Geschichten:Altes Blut - Die Ernte

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Kontor Handelshaus Rallersgrund, Stadt Rallerspfort, Baronie Rallerspfort, 2. Travia 1037 BF


Noch immer regnete es ganz vereinzelt Asche und Staub vom Himmel und der Rauch stieg Haldan beißend in die Nase. Der Geschmack von Asche lag ihm auf der Zunge. Die ganze Nacht hindurch hatte er am offenen Fenster gestanden, nicht fähig zu schlafen oder an etwas anderes zu denken. Kalter Schweiß war ihm den Rücken runter geronnen, als die ersten Rufe ertönt waren. „Feuer! Feuer!“ Er hatte am Fenster gestanden und gewusst, dass in der nun erleuchteten Nacht, aufgrund seines Befehls, Menschen sterben würden. Mehr als einmal hatte er sich gefragt, wie ähnlich er mittlerweile seinem Vater sein mochte. Stets war er zum gleichen Ergebnis gekommen: Sehr ähnlich. Zu ähnlich. Doch gab es nun keinen Weg zurück. Es war getan worden und er würde fortfahren müssen. Umkehren oder innehalten, würde das Scheitern bedeuten. Raulbrin würde sich im Laufe des Tages melden, da er mehr Geld benötigte für die Ausrüstung, die ebenfalls den Flammen zum Opfer fielen.

Die Sonne ging langsam auf und schob sich behäbig über die weiß getünchte Kuppel des Peraine-Tempels. Der für heute vorgesehene Gabenmarkt war bereits in aller Frühe abgesagt worden. Ein Priester war bereits umhergezogen und hatte dies verkündet. Die Anspannung in der Luft war nun beinahe greifbar.

Es klopfte an der Tür. Haldan wandte sich vom Fenster ab und ging zu seinem Tisch, ehe er die Person ein bat. Es waren Milo, Jurgo und Torgal. Milo hatte in der Nacht einige Blessuren erlitten, schien ansonsten aber unbeschadet. Die beiden stämmigen Männer grüßten Haldan, während Milo ihm nur kurz zunickte.

„Seid gegrüßt. Nehmt euch ruhig etwas zu trinken. Was gibt es Neues?“

Milo setzte sich in einen der Sessel, während sich Jurgo und Torgal über die Karaffe mit Wein hermachten.

„Allet abjebrannt. Det janze Haus“, begann Torgal. Er nahm einen kräftigen Schluck. „Den Alten hab ick rausjezerrt aus'm Feuer. Ob der's packt, weeß keener.“

„Sigismund?“

„Der is nich mehr.“

Haldan verzog leicht den Mund und nickte. Es war alles gelaufen wie geplant, doch fühlte es sich bislang nur bedingt wie ein Erfolg an. Er wandte sich an Milo, welcher bisher teilnahmslos am Rande gesessen hatte.

„Wie weit bist du mit dem Werben der Söldner?“

Er erhob sich, kramte ein gefaltetes Blatt Papier aus der Tasche und legte sie Haldan auf den Tisch. Er entfaltete es. „Sieben'sechzig?“

Milo nickte.

„Das reicht leider noch nicht. Zwei Banner brauche ich. Wie viele sind unsere Leute?“

„Unjefähr fünfundzwanzig.“

Haldan nickte zufrieden. „Das ist in Ordnung. Kümmere dich bitte um weitere. Das erste Banner werde ich in den nächsten Tagen bereits brauchen. Die Ausrüstung sollte bereits auf dem Weg sein.“

„Wo sollen sie alle hin?“

„Ich warte noch auf Raulbrin. Ich werde ihm Burg Rallerfels vorschlagen. Ich werde dich noch informieren.“

Milo nickte knapp und erhob sich. Auch die anderen leerten ihre Becher und verabschiedeten sich.

„Milo, warte mal. Ihr anderen könnt gehen.“

Haldan wartete bis die beiden die Tür hinter sich geschlossen hatten. Er musterte Milo. Er wirkte in sich gekehrt, müde.

„Ist alles in Ordnung? Du weißt, wir stehen kurz vor unserem Zwischenziel.“

„Haldan, es ist…ach nichts.“

„Sag schon.“

„Du weißt, dass ich als kleiner Junge herkam. Die Alten aus dem Dorf haben deiner Familie versprochen, dass wir loyale Arbeiter sein würden für die Möglichkeit eigenes Geld zu verdienen, um unsere Familien zu ernähren. Damals fand ich es nicht gerecht, dass sie uns hier hinein gezwungen haben. Doch mittlerweile haben Freunde von mir eigene Kinder, die sie versorgen müssen und ich bin deiner Familie dankbar für alles, was sie uns ermöglicht hat. Diese Männer, meine Freunde, habe ich nun angeworben, um für Raulbrin zu kämpfen. Ich habe ihnen gesagt, dass du sie brauchst und es nicht sinnlos wäre, was sie täten. Ich hoffe ich habe sie nicht angelogen, Haldan. Ich hoffe du weißt was das für Männer sind. Ihre Väter sind für ihr Land in Tobrien gestorben. Sie sind hier aufgewachsen, doch sind sie noch immer Tobrier, die irgendwann in ihre Heimat zurückkehren wollen. Nimm ihnen nicht die Chance im Feldzug der Kaiserin für ihre Heimat zu kämpfen, indem du sie hier opferst.“

„Ich verspreche es dir Milo.“

Milo nickte kurz und Haldan konnte den Anflug eines Lächelns sehen. Er erhob sich und verließ den Raum.


Raulbrin ließ einige Zeit auf sich warten. Erst nach Mittag erschien er mit einer Hand voll Soldaten, die ihm Schutz boten. Haldan hatte in der Zwischenzeit ebenfalls gehört, dass Zerbelhufen und seine Leute noch nicht die Stadt verlassen hatten.

Er ließ Raulbrin direkt zu sich bringen. Dieser trat ein und betrachtete die neue Einrichtung.

„Seid gegrüßt, Euer Hochgeboren.“, begann Haldan und ließ dem Baron noch ein wenig Zeit alles zu betrachten.

„Seid Ihr ebenfalls gegrüßt. Ich sehe Ihr habt Euch langsam eingelebt. Sicherlich wisst Ihr, weswegen ich hier bin.“

„Es wird um Eure Truppen gehen, welche, wie geplant, innerhalb von zwei Tagen bereit sein werden.“

„Sehr erfreulich zu hören.“ Er erlaubte sich ein müdes Lächeln. Dennoch wirkte er angeschlagen und angespannt. „Ihr habt sicherlich mitbekommen, dass man mich des Mordes an Nardes von Zerbelhufen beschuldigt.“

„Der Entführung. Der Brand war ein tragischer Unfall. Man sagt, dass das Mahnfeuer der Praios-Geweihtenschaft Schuld war an dem Brand. Funken haben das Dach entzündet.“

„Sagt man so, doch auch die Beschuldigung ich hätte Nardes entführt ist eine üble Verleumdung. Ich bin unschuldig. Trotz allem muss ich der Situation ins düstere Antlitz blicken. Diese Nacht wird nicht ohne Konsequenzen für mich bleiben.“

„Diese Meinung vertrete ich leider ebenfalls, Euer Hochgeboren. Wie möchtet Ihr weiter vorgehen?“

„Mir ist es wichtig, diesen Konflikt so klein wie möglich zu halten und das Eingreifen von außen so weit es nur geht vermeiden. Ich möchte leihenbutter Umstände vermeiden.“

„Das ist verständlich. Rallerspfort ist als Ort des Handels von großer Bedeutung; nicht nur für Eure Baronie. Der Elfenpfad ist von enormer Wichtigkeit. Ich als Sohn eines Händlers kann Euch sagen: Ist der Handel auf diesem Weg gestört, wird sich ein Eingreifen von außen nicht lange vermeiden lassen.“

„Ihr liegt vollkommen richtig, Rallersgrunder. Ich gehe davon aus, dass die pfortensteiner Lande verhältnismäßig sicher sind, während die größte Bedrohung von Zerbelhufen und Böckelburg ausgeht. Einen Angriff auf die Stadt schließe ich aus, da sie nicht die Mittel dafür besitzen. Bedenken habe ich aufgrund von Hirschfurten. Sollten sie eingreifen, könnte es zu einem Flächenbrand kommen, welcher Rallerspfort vernichten würde.“

Haldan dachte einen Augenblick nach. „Da habt Ihr Recht. In Anbetracht der Lage in Leihenbutt kann ich mir allerdings auch nicht vorstellen, dass ein derart großer Konflikt in ihrem Interesse ist. Oberste Priorität sollte trotz allem die Stadt Rallerspfort haben.“

„Obwohl ein Angriff ausgeschlossen ist?“

„Ja. Die zentrale Lage ist hervorragend geeignet für die Stationierung Eurer Truppen. Doch was ich für das gewichtigere Argument halte ist der moralische Effekt, den eine Stationierung in Rallerfels haben würde. Eine stark besetzte Burg mit wehenden Bannern ist ein willkommener Anblick für alle Fremden und Einheimischen.“

„Nicht bei dem Zustand der Burg. Es sind einige Ausbesserungsarbeiten nötig.“

„Ihr werdet zwei Banner dort haben, die die Arbeiten erledigen können.“

Raulbrin dachte darüber nach. Er schenkte sich einen Becher Wein ein, bevor er weitersprach.

„Das klingt in der Tat vernünftig. Die Soldaten wären beschäftigt, die Burg würde instand gesetzt und alle Kaufherren würden die Kunde verbreiten, dass die rallerspfortschen Lande sicher seien. Ihr seid geschickt, Rallersgrund. Wie ich Euch kenne habt Ihr auch bestimmt schon mitbekommen, dass die Ausrüstung, welche für die angeworbenen Truppen bestimmt war, ebenfalls im Feuer verbrannt ist.“

Haldan nickte. „Ja. Ich habe davon gehört und mir auch schon meinen Gedanken dazu gemacht.“

„Achja?“

„Ja. Alle braucht Ihr nicht zu bewaffnen. Es genügt ein Banner. Lasst die übrigen arbeiten. Die meisten von ihnen entstammen ohnehin dem Handwerk. Eine sich langsam vollziehende Ausbildung und in der übrigen Zeit die Arbeit an der Burg. Sie werden nicht gleich aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen und nützen euch dennoch. Die übrigen, jene die kämpfen können, lasst die Kaufleute schützen.“

„Damit bleibt die Burg beinahe ungeschützt.“

„Sie wäre nicht schwächer als jetzt. Eure derzeit dort stationierten zieht ab. Es verbliebe ein Banner kräftiger Männer. Niemand weiß wie schwach sie bewaffnet sind. Zerbelhufen hat nicht die Mittel, um überhaupt ein einziges Banner aufzustellen und Ihr wisst, wie man sagt: Ein Mann auf der Mauer ist mindestens drei davor wert. Da spielt die Ausrüstung kaum eine Rolle und sie werden schon nicht nackt sein. Die Familie Rallersgrunder kann das nötigste stellen.“

„Rallersgrunder. Entweder ich werde Euch einmal töten müssen, oder ich mache Euch zu meinem Seneschall.“

„Wenn ich die Wahl hätte, wählte ich zweiteres.“ Die beiden Männer lachten.

„Nun, da mein Schwiegervater schwer verletzt wurde, werde ich eine Stütze benötigen in diesen unruhigen Zeiten. Haltet mich für wahnsinnig, doch von allen nahen Personen, kommt Ihr dem noch am nächsten.“ Raulbrin beobachtete genau Haldans Reaktion. Haldan riss ernsthaft erstaunt die Augen auf. „Ihr beliebt zu scherzen, Euer Hochgeboren.“

„Keineswegs. Außerhalb von Rallerspfort habe ich starke Freunde in der Familie Zweifelfels, doch sind sie durch eigene Sorgen geplagt und weit entfernt. Eure Familie hingegen half mir das Ruder herum zu reißen. Ich sehe wieder Licht am Horizont, welches verschwunden schien in den letzten Wochen.“

„Es war uns eine große Ehre.“

„Kniet nieder.“ Haldan tat, wie ihm befohlen. „Ich, Raulbrin aus dem Hause Rallerspfort, erhebe Euch, Haldan Rallersgrunder und die Euren vor den Augen der Götter in den Adelsstand. Möge Euer Handeln den Zielen der Baronie und denen des Reiches dienlich sein und möge Eure Erhebung keine Schande über unseren Stand bringen. Erhebt Euch nun als Haldan von Rallersgrund, Edler der Baronie Rallerspfort.“