Geschichten:Die Legende von Korbronn - Teil 8
Seit fünf Stunden brüteten sie schon über den zahllosen Hinweisen und Informationsfragmenten, die sie binnen der letzten beiden Tage zusammen getragen hatten.
Die Schankstube des „Schwarzen Hirschen“ war zur Hälfte von den Suchenden in Beschlag genommen worden, denn überall hatten sie Stücke alter Karten ausgebreitet und Aufzeichnungen verteilt.
Ein alter Müller hatte berichtet, dass sein Sohn in der Baronie Kressenburg eine eigene Mühle besäße und dass es dort in der Nähe einen Hort der Draconiter gäbe. In diesem Hort des Wissens solle es Hinweise auf den verschollenen Korbronn geben.
Die Aufzeichnungen eines reisenden Händlers Namens Perwin Hohlinger, der von gut einhundertfünfzig Götterläufen lebte, berichteten, dass er in der Nähe des Finsterkammes eine sonderbare Quelle gesehen hätte, aus der das Wasser heiß und in seltsamen Farben hervor träte. Der Wegbeschreibung war zu entnehmen, dass der Ort dieser sonderbaren Entdeckung wohl nordöstlich der Baronie Greifenhorst liegen musste.
Eine steinalte Kürschnerin hatte Gar’wain erzählt, dass der Herr Kor selbst herab gestiegen sei, um den Korbronn dem Erdboden gleich zu machen, nachdem die Menschen in einer nahe gelegenen Siedlung ihn erzürnt hatten.
„Mit blutiger Faust hat er die Ungläubigen zerschmettert, die ihn erzürnt hatten. So ist es, jaja.. und dann beschloss er den Quell versiegen zu lassen und träufelte einen Tropfen seines eigenen göttlichen Blutes hinein, woraufhin das Wasser nicht mehr sprudelte.. jaja, so war’s gewesen!“ Gar’wain hatte der Alten fast zwei Stunden zugehört und dabei wenig Hilfreiches, aber beinahe alles über die Familienverhältnisse der Alten sowie ihre gesammelten körperlichen Gebrechen erfahren. Dementsprechend ermüdet saß der Nebachote zusammen gesunken auf einem Stuhl und trank gelegentlich einen Schluck aus seinem Bierkrug. Khorena versuchte sich alle Fakten der Erzählungen zu merken, stellte aber bald fest, dass es irgendwie zu viel wurde. All die Orte, von denen sie noch nie etwas gehört hatte in Gegenden, die sie nicht kannte.
Auf einem alten Stück Pergament fand sich eine handgezeichnete Karte, auf der im Süden, ein gutes Stück entfernt vom Rande des märkischen Reichsforstes ein kleiner Ort eingezeichnet war. Jedoch war die Schrift kaum noch zu entziffern. Mit gutem Willen konnte man ein K am Beginn des Ortsnamens entziffern, aber alles andere blieb ein Rätsel. Die Tinte war vor langer Zeit schon verblasst.
„Der alte Müller meinte, dass es einst einen Ort gegeben hätte, der den Namen Korbronn trug.“ Wolfward verschränkte die Arme und legte die alte Stirn in Falten.
„Von so einem Ort habe ich in Greifenfurt noch nie gehört.“ sagte Cordovan.
„Ich auch nicht, aber wenn der Ort genauso von Deres Antlitz verschwunden ist wie der Quell des Kor, dann ist das nicht verwunderlich. Im tiefsten Wald der Mark; nun damit meinte der erleuchtete Nazar sicherlich den Reichsforst, zumindest den märkischen Teil.“
Eldwin seufzte leise. „Aber wenn der Brunnen doch im märkischen Reichsforst verborgen sein soll, dann kann dieser Ort unmöglich Korbronn sein, denn dieses Dorf liegt auf der Karte ein gutes Stück entfernt vom Wald.“
Die anderen blickten den jungen Mann an und Resignation breitete sich in ihren Augen aus.
„Du hast recht,“ meinte Rondrigo und schüttelte enttäuscht den Kopf.
Khorena saß inmitten diverser Pergamentfetzen und wühlte ziellos darin herum.
Ihr Kopf und ihre Augen schmerzten, denn man hatte noch nicht einen entscheidenden Hinweis entdeckt.
Als sie mit ihrem Bruder und den anderen aufgebrochen war, hatte sie ein aufregendes und geheimnisvolles Abenteuer erwartet und nicht das Herumwühlen in uralten verstaubten Wälzern, Folianten und Schriftstücken.
Alles erschien verworren und widersprüchlich, so als würde ein feiner grauer Schleier die Wahrheit über den Verbleib des Korbronn vor den Augen den Suchenden verhüllen.
„Von wann ist diese Karte überhaupt,“ fragte sie beiläufig, während sie ihre pochenden Schläfen massierte.
„Keine Ahnung,“ meldete sich Cordovan zu Wort, während er in einigen seiner Aufzeichnungen wühlte. „Hier habe ich es, die Karte ist... nicht datiert, aber der Secretarius des Archivs war sich sicher, dass diese Karte schon mindestens vierhundert Jahre alt muss.“
Rondrigo blickte seine Schwester durchdringend an – in seinem Geist manifestierte sich ein Gedanke.
„Was denn?“ fragte sie beinahe beleidigt, denn für heute hatte sie genug.
Doch auch Cordovan hatte verstanden. „Wenn diese Karte uralt ist, dann ist es gut möglich, dass der Reichsforst sich ausgedehnt hat und dieser Ort,“ er deutete mit dem Finger auf das Dorf dessen Namen von der Karte verschwunden war, „nunmehr davon umgeben ist.“
„Das könntä wirklisch sain.“ sagte Gar’wain, der nun plötzlich auch wieder lebendiger wirkte.
Man hatte natürlich keine verlässliche Karte vom Süden der Mark greifbar, aber in einem noch nicht so alten Bericht über den Zustand der Straßen hatte jemand eine handgezeichnete Karte der Baronie Kressenburg hinterlassen.
Es war offensichtlich: der Reichsforst hatte sich weiter in die Mark Greifenfurt ausgedehnt und auch wenn man beide Karten kaum richtig miteinander vergleichen konnte, da der Maßstab sehr ungenau war, konnte man vermuten, dass das Dorf, welches man als Ziel der Queste vermutete nunmehr im Wald lag.
„Danke, liebste Schwester,“ platzte es aus Rondrigo heraus, der Khorena einen Kuss auf die Wange drückte. „Könntest Du vielleicht versuchen einen Teil der Skizzen abzuzeichnen? Wenn deine Hand immer noch so sicher und kunstvoll wie früher ist, dürfte das bestimmt kein Problem für dich sein, oder?“
Neugierig von allen Augen gemustert stimmte Khorena zu, obwohl sie müde war.
Doch der Eifer ihres Bruders und seiner Gefährten gab ihr wenig neue Kraft.
„Natürlich, ich fange sofort an.“
„Cordovan, Gar’wain, könntet ihr noch ein wenig Reiseproviant besorgen? Morgen brechen wir gen Süden auf.“
Der Ordenskrieger Masato Falkenberg, der recht wenig gesprochen hatte schaute zu seinem Wächter kurz rüber, doch der nickte nur. Dieses Zeichen als Zustimmung deutend richtete er sich auf und ging auf Khorena zu. „Verzeiht. Ich sehe, dass ihr müde seid und Ihr noch einiges vor Euch habt. Wenn Ihr es wünscht kann ich helfen. Man sollte sich nicht selber loben, doch wann immer ich etwas Zeit erübrigen kann und es mein Dienst zulässt, verkrieche ich mich in die Wälder und zeichne doch recht erfolgreich die Umgebung. Man sagt die Kunst beruhigt einen und man kann Kraft aus ihr schöpfen. Ich halte dies für wahr. Nun lange Rede kurzer Sinn, bisher habe ich zwar noch nie eine Karte abgezeichnet, doch wenn Ihr es wünscht stehe ich Euch gerne mit meinen bescheidenen Fähigkeiten zur Verfügung. So kommen wir vielleicht alle zu einer annehmbaren Zeit ins Bett.“
Der etwas fremdländlich aussehende Korporal lächelte Khorena an und war gespannt wie ihre Antwort ausfallen würde.
Dessen ungeachtet dass ihre Augen schwer wie Blei waren holte Khorena ihre Zeichenutensilien hervor. Ihre Reisegefährten waren schon längst in ihren Zimmern verschwunden, als sich beim Schein der Kerzen langsam eine Karte zu formen begann. Rondrigo war noch ein wenig länger geblieben, stellte aber schnell fest, dass seine Schwester ihre ganze Konzentration dem Zeichnen widmen musste. Es war nicht leicht, auf der von Satinav gezeichneten Karte genaue Wegpunkte zu finden, die mit der Neueren übereinstimmten, aber irgendwann war es geschafft. Die Kerzen waren nun fast heruntergebrannt und am Horizont konnte man schon den neuen Tag erahnen, als auch Khorena endlich den Weg in ihr Bett fand.