Geschichten:Wespennest - Reisesegen

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Nahe des Dorfes Falkenanger, Frühling 1039 BF

»Herr Oberst? Seid Ihr hier?“ Iriana Melanaar blickte suchend in das Wäldchen neben der Reichsstraße, wohin sie der Landobrist der Kaisermark bestellt hatte. Iriana fand diese Geheimnistuerei zwar affig, aber wenn die hohen Herrschaften aus dem groß-garetischen Heerbann solche Spielchen machen wollten - bitte. Rallerquell hatte sie auf dem Weg zum Abort im ›Avesstübchen‹ in Falkenanger abgefangen. ›Melanaar? Auf dem Weg zum Rapport in Gareth?‹ Nicht gerade subtil … Sei’s drum. Iriana war pünktlich, die Sonne begann eben erst aufzugehen. Wenn sie scharf ritte, wäre sie noch heute in Gareth, noch heute bei ihrem Herrn, dem Keres, dem sie zuerst berichten würde. Tauristarehre.

»Herr Oberst-Rittmeister?«

»Hier«, wisperte Konnar von Rallerquell aus dem Schatten. »Kommt her.« Der Oberst-Rittmeister war unverkennbar: Sein langer Bart wurde von der morgendlichen Brise zerzaust, die unter das Dach der ausschlagenden Bäume des Hains wehte. »Beeilt Euch.«

»Warum die Eile, Herr Oberst?«, fragte Iriane verwundert, als sie bei dem Rittmeister anlangte. Er war nicht allein, sie zählte drei weitere Personen. Ritter oder Soldaten - normal, oder? Moment! Waren das nicht alles Isppernbergs?

Sie blickte wieder zu Rallerquell, dessen Gesicht aber im Morgenlicht nur verschwommen zu sehen war, nein: Es verschwamm! Die Züge glitten durcheinander, beulten sich aus, als wollte ein Kobold sich aus dem Inneren nach draußen drängen. Sie griff zur Waffe und trat einen Schritt zurück. Doch da spürte sie bereits die Klinge am Hals. Starke Hände hinderten sie, ihre Waffe zu ziehen und nahmen sie ihr weg. Beim nächsten Blick zu Rallerquell stand dort ein jung gebliebener Fünfziger mit weißem Haar und glatten Zügen, der sie anblinzelte und schließlich breit lächelte.

»Ihr seid nicht Konnar von Rallerquell«, stellte sie fest, »was wollt Ihr?«

»Das ist vollkommen richtig, meine Süße, und vollkommen unerheblich. Ich will gar nichts von Euch, ich bin nur in bescheidener, aber sehr teurer Lohnmagier. Dieser solvente Herr dort will etwas von Euch.« Der Magier deutete hinter Iriana, die sich so schnell umdrehte, wie die Klinge an ihrem Hals es zuließ.

»Isppernberg!«, zischte sie.

»Derselbe. Zu Diensten, Frau Melanaar. Ich bin hocherfreut, dass ich Euch auf dem Weg von Warunk zurück habe abpassen können. Nicht auszudenken, wenn es Euch gelungen wäre, noch einen Bericht abzuliefern«

Iriana schwieg. Sie lotete ihre Optionen aus: Vor ihr stand Marbert von Isppernberg, von dem sie wusste, dass er einer der Haffax-Gefolgsleute war. Ein Verräter. Keres hatte einige Tauristar ins Vertrauen gezogen. Die anderen drei waren ebenfalls Isppernbergs - offenbar hatte sich die ganze Sippe gegen das Reich verschworen? Iriana war allein, die anderen mindestens zu fünft. Sie war unbewaffnet, die anderen hatten mindestens zwei Klingen gezogen. Und sie hatten dieses verrufene Subjekt von einem Magier. Sie hatte keine Chance zu fliehen.

»Was wollt Ihr?«, fragte sie, sich zu einer selbstbewussten Pose zwingend.

»Was wirst du berichten?«, fragte die verbittert wirkende Edle Seline von Isppernberg.

Iriana zögerte kurz und musterte die Schar. Der jüngste Isppernberg wirkte als einziger nicht so entschlossen. Sie richtete ihr Wort deshalb an ihn: »Versprecht Ihr ritterlich, mir keine Gewalt anzutun?«

Ritter Simond wirkte überrumpelt und setzte schon zum Versprechen an, als der Landobrist einschritt: »Simond, geh auf die Reichsstraße und sieh, ob wir gestört werden.« Der Ritter ging ab, und Marbert antwortete: »Ja, wir würden Euch Gewalt antun, Melanaar.«

»Das dachte ich mir«, entgegnete sie zerknirscht, während ihr Hirn fieberhaft nachdachte. Doch ihr fiel nur immer wieder ein, dass sie vergessen hatte, sich im Aves-Tempel einen Reisesegen geben zu lassen. Aber Aves wäre sowieso die falsche Adresse gewesen, denn ihre nächste Reise würde sie ganz gewiss in der Obhut Golgaris antreten …