Geschichten:Sechs Legenden - Mordane von Helburg

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Sechs wunderbare Legenden von tapferen Maiden der Kaisermetropole Gareth. Gesammelt und niedergeschrieben im MXXXIX. Jahr des Falls Bosparans durch Marwan Nandrash Alfessir, dem ergebenen und demütigen Diener des weisen Einhorn zur allgemeinen Belehrung des Volkes Garetiens

Die Legende von Mordane von Helburg

„Wer schreibt die Geschichte, wenn nicht die Mächtigen und Sieger? Denn erzählten die Wahrhaftigen und Götterfürchtigen die Geschichte Mordanes von Helburg, die Tränen der Scham und Trauer hörten nicht auf zu fließen. Und man würde ihr bereiten ein würdiges Grab und ließe nicht verschimmeln ihre sterblichen Überreste in den namenlosen Übelgräbern der Rabenstatt, der düstersten Stätte vor den Toren der ewigen Metropole.

Niemals stand an Garetiens Schafott eine größere Frau, niemals führte eine würdigere Hand den grimmen Totentanz zu seiner Arbeit. »Mein Schwert richtet keine Unschuldigen, sondern ausschließlich Schuldige vor dem Kaiser und den Göttern!«, rief sie in die aufgebrachte Menge, als einer der vielen Gegner Pervals durch ihre Hand gerichtet wurde. Und bitter beklagte sie sich bei ihrem Zwillingsbruder Morwulf: »Unsere Zeiten haben bewiesen, dass häufiger der einfache Bauer ein götterfürchtigerer Mann ist, als einer der einhundert Kaiser«.

In einer Zeit, wo marodierende Söldnerbanden und mordbrennende Kriegsherren die idyllischen und friedlichen Weiler ausrotteten, welche von den Zorganpocken verschont, wo der Griff zur Kaiserkrone am Ende den blutrünstigsten und brutalsten Schlächter als Sieger hervorbrachte und wo ein lautes Schweigen herrschte in den Kirchen aller Zwölfe, die dem wilden Treiben des Schlachtens kein Ende setzten, war es ausgerechnet die gnadenlose Scharfrichterin im Dienst des Königreichs, die ihr Herz für das geschundene Land und seine leidenden Kreaturen zeigte.

Als vor den Toren Eslamsbrücks die Allianz des Reichsverwesers und des Garether Markvogtes dem tobrischen Anspruch auf Kaiserthron den letzten Gnadenstoß versetzten und stattdessen Barduron sich von seinen Soldaten zum Kaiser ausrufen ließ, hauchte Junker Martus Korborus aus dem Geschlecht der Helburger seinen letzten Atem auf der aufgewühlten Walstatt aus, eine Söldnerseele auf dem letzten Weg zum schwarzen Mantikor. Und sein einziger Sohn Mortus Rondrigo sammelte die Reste seiner Truppen und heuerte wilde Tobrier und gnadenlose Almadaner an, und zog zurück in seine Heimat, um seinen eigenen Herren, den naiven und guten Baron von Nym, um sein Erbe und Land zu bringen.

Marodierend zog die Soldateska durch die verheerten Lande, plünderten in Hartsteen, im Schlund und in der goldenen Au, und es wuchs an das Söldnerheer des Söldnerfürsten auf eine beträchtlich große Zahl. Sie raubten Vieh und Korn, schändeten Magd und Edelknabe, und aus Lust am Mord machten sie nieder Mann, Frau und Kind, von Stand oder gemein geboren, und in ihrem Herzen verspürten sie kein Unrecht über ihre elenden Taten.

Und als sie betraten die Lande Nyms, das Edeljuwel am Fußes des Walles, trieben sie es noch tolldreister und hinterließen nur verkohlte Leichen und verbrannte Erde. Alle Untertanen der Baronie flohen in großer Angst um ihr nacktes Überleben zu Baron Leomar von Nym, doch der war schwach und nicht sehr gesegnet mit Hesindes Gaben, und als die dunkle Rotte sich ihren Weg zur Burg erkämpft, streckte er nieder die Waffen und bat um Gnade. Doch mit höhnischem Lachen hieb der finstere Söldner aus der Helburg ihm ab den Kopf und nahm aus der tiefroten Blutlache den geschändeten Reif mit den sechszehn weißen Perlen. »Niemand hat so viele aus Nym getötet wie ich, und mein Durst nach Blut ist nicht verlöscht!«, schrie er in die finstere Nacht und führte fort sein grausiges Schlachten.

Fünf Götterlaufe ungezügelte Qual erlitten die traurigen Menschen aus Nym, und wer die hohen Steuern nicht aufbrachte, den zerfleischten die Kettenhunde des schändlichen Tyrannen. So verarmte das Land und der Handel lag danieder. Trostlos und schwer war das Leben und wer die Flucht schaffte von der Scholle in das Leben als Bettler in die Stadt, der war von den Göttern gesegnet.

Ein Zwillingspaar hatte Mortus Rondrigo als Kinder, Mordane und Morwulf, und beide erlernten wie ihre Ahnen das fürchterliche Kriegshandwerk und als ihre Zeit gekommen war zu suchen einen Herrn, da blieb der Rittersohn am Hof des Vaters. Die Schwester aber zog hinaus und diente an dem Garether Hof.

Sie legte nieder im Kloster St. Anselm Praiodan XXI. die Schädel von Boron-gefälligen fünf Mördern, die eigenhändig sie abgeschlagen hatte, als Pfand zu erhalten Totentanz als Richtschwert Garetiens. Wäre es Pflicht zu geben die Schädel fünf Unschuldiger, in diesen Zeiten hätte Mordane es schwer gehabt auch nur einen zu finden, denn alle Gerechten und Götterfürchtigen hatten die Schurken und die Pocken längst hinweggerafft. Und so tanzte das alte Richtschwert Garetias und es gab ein blutiges Fest unter den Mördern und Verbrechern. Doch in ihrem Herzen spürte Mordane den stechenden Schmerz über das Leid ihrer Eslamsgrunder Heimat.

Als nun nach fünf Götterläufen ungezügelter Qual das Leid der traurigen Menschen aus Nym unerträglich geworden war und jede Familie zu beklagen hatte einen Toten oder mehr, war in dem Land keine Unze Gold mehr zu finden. Da konnte der Söldnerfürst nun seinen Mordbrennern und götterlosen Soldaten den Sold nicht mehr zahlen, und gierig nach Gold zogen sie weiter. Die zahlreichen Feinde des boshaften Helburgers aber taten sich zusammen und vertrieben den Hund aus der geplünderten Stadt bis hin in die finstere Kerkerfeste, aus deren Dunkel die Helburger Brut einst empor gekrabbelt. Dort verschanzte der Junker sich und wehrte ab die Angriffe seiner Feinde.

Als der Schmerz über ihre Heimat zu groß geworden war, kehrte die Henkerin heim zu ihrem Bruder, der all die Jahre nicht froh geworden war über den Terror des Vaters, doch schweigend das Unrecht geschehen ließ. Doch fasste er Mut in der Kraft seiner Schwester, und als eines Abend der Helburger Schlächter Nyms versoffen vom Weine im Kot seiner Kettenhunde schnarchte, ergriff die stählerne Hand der Henkerin den grobschlächtigen Nacken des blutrünstigen Viehs und schleifte ihn selbst bis Gareth. Auf dem Schafott ließ sie tanzen das mächtige Alte Schwert der Goldenen Au, ihre Ohren taub für die winselnden Bitten des rotzheulenden Vaters. Und als der Kopf hinabkollerte in die grölende Masse, nahm sie an sich den Besitz des Vaters, seine Junkerskrone und sein Schwert, und seine mit dem Blut der Nym befleckten Kleider.

Doch in einer Zeit des Verrats ergeht es den Aufrechten schlecht. Stieg Mordane erst hoch in die Gunst des neuen Kaisers und war sein schärfstes Richtbeil, so traf unerwartet sie selbst der Dolch des Verrats in den Rücken. Vom eigenen Bruder verleumdet, zog man die Henkerin auf das blutige Schafott und richtete sie, wie viele sie selber gerichtet.“