Geschichten:Die Brachenwächter - Nur die Hälfte
Lange hatte Leubrecht auf eine Antwort vom Hofe des Markvogtes gewartet, eine Antwort deren Inhalt über einen baldigen Baubeginn und dessen Umfang bestimmen würde. Als man ihm endlich die Ankunft eines Boten ankündigte, hatten gemischte Gefühle von ihm Besitz ergriffen. Die Vorfreude endlich mit dem Bau seines künftigen Heimes zu beginnen, aber auch Sorge dass ihm nicht die Mittel gewährt würden, die er so dringend brauchte. Er wollte seiner Pflicht als Brachenwächter nachkommen und war bereit dafür zu bluten, allerdings benötigte er dafür eine Grundlage. Getreulich hatte er eine Aufstellung der Kosten angefertigt, wohlwollend aufgerundet aber nichts destotrotz getreulich aufgeführt und sein Bauvorhaben dargestellt.
Seine Rüstung hatte er noch nicht angelegt, stattdessen kleidete er sich in eine Hose aus demselben dunkelblauen Stoff, der auch für seine verzierte Weste genutzt worden war. Ein weißes Hemd und hohe dunkelbraune Lederstiefel vervollständigten das Bild. So saß er hinter seinem Schreibtisch und wartete darauf dass der Bote eintrat und seine Botschaft überbrachte. Ein Knappe nahe dem Ende seiner Ausbildung, doch noch immer grün hinter den Ohren. „Seid uns willkommen in Neu-Auenwacht, berichtet was Euch aufgetragen wurde!“ Begrüßte er diesen, gespannt darauf zu erfahren was man ihm zugestand.
„Die Zwölf zum Gruße Wohlgeboren, ich wurde gesandt um Euch diese Depesche zu überbringen.“ Mit diesen Worten holte Alrik seine wertvolle Fracht hervor und überbrachte sie. Während Leubrecht den an ihn gesandten Brief sorgsam öffnete, entfernte sich der Knappe zügig. Halb in der Tür verharrte der Knappe, gestoppt vom drohenden Grollen des Reichsritters. „Stehen geblieben Bursche!“ Ertappt drehte sich der Bote wieder um. „Du bist als Bote hier! Als solcher wirst du erst gehen, wenn man dich entlassen hat!“ Bedrückt zu Boden schauend, erwiderte der so getadelte mit einem reuigen „Ja, Herr.“
Lange blickte Leubrecht auf den Wechsel in seinen Händen und je länger er ihn anblickte, desto steiler wurde die Zornesfalte auf seiner Stirn. „Erkläre DAS, Bursche!“ Grollte er und dabei deutlich das er den Wechsel meinte.
„Das … ich, also …“ Überfordert vom drohenden Ton des Mannes, stammelte Alrik unwirsch. „Also … Wohlgeboren Alderan meinte Ihr würdet nur die Hälfte der geforderten Summe bekommen und solltet die restliche Summe von Eurer buckl…. Ich meine, von Eurer Verwandtschaft in den Nordmarken erbitten.“
Inzwischen hatte Leubrecht den Wechsel auf dem Tisch abgelegt. Bei den Worten des Knappen aber donnerte seine geballte Faust darauf. Sich hochstemmend, funkelte er Alrik an. „DAS!“ Erneut knallte seine Faust auf den Tisch. „ICH habe KEINE Verwandtschaft in den Nordmarken!“ Schwer atmete er aus, doch war deutlich dass er noch nicht fertig war. „DAS investiert Garetien in seinen Schutz? Ist DAS der Stolz Garetiens, andere Fürstentümer für unseren Schutz zahlen lassen? 80 Seelen leben in Neu-Auenwacht, wenn ich errichte, was ich für meine Aufgabe errichten muss, würde noch ihren Kindeskindern alles abgepresst werden um diese Schulden zu begleichen. Aber das werde ich nicht tun! Das Leben an der Brache ist bereits beschwerlich genug, als das ihr Herr sie auch noch aufs Blut ausnehmen müsste!“
„Du bleibst dort stehen, bis ich ein Antwortschreiben verfasst habe.“ Befahl Leubrecht dem unglückseligen Boten, während er den Raum durch die noch immer offene Tür verließ. Der Tonfall des aufgebrachten Ritters hatte dabei jedwede Widerrede bereits im Keim erstickt. ‚Scheinheiliges, verlogenes Pack!‘ Dachte er sich wütend. ‚Wie weinerliche, zahnlose Wachweiber zetern sie über den Einfluss der Nordmarken. Ihr Gold aber wollen sie und zu welchem Preis? Das ich, genau diesem Einfluss, ausgeliefert werde.‘ Das man ihn dann noch umso mehr als Nordmärker sehen würde, frustrierte ihn zusätzlich. Bereits sein Großvater hatte sich von der Familie losgesagt, hatte sich ganz Garetien verschrieben. Er hatte sich gelöst und dennoch hatte man ihm immer vorgeworfen ein Nordmärker zu sein! Seine Söhne waren geborene Garetier, Lebten für den Dienst an Garetien! Sein Vater war für den Dienst an Garetien gefallen! Er war Garetier, hatte um sich verdient gemacht, als er dem marodierenden Haffaxdreck nachgestellt war. Und das, das sollte der Dank sein? Noch unter den Kaiserzwillingen hatte sein Großvater den Nordmarken den Rücken gekehrt, gewiss würden die ihm jetzt freudestrahlend 11.500 Dukaten zukommen lassen. Zig-Tausend Dukaten um einen Landstrich zu schützen der ihnen am Arsch vorbeiging!
Unten im Schankraum hatte über die Dauer des Gespräches Grabesstille geherrscht. Wie gebannt starrten die Anwesenden, Einwohner von Avesruh aber auch die Gefährten Leubrechts, die Treppe hinauf – genau dorthin wo dieser nun erschien. Eine Mischung aus Bestürzung, über den Ausbruches ihres Herrn, und Stolz, das er sich derart für sie ausgesprochen hatte, stand in den Gesichtern der Einheimischen. Bei den Gefährten hingegen waren es Erstaunen und Belustigung. Erstaunen, dass der Mann unter dem sie bereits zuvor gedient hatte, der sich um seine Leute und ihr Wohlergehen sorgte, zu einem derartigen Ausbruch überhaupt fähig war. Ihre Belustigung galt der hingegen der Lage des bemitleidenswerten Boten, dessen Reaktion sie sich Lebhaft ausmalten.
Am Tisch seiner Gefährten angekommen, stand ihnen alle die gleiche Frage ins Gesicht geschrieben – eine Frage auf die sie bereits teilweise eine Antwort vernommen hatten. Bevor sie ihre Frage jedoch tatsächlich aussprechen konnten, kam Leubrecht ihnen zuvor: „Der Wechsel beläuft sich nur auf die Hälfte der benötigten Summe, den Rest soll ich mir von meiner Familie holen!“ Kommentierte er, wobei seine Verachtung im zweiten Teil des Satzes deutlich zu vernehmen war.
„Und werdet ihr Eure Familie in den Nordmarken um die Dukaten bitten? … Aua!!!“ Nahm Greifwin das Gespräch auf, wurde für seine Frage jedoch sogleich von Alara bestraft. „Dummkopf, du hast doch gehört das er dort keine Familie hat.“ Wies sie ihn zugleich mit einem lauten Flüstern zurecht.
„Wir sind nur Wenige und ohne eigene Lehen, dort gibt es also kaum etwas zu holen. Damit ist vermutlich alles was mir bleibt, mein Beuteanteil aus den Kämpfen gegen die Marodeure.“ Beschrieb Leubrecht die missliche Lage in der er sich nun befand. Er selbst hatte Gold und mit etwas Glück könnte er sich weitere Dukaten von seinem Vetter Savertin leihen, dennoch musste er irgendwie die Kosten drücken. Bereits jetzt kannte er das Mittel seiner Wahl, nur fehlte es ihm dafür an der nötigen Zahl an Frondienstpflichtigen. „Meister Ingmar, ihr sagtet wir könnten die Baukosten durch Frondienste senken.“ Wandte sich der Reichsritter an den erfahrenen Baumeister, der die implizierte Frage mit einem Nicken quittierte. „Wieviel?“
Sich durch seinen grauen Bart kratzend überlegte Meister Ingmar sorgfältig, bevor er auf diese Frage antwortete. „Ich müsste das genau durchrechnen Wohlgeboren, aber grob würde ich ein Fünftel oder Viertel der Kosten schätzen. Je nachdem wie lang sich der Bau hinzieht und über wie viele Arbeitskräfte wir verfügen würden.“
‚Das würde helfen.‘ Dachte sich Leubrecht, während sich in seinen Gedanken bereits der Wortlaut seines Briefes an den Markvogt formte. Jetzt aber brauchte er erstmal etwas zu trinken „Wirt, ein Bier!“
Alrik war sich nicht sicher was Schlimmer war. Angeschrien zu werden oder dazu verdammt zu sein an einer Stelle herumzustehen bis man ihn endlich entließ. Da er in der offenen Tür stand und jedes Knarren der Treppe ihn aufschrecken ließ, war er sich schnell sicher – Letzteres!
Letztlich kehrte Leubrecht Grußlos ins Zimmer zurück und begab sich hinter seinen Schreibtisch. Beiläufig nahm er einen Bogen Papier von einem kleinen Stapel und legte ihn vor sich. Vor sich ein Gefäß mit Löschsand, genauso wie das Fässchen mit Tinte, Schreibfedern und Federmesser. Er musste nicht lange überlegen was er schrieb, die Sätze hatten sich bereits in seinem Kopf geformt. Sie enthielten weder klagenden Worte, noch Anschuldigungen. Stattdessen betonte er die Eigenständigkeit und Zugehörigkeit das Familienzweiges zu Garetien. Letztlich bat er jedoch nicht um mehr Gold, denn – und da war er sich recht sicher – das würde er nicht erhalten. Lieber bat er den Barnhelm von Rabenmund um helfende Hände, um Fronarbeiter. Auch begründete er die Bitte für sich und beiläufig für seine Nachbarn an der Brache, immerhin bedeutete ein zügiges fortschreiten der Bauarbeiten mehr Sicherheit für die gesamte Kaisermark.
Mit seinem Werk zufrieden und fertig, streute Leubrecht den Löschsand großzügig über seinen Bogen. Nachdem er einige Augenblicke lang gewartet hatte, entfernte er den Sand, faltete den Brief und siegelte ihn. Anschließend bot er dem Knappen seinen Brief dar, der aus seiner Starre erlöst dankbar annahm. „Du bist entlassen, mögen die Zwölfgötter dich auf deiner Reise behüten.“