Geschichten:Auf wirrenden Pfaden - Lusores

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Version vom 6. Mai 2019, 09:25 Uhr von Hartsteen (D | B)
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Anfang des Jahres 1042 BF taucht im Umland von Fasar das folgende Pamphlet auf. Auf Umwegen erreicht es Großgaretien. Sofort wird es durch die Inquistion als üble Ketzerei eingestuft und sein Urheber als schlimmer Apostat aus der Gemeinschaft der Zwölfgöttergläubigen ausgestoßen. Der Besitz des Pamphlets und die Weitergabe seines Inhalts wird unter Drohung eines Kirchenbanns verboten.

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Dieses sind die Worte des erleuchteten, des erhabenen, des einzigen wahrhaftig begreifenden Kadis Hilbert aus dem Hause Hartsteen. Getreulich aufgeschrieben von seinem demütigenden und unwürdigen Diener Jus Grüneberg.

So sprach Er am ersten Tag:

Ich schwöre es, ich glaube an die zwölf Göttergeschwister! Niemand kann sie ja leugnen, denn ihr Tun ist wohl dokumentiert. Auch ich selbst wurde einst der Pracht des Herrn Praios ansichtig, fühlte mich verwandelt und bewegt von seiner Unfassbarkeit. Aber es gibt höhere Wesen, die ich die Lusores nennen möchte. Und einmal wurde mir auch ein Blick auf ihr Wesen gewährt, das ich damals zu begreifen nicht vermochte. Hört, was ich euch von ihnen sagen werde.

Die Lusores sind nicht Teil Deres oder Alverans oder der Niederhöllen. Für sie ist das ein und dasselbe, es besteht für sie kein Unterschied zwischen den Paradiesen der Götter und den Welten der Feen. Aber ihr besonderer Blick gilt Dere, das sie liebevoll hegen und pflegen. Durch sie leben alle Lebewesen und durch sie sind alle Steine fest und hart.

Die Sterblichen und die Götter, das alles unterscheiden sie nicht. Spielfiguren sind es in ihren Händen, die sie nach Lust und Laune hin und her schieben. Ein und dieselbe Substanz sind wir für sie und keinen Unterschied machen sie zwischen Menschen, Dämonen, Göttern, Bäumen, Steinen. Wenn sie kein Interesse mehr haben, dann verschwinden ganze Ländereien auf Deres Antlitz. Sie errichten Gebirge, so hoch wie sie wünschen, und reißen sie wieder ein, wenn sie sie nicht mehr benötigen.

Einst wurde mir im Reichsforst ein Blick auf sie gewährt. Ich sah die Lusores, spielend am Tisch, aber es waren nicht die wahren Lusores, sondern nur ihre Abbilder und Schemen. Oder vielleicht war auch ich für einen Moment Teil der Lusores, im kühlen Wald am Fuß der Burg, die nicht Teil Aventuriens gewesen waren. Und wie oft bin ich mit den Lusores verschmolzen, wurde Teil ihres Spieles, ohne es gemerkt zu haben, ohne es merken zu dürfen?

Ihr aber, meine Freunde, seid nicht einmal Schemen für sie. Euch kennen sie nicht und an euch haben sie kein Interesse. Ihr atmet nicht für sie und eure Geschichten wollen sie nicht erzählen. Ich aber bin ein Auserwählter, ein Gefäß, das gefüllt werden soll. Ich bin, weil ich sein soll.

Ein jeder Lusor hat gewählt seine liebsten Figuren, die er umsorgt und bei denen er eitel bedacht ist, dass ihnen kein Schaden zukomme. Das ist der wahre Adel des Mittelreichs, auch wenn er kein Lehen hat oder Familie, vielleicht auch nur ein einfacher Ordenskrieger oder eine schlichte Magd. Es sind die Adligen im Spiel der Lusores.

Denn das ist ihnen unsere Welt: ein Spiel, ein Zeitvertreib. Wenn andere Dinge ihrer Aufmerksamkeit mehr bedürfen, dann ruht unsere Welt, steht still und wartet, bis sie durch die Laune der Lusores wieder in Bewegung kommt. Dann aber kann es zu heftigen Stürmen und Leidenschaften kommen, dann überbieten sich die Lusores in ihrem Spiel und erfreuen sich wie Kinder an ihren Spielfiguren.

Sicher wie Traumtänzer folgen wir ihrem Spiel. Die schwierigsten Questen sind einfache Rätsel für uns, weil wir nach ihrem Willen uns bewegen. Unsere Lieder, unsere Gedichte, das alles haben nicht wir geschrieben. Das alles ist das Werk der Lusores, die sie gemeinsam an ihren Lagerfeuern singen.

***

Dann schwieg der erleuchtete Kadi und sann weiter über das Wesen der Wirklichkeit.