Benutzer:Orknase/Briefspiel

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Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.

Drei Krähen und ein Räblein

Das, was war

Fürstentum Kosch, Baronie Birnbrosch, 24. Rahja 1041 [fertig]

Das, was ist

25. Rahja 1041

Da durchbrach der Schrei einer Krähe die Finsternis. Und mit ihr kam das Licht. Der Schatten erzitterte, bäumte sich auf. Die Krähe verharrte einen Augenblick über ihm. Dann stürzte sie sich auf ihn herab. Zerschmetterte ihn. Zerbarst ihn. Tausende funkelnde Splitter prasselten wie Hagelkörner auf Ailsa herab. Einen winzigen Augenblick noch schwebte die Gespensterkrähe über allem. Erhaben, mutig, stark. Dann stand da plötzlich ihre Schwester.

„Nurinai!“, entfuhr es ihr da, „Nurinai! Du?“

Sie half ihr auf die Beine.

„Lauf Ailsa!“, erwiderte diese nur, nahm sie bei der Hand und lief los, „Lauf!“

Sie liefen. Liefen durch die Finsternis. Nurinai vor ihr, sie dahinter. Die Geweihte lief um eine Ecke, Ailsa hinterher und...

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Sie fand sich in der Ruine wieder. Noch immer hörte sie den Knaben weinen, noch immer lief sie, bis sie in der großen Halle ankam. Dort stand eine Wiege. Es war die Wiege des Erben der Baronie Greifenpass. Sie erkannte die Schnitzereien des Boltansrodener Rabens, der Leuin und des Greifen auf ihr.

„Hast Du schlecht geträumt?“, fragte die Baronin mit weicher Stimme und nahm ihren Sohn aus der Wiege heraus. Der Knabe verstummte in ihren Armen augenblicklich. Sanft wiegte die Mutter ihr Kind in den Schlaf, summte ihm ein Schlaflied vor, bevor sie ihn zurück in sein Bettchen legte. Dann wandte sie sich Ailsa zu: „Oh Ailsa, meine Ailsa. Du bist mir so lieb und teuer wie eine Schwester, bist meine Freundin, meine Vertraute und daher sorge ich mich um Dich, um Deine Zukunft, um Dein Wohlergehen.“

„Du brauchst Dich nicht zu sorgen“, versuchte Ailsa sie zu beruhigen.

„Doch!“, erwiderte sie da nur und senkte geradezu resignierend ihren Kopf, „Doch, das muss ich, Ailsa, das muss ich, denn dieser Mann... dieser Mann, Ailsa, er kann Dein Aufstieg oder aber Dein Verderben sein. Er kann Dich alles kosten, Ailsa, einfach alles. Er kann Dich in das größte Unglück stürzen, das Du Dir vorstellen kannst, Dir alles nehmen, was Du hast, was Du bist und je sein wirst, vielleicht verlierst Du sogar Deinen Kopf.“

Sie hielt einen Moment inne.

„Doch er kann Dir auch zu Ehre und Macht verhelfen. Er kann Dir eine Welt eröffnen...“

[...]

Das, was sein wird

26. Rahja 1041 [folgt noch]

Das, was bleibt

[fertig, greift die Träume auf]

Totgeboren

Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, Mitte Efferd 1042, am Morgen

Totenruhe

Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, Mitte Efferd 1042

Totenwacht

Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, Mitte Efferd 1042

Götterdienst

[...]

Warnung

„Du hättest wirklich zu Hause bleiben sollen“, hob Nurinai tadelnd an, als Mirya etwas zurückfiel, „In deinem Bett. So wie ich es dir gesagt habe.“

„Ich weiß“, erwiderte sie atemlos und ziemlich blass um die Nase, „aber ich konnte es meiner Tochter nicht abschlagen. Sie hat so viel durchgemacht. Sie hat es verdient, dass ich auch mal etwas für sie tue...“

Darauf wusste Nurinai nichts zu sagen. Braucht sie auch nicht, Mirya wollte reden, dass spürte sie.

„Sie hält sehr viel von Euch, Euer Gnaden, überaus viel. Ihr solltest sie mal reden hören!“, sie rang sich ein Lächeln ab, „Ihr wisst alles. Ihr könnt alles. Ihr helft jedem, egal ob Mensch oder Tier. Ihr seid immer da, wenn man Euch braucht. Ihr verurteilt nicht. Ihr nehmt die Menschen, so wie sie sind - Unvollkommen. Ihr...“

„Nella ist noch jung“, relativierte Nurinai, „Wenn man jung ist, erscheinen einem Menschen manchmal größer als sie sind, weil man selbst so klein und unbedeutend ist.“

„Ja“, sie nickte und ihre Stimme wurde plötzlich ganz leise, „Ihr seid ein guter Mensch. Ein sehr Guter. Ihr habt das alles hier... einfach nicht verdient!“

„Es geht nicht darum, was man verdient hat oder was nicht. Es geht darum, dass mein Herr mich aus einem bestimmten Grund hierher geschickt hat. Ich frage nicht aus welchem, er kennt ihn und das genügt mir.“

„Euer Herr, Euer Gnaden, hat uns hier genauso im Stich gelassen, wie alle seine zwölfgöttlichen Geschwister. Sie alle haben uns verlassen und uns dem ausgesetzt, was aus der...“, ihre Stimme brach, „Wir haben so lange nach ihnen gerufen. Wir haben gebetet und gefleht. So lange. So unglaublich lange.“ Tränen glitzerten in ihren Augen. „Aber wir wurden nicht erhört. Wir blieben allein. Sie haben uns verlassen.“

Nurinai nickte verständnisvoll.

„Wir mussten uns irgendwie... irgendwie selber helfen“, sie zuckte etwas hilflos mit ihren Schultern, „Das versteht Ihr doch...?“

Erneut nickte sie.

„Was hätten wir auch sonst tun sollen? Es war ja niemand da. Es hat doch niemanden gekümmert, solange wir unseren Verpflichtungen gegenüber unseren Herren nachgekommen sind. Und die hohen Herren in Gareth...“ Sie lachte. „Die interessieren sich doch nicht für Leute wie uns, für normale Leute. Da muss man schon adelig sein...“

„Glaub mir, auch das reicht nicht aus. Adelige gibt es so viele wie Vögel am Himmel“, hob nun Nurinai an, „Und das meine Schwester nun Reichsritterin zu Praiosborn ist, das hat nichts damit zu tun, das sie es verdient hat oder das sie hier gebraucht wird oder das ihr hier jemand braucht, der sich diesem Schrecken annimmt, sondern damit, das man etwas zwischen diesen Hohen Herren und der Finsternis hat. Etwas, dass sie einem vom Hals hält. Das sich um die Probleme kümmert und deswegen und nur deswegen hat man diese Lehen an Menschen gegeben, die entbehrlich für die da oben sind. Um es kurz zu machen: Von denen interessiert sich keiner für uns!“

„Dann haben wir ja etwas gemeinsam“, stellte Mirya nüchtern fest. Dann wandte sie erneut an und flehte: „Euer Gnaden, Ihr müsst gehen! Bitte! Geht so lange Ihr es noch könnt!“

„Ich kann nicht. Ihr braucht mich. Ihr alle!“, erwiderte diese nur, „Wer soll sich um euch kümmern, euch beistehen, euch zuhören oder euch die zwölf Götter wieder nahe bringen, wenn nicht ich?“

Sie schüttelte nur den Kopf: „Warum begreift Ihr das denn nicht? Die Götter haben diesen Ort verlassen. Endgültig verlassen. Sie kehren nicht zurück.“

„Sie können nicht zurückkehren“, stimmte die Geweihte da zu, „Denn sie waren nie fort. Sie waren immer da. Doch du blickst nur zurück und sieht nur die eine einzige Fußspur in der Erde hinter dir. Nur eine einzige und da fragst du dich, wo sie da waren, die Götter. Und du fragst zurecht. Doch schau dir deine Fußsohlen an! Schau sie dir ganz genau an! Kein Krümel Erde hängt daran, denn es waren die Götter und die Götter allein, die dich diesen langen und entbehrungsreichen Weg getragen haben.“

Einen Augenblick herrschte schweigen zwischen den beiden Frauen. Dann schüttelte Mirya langsam ihren Kopf: „Ihr versteht nicht. Ihr müsst gehen. Ihr müsst!“ Sie biss sich auf die Lippen, ließ ihren Blick zur Seite schweifen und erklärte: „Es beginnt alles damit, dass man nachts immer wieder erwacht. Man weiß nicht warum. Es gibt keinen Grund. Man erwacht dann immer häufiger. Irgendwann kommen die Träume. Schreckliche Träume. Träume von Tod und Verderben. Von verwesenden Leichen. Man hört sie rufen, schreien, obwohl sie tot sind. Zu Beginn sind es Fremde, doch dann werden es Freunde und irgendwann sind es die Eltern, Geschwister, die eigenen Kinder, diejenigen die man am meisten liebt. Man kann nicht mehr schlafen.“ Sie holte Atem. „Und dann, dann sieht man sie bei Tag. Sieht wie die Maden in ihnen krabbeln, wie sie in ihnen wühlen, wie sie sie auffressen. Bei den Augen, da fangen sie an.“ Sie deutete auf ihre eigenen Augen. „Und langsam, ganz langsam zehrt die Brache den eigenen Verstand auf und man fällt immer mehr und mehr dem Wahnsinn anheim, bis man nur noch einen einzigen Ausweg kennt - den Tod!“

Nurinai hörte aufmerksam zu.

„Ihr wärt nicht die Erste, der das widerfährt! Wärt nicht die Erste, die in den Praiosborn geht und dort für immer bleibt.“

„Ist das...“, hob Nurinai zaghaft an, „... schon einmal passiert? Hier passiert?“

Darauf gab Mirya keine Antwort, stattdessen sagte sie: „Ihr könnt mir noch so oft sagen, dass Ihr nicht unter diesen Träumen leidet. Ich glaube Euch nicht. Ich sehe es Euch an. Damals habe ich es ihr auch angesehen.“

„Ihr?“, fragte die Geweihte und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass es sehr wohl stimmte, was sie sagte. Zuerst war sie immer wieder nachts erwacht, dann waren die Träume gekommen. „Wovon sprichst du? Von wem sprichst du?“

„Wisst Ihr was mit der letzten Geweihten hier passiert ist?“

Nurinai wartete auf die Antwort.

„Eines nachts hat sie es nicht mehr ertragen und ist in den Praiosborn gegangen. Dort hat sie ihr Leben gelassen.“

Nun schüttelte die Geweihte ihren Kopf: „Man hätte nach ihr gesucht. Geweihte verschwinden nicht so einfach, schon gar nicht unbemerkt!“

„Hier an der Brache?“, Mirya lachte, „Hier sucht keiner nach einem! Wenn man verschwindet, dann hat sich die Brache denjenigen einverleibt. Und wer ist schon so lebensmüde und geht in die Brache um nach jemanden zu suche, der sehr wahrscheinlich bereits nicht mehr am Leben ist?“ Fragend sah sie die Geweihte an.

Eine Krähe ruft

An die Prätorin des Tempels unserer gütigen Etilia in Kammhütten, Greifenpass

Werte Líadáin,
 
 
 
 
als Du mir Marbhán geschenkt hast, da dachte ich, dass ich sie nie brauchen würde. Damals glaubte ich, dass sie nur eine Geste Deines Vertrauens in mich und eine Anerkennung meiner Fähigkeiten sei. Heute frage ich mich manchmal, ob Du nicht etwas geahnt hast.

Wie dem auch sei: Ich habe Marbhán einsetzen müsse. Es war eine schwere Geburt. Die Mutter lag seit Tagen in den Wehen, das Ungeborene jedoch steckte fest. Als ich eintraf, war es bereits nicht mehr am Leben. Es war schrecklich, Líadáin! So schrecklich! Genauso schrecklich wie damals. Doch die heilige Etilia stand mir bei und die göttliche Kraft unseres Herren hat mich die ganze Zeit erfüllt.

Das Schrecklichste war jedoch nicht, dass ich das Ungeborene auf diese Art und Weise habe holen müssen, sondern das es kein normal geartetes menschliches Wesen zu sein schien: Seine Gliedmaßen waren miteinander und ineinander verwachsen, dazu noch verkrüppelt, deren Anzahl lag ohnehin über denen gewöhnlicher menschlicher Wesen, Finger- und Fußnägel erinnerten eher an Krallen, die Augen an die einer Raubkatze, die Zähne waren bereits alle vollständig durchgebrochen, standen in zwei Reihen und waren messerscharf, der Rücken war eröffnet, sodass die Lunge zu sehen war, das Herz lag außerhalb der Brust. Allgemein erschien es mir mehr Tier als Mensch zu sein, nicht zuletzt, weil seine Haut mit einem dichten, dunklen Flaum überzogen war. So etwas, habe ich noch nie gesehen.

Es war auch nicht das einzige Kind, dass missgestaltet war. Ich war noch bei einer weiteren Geburt zugegen. Auch dieses Ungeborene war bei meiner Ankunft bereits tot. Da es aber noch Zeit gehabt hätte, dadurch noch nicht voll entwickelt war und deswegen noch recht klein, konnte es auf normalen Wege geboren werden. Die Unreifezeichen waren deutlich, die der Missbildung jedoch auch.

An einen Zufall glaube ich nicht, da auch der Praiosborn immer wieder missgebildete Fische hervorbringt, bin ich überzeugt, dass es etwas mit der Brache zu tun hat, mit der sich die Menschen hier auf eine seltsame Art und Weise arrangiert zu haben scheinen. Man hütet hier ein Geheimnis, dass man bisher nicht einmal mir anvertraut hat und was sollte das für eines sein, wenn nicht ein niederhöllisches?

Das Schlimmste jedoch, das Allerschlimmste ist, dass jemand das erste Ungeborene ausgegraben hat, nachdem ich es auf dem Boronanger begraben hatte. Líadáin, hast Du das schon einmal erlebt? Jemand ist des Nachts auf den Boronanger geschlichen, hat dort das eingesegnete Grab geöffnet und alle Einzelteile ausgegraben und mitgenommen. Ailsa hat mit der Inquisition gedroht, falls die Überreste nicht binnen Tagesfrist wieder da sind. Sie sind wieder aufgetaucht. Seitdem überantworte ich die Toten dem Feuer.

Die Ereignisse haben mich ratlos gemacht. Die Menschen reden einfach nicht und egal was ich versuche, ich kann ihr Schweigen nicht brechen. All die Geduld und das Verständnis, das ich ihnen versucht habe entgegenzubringen, haben mich bisher nicht weiter gebracht. Ich weiß einfach nicht, wie ich dem Ganzen hier noch begegnen soll. Was würdest Du tun?

Ich möchte Dich auch noch um einen weiteren Rat bitten, denn eine Frage quält mich ganz besonders: Wenn ein solches Kind jemals lebend zur Welt kommen sollte, was soll ich tun?
 
 
 
 
Hochachtungsvoll

Nurinai ni Rían

Eine Krähe antwortet

An die Dienerin des Raben Nurinai ni Rían in Praiosborn, Kaiserlich Brachenwacht, Garetien

Werte Nurinai,
 
 
 
 
unser Herr hatte einen Grund Dich und Deine Schwestern nach Praiosborn zu führen. Nun scheinst Du auf den Grund gestoßen zu sein und auch auf Deine Aufgabe, denn das es eine geben wird, das hat Bishdariel Dir in Deinen Träumen eröffnet. Und so wie er Dir einen Traum schickte, hat er auch mir einen geschickt und da wusste ich, dass es an der Zeit war Dir das geeignete Werkzeug an die Hand zu geben. Über das Wissen verfügst Du schon lange, dass Du auch kundig in der Anwendung bist, hast Du als meine Schülerin unter Beweis gestellt, nur das Instrument an sich, hat Dir gefehlt. Marbhán wird Dir treue Dienste leisten.

Die von Dir beschriebenen Ereignisse sind höchst besorgniserregend. Auf der einen Seite, weil ich vermute, dass Fälle von missgebildeten oder nicht lebensfähigen Kindern nicht neu sind, gleiches gilt für Fehl-, Früh- und Totgeburten. Auf der anderen Seite, weil es mir höchstes Unbehagen bereitet, dass es dort Personen gibt, die eingesegnete Gräber öffnen und die Begrabenen aus der geweihten Erde entnehmen. Das ist ein Frevel wider unseres Herrn!

Was Dein weiteres Vorgehen betrifft, so rate ich Dir: Halte Dich an die Frauen! Sie werden der Schlüssel sein. Denn die Frauen sind es, die missgebildete Kinder zur Welt bringen. Sie sind es, die tote Kinder zur Welt bringen. Sie sind es, die Fehlgeburten erleiden. Sie sind es, die besonders unter der Situation zu leiden haben und so werden sie es sein, die zuerst reden werden. Gedulde Dich noch ein wenig, Nurinai, doch sei unnachgiebig. Wenn sie Dir vertrauen, weil Du ihnen in ihren schwersten Stunden beigestanden hast, dann werden sie zuerst Rat bei Dir suchen und sich schlussendlich Dir offenbaren. So lange musst Du die Zeit nutzen: Höre zu, beobachte, damit Du ihnen, wenn sie sich Dir mitteilen, einen echten Ausweg bieten kannst. Hast Du sie überzeugt, werden die Frauen die Männer überzeugen.

Ich möchte Dir auch noch Deine letzte Frage beantworten: Der Rabe erhält, was des Rabens ist. Vergiss das nicht.
 
 
 
 
Hochachtungsvoll Líadáin ni Rían

Hüterin des Rabens im Tempel unserer gütigen Etilia

Iwo und Iwana

Von dem, was es zu ertragen gilt

Praios

Dämonenbrache, 25. BOR, gegen Mittag

„Warum machen wir das Ganze noch gleich?“, warf die Skaldin auf, da waren sie schon einige Zeit unterwegs und hatte recht schnell jeglichen Kontakt zu den anderen kleinen Jagdgesellschaften verloren. Damit hatten sie natürlich schon gerechnet, aber nicht damit, dass es so rasch gehen würde. Die Brache war unwegsam. Sie kamen nur sehr langsam voran. Aber sie hatten es nicht sonderlich eilig. Einen für die Pferde sicheren Weg zu finden, war nicht immer leicht, aber es gelang ihnen zumeist.

„Weil wir lebensmüde sind?“, schlug die Geweihte lachend vor.

„Wohl eher weil wir total bescheuert sind“, stellte Scanlail da klar, „Zumindest trifft das auf unsere Orknase hier zu. Immerhin erledigen wir gerade die Arbeit des Mersingers. Warum kümmert der sich eigentlich nicht selber – restriktiv alleine – drum? Sind doch seine eigenen Probleme. Was haben wir damit zu schaffen?“

„Weil sein eigener Arsch ihm der nächste ist“, mischte sich nun Ailsa ein, „Warum denn wohl sonst...“

„Und jetzt springen wir für den in die Bresche?“, stichelte sie weiter, „Und riskieren unseren Hintern?“

„Ja“, kam die Ailsas Antwort prompt, „So ist es.“

„Und was haben wir davon?“

„Das auch er sich eines Tages für uns in die Bresche wirft...“

„Das glaubst Du doch nicht wirklich!“, lachte die Skaldin da kehlig, „Warum sollte er das tun?“

„Weil es die anderen tun werden und wenn die anderen es tun, dann wird er denen in nichts nachstehen können, denn sonst wird er es sein, dem niemand mehr beisteht und das kann auch er – obwohl seine Familie über reichlich finanzielle Mittel verfügt – sich hier an der Brache einfach nicht leisten.“

„Hoffst du“, vermutete Scanlail.

„Ja, das hoffe ich“, nickte Ailsa nachdenklich, „Das hoffe ich wirklich.“

Einen Moment schwiegen sie sich an.

„Und nichts zuletzt müssen wir die Menschen an der Brache schützen“, merkte die Ritterin da an, „Und wenn wir auch nur eines dieser Untiere erledigen, so kann dieses eine schon kein Unheil mehr anrichten und das gereicht uns allen zum Vorteil – nicht nur dem Mersinger, sondern auch uns. So sollten wir das sehen. Es ist nicht nur etwas, dass wir für den Reichsjunker tun, sondern für uns alle. Vielleicht konnten wir damit eines oder gar mehrere Leben retten, wer kann das schon sagen? Doch ganz gewiss ist es auch etwas, dass wir für die Götter tun. Sie haben so lange Zeit schützend ihre Hand über uns gehalten und nun sind wir es, die für sie zu streiten haben. Für sie ziehen wir in den Kampf und in ihrem Namen begegnen wir dem, was für uns bestimmt ist. Und vielleicht schaffen wir es so, den Menschen um die Brache herum wieder die zwölf Götter nahe zu bringen, von denen sie so unglaublich weite entfernt scheinen. Denn wenn nicht wir in sie vertrauen, warum sollten sie es dann tun? Die, die seit Götterläufen unter der Brache zu leiden haben? Und sich auf eine verquere Art und Weise mit ihr arrangiert zu haben scheinen. Die Götter haben uns diese Aufgabe anempfohlen, auf dass wir sie in ihrem Sinne zu Ende bringen.“ Sie hielt einen Augenblick inne. „Lasst uns also eines dieser Biester zur Strecke bringen!“

Da stimmte die Geweihte ein Gebet an: „Götterfürst. Für Dich streiten wir. In deinem Namen kämpfen wir. Für die Menschen. Für Gerechtigkeit. Für Deine Ordnung. Weil Du uns an diese Stelle gesetzt hast. Weil Du uns diese Aufgabe zugedacht hast. Sieht gnädig auf uns herab und stehe uns bei. Erleuchte unser Herz mit deinem Licht!“

Denn der Tod ist der schnellste Reiter...“, hoben die drei Schwester nun zusammen an, „... und das Haus Rían reitet mit ihm.

Firun

Dämonenbrache, 25. BOR, gegen Abend

Das Praiosmal machte sich gerade daran, langsam hinter dem Horizont zu versinken. Sie waren bisher recht ziellos durch die Brache geritten, immer eine hinter der anderen und hatten sich stets jenen Weg gesucht, der für die Pferde am Besten geeignet schien. Es gab natürlich keine richtigen Wege, manchmal zwar ganz schmale Pfade, wie sie auch das Wild anlegte und nutzte, meist aber noch nicht einmal das, meist war es einfach nur Brachland – zerklüftet, verdorrt, unwegsam, voller Büsche, Sträucher und Dornen, umgestürzter oder verkrüppelter Bäume, viele kahl, sterbend, nur selten das ein oder andere grüne Blatt an den beinahe toten Zweigen, das Gras dürr, nicht grün sondern bräunlich, häufig nur lange dürre, vertrocknete Halme, die selbst der ständig hungrige Beißi einfach nicht fressen wollte und er hatte immer hunger. Immer.

Plötzlich brachte Ailsa ihr Streitross zum Stehen.

„Was, bei allen Zwölfen, ist denn da vorne los?“, wollte Scanlail wissen, „Kannst Du nicht aufpassen? Ich wäre fast auf Ihro Gnaden aufgeritten...“

„Ponykacke“, erwiderte Ailsa. Ihren Blick hatte sie fest auf den Boden gerichtet.

„Ponykacke?“, die Skaldin zuckte mit den Schultern, „Und jetzt?“

„Keine Ponykacke, sondern Ponykacke“, versuchte die Geweihte ihrer Schwester begreiflich zu machen. Die schaute sie aber nur mit gerunzelter Stirn an.

„Jetzt stell Dich doch nicht so an, Blasius und Baduar werden wohl kaum hier sein, oder?“, wurde Nurinai da deutlicher.

„Ja, aber dann ist es doch keine Ponykacke!“, beharrte Scanlail, „Dann ist es einfach nur... Kacke.“

Ailsa schnaubte laut und trieb ihr Streitross weiter. Ihre Augen hielt sie immer auf den Boden gerichtet, auf der Suche nach weiteren Spuren und tatsächlich, an einer etwas feuchten Stelle einige Schritt entfernt konnte sie einen Abdruck im Untergrund erkennen.

„Igitt!“, hörte sie die Skaldin hinter sich schimpfen, „Das sieht ja wirklich wie Ponykacke aus...“

„Na, was habe ich gesagt?“, erwiderte die Ritterin.

„Na ja, war ja klar, dass sich unserer werte Reichsritterin mit Kacke ganz besonders gut auskennt...“, frotzelte Scanlail da nur. Nurinai konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen: „Wo du recht hast...“

„Bei solchen Schwestern ist das wohl kaum verwunderlich“, murrte Ailsa da nur, während sie sich vom Rücken ihres Pferdes gleiten ließ, um sich die vermeintliche Spur genauer anzuschauen.

„Das habe ich gehört!“, beschwerte sich die Skaldin lauthals, „Eine Unverschämtheit ist das! Und so was von der eigenen Schwestern...“

Inzwischen war auch Nurinai von ihrem Pferd abgestiegen und hatte sich zu Ailsa an den Boden gesellt.

„Eine seltsame Spur, findest Du nicht?“, fragte die Ritterin da ihre Schwester und hielt zum Vergleich ihre Hand neben die Spur, die erschreckend klein wirkte, „Es hat etwas von einem Wolf. Von einem sehr großen Wolf. Ungewöhnlich groß.“

Die Geweihte nickte nachdenklich: „So etwas habe ich schon einmal gesehen. Auf diesem Ritualplatz...“

„Der angeblich schon seit Jahrhundert nicht mehr genutzt wird?“, lachte die Skaldin da kehlig, „Der aber immer noch in erstaunlich gutem Zustand ist. Seltsamer Zufall, findet ihr nicht auch?“

Alle nickten zustimmen und äußerst nachdenklich. Dass in Praiosborn etwas vor sich ging, das wussten sie alle, aber keiner von ihnen hatte bisher herausbekommen, was genau es eigentlich war.

Ailsa suchte nach weiteren Spuren und fand sie.

„Sieht das für Dich nach geschnürtem Trab aus?“, wandte sich die Ritterin erneut an die Geweihte.

Die folgte ebenfalls den Spuren und schaute sie sich genau an, während Scanlail sich laut räusperte: „Was ist geschnürter Trab?“

„Eine Gangart des Wolfes“, erwiderte Nurinai, „bei der er über lange Distanzen mit nahezu gleicher Geschwindigkeit läuft. Dabei setzt er die Hinterpfote genau in den Abdruck der Vorderpfote. Und weil sich die Spuren eben wie an einer Schnur aneinanderreihen, noch dazu geradlinig verläuft bezeichnet man diese Gangart als geschnürter Trab.“ Sie wandte sich erneut den Spuren zu und folgte ihnen noch etwas weiter. „Die Schrittlänge passt auch. Beträgt hier ungefähr 1,5 Schritt, was vollkommen normale ist, aber...“

„Kein erkennbarer Doppeltritt“, wandte Ailsa ein, „Zumindest kann ich keinen erkennen, Du etwa?“

Die Geweihte schüttelte zuerst ihren Kopf und erklärte dann der Skaldin: „Wenn der Wolf seine kleinere Hinterpfote in die Vorderpfote setzt, müsste man das bei genauem hinsehen auch erkennen. Normalerweise. Hier jedoch, sieht man nichts. Kein Doppeltritt.“

„Hm“, machte Scanlail da nur, „Dann geht er vielleicht...“ Sie schluckte. „.. auf zwei Beinen?“

Der Ritterin jagt ein kalter Schauder den Rücken hinab: „Wäre möglich. Gut möglich. Hier in der Brache.“

Mit einem mulmigen Gefühl verfolgten sie die Spuren des Untieres weiter.

Rondra

Dämonenbrache, 26. BOR

[...]

Eine Krähe setzte sich auf den gerade erst toten Leib. Ailsa blickte zu ihr auf. Die Krähe schaute sie aus ihren dunklen Augen an. Schaute sie direkt an. Und plötzlich hatte Ailsa das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Sie taumelte einige Schritte rückwärts, hielt die Krähe jedoch fixiert oder fixierte die Krähe sie? Da breitete das Tier seine Flügel aus und stieg in den Himmel hinauf.

Und die Krähe nahm Ailsa mit sich...

Boron

Dämonenbrache, 26. BOR

Nurinai reagierte schnell, fing die rückwärts taumelnde Ritterin geistesgegenwärtig auf und sackte mit ihrer Schwester in den Armen langsam zu Boden. Entsetzt stand Scanlail da, vollkommen entsetzt. Ihr Blick glitt zwischen Ailsa und der Geweihten immer wieder hin und her, doch sagen konnte sie nicht, auch nichts fragen, sie brachte ja nicht einmal die Lippen auseinander. Sie war vollkommen starr.

Und bevor eine der Schwestern ihre Sprache wiederfinden konnte, hatte sich die Pagin bereits neben die Ritterin gekniet. Lorine betete: „Ewiger, bitte halte Deine Hand schützend über meine Pagenmutter, begleite sie auf der Reise, auf die Du sie geschickt hast und bringe sie wieder in unsere Mitte zurück, auf dass sie Deine Botschaft erfasse und sie auf Deren verbreite.“

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Sie flog hinauf. Immer höher und höher. Hinauf durch den wabernden, giftigen Nebel. Hinauf zum hellen Licht des Pariosmals. Unter ihr die Sumpfwälder. Und die Sumpfwälder atmeten. Einem lebendigem Wesen gleich, atmeten sie. Zogen sich zusammen und dehnten sich aus. Waberten und wogten. Hektisch und unkontrolliert. Kräftig und schnell. Ohne Rhythmus, ohne Gefühl. Voller Schmerz, voller Pein. Voller klaffender Wunden. Eitriger Geschwüre. Kaum eine unversehrte Stelle mehr am ganzen Leib. Und irgendwo im Kampf um Leben und Tod gefangen. Auf immer gefangen. Ohne Entkommen. Ohne Ende. Ohne Tod. Weil es einfach nicht sterben konnte.

Und dann brach plötzlich etwas aus den schwärenden Wunden hervor – der geschundene Leib wogte schmerzerfüllt – etwas, das wie spitze schwarze Speere gleich dem Horizont entgegen wuchs. Immer weiter und weiter. Türme. Schwarze Türme. Schwarze, mächtige Türme.

Und jenseits der Brache verschwanden die Menschen. Straßen wurden zu Wiesen. Häuser brachen in sich zusammen. Tempel verfielen. Zurück blieben nur noch sanfte, leicht bewaldete Hügel. Und dort, wo die Kaisermetropole hätte liegen sollen, waren nur noch Ruinen. Zerstörte Häuser und Gebäude. Rauch und Staub stieg auf. Selbst die Stadt des Lichts lag in Trümmern. Teile der goldenen Kuppe des Parios-Tempels lagen über ganz Gareth verteilt. Sie schillerten und funkelten, wie gefallene Sterne. Dazwischen schlichen finster Schatten durch die Trümmer, auf der Suche nach etwas das lebte, das atmete. Etwas, dass sich bisher vor ihnen verbergen hatte können. Etwas, dass sie vernichten mussten. Sie fanden nichts mehr. Das Leben dort war ausgelöscht. Endgültig. Für immer.

Sie ließ sich tiefer sinken. Unter ihr ein Weiher. Bedeckt mit faulig grünem Schleim. Auch er atmete, wogte, bebte, waberte und stank. Modrig. Faulig. Verwesend. An seinem Ufer stach ein schwarzer Turm in die Wolken hinauf. Durchbohrte sie. Daneben eine windschiefe, verkrüppelte Eiche. Mehr hölzernes Skelett als Baum. Auf einem ihrer kahlen, verkrüppelten Äste ließ sie sich nieder. Spreizte ihre Schwingen und legte sie an.

Da erhob sich aus dem Turm ein Murmeln. Erst nur ganz leise, dann immer lauter und lauter und lauter und wie ein schmaler Bachlauf bei einem heftigen Regenguss, schwoll die Stimme an, quoll mehr und mehr aus dem Turm heraus, dröhnte stetig lauter, erfasste alles und jeden und riss es erbarmungslos mit sich. Immer weiter und weiter reichte sie. Legte sich einem klebrigen Spinnennetz gleich über die Brache, überzog ihren Sumpf und nahm den irrsinnig gewordenen Kadaver des Landes gefangen.

Da trat aus dem Schatten des Turms eine Gestalt. Eine schaurige Gestalt. Eine schwarze Gestalt. Ganz langsam wandte sie ihr Gesicht zu der Eiche, zu dem Ast, zu ihr – der Krähe – und blickte sie an. Blickte sie mit ihren Augen an. Feurige, blutrote Augen.

Hesinde

Dämonenbrache, 26. BOR

Efferd

Dämonenbrache, 27. BOR

Peraine

Dämonenbrache

Rahja

Dämonenbrache

Nella?“, entfuhr es Scanlail da plötzlich, als sie das Mädchen neben sich sitzen saß.

Die junge Schäferin schaute sie lächelnd an: „Den Zwölfen zum Gruße!“

„Die Zwölfe auch mit dir, Nella“, erwiderte sie etwas verunsichert, „Was machst du denn hier?“

„Ich?“, erwiderte das Mädchen und zeigte mit ihrer rechten Hand auf sich selbst, „Ich bin eigentlich gar nicht da.“

Die Skaldin lachte kehlig: „Was soll das denn heißen? Natürlich bist du da! Ich seh dich doch!“

„Ah das!“, sie winkte ab, „Eigentlich bin ich gar nicht da. Ich bin zuhause. Bei meinen Schafen. Die kann ich doch nicht alleine lassen. Die bekommen doch bald Lämmer.“ Um ihre Aussage zu bekräftigen nickte sie energisch. „Was Ihr nur wieder denkt! Was sollte ich denn hier bei Euch in der Brache?“ Vorwurfsvoll blickte das Mädchen sie mir ihren tiefbraunen Augen an.

„Ja... aber... aber... ich seh dich doch!“, beharrte die Skaldin und deutete geradezu verzweifelt auf das Mädchen neben sich.

„Ja“, nun nickte Nella eifrig, „Ja, klar sehr Ihr mich, weil Ihr Euch mich einbildet.“

„Ein... was?“, entfuhr es ihr.

„Einbildung. Halluzination“, half das Mädchen nach, „Wenn man Dinge sieht, die gar nicht da sind.“

„Eine Halluzination will mir erklären, dass sie eine Hallu...“, Scanlail lachte kehlig, „Ich... ich... ich versteh‘s nicht.“

„Was gibt‘s denn da nicht zu verstehen?“, fragte das Mädchen schulterzuckend, „Ich bin nicht da, weil ich zuhause bin, bei meinen Schafen, die brauchen mich, weil die bald Lämmer bekommen und ich da bei ihnen sein muss. Daher kann ich gar nicht hier bei Euch in der Brache sein – jetzt denkt doch mal nach! Was für einen Unfug Ihr da gerade redet! Und weil ich nicht da sein kann, bildet Ihr Euch mich eben nur ein, was gibt‘s denn da nicht zu verstehen?“

Mit gerunzelter Stirn schaute die Skaldin die junge Schäferin an.

„Beweis es“, forderte die Rían ihre Halluzination auf.

Nella kicherte vor sich hin: „Wie soll das denn gehen?“

„Dann lass dir... eben etwas einfallen!“

„Dann... dann...“, das Mädchen überlegte, „Dann spielt mir was vor.“

„Und wie sollte das beweisen, dass Du gar nicht wirklich da bist?“

„Das tut es nicht, aber dann hab ich wenigstens was davon und langweile mich hier bei Euch nicht...“

„Du bist eine Halluzination! HALLUZINATION! Du kannst dich gar nicht langweilen.“

„Woher wisst Ihr das so genau?", sie legte ihren Kopf leicht schräg und musterte Scanlail, "Wart Ihr schon mal eine Halluzination?“

„Nein... Nein, natürlich nicht. Aber... aber das ist doch logisch. Wie sollte das denn überhaupt gehen? Eine Halluzination die sich langweilt, wo gibt's denn so was?“

„Na hier! Und Ihr seht doch, dass es geht. Warum fragt Ihr dann so blöd?“

Scanlail schlug sich gegen ihre Schläfe und rief laut: „AAAAHHHH! Ich werd‘ wahnsinnig! Ich werd‘ wirklich wahnsinnig!“

Aber Nella gab nicht nach: „Wie sieht es jetzt aus? Spielt Ihr was? Das Koscher Wiegenlied aus Eurer Heimat gefällt mir ganz besonders, spielt Ihr mir das?“

Nun seufzte die Skaldin schwer: „Und worauf sollte ich das denn spielen?“

„Na auf der Flöte, die ich Euch geschenkt habe.“

„Auf der...“, nun schüttelte sie ihren Kopf, „Die ist absoluter Mist! Die funktioniert doch gar nicht! Aus der kommt kein einziger Ton!“

„Ach, Ihr habt sie doch noch gar nicht ausprobiert.“

„Und ob! Mehrfach sogar. Aber aus diesem dummem Ding kommt einfach kein einziger Ton raus.“

„Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass Ihr gar nicht spielen könnt?“, herausfordernd schaute das Mädchen sie an, „Kann ja jeder von sich behaupten, dass er eine Skal...“

„So“, entgegnete sie nun der jungen Schäferin zornig und zog die kleine Flöte aus einer ihrer Innentaschen heraus, „Pass auf. Ich zeig dir gleich, was für einen Scheiß du mir geschenkt hast.“

Sie setzte die Flöte an die Lippen, die Finger auf den schmalen Öffnungen und blies und... ein Ton erklang. Ein Ton erklang!

Verblüfft und auch ein bisschen entsetzt blickte sie drein. Blies erneut. Wieder erklang ein Ton. Sie wechselte die Finger, ließ eine andere Öffnung frei, blies wieder hinein und wieder erklang ein Ton.

„Das... das verstehe... verstehe ich nicht“, erwiderte sie seltsam Kleinlaut, „In Praiosborn hat sie nicht funktioniert. Ganz sicher nicht.“

Nella trug ein geheimnisvolles Lächeln auf den Lippen. Sie zuckte mit den Schultern und erklärte: „Die Brache hat ihre eigenen Gesetze. Ihre ganz eigenen. Spielt Ihr mir jetzt das Wiegenlied aus Eurer Koscher Heimat? Ihr spielt und ich singe?“

Scanlail spielte und Nella sang und in Gedanken sprach die Rían ein leises Gebet: ‚Oh Herrin der Morgenröte, wie großzügig hast Du mich mit Deinen Geschenken bedacht. Ich werde Dir auf ewig dafür verbunden sein!‘

Travia

Dämonenbrache

Tsa

Dämonenbrache

„Wie lange liegt sie schon so da?“, fragte Nurinai die kleine Pagin und versuchte ihre Sorge so gut es ging zu verbergen.

„Seid Ihr weg seid“, erwiderte das Mädchen, „Seit dem liegt sie so da.“

Ailsa lag auf auf einer Decke auf dem Boden im Inneren des Boron-Schreines. Über sie war eine weitere Decke und ihre dicke, schwarze Cappa gebreitet. Einzig ihr Gesicht war zu sehen. Ein blasses, aschfahles Gesicht, bewegungslos und starr. So kannte man sie nicht.

„Hm“, machte die Geweihte da, nachdem sie ihre Schwester noch einmal genau angeschaut hatte. Scanlail blickte sie fragend an.

„Und sie ist nicht aufgewacht oder dergleichen?“, fuhr Nurinai fort.

„Nein“, Lorine schüttelte ihren Kopf. Tränen glitzerten in ihren Augen. „Aufgewacht ist sie nicht. Sie war ganz fiebrig, hat im Schlaf gesprochen, aber ganz wirr und undeutlich, dass ich es gar nicht verstanden habe. Ich hab ihr ein paar Tage Wickel mit Donf gemacht, damit ist ihr Fieber weggegangen.“

„Hm“, machte die Geweihte da erneut.

„Sie kommt doch wieder, ihro Gnaden Nurinai? Tut sie doch, oder?“, mit ihren großen blauen Augen schauten sie die Geweihte an.

„Was soll das denn heißen?“, echauffierte sich die Skaldin, „Was, bei allen Zwölfen, meinst Du mit ‚sie kommt doch wieder‘?“

„Ich habe gehört... also...“, druckste das Mädchen nun herum, „... dass nicht alle zurück... kehren. Manchen... ja manchen schickt der Herr Boron eine Vision und sie ist so... so stark und... und führt sie so weite weg, dass... dass sie nie wieder... nie wieder... zurück finden... ins Leben.“

Da schluckte Scanlail schwer. „Das denkst Du Dir doch geraden nur aus“, schimpfte sie da, „Nurinai, sag mir, dass sie sich das nur ausdenkt!“

Die Geweihte schenkte ihrer Schwester einen langen, vielsagenden Blick, ehe sie erwiderte: „So etwas hat es schon gegeben.“

Die Skaldin machte ihren Mund auf, wollte etwas erwidern, irgendetwas, aber sie wusste einfach nicht was, so sehr sie sich auch mühte, ihr fiel einfach nichts ein, weswegen sie ihn einfach wieder zuklappte und ihre Schwester auffordern anblickte.

„Aber...“, hob diese nun an, „... das kommt so selten vor. Wirklich ausgesprochen selten. Und... und abgesehen davon hat Ailsa… deine Pagenmutter... also die hat ja...“

„... die hat noch so vielen in ihre hübschen Ärsche zu treten – diesem merkwürdigen Abt vom Hesinde-Kloster oder dem Síofra oder dem Marktvogt höchstpersönlich, wobei zugegeben nicht alle von denen einen hübschen Arsch haben, aber zum Reintreten reicht auch ein hässlicher – Du siehst also, die kommt auf jeden Fall zurück! Ganz sicher sogar. Du glaubst doch nicht wirklich, dass sie sich das entgehen lässt, oder?“, griff Scanlail die Worte ihrer Schwester auf und untermalte diese gegenüber der Pagin mit einem energischen Nicken.

Nurinai lachte: „Besser hätte ich es auch nicht formulieren können, thorwalsche Rose.“

Lorine überzeugte das allerdings nicht so wirklich: „Und warum ist sie dann bisher noch nicht zurück gekommen?“

„Weil... weil...“, suchte Scanlail nach Worten, „Weil es manchmal eben dauert. Manchmal ist das eben so.“

Zweifelnd blickte das Mädchen die Geweihte an und Nurinai nickte lächelnd: „Sie hat recht. Manchmal dauert es eben ein wenig. So eine Vision ist kräftezehrend und manche brauchen länger um sich davon zu erholen als andere. Ailsa mag eine Ritterin sein, sie kann ihre Orknase und auch das Schwert hervorragend führen, auch mit Saufeder und Lanze vermag sie umzugehen, aber das Geschenk, dass mein Herr ihr nun gemacht hat, das ist etwas vollkommen Neues für sie. Gib ihr etwas Zeit, Lorinchen. Sie wird keine von uns verlassen. Keine.“

Da rang sich die Pagin ein Lächeln ab und versuchte aufmunternd drein zu blicken: „Ich habe immer zum Herrn Boron gebetet. Und auch zur heiligen Etilia.“ Sie nickte energisch. „Können wir jetzt auch beten? Zusammen?“

Die Geweihte nickte: „Klar.“

Sie setzten sich um die noch immer bewusstlose Reichsritterin, hielten sich an den Händen und die Geweihte wandte sich an die Götter oder viel mehr an eine ganz besondere Göttin: „Ewig Junge, Du, mit der alles beginnt, Du, die uns ins Leben führt, führe auch unsere Schwester wieder ins Leben zurück.“

Phex

Dämonenbrache

Ihr Blick hielt sie. Band sie. Durchdrang sie. Machte sie kalt und starr. Sie vergaß, dass sie Flügel hatte und hätte davon fliegen können. Sie vergaß alles um sich herum, alles und jeden. Für sie gab es nur diese Augen, diese feurigen, blutroten Augen, die sie lähmten, die sie...

Da stießen plötzlich zwei weitere Krähen herab. In wildem, geradezu irrem Flug umkreisen sie sie. Immer wieder und wieder. Tollkühn stellten sie sich der Gestalt in den Weg und durchtrennten mit ihrem Gehabe das mächtige gewebte Band, brachen die Magie, welche von den feurig, blutroten Augen ausging, krächzten und schrien, stießen herab und dann wieder herab und...

Da begriff sie plötzlich, dass sie eine von ihnen war, dass sie eine Krähe war. Sie spreizte ihre Flügel, erst langsam und vorsichtig, als müsste sie sich versichern, dass sie wirklich welche hatte, dann heftiger. Sie ließ sich von dem Ast fallen, stürzte zu Boden, drohte mit voller Wucht aufzuschlagen, doch dann schlug sie mit den Flügel, schlug heftig und stark – das Fliegen verlernte man nicht – und erhob sich in die Lüfte. Höher und höher. Immer höher flog sie. Die Gespenster- und die Nebelkrähe dicht an ihrer Seite. Sie leiteten sie, führten sie. Immer wieder stießen sie Rufe aus, versicherten sich, dass sie noch da war und flogen dann weiter. Immer weiter und weiter flogen sie. Unter ihnen erstand unterdessen Gareth wieder aus den Trümmern. Die Schatten verschwanden. Aus Ruinen wurden Häuser und Gebäude und die Kuppel des Praios-Tempels erstrahle gülden im Licht des hoch oben stehenden Praiosmales. Und auch jenseits der Metropole kehrten die Menschen zurück. Über die sanften Hügel begannen sich Straßen zu ziehen, trennten Wälder, Wiesen und Felder. Häuser wuchsen empor. Korn stand gülden auf den Äcker, die Halme bogen sich unter der schweren Last der goldenen Ähren.

Und die Brache schwieg. Atmete, aber schwieg. Sie zogen über sie hinweg. Flogen über sie. Immer weiter und weiter. Sie konnten sie atmen hören. Atmen. Zwar nur ganz leise, aber sie konnte es hören oder vielmehr spüren.

Sie ließen sich sinken. Folgten dem leichten Luftstrom, dem Atme der Brache. Er schien sie anzuziehen. Immer abwärts, immer weiter. Vor ihnen kam ein rundes Gebäude in Sicht. Ein kleines Rundes Gebäude. Mit einem Säulengang. Sie sanken weiter. Immer weiter und weiter, bis ihre Füße den Boden erreichten.

Und Ailsa erwachte. Einen Augenblick starrte sie verwirrt in die Dunkelheit hinein, wusste nicht, was sie geweckt hatte, da erkannte sie die Umrisse der Vögel. Die weißen Zeichnungen der Nebel- und Gespensterkrähe hoben sich deutlich sichtbar gegen die Finsternis ab. Die dritte Krähe jedoch, blieb ihr verborgen, denn mit ihrem vollkommen schwarzen Gefieder fügte sie sich völlig in die Umgebung ein. Irgendwo in der Ferne hörte sie das Bellen eines Fuchses.

„Danke, Herr der Nacht“, wisperte sie mit kehliger Stimme, „Ich schulde Dir wohl was.“

Damit drehte sie sich auf die Seite und glitt in Borons Arme.

Ingerimm

Dämonenbrache

Die Würfel sind gefallen

[Erste Begegnung]

[Brief 1 - Erinnerungen]

An die Dienerin des Raben Nurinai ni Rían, Praiosborn, Kaiserlich Brachenwacht

Ihro Gnaden Nurinai,
 
 
 
 
ich möchte mich bei Euch noch einmal bedanken, dass Ihr mir und Nebelstreif zur Seite gestanden habt.

Zu Beginn, das muss ich Euch nun wohl eingestehen, war ich etwas skeptisch, schließlich seid Ihr eine Dienerin des Herrn Boron. Doch mit Eurer geduldigen und liebevollen Art und Eurem unermesslichen Wissen, habt Ihr nicht nur mich überzeugt, sondern auch meiner geliebten Stute zur Genesung verholfen und obgleich die Zeit und auch die Umstände es eigentlich nicht erlauben, so will ich Euch doch sagen, dass ich nicht nur sehr froh war, Euch an meiner Seite zu wissen, sondern die Zeit mit Euch auch genossen habe.

Ihr seid eine bemerkenswerte junge Frau und ich kann Euch gut leiden. Ich hoffe sehr, dass wir uns eines Tages wiedersehen.
 
 
 
 
Hochachtungsvoll

Yolande von Raukenfels

[Brief 2 - Sympathie]

Yolande von Raukenfels, Stadt Samlor, Baronie Hirschfurten

Werte Yolande,
 
 
 
 
es freut mich zu hören, dass Ihr und Euer Pferd wohlauf seid. Beobachtet in der nächsten Zeit, wie Nebelstreif auf ihr Futter reagiert. Auf diese Weise ist es sehr wahrscheinlich, dass ihre Neigung zu Koliken rapide sinkt oder sogar ganz verschwindet. Falls diesbezüglich Probleme oder Fragen auftauchen sollten, wisst Ihr ja, wo ich zu finden bin.

Auch ich empfand Eure Gesellschaft als durchaus angenehm. Ihr seid eine aufmerksame und gelehrige junge Frau. Doch gerade Eure offene und ehrliche Art hat mich positiv beeindruckt. Seid versichert, dass Ihr jederzeit in Praiosborn willkommen seid!
 
 
 
 
Hochachtungsvoll

Nurinai ni Rían

[Brief 3 - Anziehung]

Was eine Novizin werden will

Aller Anfang ist schwer

Befleckt

Drei Krähen und zwei Räblein

Krähen im Maul des Greifen

Das eiserne Band