Geschichten:Brennende Häuser - Familienrat

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Burg Hutt, 26. Rondra 1032 BF


Schwarz und trutzig ragte Hutt über das beschauliche Dorf am Fuße des Kahlen Schirchs. Die Grundmauern hatten schon gestanden, bevor die Erste des Geschlechtes Hartsteens aus dem Grangoschen die Waffe für Raul von Gareth ergriffen hatte und noch auf den brennende Zinnen Bosparans zur Gräfin bestallt wurde. Niemand ahnte, wie lange wirklich dort schon die riesigen Granitblöcke, die offenkundig nicht aus dem nahen Feidewald stammen konnten sondern eher aus den hohen Tälern des Raschtullswalls oder den Trollzacken herbeigeschleift worden sein mussten. Unzählige Umbauten hatten die Mauern erfahren, den gedrungenen und trutzigen Charakter allerdings hatte kein Architekt zu ändern gewagt.

Schon am Vorabend waren die ersten Gäste eingetroffen. Beunruhigt waren sie nach Hutt gekommen, um zu erfahren, welche dringenden Belange sie von der Vorbereitung der nahenden Erntezeit abhalten sollten. Die Familien Gneppeldotz und Gnisterholm waren nahezu gleichzeitig eingetroffen. Auf dem Burghof grüßten sich die Ritter Thalacker und Halwart knapp und kühl, zwischen ihnen bestand keine Freundschaft und nur der Umstand, gemeinsam geladen worden zu sein, hinderte den impulsiven Gneppeldotzer seinem Nachbarn für die Raubritterumtriebe, derer er die Familie bereits öffentlich vor dem Grafen, vor ihrem gemeinsamen Lehensherren Luidor von Hartsteen, wenn auch ohne zwingende Beweise angeklagt hatte, an Ort und Stelle die Fehde zu erklären.

Keiner wurde von den Gastgebern persönlich begrüßt. Allseits äußerte man sich verwundert über die Geheimniskrämerei der Hartsteens, ein Wesenszug, welcher den meisten Vertrauten ungewohnt erschien. Stattdessen wurde man vertröstet auf die um die zweite Praiosstunde angesetzte Besprechung im Rittersaal. Mit einem hervorragenden Abendmahl versuchte man die Gäste zu besänftigen, und so ließ man den Gerstensaft in Strömen die trockene Kehle herunterrinnen.

„Mir scheint, es liegt was im Busch“, wandte sich Ritter Thalacker raunend seinem Platznachbarn Bodebert von Windischgrütz zu.

Es war bereits fast ein Götterlauf her, seitdem dieser von der Kaiserin persönlich aus den Händen eines angesäuerten Staatsrates die Belehnungsurkunde für die Pfalz Puleth erhalten hatte, nachdem die überlebenden Streiter des Appelhofstreitzuges den bronzenen Greifenstern in Empfang genommen hatten. So sehr alle Anwesenden sich über die Ehrung des Reiches gefreut hatten, das Erscheinen und die Entrückung der Altgräfin in den Regenbogenfarben der jungen Göttin hatte bei allen Hartsteenern einen zu tiefen Eindruck hinterlassen. Nicht jeder von ihnen konnte dem Gedanken an ein Friedensjahr Gutes abgewinnen. Zumal sich nichts an den Rahmenbedingungen der Fehde dadurch geändert hatte.

„Ja, es ist beunruhigend“, antwortete der neue Herr der Pfalz Puleth seinem Bundgenossen. „Man hört hier bereits erste beunruhigende Gerüchte. Seitdem Graf Luidor vor das Reichsgericht gegangen ist, scheint man auf Feidewald unruhig geworden zu sein.“

„Ach, es ist ein Fehler, ständig Vorsicht walten zu lassen“, polterte Halwart laut und angetrunken dazwischen. „Wie stehen wir denn überhaupt da? Im ganzen Reich hält man uns für Feiglinge, dass wir den Grafenstreit auf dem diplomatischen Parek... Paltek... hicks... Parkett, die Zwölfe noch mal!, austanzen wollen!“

Um ihn herum herrschte Schweigen. Niemand würde es wagen, öffentlich in die Kritik am Grafen einzustimmen, aber der ungehobelte Gnisterholm sprach vielen aus der Seele. Viele waren die ewigen Winkelzüge Luidors leid, welche sie scheinbar keinen Schritt weiter ans Ziel brachten.

Immer mehr Vasallen erreichten Hutt aus Bugenhog, Rabensbrück und dem Reichsgau. Allen wurde die gleiche Antwort gegeben: morgen würde der Familienrat der Familie Hartsteen in einer dringenden Sache seine Vasallen zu Rate ziehen.



Burg Hutt, Zweite Praiosstunde des 26. Rondra 1032 BF


Schweigend hatten sie alle den Rittersaal betreten. Er bestand fast nur aus einem einzigen großen, lang gezogenen Tisch, an dem zu beiden Seiten hochlehnige Stühle akkurat nebeneinander standen. Jeder Stuhl stand unter einem Wappen eines der Rittergeschlechter der Baronie. Jede Familie mit Grund und Lehen in Hutt fand hier ihre Farben und hier blieben sie hängen auch über ihr Ende auf Dere hinaus.

Der Hausherr hatte die Fensterläden geschlossen und die Kerzen auf den schweren Kronleuchtern anzünden lassen. Baron Alrik von Hartsteen saß auf dem Baronsthron am Kopfe der Tafel und schaute die Hartsteener Adligen matt an. Neben ihm stand sein Vetter Hilbert, der Pfalzgraf von Sertis. Man spürte die Anspannung der beiden, bis spät in die Nacht hinein hatte man sie laut diskutiere hören.

Nacheinander nahmen die Verbündeten der Familie Platz. Wer sein Wappen hier fand, wählte den Stuhl darunter. Unter der grünen Fichte saß Praiodan von Steinfelde neben Thalacker von Gneppeldotz mit dessen apfelgreifender Adlerklaue und starrte finster sein Gegenüber Halward von Gnisterholm an. Die beiden Rabensbrücker Junker Schallenberg und Allingen wählten einen der freien Plätze unter einem verstaubten Wappen ohne Träger. Der frisch gekürte Reichsvogt von Puleth hatte sich einen saftigen Apfel mit in den Raum genommen. In die gespannte Stille krachten seine Bisse.

Aus dem Reichsgau waren Taramon von Zoltheim und Vicarius von Firunshöh erschienen. Der Wetterfelser hatte sich entschuldigen lassen. Das Gerücht machte die Runde, er bringe so seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass die Rittermacht Luidors im Peraine 1030 BF nach ihrem gemeinsamen Sieg in Appelhof ihn nicht bei der restlichen Befriedung seiner Pfalzgrafschaft unterstützt hatte.

»Treue Vasallen und Freunde unserer Familie«, eröffnete sich Hilbert von Hartsteen nach einem trockenen Räuspern die Zusammenkunft, »wir sind großen Dankes Euch hier so zahlreich versammelt zu sehen. Wir wissen, dass die Ernte bevorsteht und die gütige Herrin Peraine gebe uns eine reiche und stolze Ernte.« Hilbert war hervorgetreten und verdeckte fast den Baron auf Hutt. Seine Stimme wurde langsam erregter, während er sprach: »Wir haben den Familienrat einberufen, um eine gewichtige Entscheidung kundzutun.«

»Kundzutun« ging es Praiodan von Steinfelde unwillkürlich durch den Kopf. Nicht »Rat ein zu holen«. Er spannte sich unwillkürlich an.

»Diesen Sommer hat der rechtmäßige Graf von Hartsteen, Graf Luidor, bei unseren Freunden und Verbündeten in den Nordmarken in Elenvina verbracht. Dort beobachtet man mit großer Sympathie unseren Kampf wider den dreisten Geismar, dessen Urahn bereits zu Unrecht sich Graf zu Hartsteen nannte. Vor dem Reichsgericht wird man dieses Unrecht bestätigen, die ersten Reichrichter haben bereits durchscheinen lassen, dass sie die Klage der Familie in dieser Sache für praiosgefällig halten.«

Felan unterbrach den Pfalzgrafen und sagte laut in die Runde: »Das mag alles gut und schön sein. Der Gang vor das Gericht ist mal wieder eine der üblichen Eskapaden, die letztlich keine Früchte tragen wird. Was aber hat das mit uns zu tun?«

Baron Alrik schüttelte wortlos den Kopf und schaute seinen Vetter Hilbert von der Seite auffordernd an.

»Ja, ähm, dazu komme ich jetzt«, stammelte der Pfalzgraf, für einen kurzen Augenblick aus dem Konzept gebracht. »Anfang dieses Rondramondes weilte seine Hochwohlgeboren auf Burg Salmingen im Kosch, um dort einer Hochzeit zwischen Nordmärker und Koscher Adel beizuwohnen. In Begleitung Seiner Exzellenz Siopan von Salmingen, Erzpraetor der Hesinde-Kirche und Chronist der Mittellande, und Seiner Gnaden Hadwig Manegold von Ibenburg-Luring, Rechtsbewahrer des Praiosklosters Wallbronn und Sohn des auf Weidleth unterlegenen Kandidaten Godefroy von Ibenburg-Luring, machte er sich auf die Heimreise. Das letzte Schreiben der Reisegruppe aus Gareth datiert auf den zwanzigsten Tag diesen Mondes und kündigt die Heimkehr Luidors auf Oberhartsteen am übernächsten Tage an. Bis zum heutigen Tage hat Graf Luidor Burg Oberhartsteen nicht erreicht.«

Es entstand eine Pause. Selbst Reichsvogt Bodebert von Windischgrütz hatte seinen Apfel sinken lassen und starrte ungläubig auf die beiden Hartsteener am Kopf der Tafel.

»Wie soll das gehen, dass der Graf samt Gefolge verschwindet, ohne dass irgend jemand etwas gesehen hat?«, meldete sich der Steinfelder schließlich zu Wort. Auch Peridan schaute nach vorne, unfähig seinen Schrecken zu verbergen. »Was…«, setzte er an, »was in der Zwölfen Namen soll das bedeuten?«

Hilberts Stimme wurde scharf wie eine geschliffene Klinge: »Das bedeutet, dass Luidor tot sein muss. Ganz recht. Und Geismar sitzt auf Feidewald und wird von sich aus den Mord natürlich nicht zugeben.«

»Tot - oder entführt«, entfuhr es dem Ritter zu Steinfelde. »Es wäre ja nicht das erste Mal, dass Geismar und sein Geschmeiß zu solchen Mitteln greifen, wenn es ihnen ernstlich an den Kragen geht. Ihr erinnert euch doch an die Sache mit dem Schwingenfelser?«

» Die böse Kröte mag denken, dass er nun die Fehde gewonnen hat«, fuhr Hilbert fort. »Aber er vergisst, dass es die Familie Hartsteen ist, unabhängig irgendeines Familiengliedes, welche diese Fehde führt und dass damit der Anspruch auf die Grafschaft lediglich auf Luidors ältesten Sohn Odilbert übergeht.«

»Aber der Junge ist doch noch nicht mal im Knappenalter!«, rief Thalacker von Gneppeldotz aus.

»Richtig. Deswegen führen ab heute auch der Baron auf Hutt und meine Person die Geschäfte der Familie, während der Infant mit seiner Mutter auf dem Weg an den Grafenhof in Eslamsgrund sind.« Hilberts Augen sprühten Funken. »Wer den Frieden bricht, muss dafür bezahlen. Und die Antwort kann nur eine klare und unmissverständliche sein. Diese Nacht noch werden wir die Herrschaft in Hutt klären. Und in den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob es eine gute Idee von Geismar gewesen ist, den diplomatischen Grafen Luidor zu meucheln und stattdessen eine Vendetta zu starten, wie unsere Freunde in Almada sagen würden.«

»Ihr wollt heute Nacht noch das Traviakloster angreifen? Hättet Ihr das in eure Nachricht geschrieben hätte ich noch ein paar Bewaffnete mitgebracht. Aber sei's drum. Habt Ihr einen Plan?«, sagte Praiodan von Steinfelde.

»Für wie naiv haltet Ihr mich, Steinfeld?«, entgegnete der Pfalzgraf gereizt. »Wir haben schon seit längerer Zeit eine Agentin in das Kloster eingeschleust, um über die Aktivitäten des Warunkers auf dem Laufenden zu bleiben. Wir haben bereits vor einigen Tagen mit der Frau die heutige Nacht als entscheidenden Schritt gegen Geismar abgemacht. Es wird nur wenig Leute brauchen, diese aber müssen gute Arbeit leisten und schnell sein. Zu viele Leute hätten nur Aufsehen erregt, den Feind unnötig vorgewarnt. Das Ziel muss sein, die Unke aus ihrem Teich heraus zu fischen und sie dabei nicht zu beschädigen.«

Felan blickte Hilbert mit offenem Mund an. Er glaubte kaum, was er da hörte. Luidor hätte niemals eine derartige Aktion befehligt, und auch Baron Alrik sah nicht so aus, als ob er von der Idee seines Vetters begeistert wäre. »Die Sache klingt sehr riskant. Ich bin dabei!«, rief er begeistert aus.

»Sehr gut, Schallenberg! Wir werden Euch brauchen, um die Wachen auszuschalten. Geismar hält seinen Vetter an der kurzen Leine und hat das Kloster auf die Notbesatzung reduziert. Offensichtlich rechnet er nicht mit einem Angriff. Und deshalb müssen wir blitzartig zu schlagen, hart und unmissverständlich zeigen, dass die Familie Hartsteen nicht aus einem einzigen Kopf besteht.«

Peridan von Allingen meldete sich zu Wort. »Es bleibt aber ein Angriff auf ein Traviakloster. Zudem stellt es einen Bruch des Friedens dar, den wir der Gräfin versprochen haben…«

»Ach, und wenn schon«, fiel ihm Praiodan von Steinfelde ins Wort. »Das Ganze war doch von Anfang an kein Friede, nur ein Waffenstillstand. Geismar hat angefangen und muss mit den Konsequenzen leben.«

Und der Gneppeldotzer fügte hinzu: »Die Zeit des Waffenstillstandes ist längst abgelaufen! Unser Graf hat das bei seinen Reiseplänen einfach nicht bedacht. Schlau war es vom Quintian-Quandt, jetzt zuzuschlagen, wo sich alle an die Ruhe gewöhnt hatten und nachlässig geworden sind.«

»Und wir müssen uns dessen bewusst sein, dass es danach keinen Schritt mehr zurück geben kann«, führte der Allinger unberührt seinen Gedanken zu Ende. »Wie also stellt Ihr Euch das Ganze genau vor, Edelhochgeboren?«

Hilbert nickte dem Junker zu und antwortete: »Wir werden in zwei Gruppen agieren, sobald das Praiosmal sich dem Horizont nähert. Die erste Gruppe werde ich führen. Unser Ziel ist Anselm von Quintian-Quandt in seinen Gemächern zu überraschen und gut gefesselt aus dem Kloster zu geleiten. Ihm darf kein Haar gekrümmt werden, ich gehe davon aus, dass er die Ausweglosigkeit seiner Situation einsehen wird und sich stellt. Mich begleiten werden mein Vetter Alrik und Reichsvogt Windischgrütz.«

Der Blick des Pfalzgrafen schweifte über die gespannten Gesichter am Rittertisch. Schließlich fuhr er fort: » Die zweite Gruppe wird unter dem Kommando Schallenbergs dafür sorgen, dass wir keine üblen Überraschungen erleben. Unsere Kontaktfrau soll zwar dafür sorgen, dass der größte Teil der Wachen beim Sonnenuntergang ausgeschaltet ist, aber es werden noch genug Soldaten übrig sein. Der Rest der hier Versammelten wird also unseren Block stellen, und sich zurückziehen, sobald wir mit dem falschen Baron ausgeflogen sind. Auf keinen Fall will ich ein Gemetzel, wer sich ergibt, der wird verschont und gefesselt. Gibt es noch Fragen? Nein, dann schlage ich vor, wir bereiten uns auf unseren Ausflug vor.«

Hilbert holte ein Stoffbündel aus der Ecke und warf es auf den breiten Eichentisch. Es war ein gutes Dutzend dunkler Umhänge, einen für jeden der Adligen.

Thalacker von Gneppeldotz stand auf, doch anstatt sich einen der Umhänge zu nehmen, ergriff er das Wort:

»Ich muss gestehen, dass ich einige Bedenken gegen diese Unternehmung hege, Edelhochgeboren. Vielleicht mag es Euch gelingen, sie zu zerstreuen. Andernfalls will ich meine Seele nicht mit dem Überfall auf ein Kloster belasten. Mein Bedenken ist nämlich dieses: Was könnten wir möglicherweise gewinnen, wenn wir das das Kloster angreifen? Es mag gelingen, Anselms habhaft zu werden und Geismars Leute für eine Weile aus Hutt zu vertreiben. Und dann? Was erreichen wir dabei? Diese Kröte Geismar lässt sein eigen Fleisch und Blut verrecken, wenn's ihm nur nützt. Und nützen wird es ihm, denn wir stellen uns mit einem Angriff auf das Kloster ins Abseits - ein jeder, der daran teilnimmt. Wenn bekannt wird, dass Graf Luidor abhanden gekommen ist, bietet sich der Kaiserin doch die beste Gelegenheit, den Streit zugunsten Geismars zu beenden. Umso mehr, wenn der Quintian-Quandt noch sein Silber Überzeugungsarbeit tun lässt. Und wenn Geismar erst von der Kaiserin bestätigter Graf ist - wie lange wird die Hartsteener Herrschaft über Hutt halten? Wie lange wird die Goldene Lanze brauchen, an uns als Verrätern die Reichsexekution zu vollziehen? Deshalb wäre mein Rat, versucht doch stattdessen, eine Entscheidung am Kaiserhof für Geismar zu verhindern, bis der junge Odilbert selbst alt genug ist und die Ansprüche Luidors weiter tragen kann. Ihr sagt doch selbst, dass das Reichsgericht sich in der Frage pro Luidor entschieden hätte. Ließe sich das nicht nutzen?«

Schon bei den ersten Worten war der Schallenberger Ritter unruhig gewordne und verzog sein Gesicht angewidert. Doch als der Gneppeldotzer geendet hatte hielt es ihn nicht länger.

»Bei der göttlichen Leuin! Wer hat hier an wem Verrat geübt? Haben WIR im Frieden Mord begangen am rechtmäßigen Grafen trotz der Kaiserin Gebot, dass sie noch entscheiden wolle? Haben wir ein Kloster besetzt, um dort unserem schandbaren Treiben nachzugehen? NEIN!«, Felan ballt die Fäuste. »Es ist an uns diesem zwölfgötterlästerlichem Treiben in unserer Grafschaft ein Ende zu setzen! Beim gerechten Herrn Praios ist es unsere Pflicht als Edelleute erst das Kloster in Travias Namen, dann die Baronie Hutt zu Hartsteens Wohl und die ganze Grafschaft von diesem Geschmeiß zu befreien, zu der Kaiserin Ehr! Gerade um zu verhindern, dass die Kaiserin jetzt bedrängt wird von allerlei ekligen Speichelleckern, die Geismar zu Diensten sind. Handeln wir nicht jetzt wird er es tun. Die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Darum fordere ich euch alle auf jetzt mitzutun! Wenn wir der Kaiserin als Beweis unserer Treue die Köpfe der Mörder Luidors bringen wird Odilbert sein Erbe sicher haben und Hartsteen endlich unter eine gerechte Herrschaft zurückkehren, ohne Geschacher, ohne Geldsäcke, die Söldner heranholen um das Land auszupressen! Verfolgt meinetwegen weiter euren Weg am Hof, doch das reicht nie und nimmer, meine Freunde. Wer jetzt nicht handelt ist ein elender Feigling und wird auf ewig in der Geschichte als Zögerer und Hintertreiber unserer Sache gebrandmarkt werden!«, beendete Felan seine Tiraden und blickte sich geröteten Gesichts dabei nach den Reaktionen um.

Der Gneppeldotzer schüttelte den Kopf: »Euer unüberlegter Ungestüm wird Euch ins Grab bringen, Schallenberg, verlasst Euch drauf. Und hört Euch doch selbst einmal zu!« Thalacker begann, die Stimme Felans nachzuäffen: »Mitten im Frieden wurde ein feiger Angriff verübt und der Graf ist tot, wir müssen jemand zur Rechenschaft ziehen, egal, ob es die tatsächlichen Mörder sind oder nicht.«

Wieder mit normaler Stimme fuhr der Junker von Gneppeldotz fort und auch er redete sich zunehmend in Rage: »Benutzt einmal euren Kopf, Schallenberg! Von welchem Frieden redet Ihr? Es war ein Waffenstillstand, der bereits vor über drei Götternamen abgelaufen ist. Und dass Geismar die sich ihm bietenden Gelegenheiten zu nutzen versteht, hätten wir in der Zwischenzeit gelernt haben müssen. Graf Luidor ist verschwunden, wie seine Edelhochgeboren uns mitteilten. Ist er tot? Ist er entführt worden und wird gefangen gehalten? Wir wissen rein gar nichts! Aber ihr wollt losstürmen und ohne Rücksicht auf Verluste und Ansehen Rache üben. Ich frage mich, wer hier die Sache Hartsteens hintertreibt. Der, der Rat gibt, oder der, welcher blindlinks ins Verderben stürmt? Nur weil der Feind sich unlauterer Mittel bediente, indem er das Kloster in Beschlag nahm, heißt nicht, dass wir uns durch einen Angriff darauf mit ihm gemein machen müssen. Aber ich bin weder Feigling noch Zögerer, alle hier wissen das. Und ich bin bereit, selbst bei diesem Vorhaben mitzutun - aber nur, wenn es mein Lehensherr befielt!«

Damit drehte er sich mit auffordernder Miene zu Alrik von Hartsteen.

Bodebert von Windischgrütz räusperte sich und wandte sich mit ruhiger Stimme an den Rabensbrücker Ritter: »Felan, Gneppeldotz hat nicht Unrecht. Purer Aktionismus führt uns nicht zum Ziel! Das muss auch Euch klar sein. Alleine nur auf eine große Heeresmacht zu bauen wäre fatal und würde in einer Katastrophe enden. Daher kann eine Lösung nur herbeigeführt werden, wenn man beide Wege verfolgt. Insofern habt Ihr Recht, Felan, wenn Ihr sagt, dass wir handeln müssen. Doch muss dieses Handeln sinnvoll sein. Euer Vorschlag geht daher viel zu weit. Ihr redet jetzt schon von der Befreiung der Grafschaft, wo noch nicht einmal Hutt befreit ist!«

Bodebert schaute jeden in der Runde. »Jedem hier muss eines klar sein: Wenn wir den Plan seine Edelhochgeboren in die Tat umsetzen, dann gibt es kein Zurück mehr. Wir haben dann eine Linie überschritten, von der an es keinen Weg zurück gibt.«

Während der Diskussion strich sich der Pfalzgraf über seinen Kinnbart und schien, entgegen sonstiger Gewohnheit, durchaus bei der Sache zu sein. Als der Reichsvogt seine Ausführungen geendet hatte, nickte er nochmals eindringlich jedem zu: »Gneppeldotz, habt Dank für Eure offenen Worte. Euer Lehensherr und meine Person sind durchaus der gleichen Überzeugung, dass wir unter dringendem Zugzwang stehen. Ja, der reisende Hof ist nicht unwichtig, aber in seinen Entscheidungen viel zu langsam und verseucht von Schranzen, die den Speichel von den Schuhen Rohajas lecken, anstatt gute Ratgeber zu sein. Eueren Respekt vor dem heiligen Boden der Herrin Travia teile ich ebenso wie Seine Hochgeboren auf Hutt. Gerade deswegen sehen wir es als unsere heilige Pflicht an, die Geiselnahme des Klosters durch die Quintian-Quandt zu beenden und den Geweihten dort wieder ihre neutrale und göttergefällige Arbeit zu ermöglichen. Deswegen suche ich ja eben auch keinen Großangriff gegen die Mauern des Wehrklosters, sondern eine präzise Entfernung des unlauteren Teils. Damit man mich klar verstehe: gegen keinen Geweihten der Travia wird das Schwert erhoben. Aber wenn sie meinen, sich schützend gegen den Lügenbaron stellen zu müssen, dann werden wir ihnen deutlich sagen, dass sie sich nicht als Geweihte in die Politik einzumischen haben, nicht hier in Hartsteen! Was die Geisel selbst anbelangt, ich wiederhole mich, nicht ein Haar darf ihr gekrümmt werden. Der Vetter des Pfeffersacks ist ein wertvolleres Pfand, als ihr vielleicht glauben mögt. Ich habe Anselm, im Gegensatz zu Geismar, als einen Ehrenmann kennengelernt. Jemanden, mit dem ich durchaus Differenzen hatte, aber dennoch ein Ehrenmann.«

Hilbert holte kurz Atem und fuhr fort: »Zudem, der Anspruch des Hauses Hartsteen steht und fällt nicht mit einer Person, sondern mit der Familie. Wenn Luidor eines richtig getan hat, dann Verbündete zu sammeln im ganzen Reich. Die Kaiserin kann nun nicht einfach aus einer Laune heraus jemanden zum Grafen ernennen, sondern wird zumindest auf die Entscheidung des Reichgerichtes warten müssen, um den brodelnden Adel nicht weiter gegen sich auf zu bringen. Vergesst nicht, dass der Konvent auf Weidleth ihr deutlich gezeigt haben sollte, dass einige im Reich nicht unbedingt zufrieden sind. Also«, schloss Hilbert seine Ansprache, »in dieser Stunde zählen Taten. Es geht um Satisfaktion für den Mord an Luidor und den Beweis, dass der Anspruch der Familie kein Boltankartenhaus ist.«

Eine gewisse Stille machte sich breit. Ungläubige Blicke fielen auf den schitzenden Pfalzgraf und alle warteten auf das Wort des Barons, dessen Lippen sich zu einem dünnen Strich verzogen hatten. Mühsam scheinbar richtete sich Alrik von Hartsteen auf und wandte sich an die versammelten Ritter: »Freunde, ich bin ein Mann des Schwertes und des Kriegs. Um ehrlich zu sein, mir waren die politischen Winkelzüge meines Bruders stets unverständlich und ich habe sie mit Argwohn verfolgt. Aber nun sind wir gefordert, sein Werk, welches er für uns alle hier und nicht für sich begonnen hat, zu beenden. Bedenkt, was ein Graf Geismar II. von Euch denkt und wie er sich gegen Euch wenden wird, wenn Ihr nun die Waffen streckt. Erwartet keinen Ehrenmann, der Euch mit verzeihenden Armen empfangen wird, sondern einen Scharfrichter, der Fremde auf Eure Güter setzen wird. Dieser Kampf ist auch Euer Kampf, und deswegen ist es meiner. Daher vertraue ich der Einschätzung meines Vetters, und werde selber ein Auge darauf haben, dass keinem Unschuldigen ein Leid geschehen wird. Ich baue auf Euch und hoffe, dass ich mich nicht in der Aufrichtigkeit und der Ehre eines wahren Hartsteener Ritter täusche.«

»Geismar will Krieg. Jetzt soll er seinen Krieg haben. Dann wird sich zeigen, wer die besseren Ritter sind. Hartsteen für Hartsteen!«, dröhnte Praiodan von Steinfelde und ließ seine geballte Rechte auf den Tisch krachen, dass seine Nebenleute zusammenzuckten.