Geschichten:Zornesritter in Warunk - Teil 1
Zornesritter in Warunk - Unswin
Wie in einem Traum hörte Unswin die Hörner von Perricum erschallen. Nie zuvor hatte er etwas Ähnliches gehört oder erlebt. Überall um ihn herum schrien Menschen und Monstren, starben Brüder, Schwestern und Feinde. Doch inzwischen war es ein Kampf Klinge gegen Klinge geworden. Nur noch vereinzelt flogen Pfeile heran, musste man bei dem Gewühl von Leibern doch damit rechnen den eigenen Mannen in den Rücken zu schießen. Die ersten Geweihten hatten sich zu dem geborstenen Tor durchgeschlagen und hielten die Bresche. Er sah sich um und erkannte, dass er den Anschluss an seine Ordensbrüder verloren hatte.
Der Schmerz kam aus dem Nichts. Mit Mühe hielt der Novize sein Schwert umklammert als die Pein aus seinem rechten Oberschenkel ihn auf dem Pferderücken zusammensinken ließ. Er erkannte den Pfeilschaft, der aus seinem Bein hervorragte und noch immer zu vibrieren schien. Der Versuch das Bein zu bewegen brachte nur noch mehr Schmerzen, denn das Geschoss hatte das Fleisch glatt durchschlagen und stak mit der Spitze im Leder des Sattels fest. Unswin achtete nicht mehr auf das Kampfgeschehen. Er ließ den Schild fallen und nahm das Schwert in die Linke. Vorsichtig tastete er mit den Fingern an seinem Bein hinunter bis er das Holz zwischen Sattel und Fleisch zu fassen bekam. Mühsam löste er den Pfeil aus dem Leder, bevor er seinen ganzen Mut zusammennahm und die mit Widerhaken versehene Spitze ruckartig abbrach. Neuer Schmerz brandete in ihm auf, ließ ihn aufschreien und trieb den Novizen an den Rand einer Ohnmacht. Lange Augenblicke Kämpfte er darum im Hier und Jetzt zu bleiben, bevor sich sein Blick wieder klärte. Sobald er sich wieder Herr seiner Sinne war griff Unswin nach dem mit schwarzen Federn versehenen Schaft und zog ihn heraus.
So weit so gut. Er spürte wie das Blut sofort begann an seinem Bein hinabzulaufen und es wäre sicher besser gewesen den Pfeil stecken zu lassen. Doch es hätte ihn zu sehr behindert und hier wartete noch eine Aufgabe auf ihn. Das Wogen der Kämpfe hatte sein Pferd so nahe an die Stadtmauer getrieben, dass er sie fast berühren konnte. Zur Seite lag die Bresche im Tor, doch war sie kaum hoch und breit genug um hindurchzureiten. Unbeholfen stieg er aus dem Sattel und wäre vor Schmerzen fast zusammengebrochen, als er das rechte Bein ungeschickt belastete. Dann hörte er die Gebete der Sennemeister und neue Kraft und Zuversicht schien ihn zu durchströmen, ganz so als hätte er nach Tagen des Dürstens einen Becher reinstes Quellwasser getrunken. Hinkend und das verletzte Bein so gut es eben ging schonend schritt er durch das Tor, nur um sich sofort im dichtesten Kampfgetümmel wiederzufinden.
Den Schmerz ignorierend wandte er sich sofort gegen den ersten Gegner, der zu überrascht schien um sich ernsthaft zur Wehr zu setzen. Schon nach wenigen Hieben rollte der Kopf durch den Dreck. Doch mehr Feinde drängten nach und für eine Weile schien es, als würden den Geweihten für jeden besiegten Gegner zwei neue entgegentreten. Einen zweiten, dritten und vierten Feind zwang Unswin in die Knie, doch spürte er unter der heftigen Gegenwehr auch mehr als einmal die Glieder seines Kettenhemdes nachgeben. Irgendwann hörte er auf zu zählen. Seine Angriffe und Paraden waren nur mehr mechanische Abläufe, reflexartige Bewegungen seiner Muskeln, eingeprägt in den täglichen Übungen der letzten Jahre. Plötzlich sah er Gegner fliehen, verwundete Feinde die Waffen strecken und ein heiserer Jubelschrei löste sich aus den Kehlen seiner Nebenleute.
Aber Unswin hatte keine Luft mehr um zu schreien. Er stützte sich auf sein Schwert und rang nach Atem. Seine Wappenrock hing in Fetzen und war so sehr mit Blut getränkt, dass es ihm vorkam, als trüge er das Gewicht einer zweiten Rüstung. Und er wusste, nicht wenig von diesem Blut war sein eigenes. Langsam wandte er sich einer nahen Hauswand zu. Das verletzte Bein nachziehend schlurfte er dort hinüber, lehnte sich an die Mauer und rutschte langsam, sich auf seinem Schwert stützend und eine Blutspur auf der gekalkten Wand hinterlassend, hinunter. Er hatte keine Kraft mehr. Er hatte Durst. Die Augen fielen ihm zu und als ihm das Schwert aus der Hand glitt hörte er nur wie weit entfernt das Klappern von Stahl auf den Pflastersteinen. Unswin fühlte sich so unendlich müde. Aber nun war der Kampf vorbei. Sie hatten gewonnen. Ein großer Sieg. Er hatte so unendlichen Durst. Er konnte endlich schlafen.
Ein unangenehmer Druck auf seinem Brustbein störte ihn. Widerwillig hob er den ermatteten Schwertarm und griff mit der Hand zum Kettenhemd. Doch es waren keine verrutschten Kettenglieder, die ihn gedrückt hatten. Darunter, unter dem Wams lag die Ursache. Langsam hob der Novize die Finger zum Hals und fand dort die goldene Kette. Er zog daran und einen Moment später hatte er den Ring befreit der an der Kette hing. Irgendwie gelang es ihm die Augen zu öffnen. Er betrachtete den Siegelring und tief in seinem Bewusstsein fühlte er etwas erwachen, das sich gerade schon zur letzten Ruhe betten wollte. Der Kampf um Warunk war gewonnen. Die Aufgabe war erfüllt und er lebte wider aller Erwartungen noch. Das Bild einer Frau tauchte vor seinen Augen auf als er den nun blutverschmierten Ring betrachtete. Sie wartete auf ihn, sie würde immer auf ihn warten. Doch er wollte sie nicht länger warten lassen. Seine schwache Stimme war kaum mehr als der sanfte Hauch der ihr Atem auf seiner Haut gewesen war. „Leomara.“ Schwere Schritte eilten auf ihn zu. Er hörte laute Stimmen rufen, doch verstand er nichts von dem was um ihn herum gesprochen wurde, noch merkte er wie er kurz darauf das Bewusstsein verlor.
Unswin wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, als er schließlich wieder erwachte. Es war hell und das Licht der Praiosscheibe fiel durch ein Fenster herein. Er lag nackt unter einer Decke, doch die Bandagen mit denen seine zahlreichen Wunden verbunden worden waren, bedeckten fast so viel Haut wie seine Unterkleidung. Er spürte, dass er in seiner rechten Faust einen Gegenstand umschlossen hielt. Zu schwach den Kopf zu heben, zog er den Arm auf die Brust und erkannte die Kette. Der Verschluss war geöffnet worden und die Enden hingen zwischen seinen Fingern hervor. Anscheinend hatte er sie nicht losgelassen als man ihm zur Versorgung der Wunden die Rüstung abnehmen wollte. Er spürte wie der Ring in seiner Faust gegen die Handflächen drückte. Als der Medicus wenig später an sein Bett trat, lag ein glückliches Lächeln auf seinem vernarbten Gesicht und sein Schlaf war der tiefe Schlummer der Heilung.