Geschichten:Dreihügeler Familienzusammenführung - Vom Gepäck einer Dame
Vom Gepäck einer Dame
Wandleth, Anfang Praios 1036 BF
Wulfhart hatte gleich nach der Ankunft in der Königsstadt seinen Knappen zu dem zwergischen Handwerksmeister entsandt, bei dem Rahjamunde in den letzten fünf Götterläufen in die Lehre gegangen war. Zu seinem Erstaunen hatte der Angroscho den Jungen kaum ausreden lassen, als er ihn schon beschieden hatte am nächsten Tage wiederzukehren, da seine Schülerin noch ein letztes Werkstück vollenden müsse, bevor er sie freigeben könne. Also hatte der Ritter, die Dickköpfigkeit der Zwerge in diesem Punkt kennend, sich in Geduld geübt und die Zeit damit verbracht, einen preisgünstigen einspännigen Wagen zu finden. Denn zu seiner Überraschung wollte die junge Dame deutlich mehr Gepäck mitnehmen, als er erwartet hatte, sodass das Packpferd allein nicht reichen würde.
Am nächsten Morgen begab sich der Ritter dann mit seinem Knappen Leuthardt und dem Pagen Edelbrecht zur Gasse der Kunstschmiede, wobei ersterer auf dem Kutschbock saß und letzterer das Pferd des Knappen führte. Das Haus des Handwerksmeisters war stattlich, stellte Wulfhart anerkennend fest, und hätte jedem Greifenfurter Baron als Stadthaus zu Ehre gereicht. Er stieg ab, warf seinem Knappen die Zügel zu und trat nach vernehmlichen Klopfen ins Gebäude. Drinnen fand er sich wieder in einer Welt der Kleinodien. Ringe, Ketten und Armbänder lagen und hingen fein säuberlich sortiert auf diversen Schautischen und wurden gerade von einem Jungzwerg gereinigt. Dieser nahm beim Eintreten des potentiellen Kunden sofort Habachtstellung ein und beeilte sich, den Staubwedel aus Federn unauffällig beiseite zu legen.
"A...Ingerimm zum Gruße. Wie kann ich Ihnen zu Diensten Sein, werter Herr?"
"Ingerimm zum Gruße. Mein Name ist Wulfhart von Keilholtz. Ich bin hier, um die Dame Rahjamunde abzuholen und zu ihrer Mutter nach Greifenfurt zu begleiten. Mein Knappe war gestern in der Frühe hier und sagte mir, wir könnten heute abreisen?" Der Ritter ließ die Frage in seinen Worten mitschwingen, denn er sah nirgends das erwähnte Gepäck, noch eine reisefertige Edeldame.
"Natürlich,... Euer Wohlgeboren," fügte der junge Zwerg nach einem abschätzenden Blick auf Wulfhart hinzu. "Ich werde meinen Meister sofort über Euer Kommen verständigen. Wenn Ihr mich kurz entschuldigt." Eilig lief der Angroscho aus der Verkausstube, wobei er hinter der Tür scheinbar über einen Schemel fiel, denn Wulfhart hörte ein lautes Poltern und einen unterdrückten zwergischen Fluch. Der Greifenfurter musste nicht lange warten, da erschien der junge Lehrling wieder durch die selbe Tür. "Verzeiht, dass Ihr warten musstet. Die junge Dame macht sich gerade reisefertig und verabschiedet sich von der Familie. Sie sollte in einem viertel Stundenglas bei euch sein. Wenn Ihr erlaubt, bin ich Euch derweil behilflich das Gepäck einzuladen."
"So sei es denn." Wulfhart trat wieder vor die Tür und winkte seinen Knappen herbei, während Edelbrecht bei den Pferden blieb. "Wo ist denn die Truhe der Dame?", fragte er sich zum Lehrling umwendent.
"Hinter dieser Tür hier. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt." Eilfertig schritt der Zwerg voran. Im Hinterzimmer wartete ein etwas schiefer Stapel von Kistchen und Kästen. Während Wulfhart ein großes Stück als Wäschetruhe erkennen konnte, schienen einige der anderen Kisten Werkzeuge zu enthalten. Der Ritter schüttelte kurz den Kopf, als er sich entsann, dass es unter Handwerkern Brauch war, dass ein ausgelernter Lehrling von seinem Meister sein erstes Handwerkszeug erhielt. Offensichtlich hatte die junge Dame ihre Zeit nicht nur zur Zier hier verbracht, sondern ihre Fertigkeiten zur Zufriedenheit ihres zwergischen Meisters entwickelt.
"Leuthardt, fass bei der Wäschtruhe mit an. Die kommt zuerst in den Wagen, damit wir sehen, wie wir den Kleinkram stapeln können." Wulfhart trat an dem jungen Zwerg vorbei, dem kurz der Mund offen stand, da er solch Tatkraft bei einem Edelmann scheinbar nicht erwartet hatte, und nahm den einen Griff der massiven Eichentruhe. Sein junger Knappe sprang eilig hinzu, hatte jedoch deutlich mehr mit dem Gewicht der Truhe zu kämpfen als sein Herr. In wenigen Minuten waren so alle Habseligkeiten der jungen Edeldame auf dem Wagen untergebracht. Der junge Zwerg hatte noch etwas Stroh zwischen die Kisten gestopft, damit die wertvollen Geräte auf der langen Reise nur keinen Schaden nähmen.
Als alles bereit war, trat ein wohlbeleibter, gut gekleideter Zwerg mit grauem Haar und kunstvoll geflochtenem Bart vor die Tür. Hinter ihm kam eine zierliche junge Frau in einem einfachen, doch ordentlich gearbeiteten Gewand, den Blick schüchtern gesenkt, das dunkelblonde Haar in einem züchtigen Knoten nach hinten gebunden. Ihr Gesicht und die zaghaft ineinander gefalteten Hände hatten eine vornehme Blässe, die jedoch nicht kränklich wirkte, sondern eher ihre zarte Schönheit zur Geltung brachte. Wulfhart spürte, wie sein Atem einen Augenblick stockte. Als Rahjamunde schließlich aufsah und er in ihre rehbraunen Augen blickte, da war es ihm, als würde auch sein Herz für einen kurzen Moment aussetzen. Wulfhart fühlte sich sechsundzwanzig Götterläufe zurückversetzt, zu jenem Abend in Weidenhag, als er seine Frau damals das erste Mal auf der Ehrentribüne eines Turniers erspäht hatte. Wie gebannt starrte der Ritter die junge Frau an, bis das Räuspern des alten Zwerges ihn aus seinen Erinnerungen riss.
"Hmhm, Ihr seid also Ritter Wulfhart. Euer Knappe hat Euch angemeldet. Ich will Euch sagen, dass Rahjamunde tüchtig gelernt hat und für einen Menschen durchaus gute Arbeit vollbringt." Bei diesen Worte bedachte er die Frau mit einem anerkennenden Blick, schob sie aber zugleich sacht in Richtung des Wagens.
"Es freut mich zu hören, dass sie Euren Ansprüchen entsprechen konnte. Es wird mir eine Ehre sein, sie wohlbehütet in den Schoß ihrer Familie zurückzubegleiten."
"Ja, hmhm, wie vertraglich vereinbart hat sie ein Empfehlungsschreiben für ihren neuen Meister dabei. Ich bin überzeugt, er wird nicht enttäuscht sein. Sie ist ein gelehriges Mädchen."
"Habt Dank für Eure Worte, Meister. Ich werde Euch nie vergessen und für Eure Güte ewig dankbar sein." Rahjamundes sanfte Stimme klang in Wulfharts Ohren wie zartes Harfenspiel. Mehr noch als ihr Aussehen erinnerte ihn ihre Stimme an seine früh verstorbene Frau. Mit Mühe riss er sich zusammen und reichte der jungen Edeldame gerade noch rechtzeitig eine helfende Hand, als sie auf den Kutschbock stieg. "Vielen Dank, Ritter Wulfhart." Fast flüsternd kamen ihre Worte über ihre Lippen. Mit verlegen gesenktem Blick und leichter Röte auf den Wangen nahm seine Hilfe an.
Wulfhart wartete bis sie sich auf dem Kutschbock neben seinem Knappen eingerichtet hatte, bevor er auf sein Ross stieg. Da er seiner Stimme in diesem Moment nicht vertraute, hob er nur die Hand zum Abschiedsgruß in Richtung der Zwerge und versetzte sein Pferd sogleich in leichten Schritt.
"Angrosch mit dir, liebes Kind. Richte deiner Mutter meine besten Grüße und Wünsche aus." Der Zwerg beließ es bei diesen Worten und wartete stoisch, bis der Wagen sich in Bewegung gesetzt und hinter der nächsten Ecke verschwunden war, während Rahjamunde noch lange mit tränenfeuchten Augen zurückblickte.