Geschichten:Rahjas Tränen - Nachgiebigkeit oder Winkelzüge?
Ende Rondra, Schloss Perlenblick
Seltener Besuch war anwesend und verwirrte die gewohnten Abläufe auf Perlenblick zu einem gewissen Maße. Doch obwohl Der hohe Dauergast in der markgräflichen Residenz nördlich von Perricum sonst mit Durcheinander wenig anfangen konnte, hatte er offenbar nichts dagegen, dass seine Gattin sogar anwesend war, während er noch Arbeit mit zweien seiner Adjutanten erledigte. Gerade beugte er sich über eine Karte der Golfküste, die der junge Zweifelfelser auf dem schweren, dunklen Tisch im ehemaligen Speisezimmer ausgerollt hatte. Leodane warf einen neugierigen Blick auf die Linien und Bemerkungen, die ihr Gatte mit eigener Hand vornahm und runzelte plötzlich die Stirn. Die halbleere Teetasse traf mit leisem Klirren auf ihren Konterpart. "Das hast du nicht wirklich vor, oder? Dreihundert Mann? Wo soll ich den Platz dafür hernehmen? Salcaprea ist viel zu klein." Aldron sah auf und sah seine Frau eher ausdruckslos an, während Cordovan von Keres im Hintergrund sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. "Ich habe nie gesagt, dass das mein Plan ist. Diese Karte ist für den Fall, dass der Erststoß Perlenblick trifft. Zusammen mit einer ganzen Reihe Versorgungslisten, Soldbüchern und Korrespondenz... Das ist alles, was nötig ist, um sich ein Bild machen zu können von meinen Plänen." Leodane blickte einen Augenblickk verwirrt, dann lachte sie auf und barg das Gesicht in einer Hand. Amüsiert gab sie heraus: "Dass ich das noch einmal erlebe. Du bist zuviel mit Isenbrunn und Rabicum zusammen..."
Aldron zuckte mit den Schultern und wandte sich an Gerion. "Gut, Leutnant. Das kommt so ins Archiv. Danach soll es das für heute gewesen sein." Der Adjutant salutierte knapp und trollte sich dann mit der wieder zusammengerollten Karte. "Hauptmann, ihr nicht. Das hier dürfte euch auch interessieren." Er griff nach einem Brief und wartete, bis die Tür hinter dem jüngerem Offizier zugefallen war. "Da du gerade Rabicum erwähntest: Der Seneschall schickt mir diese Botschaft unserer Freunde vom perricumer Stadtrat. Wie es aussieht, sorgt man sich um die Lage in den efferdwärtigen Gebieten der Markgrafschaft... speziell Wasserburg wird erwähnt. Man fordert seine Erlaucht auf, seiner Pflicht um die Sicherheit der Straßen nachzukommen." Leodane hob eine Augenbraue und schüttelte leicht den Kopf. "Eine Retour auf deinen Erfolg auf Auenwacht? Was schreibt der alte Federfuchser dazu?" Aldron übersah das feine Lächeln, dass die Lippen seiner Gemahlin umspielte, hob ein anderes Blatt und überflog es nochmal kurz. "Er schlägt vor, dem Rat guten Willen zu zeigen und dem nachzugehen. Mir widerstrebt es allerdings, mich vor den Karren von diesen Krämerseelen spannen zu lassen."
Kurz traf der Blick der Edlen von Salcaprea den verbliebenen Adjutanten. Cordovan von Keres versuchte gerade möglichst teilnahmslos zu tun, aber Leodane ahnte, was wirklich in der Luft lag. Wasserburg war ein symbolträchtiger Ort geworden. Vorsichtig bemerkte sie: "Ich halte es mit dem Seneschall. Eine Konfrontation mit der Stadt, nur weil das Gehabe ihrer Vertreter jedem Rechtschaffenen aufstoßen mag, nutzt weder ihnen noch uns noch dem Markgrafen." Sie lehnte sich vor und nahm beide Schreiben an sich und las sie kurz durch. Während dessen antwortete Aldron mit leichtem Knurren. "Nein, du verstehst nicht. Mir misfällt, dass ich erst in Aktion treten kann, nachdem jetzt dieser Brief an den Markgrafen ging. Wir hätten vom zuständigen Baron hören müssen, dass er Probleme hat, sein Haus sauber zu halten. Oder meinethalben vom Kelsensteiner - wozu wurde der denn berufen? Eben gerade doch weil dieser Tikaris unfähig ist und sich in keinster Weise kümmert." Cordovan räusperte sich. "Marnion von Kelsenstein hat sich in den Wall begeben und bildet seine Leute aus. Davon haben wir Kunde." Aldron machte eine wegwerfende Geste. "Dann Tikaris. Sein Lehen, seine Aufgabe. Das lebende Argument gegen die Erhebung von Bürgerlichen, das wohl."
Die Briefe wurden sauber gefaltet wieder abgelegt und über den Tisch geschoben. "Und was hast du nun vor? Wenn du mich fragst, wird seine Hochgeboren sich nicht plötzlich bewegen, wo er es doch lange genug versäumt hat." Der Heermeister nickte. "Wohl kaum. Mir bleibt kaum eine andere Wahl - ich werde einschreiten müssen. Am liebsten würde ich mich selbst darum kümmern. Aber nachdem ich mir den Besuch der Nanduspriesterin aufgeladen habe und mit dem bevorstehenden Tag der Flut werde ich wohl nicht dazu kommen." Für die, die ihn kannten, war deutlich zu erkennen, dass er die Alternativen durchspielte. Sein Blick striff kurz Cordovan, doch der fiel aus offensichtlichen Gründen aus. "Birkenbruch noch auf Soldfahrt?" Cordovan benickte die Frage seines Dienstherrn.
"Schick doch Ciarda." Wie beiläufig platzierte Leodane mit ihrem Vorschlag den Kern ihres Vorhabens und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse, um die Reaktion abzuwarten und sich selbst davon abzuhalten, zu schnell nachzulegen. Unangenehm fühlte sie den Blick Aldrons auf sich liegen. Er musterte sie nachdenklich. Hatte sie sich zu sehr in seine Geschäfte eingemischt? Hatte er sie durchschaut? Sie wußte, dass seine Menschenkenntnis recht ausgeprägt war. Sie zwang sich ruhig weiterzuatmen, die Tasse abzustellen und seinem Blick zu begegnen. sie konnte das Spiel inzwischen ebenso gut spielen. Und sie hatte in ihrem Schwiegervater einen guten Lehrer.
"Gut. Sie hat die Fähigkeiten dazu. Und sie weiß, dass sie sich keine Fehler erlauben kann. Hauptmann, die Rittmeisterin soll sich und drei Lanzen bereit machen zum Ausrücken und für einen mehrwöchigen Einsatz zur Räuberhatz und Streifendienst. Und schickt einen Schreiber, ich werde noch etwas Schriftliches aufsetzen dazu, nur damit allen Beteiligten klar ist, wie die Lage ist."
Leodane lehnte sich zurück, unterdrückte aber ihren Drang, der Erleichterung sichtbar nachzugeben. Eine weitere Schlacht gewonnen. Nun waren andere am Zuge.