Geschichten:Waldlöwe erwacht - Firunian von der Sehne
Burg Silz, Efferd 1037 BF
»Die Gräfin ist nicht hier, sie ist im Reichsforst. Wer seid Ihr und was wollt Ihr?« Vallbart von Falkenwind war barsch und ungehalten, ganz gegen seine Art. Aber dass Feenwasser diese Gerüstete einfach durchgelassen hatte, bis in die Burg, das gefiel ihm nicht.
»Ich komme aus Reichsforst, aus dem Gnadental. Und ich heiße Firunian von der Sehne.« Der Sprecher war drahtig, geschmeidig, aber nicht mehr ganz jung. Ein Bewohner des Waldes.
»Soso, hat man Euch von der Sehn gelassen, ja?« Falkenwind lachte kurz über den eigenen Witz, erhob sich dann und führte den Besucher an eines der hochbordigen Fenster im Remter, wo Gäste empfangen wurden. Der Blick war fantastisch: Der dunkle Wald erstreckte sich hier, soweit das Auge reichte. Und von der Höge Burg Silzens reichte es weit.
»Dort hinten, bei der hohen Blutulme. Dort ist die Gräfin heute früh gewesen. Seht Ihr die Ulme? Ob die Gräfin noch immer dort ist, weiß ich nicht. Aber Ihr könnt es versuchen.«
»Komm her, Fremder. Ich habe Dich kommen sehen. Du bist auf meiner Fährte Spur gekommen. das gelingt nicht vielen unter den Menschen. Was willst du?« Allechandriel hatte Pfeil und Bogen beiseite gelegt und auch den langen Dolch. Sie hockte auf dem Stamm eines vom Alter umgeworfenen Baumes und hatte lässig ein Bein über das andere geschlagen. Sie wirkte zart und zerbrechlich auf diesem mächtigen Stamm. Ihre großen, irisierenden Augen fixierten Firunian, der sich auf seine Waldläuferkünste zurecht einiges einbildete.
»Wissende, äh … Hochwohlgeboren. Ich bin Firunian von der Sehne. Ich komme aus dem Gnadental. Perval vom Stein schickt mich zu Euch, denn Ihr habt mit dem König gesprochen und sie von ihm zur Wächterin erkoren.« Firunian beugte das Knie vor der Elfe, doch gerade dass es nicht höfisch ausfiel, passte am ehesten zu dieser Begegnung.
Allechandriel schien alarmiert. Sie erhob sich geschmeidig und trat drei Schritte auf Firunian zu, legte ihm die Hand auf die Schulter und hieß ihn, sich zu erheben: »Firunian von der Sehne, ich kenne Perval nicht, doch ich kenne den König, den alten Löwen. Und er gab mir wahrlich einige Ratschläge und Ermahnungen, ehe er sein Schicksal zu suchen ging. Sprich, Firunian, ich lausche.«
»Es ist so, Wissende, dass der König der Waldlöwen … er ist in leichtem Schlummer nur. er … regt sich und droht zu erwachen.«
»Warum?«, fragte Allechandriel, die wusste, dass der Tierkönig der Waldlöwen eigentlich tief schlafen müsste. Die Schleiereule hätte ihr sonst etwas gesagt, als sie sie letzthin getroffen hatte.
»Es gab Eindringlinge ins Gnadental. Sie haben Lärm gemacht und den Kultplatz zu erreichen gesucht. Dabei haben sie sich dumm angestellt und sind in unsere Fallen getappt. Dennoch haben sie den Waldlöwen beinahe geweckt. Perval schickte mich deshalb zu Euch, damit Ihr mir sagen könnt, was wir tun sollen.«
»Ich soll dir sagen, was du tun sollst?« Allechandriel war immer wieder erstaunt, was den Rosenohren für lustige Dinge einfielen.
»Na ja«. druckste Firunien. »Perval hält es für das beste, dass Ihr mit Ventiabelyth zu uns kämet, den Waldlöwen zu beruhigen.«
Allechandriel griff unwillkürlich an die kleine silberne Flöte, die an einem Band um ihren Hals hing und die der König der Riter ihr zu treuen Händen gegeben hatte, ehe er in die Wildermark aufgebrochen war.
»Siehst du, du weißt, was zu tun ist; lass uns sofort gehen.«