Geschichten:Plitzenbergs Fallen - Verfallen
Sein Schwertvater hatte sich nicht lumpen lassen. Der richtige, Falkwin von Goyern, nicht der Graf. Rondger war zwar auch da, aber er war eher so etwas wie der gute Geist seiner Knappenzeit gewesen. Die harte Hand hingegen hatte Falkwin gehört. Und wie hart sie gewesen war! Eben führte diese Hand seine Frau Adalinde zum Tanz, einer Art Polka, und die anderen Pare folgten dem Landvogten auf Rubreth zur Musik der Spielleute. Nein, wirklich nicht lumpen lassen: Die Musici waren exquisit, es gab Ferdoker Bier und Almadaner Wein, reichlich Braten (und nicht nur Wildbret, sonern auch Rindfleisch, vom Teuersten also).
Barnemund amüsierte sich sogar ein bisschen. Falkwin beim Tanzen zuzusehen, war eine Genugtuung, die manchen harten Lanzengang wett machte. Der bullige Mann hopste wie ein Mastschwein über die Eicheln. Dahinter kamen Danos und seine Rumhilde – ein schönes Paar. Danos wirkte auch auf der Tanzfläche ritterlich. „Die schönen Künste sind auch Ritterkünste“, pflegte er zu sagen. Tja, dann war Barnemund doch ein guter Rittersmann. Er pflegte der „schönen Künste“, wenn auch manches seiner Lieder weniger schön als vielmehr spöttisch, scharf und aggressiv war.
Erst jüngst hatte er eines verfasst, dass seinem Freund Adhemar von Halmenwerth gar nicht gefallen hatte. Es ging dabei um seinen Sieg in Danos‘ erstem Turnier und um die Kabbelei mit Ugo, der glücklicherweise mittlerweile auf Maraskan war, um dort die Sporen von Fürst Herdin zu wienern. Egal. Ugo war weit fort, Danos hatte gelacht, und Adhemar würde sich daran gewöhnen müssen, dass er das Ziel des Spotts war, wenn er schon Graf Rondgers erster Ritter war. Wie Adhemar da tanzte … das wäre auch ein Liedchen wert, Eines von der fiesen Sorte!
Es tanzte Ritter Adhemar
So schicklich wie der Adebar,
so wahrlich aller Ehren wert:
ein Tänzer wie der Halmenwerth!
Der Tanz war vorbei, und Barnemund sinnierte noch über die Spottreime, als ein flotter Paartanz begann. Die Paare sortierten sich neu, und ein Stich fuhr dem Dichter ins Herz, als er die Melodie erkannte – sie war von ihm – im selben Moment, als Firinia an ihm vorbeitanzte.
Firinia.
Und sie tanzte mit ihm, dem Popanz, dem Fanderich, der so unbedeutend war, dass es sich gar nicht lohnte, ihn in einem Lied zu verhöhnen!
Die Spielleute trumpften auf, und ein herrlicher Tenor sang nun gar!
Dem Wind und dem Regen,
Dem Sturme entgegen,
Im Nebel der Klüfte,
Durch feuchtnasse Düfte,
Immer zu Dir! Immer zu Dir!
Eher durch Weiden
Möcht ich mich schlagen,
Als so viel Leiden
Im Herzen zu tragen.
Immer zu Dir! Immer zu Dir!
Es tänzelt der Reigen
Vom Herze zum Herzen,
Doch siehe, Dein Schweigen
Schaffet nur Schmerzen!
Immer von Dir! Immer von Dir!
Soll ich dich fliehen?
Zum Kampfe ausziehen?
Find’ doch keine Ruh
Und träum immerzu.
Immer von Dir! Immer von Dir!
Ist alles vergebens?
Oh Kron‘ meines Lebens,
Ein Glück ohne Ruh:
Das, Liebe, bist du!
Immer nur Du! Imme rnur Du!
Barnemund seufzte schwer. Und schwerer. Eben wollte er sich ins Dunkel neben der Säule zurückziehen, als er eine sanfte Berührung auf dem Arm spürte. Er blickte zur Seite und sah Rumhilde, Danos‘ Gattin. Eine Liebem di ein Alveran gemacht schien. Rumhilde war zum zweiten Mal schwanger, es würde bald so weit sein. Nun aber sah sie Barnemund mitfühlend ins Auge.
„Das ist von dir, nicht wahr?
Barnemund nickte und schwieg. Es war ihm nicht unangenehm. Nichts war ihm unangenehm vor Rumhilde. Sie war ihm eine wahre Freundin.
„Es ist doch die hübsche junge Schack, nicht wahr?“ Barnemund nickte. „Gefällt sie dir?
„Gefallen?“ Barnemund schnaubte. „Wenn schon, dann bin ich ihr verfallen. Seit ich sie das erste Mal sah auf des einäugigen Adhemars Tsatag vor zwei Jahren denke ich immerfort an sie.“
„Weiß sie, dass es ihr Lied ist?“
„Nein. Weder von diesem noch von den anderen, die ich für sie gemacht habe. Es ist … Sie hat … Sie ist dem Kerl da verfallen und ich ihr. Und das Ende der Geschichte ist kein gutes.“
„Aber die Geschichte muss doch nicht zu Ende sein, Barnemund. Du bist doch Dichter: Schreibe die Geschichte um! Gib ihr das Ende, das du dir wünschst.“ Rumhilde versuchte ihn aufzumuntern.
Aber wenn Barnemund daran dachte, was er sich wünschte, dann war es nicht, ihr zu gefallen, sondern dann fiel er selbst in die Tiefe seines Wunsches, fiel und wusste nicht. Ob er aufwachen oder ankommen wollte.