anliegen des Götterfürsten ans Herz legen. Praios' Wunsch ist es, dass dem Heiligen Answin in den zwölfgöttlichen Landen eine größere Verehrung zuteil werde, damit ein jeder die wahre Größe des in weiten Teilen des Reiches noch immer als Reichsverräter verleumdeten Heiligen erkenne. Aus diesem Grunde werden Wir dem neuen Tempel in Kressenburg eine Reliquie des Heiligen Answin stiften und möchten diese in dem Bau entsprechend gewürdigt wissen.
Die Zwölfe mit Euch, Praios voran!
Seine Ehrwürden
Sertiser Sonnenstände
Abendmahl
Die junge Praios-Geweihte und ihre Begleiter, der Bannstrahler und der junge Breitenhainer Ritter, wurden von Burgvogt Reo Rondriol vom Wirsel auf der Pfalz Breitenhain empfangen. Wortreich entschuldigte sich der Kastellan für die Abwesenheit des Pfalzgrafen, sei dieser doch zur Grafenkrönung seines Anverwandten nach Hartsteen unterwegs. Auf einen Wink hin eilte der Stallknecht herbei und nahm die Pferde der Neuankömmlinge in Empfang.
"Wenn Ihr gestattet Euer Gnaden, so werde ich Euch sogleich das beste Zimmer der Burg herrichten lassen und Euch einen persönlichen Diener zuweisen. Verzeiht wenn Ihr mich in unangemessener Eile seht, doch ich habe ein dringendes Hilfegesuch aus Baronie Linara erhalten, welches ich im Namen seiner Hochwohlgeboren noch heute beantworten muss."
"Was hat es denn damit auf sich?" Neugierig und ein wenig misstrauisch forschte die Greifenfurterin sogleich nach.
"Oh, nur eine unbedeutende Kleinigkeit Euer Gnaden. Die Baronin von Linara ist letzte Woche bei einem Turnier schwer gestürzt. Ihr treuer Vasall Junker Irberod hat derweil die Geschäfte übernommen und hat sogleich einige verdächtige Gestalten aufgegriffen, die er der Hexerei und der Schwarzen Magie verdächtigt."
"Und das nennt Ihr eine Kleinigkeit?" Praiodanes Stimme klang in ehrlichem Zorn laut über den Burghof. "Warum wendet sich der Junker an den Pfalzgrafen? Gibt es in Linara denn keinen Vertreter des Götterfürsten der sich der Sache annehmen kann?"
"Ich fürchte nein, Euer Gnaden," sagte Wirsel kleinlaut. "Die Baronin herrscht nun seit gut zweieinhalb Jahrzehnten über ihre Lande doch ein von Praios gesegnetes Bauwerk werdet ihr dort nicht finden." Leise raunte der Kastellan der Geweihten zu. "Sie ist eine Halbelfe müsst Ihr wissen, die von Kaiser Hal dort eingesetzt wurde."
"So, so, eine Halbelfe also sagt Ihr," wiederholte Praiodane laut. "Das erklärt natürlich die Zustände die Ihr beschreibt."
Wirsel zuckte kurz zusammen und blickte unsicher über den Burghof. "Ja, so ist es Euer Gnaden. Und weil der werte Herr Junker meinen Herren als praiosfürchtigen Mann kennt und schätzt, hat er ihn um Hilfe gebeten."
Die Greifenfurter Geweihte überlegte kurz und fällte dann eine schnelle Entscheidung. "Da seine Hochwohlgeboren noch eine zeit auf Reisen ist, kann ich hier vor Ort sowieso nichts ausrichten. Schreibt Junker Irberod, dass ich persönlich nach Linara kommen werde um über die Verdächtigen Gericht zu halten. Sendet den Boten noch heute. Wir haben eine lange Reise hinter uns und werden eine Nacht ruhen bevor wir morgen in aller Frühe aufbrechen."
"Sehr wohl Euer Gnaden. ich werde es genauso einrichten wie Ihr es wünscht." Artig machte Wirsel einen Diener. "Wenn Ihr mir dann bitte nach drinnen folgen wollt? Das Abendessen wird in etwa einem Stundenglas serviert werden."
Die Blaue Sau
Kressenburger Aufruf zur Jagd
Baron Ardo läd seine Freunde zu einer Jagdgesellschaft in den Kressenburger Forst.
Rückkehr eines Barons
Ein verschollen geglaubter Adliger kehrt aus den Tiefen des Reichsforstes zurück.
Wiederaufnahme der Geschäfte
Stänkereien
Stänkereien auf Burg Gnitzenkuhl
Baronie Gnitzenkuhl, Ingerimm 1035 BF
Teil 1
Fassungslos starrte Geshla auf das Missgeschick, das sich soeben ereignet hatte. Sie war an einen der Eimer gestoßen, in dem die Windeln zuerst in Wasser eingeweicht wurden bevor man sie auskochte. Entsetzt starrte sie auf die teuren Schuhe, auf denen sich langsam ein unfeiner Fleck ausbreitete, unfähig auch nur ein Wort zu sagen.
„Bitte sagt nicht, dass dies nun auch wieder meine Schuld sei Hochgeboren!“ kam trocken von ihrem Gegenüber, die gerade dabei war ihre zweitgeborene Tochter zu betten. „Ich war wirklich nicht vorbereitet, dass Ihr Euch zu so später Stunde in unsere Räume gesellen möchtet. Und natürlich riecht es hier streng, wenn wir gerade damit beschäftigt sind…“
Energisch hob die Baronin zu Gnitzenkuhl ihre Hand, und gebot damit Stille. Erstaunlicher Weise verstummte dabei sogar der einjährige Greifwart, der soeben von seiner Amme frisch gemacht worden war und lautstark dagegen protestiert hatte, war es doch empfindlich kalt. Doch nun erwartete er von der dunkelhaarigen Frau wohl eines der Spiele, die Unswin, sein Vater, sonst mit ihm trieb.
„So kann das hier nicht weiter gehen!“ presste die Baronin hinter vorgehaltenem Spitzentuch hervor, was Greifwart zum Glucksen brachte, hielt er es doch für eine neue Variante des „Guckucks- DA“ Spieles seines Vaters und grinste erwartungsvoll Geshla von Gnitzenkuhl an. Seine Amme musste sich ein Schmunzeln verkneifen.
Leomara von Keilholtz, die erste Ritterin am Hofe brachte nur ein müdes „Ganz wie ihr meint!“ hervor und hoffte, dass man ihr endlich ihre Ruhe ließ. Erst dieses früh morgendliche Malheur mit der zerstörten Vase Olmergas von Gnitzenkuhls. Greifi konnte wirklich nichts dafür, dieser Tisch war einfach schon in die Jahre gekommen und hatte dem Ansturm des Jungen nichts entgegen zu setzen gehabt. Da war die Vase eben polternd zu Bruch gegangen. Angeblich ein Geschenk Olmergas an Geshla. Häßlich war sie trotzdem- die Vase! Dann hatte sie für die Landwehr die Waffenkammern inspiziert und eine Inventur mit dem Waffenmeister erstellt, sowie gemeinsam mit dem Vogt besprochen wie man vorzugehen gedachte, beim Erfassen der Wehrfähigen. Die Schulzen und ansässigen Adligen würden dabei eine Rolle spielen und bald hier vorstellig werden müssen. Immer, wenn sie sich mit dem Gemahl ihrer Mutter auseinander setzen musste, war es anstrengend. Doch seine Sachlichkeit führte allmählich dazu, dass sie einfach zusehends vergaß, dass er einmal eine Rolle in ihrem Leben gespielt hatte. Jetzt noch dieser unangemeldete Besuch in Räumen, die kaum für eine Familie ausreichten.
„Ich gedenke am morgigen Abend mit Hochwürden Travidan von Firunslicht, Hochwürden von Wasserburg sowie einigen Adligen, dem Vogt und Eurer Frau Mutter zu speisen. Wir haben uns lange nicht gesehen.“ Leomara nickte desinteressiert, waren ihr diese Verpflichtungen einer Baronin doch meist eher notwendiges Übel, denn eine Freude. „Ich erwarte Euch nebst Unswin ebenfalls!“
„A…!“ Leomaras Widerrede blieb ihr im Halse stecken, als sie in Geshlas Miene blickte. Darin stand zu lesen, dass es keine Einladung, sondern ein Befehl gewesen war. Nach einem Moment der Stille kam ein gepresstes „Sehr wohl!“ aus ihrem Munde. Die Baronin nickte nur kurz und entfernte sich dann schleunigst. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, erhob sich sogleich wieder enttäuschtes Gebrüll, war doch der kleine Keilholtzer um sein neckisches Spiel gebracht worden und forderte es nun lautstark ein.
Teil 2
Torandir von Darben-Dürsten stand hoch aufgeschossen hinter seiner Schwertmutter und hatte bereits Leomara von Keilholtz sowie deren Gemahl Unswin bedient, da Chaantrea am heutigen Abend frei hatte. Nun blieb ihm die Zeit in aller Ruhe den Blick schweifen zu lassen. Es war eine Weile her, dass die Tafel in Geshlas Burg derart gefüllt gewesen war. Wie immer war der alte Oblodor von Mistelstein mit seiner Gemahlin für ihn ein Ereignis der besonderen Art. Er kannte sonst keinen, dessen Temperament mit dem seiner Schwertmutter mit halten konnte. Allerdings bedauerte er sehr, dass Hochwürden von Wasserburg nicht zugegen war. Seine übertriebene Fürsorge gegenüber der Baronin wirkte bisweilen derart belustigend auf ihn, dass er sich auf den Abend mit dem Tempelvorsteher des hiesigen Praiostempels gefreut hatte. Doch jener hatte sich bereits am Nachmittag durch seinen Novizen wegen Unpässlichkeit entschuldigen lassen. Als die Baronin dies kundt getan hatte, war vom Mistelsteiner so etwas wie „…aus der Ferne glänzt sie am meisten!“ zu hören gewesen. Zu schade aber auch!
Hamardan von Rotfurt hatte man leider ans andere Ende der Tafel gesetzt, wo er neben Wohlgeboren Ginaya von Alxertis kaum Schaden anrichten konnte. Die beiden kannten sich scheinbar gut, zumindest wirkte ihr Gespräch recht vertraut und wortreich. Ganz anders Derendan von Zillingen, der als Vertreter seiner Familie zugegen war, und mit seinem Nachbarn aus der Familie Bergstamm jediglich ein paar wenige Worte zur Begrüßung gewechselt hatte.
Während der Knappe so schaute, fiel sein Blick auf das noch wenig vertraute Gesicht eines jungen Knaben- der Novize des neu erbauten Travia Tempels. Konzentriert hatte dieser den noch vollen Krug zwischen seinem Tempelvorsteher Travidan von Firunslicht-Oppstein und der Herrin Palinai von Isenbrunn hindurch bugsiert, in Richtung des Kelches. Doch dann begann seine Hand auch schon zu zittern. Ob der Krug zu schwer, oder der Bursche zu aufgeregt war, beides war möglich dachte Torandir so bei sich. Jaja, aller Anfang war schwer. Wenn sie entlassen wurden, weil die Herrschaften alleine sein wollten, würde er sicher Gelegenheit haben den Knaben einmal näher kennen zu lernen. Über seine Familie wusste er nichts. Wie sein Alltag wohl im Vergleich zu dem eines Knappen aussah? Seine schier zügellose Neugier begann sich zu regen, und so wartete er ungeduldig die Zeit ab, zu der man sie entlassen würde.
Teil 3
„…darum möchte ich am heutigen Abend, nachdem wir ein so gedeihliches Beisammensein verleben durften, verkünden, dass ich mich entschlossen habe, meiner ersten Ritterin Leomara von Keilholtz für ihre herausragenden Dienste um die Belange in Gnitzenkuhl - ich erinnere hierbei nur um den wagemutigen Einsatz bei dem Kampf wider das sogenannte Untier am Darpat - ein Rittergut als Lehen zu überlassen.“
Gut gelaunt, und scheinbar gänzlich unempfänglich für das frostige Schweigen von Seiten ihres Vogtes, lächelte die Baronin in die Runde und erhob ihren Kelch in Richtung der soeben ernannten nun lehnspflichtigen Leomara von Keilholtz. Travidan kam ihr sogleich nach, konnte er es doch nur gut heißen, dass die junge Familie endlich ein eigenes Heim bekommen würde. Die Baronin war eben eine wirklich götterfürchtige Frau. Der Ruf, der ihr im hiesigen Raum nachgesagt wurde war völlig haltlos. Oblodor grunzte ein „..das hat se verdient, bei Rondra!“, während sein Sohn Anshelm von Mistelstein Leomara über die Tafel hinweg nur zuzwinkerte.
Unsicher, was Geshla damit im Schilde führte, räusperte sich die Rittfrau kurz, bevor auch sie überrascht lächelnd den Kelch erhob. Ihre Frau Mutter, Palinai von Isenbrunn, hatte noch vor ihr sogleich strahlend den Kelch erhoben und lächelte, als hätte man ihr persönlich den Dank ausgesprochen.
‚Von welchem Lehen spricht sie bloss?‘ grübelte die Rittfrau in Gedanken weiter. ‚Stadtritter vielleicht? Welches Gemäuer wollte sie mir damit nur zukommen lassen? Innerhalb der Stadt gab es keine Gebäude welche aufgrund mangelnder Erben wieder in Geshlas Besitz gefallen wären. Auch habe ich seit dem Bau des Travia Tempels kein Wort davon gehört, dass Aurentian von Feenwasser weitere Aufträge erhalten soll…!‘
„Auf die Hohe Dame Leomara, möge das Rittergut Mittstätten von nun an ihr, und ihrer Familie ein neues Zuhause sein, so wie es uns Travia gebietet.“ Kam dann schließlich von Seiten Geshlas, die zu diesem Augenblick die Aufmerksamkeit aller auf sich wusste. Überrascht riss Leomara die Augen auf. ‚Das Erbe der Familie der Roten Hand. Diese Schlange…!‘
Kurz herrschte Schweigen, und alle Ortskundigen bis auf Geshla blickten aus unterschiedlichsten Gründen auf den Tisch, bis Palinai in die Stille hinein sprach was vermutlich einige dachten: „Aber Hochgeboren, ihr wisst doch so gut wie jeder hier in der Gegend, dass man sich sagt, dass die Geister der Alten nicht ruhen, und das Gemäuer noch immer heim suchen! Nicht umsonst steht es seit… damals leer.“
Kühl musterte Geshla die in die Jahre gekommene Frau, und ehemalige Geliebte ihres Vaters, des Barons Seraminor von Gnitzenkuhl. Was nur hatte er an dieser blassen, farblosen Frau gefunden? Sie konnte nicht aus Ihrer Haut heraus. Nie würde sie Freundlichkeit für diese Person aufbringen können, derentwegen so viel Unheil entstanden war. Ihre besten Jahre waren vorüber, verblüht wie eine Primel, oder am falschen Platze um weiter zu gedeihen.
„Uuuund? Wer, wenn nicht Eure rondragefällige Tochter, nebst ihrem wackeren Gatten, seines Zeichens Mitglied im Orden des Zorns, sollten es schaffen diese dummen Gerüchte zu zerstreuen. Wäre an dem Gemäuer wirklich etwas götterlästerliches, so hätte das zweifellos Hochwürden von Wasserburg ausgemerzt. Oder zweifelt ihr etwa an …?“
„Sicher nicht Hochgeboren!“ Fiel ihr Leomara da ins Wort und funkelte streitlustig ihre Mutter an. „Wir sind wirklich außerordentlich erfreut, geradezu sprachlos, ob dieser Großzügigkeit Eurerseits.“ Leomara hatte sich wieder gefangen, und war sich sicher, dass egal was dieses Gemäuer für Geheimnisse barg, kaum Grund sein konnte, das Lehen auszuschlagen! Sie schubste Unswin an, damit auch jener seinen Dank bekunden konnte…
Das schwer vernarbte Gesicht des Ordensritters zeigte ein Lächeln, dass je nach Blickwinkel süffisant, freundig oder nachsichtig wirken konnte, und wohl in diesem Moment tatsächlich eine Mischung all dieser Facetten war. Bedächtig griff der junge Mann mit der Linken zu seinem Kelch, erhob sich und strich dabei mit der Rechten sein Wams zu recht. Dann hob er das Glas mit ernstem Blick in Richtung der Baronin.
"Euer Hochgeboren! Frau Travia wünscht von uns Mildtätigkeit und Gastfreundschaft. Ich bin in Eurem Hause häufig Gast gewesen. Ihr habt Euch mir, meinem Orden und nicht zuletzt meiner Familie so freigiebig gezeigt, wie man es sich nur wünschen kann. Nun gebt Ihr meiner Familie ein eigen Heim, einen Platz zum Leben und zum Wachsen. Dafür gebürt Euch Travias Dank." Er machte eine Pause und die Baronin setzte gerade ein strahlendes Lächeln auf, im Begriff dem Ritter zu antworten, als Unswin mit ruhiger Stimme fortfuhr. "Herr Praios fordert von uns aber auch Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit. Deshalb kann ich nicht verhehlen, dass ich ob des schlechten Leumunds des Gemäuers in Sorge bin, dessen Herrin meine Frau nun ist und das meine Kinder zukünftig beherbergen wird. Auch ist mir Euer wachsender Unmut über die derzeitige Situation in Eurer Burg bewusst, der mich zuletzt fürchten ließ Eure Gastfreundschaft über die Gebühr beansprucht zu haben." Das Lächeln Geshlas schmolz sichtbar dahin, doch Unswin hatte noch immer nicht geendet. Er spürte wie Leomara neben ihm unruhig auf dem Stuhl herumrutschte und legte ihr die freie Hand auf die Schulter. "Frau Rondra verlangt zudem von uns sich den Aufgaben aufrecht und mutig zu stellen die Dere für uns bereit hält. Ich werde meine Frau also mit Freuden und nach Kräften dabei unterstützen, sich den Herausforderungen zu stellen die dieses Lehen mit sich bringt. Ganz so wie Ihr es gesagt habt." Unswin führte seine Rechte nun zum Herzen während er in seiner Rede zum Ende kam. "Nicht zuletzt aber will ich meiner Freude Ausdruck verleihen, dass Ihr, Euer Hochgeboren, meine Frau als würdig befunden habt dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Denn dieses Lehen bedeutet nicht nur Heim und Herd für unsere Familie, sondern auch Verantwortung. Den Menschen gegenüber deren Herrin Leomara von nun ab sein wird, aber auch Euch gegenüber, der sie fortan nicht nur Waffentreue sondern auch Rechenschaft schuldet. Ich entbiete euch daher meinen aufrichtigen, von Herzen kommenden, Dank." Unswin hob sein Glas noch ein Stück höher, nahm einen Schluck des köstlichen Weines und setzte sich dann zufrieden wieder auf seinen Platz.
Nervös nahm Leomara einige tiefe Schlucke. Das war knapp, doch er hatte noch den rechten Ton getroffen wie sie unschwer an Geshlas Miene sehen konnte. Sie griff nach seiner Hand und sah ihn liebevoll an. Unswin erwiderte den Blick, legte dann die Hand auf ihren Bauch und küsste sie zärtlich auf die Stirn, was ihm einen säuerlichen Blick seines Schwiegervaters einbrachte. Seit er den Rahjabund mit seiner Frau geschlossen hatte, beugte der Ordensritter die Regeln der Etikette gerne einmal, was die körperliche Nähe zueinander in Gesellschaft anging.
"...nachdem wir das also geklärt haben, die Formalitäten werden wir wann anders erledigen, würde ich sagen, dass wir nun hinüber gehen ins Kaminzimmer!"
Teil 4
Auf dem Weg dorthin sprach sie jemand von hinten an. Es handelte sich um den Führer der hiesigen Nebachoten, Hamardan von Rotfurt.
"Mögäh Rondrra waita eurer baida Schwärrtarm führen! Isch bin froh, dass nun ändlich ainä starke Hand wieder das Sagen übernähmen wird in Midstätten. Es wird ja auch Sait, nicht wahr! Oirä Tochter wird sicher ebenfalls eine wackere Streiterin werden." Bei diesen Worten schaute er allerdings vor allem Unswin und nicht Leomara an.
Der Ritter war von der ungewohnten Aufmerksamkeit einen Moment überrascht, ergriff dann aber das Wort, als Hamardans Blick auf ihm hängen blieb. "Kor mit Euch, Mar'olum han Rohd'far." Unswin führte zum Gruß die rechte Faust an seine Brust und sah dem einen halben Kopf größeren Nebachoten fest in die Augen. In den Götterläufen die er nun schon zwischen den Nebachoten Perricums zugebracht hatte, hatte er gelernt dieses kämpferische Volk zu respektieren und bemühte sich ihren Sitten zu entsprechen wenn er mit ihnen verkehrte. Lediglich mit diesem unsäglichen Kelsensteiner aus Wasserburg, der seiner Meinung nach mehr Ferkina als Nebachote war, hatte der Ordensritter bisher nicht warm werden können. "Ich danke Euch für Eure Worte. Wenn die Kleine später einmal so kämpft wie sie diese Nächte über schreit, dann wird sie dereinst wohl als große Kriegerin gelten." Er verzog bei diesem Gedanken amüsiert das Gesicht, was seine Narben beunruhigend in Bewegung brachte. "Doch was die Zukunft für uns bereit hält wissen allein die Götter. Diese plötzliche Belehnung zum Beispiel ist nicht unbedingt das Naheliegendste womit wir gerechnet hätten. Ich denke wir werden eine gewisse Zeit brauchen um in Mittstätten alles herzurichten bevor wir endgültig übersiedeln können. Zumal Ihro Hochgeboren keine Eile mit dem Lehnseid zu haben scheint." Fragend sah der Ritter zu Leomara um zu erfahren, was diese wohl zu dem Verlauf der Dinge zu sagen hatte.
Die ignorierte aber einfach den Blick ihres Gemahls, funkelte statt dessen aber Hamardan an, der nun endlich auch die Güte hatte ihr einen Blick zu schenken.
"So, EINE starke Hand wird Mittstätten bald führen." Sie lächelte den imposanten Mann keineswegs schüchtern an. Ihr stand momentan zwar nicht der Sinn nach Streit, aber wenn er sie, oder Unswin schon mit den ohnehin nicht ernst gemeinten Worten behelligte, würde sie sicher nicht dazu schweigen.
"Schön, dass ihr erkannt habt, dass wir beide eine Einheit bilden." Verwundert musste sie fest stellen, wie sich ein Lächeln in des Mannes Züge schlich, der bislang kaum ein freundliches Wort für sie übrig gehabt hatte. Er blickte ihr geradewegs in die Augen und senkte auch nicht beim weiter sprechen den Blick.
"Nachbarschafltliche Bande sind in den jetzigen Zeiten wichtig zu pflegen- einerlei ob es sich nun um das Nachbargut handelt, oder um eines im Raschtullswall..." er legte hier eine kleine Pause ein und trank einen Schluck aus dem Kelch, den er noch immer mit sich führte. "...darum hoffe ich, dass wir unsere kleingeistigen Dispute der Vergangenheit überlassen und statt dessen im Hier und Jetzt leben. Feinde bedrohen unsere Heimat, ist es da nicht Zeit gewissen Unstimmigkeiten zu vergessen?"
"Das ist ein Gedanke den ich nur gutheißen kann", ergriff Unswin wieder das Wort. "Die zwölfgöttliche Gemeinschaft beschäftigt sich schon viel zu lange mit den Streitereien untereinander, im Kleinen wie im Großen. Unser Widerstand gegen unsere wahren Feinde wird dadurch geschwächt, brauchen wir doch Einigkeit um erfolgreich gegen ihre verderbte Macht zu bestehen." Wieder blickte er seine Frau an. Er wusste um ihre Vorbehalte und ihre offene Art mit Streitereien umzugehen. Hier und jetzt bot sich aber eine Gelegenheit zur Versöhnung mit einem nebachotischen Nachbarn, eine der ersten Aufgaben die ihm vom Orden damals mit auf den Weg nach Perricum mitgegeben worden waren. "Du weißt, ich war nie ein Freund der Nebachoten, Leomara, und ich bin mir sicher, dass wir die Aufgaben in Mittstätten allein lösen können. Doch wir haben ohnedies genug Feinde denen wir uns zu stellen haben. Niemand verlangt herzliche Freundschaft, doch ein vernünftiges Miteinander kann uns alle nur stärker machen." Der Ordensritter wusste, dass er seiner Frau nur einen Rat geben konnte. Es war ihr Lehen, Perricum ihre Heimat, wo er nach nur wenigen Götterläufen für viele noch immer ein Fremder war. Er würde ihre Entscheidung in dieser Sache bedingungslos akzeptieren, doch hoffte er, dass seine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen waren.
Haltung bewahren! Nur keine Miene verziehen... Die Gedanken der Rittfrau überschlugen sich fast. Was im Namen der Götter wusste dieser Fuchs? Oder wusste er nichts und der Vergleich mit dem Gut im Raschtulswall war ein Zufall? Warum sprach er Unswin ausgerechnet auf Yppolita an? Warum nicht auf den Erstgeborenen, der traditionell mehr Gewicht hatte? Ihr wurde ganz übel beim Gedanken daran, dass Marnions Bote unter Umständen bei Hamardan genächtigt haben mochte, und das Schriftstück...! Aber nein, es war doch gesiegelt gewesen, und das Siegel ungebrochen. Um Zeit zu gewinnen täuschte sie einen Husten vor, der ihr ein wenig Zeit verschaffte ihre Fassung wieder zu finden, zumindest nach aussen hin.
"Sicher, ich werde alle unsere Nachbarn mit gleichem Maß messen, oder", sie setzte ein Lächeln auf, "...vielmehr die gleiche Aufmerksamkeit zuteil werden lassen. Als erste Ritterin der Baronin war ich es, die ihren Willen nach draußen trug, und damit ihr Sprachrohr. Diese Aufgabe wird vermutlich nun jemand anders übernehmen." Sollte er glauben, sie würde sich erpressen lassen, hatte er sich mächtig getäuscht. Geshla würde an ihrer Meinung fest halten, die sie zu den Nebachoten hatte. "Doch ich denke, dieser Abend sollte allen Adligen aus Gnitzenkuhl zeigen, dass Hochgeboren die Bedrohung ernst nimmt, und sich nun zuallererst den Aufgaben stellt, die wichtig sind um dem Feind zu trotzen und ihn zu besiegen."
Der passionierte Pferdezüchter nickte nur kurz zustimmend Leomara zu, ehe er dann zu Unswin gewandt sprach: "Wohl gesprochen. Ein gelungener Abend, und es freut mich ausserordentlich zu hören, dass ihr erkennt, dass Perricum mit seinem bunten Bild an Völkern und Meinungen erhalten werden muss, und nicht eine der Sichtweisen die allein Rechte ist! Wenn ihr mich nun entschuldigt?"
Unswin ließ dem Nebachoten mit einem höflichen Nicken den Vortritt. So recht wusste er Harmardan und sein Verhalten nicht einzuordnen, aber die für Feinheiten der Gesellschaft, seien es die der Nebachoten oder die der Raulschen, hatte er nie viel Sinn gehabt. Im Grunde hatten sie nur einige belanglose Nettigkeiten ausgetauscht. Das Einzige was er sich davon erhoffte war ein entspanntes Verhältnis mit den zukünftigen Nachbarn, damit er und seine Frau sich den wichtigen Dingen widmen konnten ohne in kleinliche Streitereien verwickelt zu werden. Mit einem Blick auf Leomara erkannte er im von Kerzen erhellten Halbdunkel, dass ihr einige Schweißperlen auf der Stirn standen obgleich es an diesem Abend weder zu warm noch zu schwül war. Sofort gewann seine Besornis wieder die Oberhand.
"Ist dir nicht wohl mein Herz? Soll ich uns bei Geshla entschuldigen? Die Gesellschaft ist ja groß genug, da wird sie es sicherlich verschmerzen können, wenn wir den Abend etwas früher ausklingen lassen."
"Danke, ... es geht schon. Diese unerwartete Neuigkeit will erst einmal verdaut werden." Deutlich leiser fügte sie hinzu: "...und glaube nicht, dass es ein Leichtes wird das Gut wieder zu alter Blüte zu führen! Man sagt sich sogar die Böden wären verdorben von der Brut die dort hauste!" Entschlossen blickte sie aber in Richtung ihrer Frau Mutter, die unterdessen ein paar Worte mit dem jungen Tempelvorsteher der Travia wechselte, derweil der Medicus und Alchemist Geshlas mit weingeschwängertem Blick unverholen der Zofe Fiorella nachstierte. "Aber ich bin aus anderen Holz geschnitzt als meine verzagte Frau Mutter. Wir werden das schon schaffen, wenn auch" sie blickte hinab auf den leicht gewölbten Bauch, "die Zeit etwas ungünstig ist um in ein marodes Gemäuer zu ziehen. Ich hoffe ja, dass uns ein wenig Unterstützung zuteil wird beim Umzug."
"Geshla wird uns sicherlich nicht gleich vor die Tür setzen", versuchte Unswin sie zu beruhigen, "zumal der Lehnseid formal noch gar nicht geleistet wurde. Bis das Kind geboren ist werden wir sicherlich noch hierbleiben können und in der Zwischenzeit lassen wir das Gut von den Handwerkern herrichten. Wenn wir erst einmal ein stabiles Dach über dem Kopf haben, können wir uns den anderen Problemen widmen die das Gemäuer bereiten sollte." Eherne Zuversicht sprachen aus der Stimme des Ordensritters. Seit er in Warunk nur knapp Golgari von den Schwingen gesprungen war, ließ er sich nicht mehr so leicht wie früher aus der Ruhe bringen. "Wenn es dann soweit ist wird Chaantrea auf jeden Fall mit zupacken und ich wenn Alfred in der Nähe ist, wird er es sich sicherlich auch nicht nehmen lassen zu helfen. Zudem kannst du auch ein paar deiner zukünftigen Untergebenen mit Karren zur Friedburg bestellen und unsere Sachen abholen lassen."
Reise mit Yppolita
Reisestrecke: Kuslik – Punin – Gerbaldsberg – Gareth – Perricum – Seereise nach Festum
Dramatis Personae:
- Yppolita von Gareth
- Balrik von Keres
- Anaxios von Ochs
- Giselbert von Streitzig j.H.
- Mechthild von Kieselholm, Knappe von Ardo von Keilholtz
- Firnwulf von Hirschfurten, Page von Ardo
- Igor Wasjeff, Heilmagier aus Norburg
Von Kuslik nach Punin
Auf einem Flußschiff auf dem Yaquier, Ende Ingerimm 1034 BF
Balrik saß in seiner Kabine und blätterte in einem grüneingebundenen Hesinde-Büchlein, das er sich in Kuslik besorgt hatte.
Vor einigen Tagen war er mit dem gerbaldsmärker Pfalzgrafen und dem Magier Anaxios von Ochs aus Kuslik abgereist und begleiteten die Schwester der Kaiserin, Yppolita von Gareth, nach Punin. Dort wolle sie endlich ihre Adeptenprüfung ablegen, wie sie auf dem Magierkonvent verlauten ließ, und anschließend wieder zurück in ihren Exil nach Festum reisen.
Sie beschloßen bis nach Punin auf einem Flußschiff zu reisen, das den Yaquier flußaufwärts fuhr. Der Kapitän war ein stämmiger Mittvierziger namens Phedro Neander, ein Horasier, der sich sehr umgänglich und von der Anwesenheit der Kaiserinschwester sehr geehrt zeigte. Zu seiner Mannschaft aber war er streng und er ließ keinen Zweifel daran, daß er hier das Sagen hatte.
Eigentlich wollte auch der greifenfurtener Baron Ardo von Keilholtz Yppolita auf der Reise begleiten. Doch hatte er kurz vor der Abreise den Zorn eines Magiers auf sich gezogen, der ihn kurzerhand mit einer Art Teleportzauber verschwinden ließ – zumindest war das Balriks erster Gedanke.
Erst nachdem Anaxios sich mit diesem Magier auseinander setzte, erfuhren sie, daß dieser Magier Thargelion von den Nebelwassern war, ein Zeitmagier, der Ardo einfach kurzerhand einige Monate in die Vergangenheit setzte!
Balrik hatte schon während seiner Zeit an der Kriegerakademie viele Sagen von einem Magier gehört, der in einem Turm in Weiden wohnte, dem sogenannten Nachtschattenturm, der in der Lage war durch die Zeit zu reisen – und da war auch der Name dieses Zeitmagiers gefallen.
Nachdem Anaxios ihnen versichert hatte, daß Ardo kein Leid zugefügt wurde, und derzeit wohl wieder in Greifenfurt weilte, und Balrik und Giselbert geraten hatte, den Magier nicht weiter zu behelligen, gaben sie sich mit der Antwort zufrieden. Dennoch hatte sich Balrik vorgenommen, eine Nachricht ins Kressenburgsche zu schicken um sich zu vergewissern. Auch Yppolita hatte ihnen später geraten, den Magier in Ruhe zu lassen. Auch sie vertraute hier Anaxios' Rat.
Es klopfte an der Tür.
"Hoher Herr", hörte Balrik die Stimme eines Matrosen. "Wir erreichen bald Punin."
"Danke. Ich komme gleich."
Balrik steckte das Büchlein weg und packte seine Sachen. Auf dem Deck angekommen sah er bereits die almadanische Fürstenstadt vor ihnen auftauchen. Es war ein sonniger Tag und die Eslamidische Residenz ragte auf dem Goldacker in einem strahlenden Weiß reinsten Eternienmarmors hervor. Auch die Magierakademie der Stadt, ihr Ziel, ragte über die Häuser der Stadt empor und war gut zu erkennen. Vor nicht einmal einem Jahr, hätten sie es sich nicht erlauben können, so offensichtlich durch das Fürstentum zu reisen. Als noch Selindian Hal die Kaiserkrone beanspruchte und von Punin aus Hof hielt, war es nicht ungewöhnlich, daß Adlige, die zu Kaiserin Rohaja standen, als Geiseln genommen wurden.
Doch nun war Selindian Hal tot und Almada wieder unter der Kontrolle Rohajas, und diese hatte Gwain von Harmamund zum neuen Fürsten von Almada ernannt.
"Eyne bejachtliche Stadt, njecht wahr?", sagte Igor Wasjeff im bornischen Aktzent und trat neben ihn. Auch er war beim Magierkonvent zugegen gewesen und reiste mit ihnen seit Kuslik auf dem Schiff. "Und das Wissen erst, das hier zu finden ist! Eier Schützling hat eyne jute Wahl jetroffet, hier ihre Prüfung abzulegen."
Balrik sagte nichts darauf. Der Grund warum Yppolita Punin wählte, war nicht das Wissen das hier zu finden war, sondern weil diese Magierakadmie die einzige Graue innerhalb des Reiches war. Andererseits, wenn es sich Balrik recht überlegte, Yppolita hätte trotz allem wohl kaum eine Akademie gewählt, in der sie nichts erlernen könnte ...
Allmählich kamen auch die anderen an Deck, die in Punin aussteigen wollten. Giselbert hatte seinen Lederhut auf dem Kopf und einen Rucksack geschultert. Anaxios war in einer Lektüre vertieft, die er in Händen hielt, und halb abwesend aus dem Schiffsinneren kam.
Nur Yppolita war bereits an Deck gewesen und betrachtete die Landschaft.
Auch ein fünfzehnjähriges Mädchen und ein neunjähriger Junge kamen auf das Deck; ebenfalls mit Rucksäcken geschultert. Das Mädchen trug sogar ein Kurzschwert.
"Habt ihr alle Eure Sachen?", fragte Balrik.
"Ja, wir haben alles", antwortete das Mädchen.
Das Mädchen und der Junge waren Mechthild von Kieselhom und Firnwulf von Hirschfurten, die Knappin und Page Ardos von Keilholtz. Balrik hatte sich den beiden angenommen, nachdem Ardo auf solch übernatürliche Weise verschwand.
Schließlich machte das Schiff an der Pier fest und Yppolita bezahlte den Kapitän für die Reise aus. Anschließend begaben sie sich in die Magierakademie.