Geschichten:Ritterwallfahrt - Eine Knappin erzählt
Es war eine kühle Nacht, die das Nahen des Winters ankündigte. Es würde nicht mehr lange so warm bleiben wie dieser Tage. Maya saß auf dem Heuboden der Remise auf der Grafenfestung Luringen direkt an der Luke, durch die man die großen ballen hineinwuchten konnte. Die Luke stand offen, so dass das Mädchen - die junge Frau! – ihre Beine über die Schwelle baumeln lassen konnte. Unter sich lag der stille untere Hof der Burg, in dem zwei Laternen funzelten. Auf den Wehrgängen konnte man mitunter die gelangweilte Wache entlangschlendern sehen. ›Wenn die man wachsam wäre‹, dachte Maya bei sich. ›Die hat ja keine Ahnung, wie es ist, sich bedroht zu fühlen. Ständig. Tagsüber. nachts. Ob alleine oder in der Gruppe. Hier auf Luringen war man schon immer sicher. Aber in der Wildermark …?
Es raschelte unten, dann ächzte es auf der Leiter, die auf den Heuboden führte. Kurz darauf erschien der blonde Schopf Adhemars im Schein von Mayas Laterne.
»Da bist du ja endlich!«, begrüßte sie ihn ungeduldig und streckte schon die Hand nach dem Bündel aus, das der Junge auf den Heuboden wuchtete. Wurst, Käse, Brot, eine Flasche Wein.
»Es ging nicht eher. Flaygor war noch da unten. Ich musste warten. Hättest du keinen Wein gewollt, wäre es schneller gegangen«, maulte Adhemar.
»Der muss sein! Kann man sich dran gewöhnen. Wenn du mal groß bist, wirst du schon sehen. Willst du einen Schluck?«
»Nee, Wein ist eklig! Aber hier: ich habe noch Birnenkompott gefunden, eine Salzstange und ein bisschen Speck. Fang an!«
»Wo war ich gestern stehen geblieben?« Maya zog den Korken mit einem geräuschvollen Ploppen aus dem Flaschenhals und setzte sie umstandslos an die Lippen.
»Du hattest gerade erzählt, wie Ritterin Ingrimma gefallen war und wie Arn, der Koscher Knappe, ihr Schwert an sich genommen hatte.« Adhemar setzte sich in Position, die Füße untereinandergeschlagen, und betrachtete seine Base. Maya war ziemlich erwachsen geworden, fand er. Sie war irgendwie ›zur Frau‹ geworden, wie sich Großtante Rumhilde ausgedrückt hatte, vorn und hinten sozusagen. Außerdem hatte Maya diese Narbe über dem linken Auge, die sie verwegen aussehen ließ, und dann diesen arroganten Blick. Außerdem schien sie sich vor nichts mehr zu fürchten. Und sie trank plötzlich Wein – wie richtige Erwachsene. Aber das durfte sie nur heimlich, wie Adhemar wusste.
»Richtig, die durstige Grimma! Na ja. Das war schlimm – wir hatten ja gerade erst den scheußlichen Winter überstanden, meine Frostbeulen waren gerade erst verheilt. Weißt du, wie kalt so ein Helm werden kann, wenn es schneit und du draußen im Wald stehst und auf irgend so einen Mordbrenner wartest?« Adhemar schüttelte den Kopf.
»Verdammt kalt, sage ich dir. Verdammt kalt. Aber der Mordbrenner kommt natürlich nicht. Denn der bleibt schön an seinem Lagerfeuer und wärmt sich die Hinterbacken, während wir von Onkel Danos durch die Nacht gehetzt werden!« Maya wischte sich mit dem Unterarm in einer sehr rustikalen Geste den Wein von den Lippen und griff nach dem Käse. »Talf war okay. Da sind wir ein paar Wochen geblieben, immer ausgeschwärmt, mal in großen, mal in kleinen Gruppen. Onkel Danos hat mich Ritter Thorman zugeteilt. Der ist erfahren, klar, aber auch total vorsichtig. Ganz oft ist er viel zu zaghaft losgezogen. Selinde, die mit Ritter Rondradan mitzog, hat viel mehr erlebt. Gut, da ist auch die durstige Grimma gefallen, aber na ja – Ritter kämpfen nun mal und kriechen nicht durch den Schlamm. Mann! Weißt du,. wie viel Sand in so einem Kettenhemd stecken kann? Berge!«
»Ja«, piepste Adhemar dazwischen, »der lange Odo hat mich die dreckigsten Kettenhemden putzen lassen.«
»Das ist gar nichts«, unterbrach Maya ihn, »wirklich gar nichts. Aber egal. Den langen Odo habe ich nun gerade nicht vermisst. Haha!« Maya biss noch ein Stück Wurst ab, ehe sie fortfuhr. »Das Frühjahr war dann ja ganz okay, muss ich sagen. Irgendwie war ja mit den ganzen anderen Befreiern der Wildermark eh schon ziemlich aufgeräumt worden. Onkel Danos hatte auch kaum noch was zu tun. Tausendfünfunddreißig waren wir noch durch halb Hartsteen gehetzt, danach wurde es dann ein bisschen dramatischer, aber zum Jahresende Sechsunddreißig war klar, dass die Luft raus war. Onkel Danos wirkte auf mich sehr nachdenklich, irgendwie unzufrieden, weißt du?«
»Großtante Rumhilde hat das auch gesagt. Und Onkel Drego auch. Und Ritter Rondger – der Scheupelburger, weiß du? -, der hat gesagt, dass Großonkel Danos wohl gedacht hat, er käme gar nicht mehr zurück.« Adhemar hatte schnell gesprochen, damit seine Base ihn nicht unterbräche. Doch Maya nickte gedankenversonnen und sprach erst nach einer Pause weiter.
»Da könnte was dran sein. Ich meine – für die Wallfahrer ging es ja auch darum, Questen zu erfüllen, damit sie Onkel Danos mal herausfordern können, ich meine als ›König der Ritter‹. Er hat seinen Nachfolger gesucht. Und hier in Luringen ja auch, wobei: Drego ist ja sein Nachfolger. Wenn auch …«
»Erzähl weiter!«, drängelte Adhemar, dem trotz aller Neugier die Müdigkeit jetzt anzumerken war.
»Richtig krass waren dann nochmal die Namenlosen Tage. Da waren wir in der Nähe der Reichsabtei Dergelsmund, die wir eigentlich noch hatten erreichen wollen. Ging nicht. haben dann an einem Gehöft halt gemacht; die armen Bauern! Auf einmal sollten sie fast 50 Leute versorgen! Wir teilten uns auf Bauernhaus, Stall und Scheune auf, außerdem gab es Wachen. Für die Versorgung gingen wir auf die Jagd. Dabei wurde der Trupp von Ritter Valtoron und Ritter Reto angegriffen. Ziemlich viele Mordbrenner versuchten da, sich in den Tagen zwischen den Jahren davonzumachen Richtung Tobrien. Der Warnruf des Jagdhorns warnte uns, und Onkel Danos ist selbst mit zehn Mann raus, um zu schauen, was los war. Wir mussten auf dem Hof bleiben und uns dort für alle Fälle verschanzen. Natürlich hatte Ritter Thorman das Kommando – war ja klar. Ich also: im Bauernhaus. Raus durfte ich nur zum Holzspalten. Darum habe ich von dem Kampf kaum was mitbekommen. War ziemlich heftig. Ritter Reto hat da seine Hand verloren, zum Glück nur seine linke. Aber von uns knappen hat dann doch noch einen gekostet: Varri wurde von einem Speer durchbohrt, hier am Hals rein und da wieder raus. Walli hat mir erzählt, dass Varhold noch ganz lange schrecklich geröchelt haben soll, aber da der Kampf weiterging, konnte ihm keiner helfen. Tat mir schon leid. War ein guter Kamerad. Ein bisschen still, aber immer hilfsbereit. Ich weiß, dass seine Familie sehr stolz darauf gewesen war, dass er bei Onkel Danos Knappe war. Je nun. Wir haben ihn dann noch beerdigt, aber nicht mir den toten Marodeuren, versteht sich!
Zum Jahresanfang wollten wir eigentlich nach Gareth zum Kaiserturnier, aber Onkel Danos wollte davon nichts wissen. Stattdessen sind wir über Hartsteen nach Rommilys, in die Wehrhalle des Praios dort. Und dann den Darpat runter bis nach Perricum,. wo wir dann im Rondra gewesen sind. Das war klasse! Wegen der Zwölfgöttertjoste waren da mehr Ritter als vor Berler oder beim Grafenturnier, sage ich Dir! Selbst Onkel Danos ist da angetreten, hat aber wegen einer Verletzung aufgeben müssen. Am ersten Tage des Turniers hat außerdem Erlbrechta ihren Ritterschlag erhalten, darauf war sie mächtig stolz! Na ja, wäre ich auch gewesen. Immerhin war das Schwert der Schwerter anwesend! Und Onkel Danos hat Güldenbeiß direkt nach der Weihe in der Löwenburg für den Ritterschlag verwendet! Und Harbolf ist da in die Rondra-Kirche eingetreten. Stell dir vor! Er ist seit zwei Jahren Vater, aber hat sein Kind noch nie gesehen. Seine Frau ist wohl viel älter als er. Jedenfalls hat er lieber gleich die Kutte genommen, Onkel Danos war sehr stolz auf ihn. Er ist gleich in Perricum geblieben.
Und dann kam der Wallfahrtssegen, den das Schwer der Schwerter selbst gesprochen hat. Wir sind alle in das Buch der Rondra eingetragen worden! Stell dir vor! Ich bin noch nicht mal Ritterin … Adhemar? Schläfst du etwa?«
In der Tat: Adhemars Kopf war auf seine Brust gesunken und der Knabe eingeschlafen. Maya rüttelte ihn wach und bugsierte ihn schlaftrunken hinunter. Den Rest würde sie ihm eben morgen erzählen, wie sie alle nach der Tjoste in Perricum noch auf der Kaiserhochzeit gewesen waren und wie sie ihre Schwester wiedergetroffen hatte, die eine richtige Zicke geworden war, und wie sie dann nach Luringen zurückgekommen sind. Nach so langer Zeit.