Geschichten:Natzungen im Frühjahr - 2. Tsastunde
Baronie Natzungen, 13. Tsa 1030 BF
„Ludegar!“ sprach Aldare sanft. „Wie schön Dich zu sehen!“ Ludegars Gedanken rasten. Wie konnte das möglich sein. „Willst Du Dich auch an dieser Usurpation meiner Baronie beteiligen?“ fragte Aldare ihn ruhig. „Was für eine Usurpation?“ „Nun meine Kusine hat es fertig gebracht, die Baronskrone an sich zu reißen. Und Deine Familie hat sie dabei unterstützt!“ Ludegar schüttelte energisch den Kopf. „So war es nicht!“
„Haldan!“ „Ja, Herr!“ antwortete sein Adjutant. Eberhelm hatte sich an einen Tisch gesetzt und grübelte. „Wie lange brauchen wir, um unsere Männer und Frauen zum Abmarsch fertig zu machen?“ Haldan, der Adjutant, schaute auf. „Zu welchem Zweck?“ Eberhelm wurde laut: „Der Zweck kann Dir doch egal sein!“ Haldan zuckte zusammen. „Nun, ich denke, wir brauchen nicht allzu lange. Soll ich sofort alles veranlassen?“ Die Stimme Eberhelms war schwach: „Ja!“ Nachdem sich sein Adjutant entfernt hatte, vergrub Eberhelm sein Gesicht in den Händen. „Oh, Ihr Götter, warum müssen diese Zeiten die meinen sein?“
Tanira ging auf und ab. Die Warterei machte sie fertig. „Euer Hochgeboren, setzt Euch doch bitte!“ sprach Hauptmann Raul. „Ich will mich nicht setzen!“ sprach Tanira energisch. Ihre Gedanken rasten und ihr Verstand schaffte es immer noch nicht, die Ereignisse des heutigen Tages zu fassen. Wie sollte sie dabei ruhig bleiben und sich hinzusetzen?
„Doch genau so war es“, sprach Aldare scharf. Ludegar schüttelte energisch den Kopf. „Ludegar! Mach dich doch nicht lächerlich!“ sprach Aldare jetzt sanft. „Steig von dem Pferd ab!“ Ludegar schaute skeptisch. Er war sich unschlüssig. Für einen Moment wollte er der Bitte nachgeben, doch fiel sein Blick auf den Rabenschnabel an seiner Seite – die Waffe des Hagen von Schwingenfels. Ludegar packte die Zügel fester. „Niemals!“
Es klopfte an der Tür. Die Soldaten waren sofort in Position, Raul gab den Männern mit einem Nicken zu verstehen, dass sie die Tür öffnen sollten. Es war Melcher Krambusch. „Euer Hochgeboren! Ich habe mich umgesehen. Euer Gemahl wird im Stadtverlies gefangen gehalten. Es ist nur die normale Wache anwesend. Ein Großteil der Orbetreuer Schwingen wird in deren Garnison festgehalten.“ Tanira nickte. „Meine Männer haben einen Wagen für den Transport von dem Verwundeten besorgt.“ Tanira überlegte kurz. „Wie viele Männer bewachen im Moment die Schwingen?“ „Vier.“ „Nur vier?“ „Die Garnison kann von den vier Mann durchaus in Schach gehalten werden“, warf Hauptmann Raul ein. „Auch einem Angriff von außen?“ fragte Tanira lauernd. Raul Zornbold schmunzelte, ehe er bestimmt sagte: „Nein!“ Tanira schaute den Brandherrn an. „Meister Krambusch, ich danke Euch für Eure Dienste. Ich werde sie nie vergessen!“ Melcher Krambusch verneigte sich und wandte sich zum Gehen. Tanira wandte sich an den kleinen Haufen Getreuer im Versteck. „Man hat uns vielleicht überrumpelt, aber gebrochen hat man uns noch lange nicht. Ich weiss nicht, was in meine Kusine gefahren ist, aber ich werde meinen Mann nicht hier zurück lassen. Macht Euch bereit! Wir werden zuerst die Schwingen befreien und dann Hadrumir!“ Wie aus einem Mund gaben ihre Leute die Antwort: „Zu Befehl!“
Ludegar trieb sein Pferd an Aldare vorbei. Er musste schnell sein. In irrsinnigem Tempo ritt er durch die Straßen Natzungens. Seine Herrin hatte ihm Soldaten hinter her geschickt. Armbrustbolzen flogen ihm um die Ohren. Irgendwo musste sich ein Schütze versteckt halten. Mit waghalsigen Richtungswechseln versuchte Ludegar den Häschern zu entkommen. Alinde hinter ihm schrie: „Ich will hier raus!“ Ludegar trieb das Pferd weiter. Er wusste das Garether Tor zu seiner Rechten. Entschlossen zog er den Rabenschnabel. „Was hast du vor?“ schrie Alinde hinter ihm. „Durchbrechen!“ brüllte Ludegar nach hinten und packte die Waffe fester. Oh, Ihr Geister meiner Ahnen, lasst mich Euch als würdig erweisen. Vor ihm positionierten sich die Stadtgardisten.
Nachdem Aldare den Befehl zur Verfolgung ihres Knappen gegeben hatte, trat der Stadtvogt an sie heran. „Euer Hochgeboren, die Burg ist Euer!“ Aldare schaute ihn entschlossen an. „Damit ist unsere Aufgabe noch nicht getan!“ „Ich weiss. Seid Euch versichert, dass ich immer treu an Eurer Seite stehen werde!“ „Leomar, Ihr seid mein bester Mann und ich danke Euch aufrichtig für Eure Treue. Ihr seid in solch schweren Zeiten offenbar der einzige auf den ich mich verlassen kann!“ Aldare schaute sich um. „Doch nun sollten wir uns in die Stadt aufmachen. Wir müssen die Usurpatorin schnappen!“ Aldare befahl einige Soldaten herbei und wandte sich zum Gehen. Leomar folgte ihr mit einem verschmitzten Lächeln, welches von Aldare unbemerkt blieb.
Die Stadt wirkte wie ein aufgescheuchtes Wespennest. Tanira war es nur recht. Fast unbehelligt erreichten sie die Garnison der Schwingen. Raul klopfte energisch. „Wer da?“ ertönte es von drinnen. Tanira hatte sich zu einer List entschieden und antwortete: „Jorunde von Gerstungen!“ Die Soldaten konnten hören, wie drinnen die Tür aufgeschlossen wurde. „Ihr seid nicht die Stadtkommandantin!“ rief der Soldat, der die Tür öffnete, doch in diesem Moment zog ihn schon Raul nach draußen. Ein schneller Hieb und der Mann klappte zusammen, während die restlichen Schwingen die Garnison stürmten.
Ludegar hieb einem der Gardisten den Rabenschnabel über den Kopf. Er sprang vom Pferd und riss die nächsten zwei Gardisten um. Mit aller Kraft warf er sich gegen den Torbalken und hievte ihn so aus der Verriegelung, dass sich das Tor öffnen ließ. Er spürte einen Schlag in die Seite, welcher aber nicht die Rüstung durchdrang. Er drehte sich unter dem nächsten Schlag seines Gegners durch, umklammerte dessen Hüfte und schmiss auch diesen zu Boden. Sofort kam er wieder hoch und ließ einen Schlag nach dem anderen seiner Fäuste auf seinen Gegner niedergehen. Die zwei, welche er vom Pferd aus niedergeworfen hatte, erhoben sich wieder. Ludegar sprang auf, schnappte sich erneut den Rabenschnabel und hieb nach dem ersten, welcher aufstöhnte, als er ihn an der Schulter traf. Der zweite zog sein Schwert, doch Ludegar drehte sich zwischen beiden hindurch, packte den Waffenarm seines Gegners, drehte sich erneut und ließ den Kopf des Gegners gegen die Mauer prallen. Schnell war Ludegar wieder bei Alinde und den Pferden. „Nichts wie weg hier!“ sprach er und trieb das Pferd mit einem Schenkeldruck erneut an und verließ die Stadt.
Eberhelm schaute sein Gegenüber an. Er hatte diesen schmierigen Typen erneut zu sich bitten lassen und hoffte, dass dieser auf seine Vorschläge eingehen würde. „Setzt Euch!“ befahl er. „Ich bleibe lieber stehen!“ „Nun gut!“ „Ihr wisst genauso gut wie ich, dass Euer Verlangen ein wenig Vorbereitung braucht.“ „Wenn Ihr es sagt!“ Eberhelm ging hin und her. „Ich werde die Forderungen erfüllen. Doch stelle ich eine Bedingung!“ „Welche?“ „Lasst mir bis zum Morgengrauen Zeit!“ Sein Gegenüber wandte sich zum Gehen. „Bis zum Morgengrauen habt Ihr Zeit, aber danach wird Eure Tochter sterben!“ Eberhelm atmete erleichtert auf. Wenigstens hatte er ein wenig mehr Zeit. Er nickte seinem Adjutanten zu und begab sich sofort zu seinem Pferd. Jetzt hatte er keine Zeit mehr zu verlieren.
Tanira lächelte zufrieden. Der Kampf um die Garnison war nur kurz gewesen. Jetzt umstellten die Schwingen das Ratsgebäude systematisch. Zwei Mann drangen über ein Seitenfenster in das Gebäude ein. Kurz darauf wurde die Fronttür geöffnet. Tanira stürmte mit Hauptmann Raul und den Männern über den Platz. „Wohin?“ fragte Raul. „Den Gang runter und dann links die Treppe nach unten!“ befahl Tanira. Raul gab zwei Frauen mit einem Wink zu verstehen, die Lage voraus zu sichern.
„Wohin willst Du Ludegar?“ fragte Alinde hinter ihm. Darüber hatte sich Ludegar keine Gedanken gemacht. Er verlangsamte das Pferd. „Was ist?“ fragte Alinde. „Ich denke, wir sollten nach Orbetreu!“ sprach Ludegar nach einigem Überlegen. Er schaute sich um. „Wir müssen da lang, glaube ich.“ „Glaubst du es oder weißt du es?“ fragt Alinde scharf zurück. „Nun, ich bin mir fast sicher.“ antwortete Ludegar und trieb das Pferd erneut an.
„Dort vorne ist es!“ Egilmar schaute zufrieden auf die Mauern Natzungens. Er würde in einem Triumphzug in die Stadt ziehen können und der Baronin seine Treue schwören. Die Familie Blumenau würde durch ihn endlich die Machtfülle erlangen, die ihr schon immer zugestanden hatte.
Nachtwächter Brin gähnte einmal laut, bevor er sang: „Hört Ihr Leut und lasst Euch sagen, es hat die Phexenstunde geschlagen.