Geschichten:Altes Blut - Ein neuer Spieler
Burg Rotkrähenborn, Freiherrlich Rotkrähenborn, Baronie Rallerspfort, 15. Travia 1037 BF
Die Feiertage waren nun schon fast zwei Wochen vergangen, doch noch immer kam es in der Stadt zu dem ein oder anderen kleine Nachbeben, wenn Nachricht von draußen ankam. Zerbelhufen war nicht mehr lange geblieben. Er hatte Aufklärung gefordert und doch nichts erfahren, was er nicht schon wusste. Seine Wut auf Raulbrin war, wie beabsichtigt, noch weiter gestiegen, sodass er nach einer Woche die Leiche seines Sohnes nahm und ging. Seitdem hörte man nicht viel von Zerbelhufen oder den übrigen Aufbegehrenden. Seit dem Morgengrauen war Haldan unterwegs nach Burg Rotkrähenborn. Seine gesamte Familie kam mit ihm.
Nach dem überraschenden Ausgang des Gesprächs mit Raulbrin als Ausklang der Feiertage hatte er ihm noch mitgeteilt, dass er noch eine offizielle, förmlichere Erhebung plane. Dabei sollte jedoch nicht nur Haldan selbst, sondern seiner ganzen Familie der Adelsrang verliehen werden für ihre aufopferungsvollen Dienste für die Baronie.
Stellvertretend für alle Rallersgrunder zog nun der älteste Zweig der Familie Rallersgrunder hinter Cordovan und Haldan nach Burg Rotkrähenborn. Alle hatten sie sie sich in blau und weiß gekleidet, den Farben der Familie. Haldans Mutter und ihre übrigen Kinder, Haldans zwei jüngere Schwestern und sein jüngerer Bruder waren fröhlich am Plaudern, doch er selbst und sein Vater hielten Ruhe. Beide wussten, wie wichtig dieser Tag war und dass nichts schief gehen durfte. Der Konflikt in der Baronie hatte sie in rasender Eile an die Seite von Raulbrin und an die Spitze der Baronie gespült, wie sie es sich nie hatten vorstellen können. Doch wer hoch aufstieg konnte auch tief fallen und ihre Position war noch lange nicht gesichert.
Die Sonne wurde von Tag zu Tag schwächer und es gelang ihr nur mühsam die frierenden Reiter zu wärmen. Bald würde Firun dem Land den ersten Frost bescheren und die Fronten über den Winter einfrieren. Bis dahin musste Zerbelhufen unbedingt gehandelt haben, sonst stünde einer Versöhnung über den Winter nichts im Wege und die Söldner würden abgezogen werden.
Gegen Mittag erblickte der kleine Zug das erste Mal die wuchtigen Mauern der Festung, welche das Ziel ihrer Reise war. Auf den höchsten der seichten Hügel der Region war die Feste erbaut. Hohe wehrhafte Mauern und Türme umgaben weitere Mauern und Türme. Doch je näher sie der Burg kamen, desto mehr verblasste die Pracht, welche sie aus der Ferne erwarten ließ. Grünlich schimmerte das Moos auf dem behauenen Stein der massiven Mauern, vereinzelt wirkten die Zinnen, welche den Verteidigern Schutz bieten sollten, brüchig und von der Witterung abgenutzt. Das hohe Fallgitter hatte leichten Rost angesetzt und auf dem gepflasterten Weg , welcher den langen Damm begehbar machte, spross das Unkraut zwischen den Fugen. So war es nicht der Ort, welcher dem Moment seine Pracht verließ, sondern die Mühe, welche sich der Baron gegeben hatte. Den gesamten einhundert Schritt langen Damm zum Tor standen Soldaten des Barons Spalier. Beim Eintreffen der Familie entrollten sich vom Torhaus herunter Banner in den Farben der Baronie und der Familie Rallersgrunder. Was folgte war der steile Aufstieg in die obere Burg und den zentralen Hof der Anlage. Der zentrale Hof von Burg Rotkräheborn war umgeben von hohen Gebäuden, gehalten in Fachwerkstil und bewachsen von Efeu. Die steinernen Türme waren etwas dunkler als die Mauern, welche die zentrale Burg umgaben, was ein Hinweis darauf war, dass die Burg einst ausgebaut wurde und nicht schon immer diese enormen Ausmaße hatte.
Im Hof erwartete sie die herrschaftliche Familie des Barons, die Knappin des Barons, Fiana von Zweifelfels, einige dem Baron verbliebene treue niedere Adlige, darunter Holdwin von Arkenaue, ehemaliger Junker zu Pfortenstein, die Junkerfamilie Leuchtenfels zu Leuchtenfeld, zwei Personen, welche einen Kobold im Wappen trugen und eine weitere Dame. Sie stand ein klein wenig abseits von der restlichen hohen Gesellschaft und trug als einzige der Anwesenden ihre Rüstung und Wappenrock. Gelbe Schärpe auf rotem Rock, dazu das Wappen der Zweifelfelser auf der linken Brust. Haldan kannte diese Uniform nur zu gut: Zweiflinger Grenzwächter. Er blickte sich um und erkannte, dass die Soldaten, welche die hohe Gesellschaft schützten nicht mehr die Soldaten Raulbrins waren, sondern allesamt Grenzwächter. Die Uniformen waren aus gutem Material und recht gepflegt. Hohe Stiefel und der geschlitzte Wappenrock verrieten ihm, dass es sich um Reiterei handeln musste. Insgesamt schienen die Männer keine Adligen zu sein und demnach nicht die erste Lanze, sondern die zweite, was Haldan wiederum verriet, dass es sich bei der Dame abseits der hohen Gesellschaft um Argande von Hohenfels handeln musste, loyale Ritterin und nicht für ihre lockere Art bekannt. Haldan verschnaufte einmal. Er hatte einen schweren neuen Gegenspieler bekommen, welchen er nicht so leicht ausschalten oder ignorieren konnte. Er würde sich mit der Dame arrangieren müssen und gleichzeitig bei Raulbrin ihr Erscheinen bejubeln. Zweifelfels hatte scheinbar sein Interesse für Rallerspfort entdeckt. Haldan war sich sicher, dass er dies zu nutzen wissen würde.
Seine Familie schien die Anwesenheit der Soldaten nicht zu stören oder ließ es sich nicht anmerken und folgte weiter dem vorgesehenen Zeremoniell. Als sie vor Raulbrin angekomen waren, fächerten sie auf und kamen in einer Linie vor ihm zum Stehen. Haldan blickte Raulbrin tief in die Augen, welcher eine Rteaktion von Haldan zu suchen schien bezüglich der Zweiflinger Grenzwächter, von welchen er Haldan nichts gesagt hatte. Haldan war nicht länger in der Lage seiner Umgebung große Aufmerksamkeit zu schenken und hörte kaum auf die Worte, welche Raulbrin sagte. Er fragte sich, wie lange Raulbrin schon von Zweifelfels wusste, dass er Truppen entsenden würde und wer hier eigentlich wen hinters Licht geführt hatte. Raulbrin ihn oder umgekehrt. Doch was ihm wirklich Sorgen bereitete war die Frage, was nun mit seinen Söldnern geschehen würde, jetzt, da die Sicherheit von Raulbrins Familie nicht von ihnen gesichert werden musste. Nun waren sie frei für eine tatsächlichen Kampf.
Haldan wurde jäh aus den Gedanken gerissen.
„Tretet vor Haldan von Rallersgrund.“ Er tat, wie ihm aufgetragen. Raulbrin fuhr fort.
„Wie vor den Augen der Götter bereits geschehen, soll nun auch das Reich wissen, dass Ihr Haldan, ehemals aus der Familie Rallersgrund, nun in den Adelsstand erhoben seid, mit allen Rechten und Pflichten, die dies mit sich bringt.“ Haldan nickte und blickte sich um. Überwiegend freundliche Gesichter.
Raulbrin ergriff erneut das Wort. „Doch war es nicht ein einzelner Mann, welcher mir, meiner Familie und der gesamten Baronie schützend goldene Hände über hielt und uns so vor der großen Chaos bewahrte, welches uns bevorstand. Seine gesamte Familie war es, welche dies ermöglicht hat. So ist es nur gerecht, dass nicht bloß er, sondern alle diejenigen, welche er die Seinen nennt seinen Stand teilen und mit ihm die Rechte besitzen, die er besitzt und die Pflichten erfüllen, die er erfüllt. So kniet nieder.“ Haldan trat an die Seite Raulbrins, welcher ihm einen Seitenblick zuwarf, während die gesamte Familie Rallersgrunder niederkniete.
„Stellvertretend für die gesamte Familie Rallersgrunder erhebe ich Euch Anwesende vor den Augen der Götter und des Reiches in den Adel. Von nun an besitzt Ihr die gleichen Rechte und Pflichten, wie jedermann von noblem Blute. Erhebt Euch als Mitglieder der Familie Rallersgrund. Mögen Euch die Götter die Kraft und Weisheit schenken Eurem Stand keine Schande zu machen.“ Sie alle erhoben sich. Haldan trat zurück an die Seite seines Vaters, welchen er noch nie so von Stolz erfüllt gesehen hatte.
Während sowohl Gäste, als auch die Familie Rallersgrund die Zeremonie für beendet hielten und Haldan gedanklich schon wieder bei Argande von Hohenfels war, ergriff Raulbrin auf ein neues das Wort.
„Hohe Herrschaften von Rallerspfort. Ich will diesen glücklichen Augenblick nutzen, um eine weitere Angelegenheit aus der Welt zu schaffen, welche geklärt werden muss. Wie Ihr alle Wisst steht der Feldzug unserer geliebten Kaiserin bevor. Jeder aufrechte Streiter wird sein Schwert ergreifen und ins Felde ziehen, bereit sein Leben für Kaiserin und Reich zu geben. Auch wenn wir alle es nicht hoffen, so muss ich doch Vorsorge tragen, für den Fall, dass mich der Tod ereilt.“
Haldan wagte es kaum zu atmen. Er erinnerte sich daran, was Raulbrin während der Feiertage zu ihm gesagt hatte. Würde er ihn tatsächlich zum Seneschall ernennen? Haldan konnte nicht dem Krieg fernbleiben, brauchte er doch die siegreiche Rückkehr als moralische Basis für seinen Anspruch.
Raulbrin fuhr fort. „So ernenne ich für die Zeit meiner Abwesenheit und, für den Fall meines Todes, bis zur Vollendung des sechzehnten Lebensjahres meiner ältesten Tochter einen Seneschall, welcher an meiner Statt die Geschäfte der Baronie führt. Tretet vor Haldan von Rallergrund.“
Haldan trat vor, während die Gedanken durch seinen Kopf jagten.
„Ich ernenne Euch, Haldan aus der Familie Rallersgrund, zum Seneschall der Baronie Rallerspfort. Möget Ihr diese an meiner Statt verwalten und schützen. Nehmt Ihr dieses Amt an?“
„Ja, Euer Hochgeboren. Ich nehme dieses Amt an.“ So war es beschlossen. Er würde einen anderen Weg finden.