Geschichten:Goldene Augen - Prolog

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Prolog - Augen am Himmel

Hoch über dem Reichsforst, 1029 BF

Das Wesen kreiste hoch am Himmel in den Wolken; vom Boden aus konnte man es mit bloßem Auge kaum erahnen. Ein flüchtiger Beobachter hätte es zunächst für einen Vogel halten können und schreiend Reißaus genommen, wenn er die Wahrheit erkannt hätte. So zog das Wesen es vor, lieber unerkannt mit einigem Abstand die Dinge zu beobachten, anstelle unter den Bewohnern des Landes für Unruhe zu sorgen.

Nur die wenigsten Wesen Deres hatten überhaupt eine Vorstellung von der Existenz des Wesen, und nur wenige der derzeit Lebenden waren ihm bisher leibhaftig begegnet. Doch selbst diese hätten es nicht erkannt, denn es pflegte seine Gestalt zu wechseln, wenn es sich unter die Zweibeiner begab. Doch dieses hatte es heute nicht vor. So zog es mit weiten Schwingenschlägen seine Kreise über dem großen alten Wald, der älter war als das Wesen selbst, und beobachtete.

Schmerz erfüllte sein inneres, als an an den Augenblick zurückdachte, der einer seiner größte Triumphe hätte werden sollen und dann doch von den Sterblichen vereitelt worden war. Nach jahrelangem Suchen hatte man die uralte Stadt des Humus ausfindig gemacht, doch der Plan, sie zu erobern, war gründlich schief gegangen. Dennoch war das Wesen - sie - sich sicher, dass Er trotz allem auf sie zählte.

Auch wenn man es beim schlichten Anblick der derzeitigen Gestalt nicht zu erahnen vermochte, welches Geschlecht das Wesen hatte, so war es sich dessen doch völlig bewusst. Sie war weiblich, sie war alt, und sie hatte Dinge gesehen und erlebt, an denen jedes andere Wesen zugrunde gegangen wäre. Dennoch lebte sie, und dieses Leben verdankte und widmete sie Ihm. Er ließ sie gewähren.

Der Gedanke an Ihn weckte etwas in ihr; sie glaubte, eine feine Berührung Seiner Essenz wahrzunehmen. Ihr Blick, der zuvor unstet hin und hergewandert war, richete sich neu aus und konzentrierte sich auf den Flecken Erde unter ihr, und suchend hielt sie nach den Spuren seiner Essenz Ausschau - und fand sie alsbald. Es war eine große Ansiedlung im Osten des Waldes. Sie hielt darauf zu, und langsam verlor ihr Flug an Höhe. Dann ließ sich sich im Sturzflug zu Boden fallen, um möglichst schnell und unbeobachtet landen zu können, und fing sich erst kurz vorher ab, um sanft mit allen Beinen aufzusetzen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich ihre Gestalt veränderte und der große, geschuppte Leib sich in den schönen, schlanken Körper einer Elfe verwandelte.


Im Schatten einiger Bäume verharrte sie bis zum Einbruch der Dämmerung, dann begab sie sich in die Siedlung. Erneut wandelte sie ihre Gestalt; als Menschenfrau in Bauerskleidern betrat sie das Städtchen, wanderte wie ziellos durch die Gassen und hielt Ausschau Seiner Präsenz. Bald wurde sie fündig, doch je näher sie dem Ort kam, desto merkwürdiger, ja verzerrter fühlte sich Seine Essenz an; nahezu fremd wirkten die Spuren Seiner Macht, obwohl sie seit Jahrtausenden damit vertraut war. Es missfiel ihr. Sie war der festen Überzeugung, die Größte unter Seinen Dienern zu sein, und wenn ihr der hiesiege Schein Seiner Aura bereits missfiel, wie sollte Er selbst es dann empfinden? Sie war Sein Auge, Sein Ohr und Seine Hand in dieser Welt, denn Er selbst vermochte es nicht. Die Verzerrung Seiner Macht, Seiner Aura, die sie hier verpürte, mutete ihr wie ein Frevel an.

Nachdenklich machte sie sich auf den Weg aus der Siedlung heraus, ohne wirklich auf den Weg zu achten, und stieß alsbald mit einem Söldling zusammen.

»Paß doch auf, Du alte Vettel, sonst kannst Du was erleben!« herrschte der Söldling sie an, doch sie scherte sich nicht darum. Eine schnelle Handbewegung, ein par leise gemurmelte Worte, und der Söldling krümmte sich vor Schmerzen auf dem Boden. Eiseskälte zerfraß sein Inneres, zersetztes das Leben in ihm, und wenig später blieb er reglos auf dem Boden liegen und tat seinen letzten Atemzug.

Sie nahm es nicht war und ging teilnahmlos weiter. Eine halbe Meile vor dem Ort wandelte sie sich erneut, breitete die Schwingen aus und erhob sich in den nächtlichen Himmel.

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