Geschichten:Familienbegegnung
Familienbegegnung
Reichsstadt Perricum, 18. Boron 1037 BF, zur Mittagsstunde
Der Geruch von Kohlefeuern, Stahl und Leder schlug ihm entgegen, als er die Tür öffnete; der warme Lufthauch, der nun nach draußen trat bildete bereits einen deutlichen Widerpart zur Kälte im Freien. Er holte noch einmal tief Luft, mehr aus einer Angewohnheit heraus, dann trat er ein und schloss die Tür zur Werkstatt hinter sich. Er war gänzlich in schwarzes Leder gekleidet; Harnisch, Arm- und Beinschienen trugen die Spuren etlicher Kämpfe. In der linken hielt er einen Spieß mit breitem Blatt, von dem links und rechts je vier weitere Spitzen abstanden. Die Griffe zweier Schwerter ragten über seine rechte Schulter hinaus, ein langer Dolch steckte im Gürtel. Das Haupt war kahlgeschoren, ein schwarzer Bart zierte Kinn und Oberlippe.
In der Werkstatt herrschte Geschäftiges treiben. Er ließ seinen Blick schweifen, fand aber nicht was er sucht. Schließlich sah einer der Handwerker von seinem Werkstück auf und erhob sich.
Linnert wischte sie die Hände, an denen noch Lederfett klebte, an der Schürze ab und trat dem Ankömmling entgegen. „Rondra zum Gruße. Kann ich helfen?“
Der schwarzgewandete musterte Linnert, der eher schmächtig gebaut war, von oben bis unten. „Kommt drauf an“, erwiderte er dann. „Ich suche Kiranee.“
Linnert schluckte. „Kiranee. Die ist gerade kurz raus. Kann ich irgendetwas für Euch tun?“
„Ich glaube kaum. Und das, was ihr vielleicht tun könntet, soll sie machen.“ Sein Tonfall war bestimmend und alles andere als nett und freundlich.
„Dann müsst ihr warten oder später wiederkommen.“
„Ich warte. Ist das dort hinten immer noch ihre Werkbank?“ fragte er und deutete zur rückwärtigen Wand der Werkstatt.
Linnert nickte. „Ja.“
„Dann entschuldigt mich.“ Der Kahlkopf ließ Linnert stehen und marschierte zur genannten Werkbank. Dort angekommen lehnte er den neungezackten Spieß an die Wand und setzte sich; nicht auf den Schemel, sondern auf die Werkbank.
Linnert ging zu seinem Arbeitsplatz zurück. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass seine Frau Mirella mit seiner Base Kira zu tuscheln begonnen hatte. Raban, der an der Werkbank neben seiner saß, blickte ihn fragend an, doch Linnert zuckte nur mit den Schultern. Er konnte den Auftritt des Fremden nicht deuten. Mochten die Götter wissen, was er ausgerechnet von Kiranee wollte; oder hatte er gewusst, dass der Meister nicht im Hause war?
Kahlkopf musterte nach und nach alle Arbeiter, während er wartete. Doch es dauerte nicht allzulange, bis sich die Hintertür der Werkstatt öffnete und die Gesuchte hereintrat. Sie erblickte den Schwarzgewandeten, stutzte einen Augenblick, bevor sie ihm entschlossen entgegen trat.
„Yastagir! Was machst Du hier?“
Der Angesprochene verzog die Mundwinkel zu einem leisen Grinsen.
„Ich brauche ein paar Dinge. Und ich wollte Dich wiedersehen.“
„Sieh an“. Sie stützte die Hände in die Hüften. Wie so oft trug sie nur eine ärmellose Lederweste, die ihren muskulösen Oberkörper gut betonte.
Er fasst sie an den Oberarm, fühlte ihre Muskeln. „Du hast Dich ganz schön rausgemacht. Gefällt mir.“
„Schön. Mir auch“, erwiderte sie schnippisch.
„Nicht so wie der Schmachthaken dahinten“, antwortete er und deutete auf Linnert. „Wer ist das überhaupt?“
„Mein Schwager. Raban daneben auch.“
„Ah, die liebe Familie… Damals waren sie noch nicht hier, oder?“
„Genau. Aber genug davon. Was willst Du?“ Ihr Blick war fordernd; ein wenig wirkte sie wie sein weibliches Gegenstück.
„Ich brauche einen neuen Helm. So wie den letzten, den Du mir gemacht hast. Und die Armschiene hier ist auch reichlich verschlissen“ Er schüttelte den rechten Arm. „Und daneben wollte ich Dich sehen. Und die Kleine.“
Kiranee betrachtete die Armschiene. „Gut, das kriegen wir hin. Den Helm auch.“ Sie nahm einen dickeren Faden und maß damit den Umfang von Yastagirs Schädel ab. „Das heißt, Du wirst eine Weile in der Stadt bleiben?“
„Ja. Ist ja schon ein paar Jahre her, dass ich das letzte Mal hier war. Und da hattest Du wenig Zeit für mich.“
„Du hattest auch keine.“
„Mag sein. Aber das war damals, heute ist jetzt.“
Wieder öffente sich die Hintertür, und ein Mädchen von etwa 12 Jahren kam herein. Sie trug ein enges Hemd, unter dem sich die knospenden Brüste abzeichneten, die schwarzen Haare waren im Nacken zum Zopf geflochten. „Mama?“ fragte sie.
Yastagir reckte den Kopf vor, als er das Mädchen sah. „Ist sie das?“
Kiranee nickte und streckte die Hand nach ihr aus, bedeutete ihr damit näher zu kommen, und das Mädchen kam der Aufforderung nach.
„Ganz die Mutter“, sagte Yastagir anerkennend. „Gefällt mir.“
Tanit wich etwas hinter ihre Mutter zurück. „Wer ist das?“ fragte sie zögerlich.
Kiranee strich ihr sanft über den Kopf. „Das, mein Kind, ist Dein Vater.“
◅ | Auf und davon |
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Die rechte Hand zur rechten Zeit | ▻ |