Geschichten:Familienangelegenheiten und andere Katastrophen - Unerwarteter Besuch

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Unerwarteter Besuch

Es dämmerte bereits, und Stück für Stück legten sich die Schatten der Nacht über die Straßen und Gassen der Reichsstadt Perricum. Noch war es natürlich nicht ruhig, still und leer, doch Nachts waren die Katzen bekanntlich alle grau, und so fiel der grobschlächtige Glatzkopf weniger auf als am Tage. Niemand wunderte sich über die abgenutzte Lederkluft, die teils abgeschabt und an manchen Stellen sogar mehrfach geflickt war. Zielstrebig wanderte er durch die Straßen, immer darauf bedacht, die Hauptstraßen zu meiden. Wo dies nicht möglich war hielt er sich in den Schatten.

Ab und an schauten Perricumer Bürger ihm skeptisch hinterher, doch sie hielten ihn dann nur für einen abgehalfterten Söldling und vergaßen ihn bald wieder. Schliesslich hatte er unbehelligt sein Ziel erreicht. Mit einer Behändigkeit, die man der massigen Gestalt kaum zugemutet hatte, setze er über die mannshohe Mauer in einen kleinen Hof, und mit einigen geschickten Handgriffen und der Hilfe seines Dolches öffnete er die Hintertür des Hauses und huschte hinein.

Drinnen war es dunkel, so wie er es schon fast erwartet hatte; also war niemand zu Hause. Unweit der Tür befand sich eine kleine Öllampe; fast schien es ihm wie früher. Er entzündete sie, drehte den Docht so weit wie es ging hinunter und begab sich in den vorderen Teil des Hauses. Es bestand neben der schmalen Kammer, durch die er in das Gebäude eingedrungen war, aus einem einzigen großen Raum, indem sich allerlei Gerümpel quer durcheinander befand. Erst auf den zweiten Blick offenbarte sich die wahre Natur des Raumes, mir Regalen an den Wänden und einer Ladentheke: Ein Kramladen mit allerlei sonderbaren Dingen; manche wertlos, andere nicht, und je nach dem Auge des Betrachters waren es Gegenstände, die als Tand oder Schatz betrachtet wurden. Für alles hier gab es offenbar Kunden, zumindest wohl für den Inhaber dieses Geschäftes.

Rechterhand neben der Hintertüre führte eine hölzerne Stiege ins Obergeschoss. Dorthin wandte sich der Glatzkopf und stieg die Stufen empor, die unter seinem Gewicht mächtig knarzten. Auch das Obergeschoss bestand nur aus einem Raum. Der vermeintliche Söldner sah sich auch hier neugierig um. Ein großes Bett, ein Schreibpult und einige Truhen waren die einzigen Einrichtungsgegenstände - abgesehen vom einem kleinen Tischchen hinter der Tür, die den Raum von der Treppe trennte. Umrahmt von neun Kerzenstumpen, die auf silbernen Untersetzern um eine tönerne Fuchsstatuette angeordnet waren, wirkte das ganze wie ein kleiner Altar.

»Du alter Fuchs«, dachte der Glatzkopf, nahm die Statue in die Hand und betrachte sie eine Weile, bevor er sie zurückstellte. Er war nicht hier, um etwas zu stehlen; er hatte andere Gründe und wollte den Hausherrn durchaus antreffen. Also hieß es warten. Er holte eine Flasche aus einer der Truhen hervor, ebenso einen Tonkrug und füllte diesen. Dann ließ er sich auf einem Schemel nieder, lehnte den Rücken an die niedrige Wand (denn das Dach bildete die Decke des Raumes, der an den Seiten allerhöchstens brusthohe Wände hatte) und streckte die Bein von sich.

»Nicht schlecht, das Zeug«, dachte er, nachdem er einen ersten Schluck genommen hatte. »Du lässt es Dir ja gut gehen, alter Mann...«


Zwei Becher und einige Zeit des Dösens später öffnete sich die Haupttür des Gebäudes; Glatzkopf bemerkte es erst, als Schritte bereits die Treppe hinaufkamen und sich die Türe zur Gänze öffnete, die den eigentlichen Raum von der Stiege trennte. Nach zwei Bechern Wein war er eingedöst, nun schreckte er hoch, straffte sich etwas, blieb aber auf dem Schemel sitzen. Eine Gestalt kam durch die Tür, in einen dunkelgrauen Umhang gehüllt, und mit einer fließenden Bewegung fischte er den Hut vom Kopf und warf ihn in Richtung der Bettstatt. Den Besucher bemerkte es erst auf den zweiten Blick. Der Neuankömmling stutzte. »Was machst DU denn hier? Und wie bist Du hereingekommen?« »Durch die Hintertür « erwiderte der Glatzkopf grinsend. »Ich dachte, ich starte meinem alten Herrn einen Besuch ab, wenn ich schon mal in der Stadt bin.« »Da bist Du entweder übermütig oder größenwahnsinnig«, erwiderte der Hausherr mürrisch. »Außerdem weißt Du, dass ich wenig Interesse daran habe, dass man uns zusammen sieht. Das ist besser für uns beide, glaub mir. Eigentlich müsste ich Dich ja an die Garde verpfeifen. Du hast Glück, dass Du mein Sohn bist und ich es darum nicht tue, Kugar.« Der Angesprochene grinste nun nicht mehr. »Aber selbst wenn würdest Du Mittel und Wege finden, Dich unbeschadet aus der Affäre zu ziehen; das wäre ja auch nicht das erste mal, Vater.« Korwyn von Kollberg hatte indes die angebrochene Weinflasche entdeckt und hob sie vom Boden auf. »Wie ich sehe, lässt Du Dich mit meinen besten Tropfen aushalten«, sagte er mit einem Hauch von Tadel in der Stimme, griff aber seinerseits nach einem Becher und schenkte sich ein. »Auf unser Wiedersehen«. Er hob den Becher, ohne sich darum zu kümmern, ob sein Sohn selbst nich etwas hatte, und nahm einen Schluck, bevor er sich selber setzte. »Also, was führst Dich wirklich hierher?« »Geschäfte«, erwiderte Kugar, nunmehr wieder grinsend. »Geschäfte«, murmelte Korwyn. »Was verstehst Du schon von Geschäften. Wenn Du das tätest, hättest Du hier ein gutes Leben haben können, anstatt Dich mit Terrebor und dem Rest Eurer Bande sonstwo verstecken zu müssen. Deine Mutter wurde sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüsste, was Du so treibst.« »Ach, hör mir auf mit der alten Leier«, entgegnete Kugar missmutig. »Wir brauchen halt ein bisschen Zeug. Waffen, Rüstungen und so. Hier fallen wir am wenigsten auf, weil uns keiner hier vermutet.« »Wir?« Korwyn zog fragend eine Augenbraue hoch. »Du bist nicht allein?« Kugar zuckte mit den Schultern. »Wer weiß...« »Da frage ich mich nur, wie Du das bewerkstelligen willst. Was Du dafür an Geld brauchst habt ihr doch niemals, und von mir kriegst Du keins.« »Brauch ich auch nicht. Ich hab genug. Morgen werde ich mir erst einmal eine neue Rüstung besorgen; die alte hier ist doch ganz schön mitgenommen. Ich hoffe, die Ware von Rutaris ist noch so gut wie ihr Ruf...« Korwyn atmete hörbar ein.»Sicher ist sie das. Aber erwähne in der Zwölfe Namen bloß nicht, dass wir uns kennen. Ich bin Schöffe im Rat, und Rutaris ist Ratsherr. Wie gesagt, es ist besser für uns beide, wenn niemand Bescheid weiss.« "Da mach Dir man keine Sorgen. Ich lass Dich nun auch lieber allein, ist besser für uns beide« erwiderte Kugar und erhob sich. »Mach's gut, Vater; war schön, Dich mal wieder gesehen zu haben. Und der Wein war nicht schlecht...« Damit wandte er sich um und ging die Stiege hinab. Korwyn folgte seinem Sohn langsam und bedächtig und verriegelte alles, nachdem Kugar durch die Hintertür verschwunden war. Er stieß einen Seufzer aus. Irgendwann, dessen war er sich gewiss, würde das alles ein böses Ende nehmen...

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Texte der Hauptreihe:
26. Bor 1037 BF zur abendlichen Perainestunde
Unerwarteter Besuch


Kapitel 1

Autor: CD