Geschichten:Ausgeschwärmt – Travia
Dämonenbrache, 29. Boron, am Abend
Nurinai irrte weiter umher. Irrte immer noch umher. Sie wusste nicht wo sie war oder gar wo sie hinging und irgendwie war es ihr auch gleich. Es hatte so vieles an Bedeutung verloren, nun da sie in der Brache war und so weit von ihrem Herrn entfernt, wie noch nie in ihrem ganzen Leben. Was war da noch wichtig? Ja, was nur?
Sie konnte nichts mehr spüren. War mehr leere Hülle als alles andere. Und sie fragte sich wie lang es noch dauern würde. Wie lange würde es noch dauern, bis die Brache ihr den Garaus machte? Bis sie sie verschlang? Hatte Yolande sie nicht davor gewarnt? Genau davor? Und sie, Nurinai, sie hatte nicht gehört. Sie hatte tatsächlich geglaubt, dass ihr Herr sie nicht alleine ließ. Doch er hatte sie alleine gelassen. Ganz allein.
Eigentlich blieb ihr jetzt nur eine Hoffnung. Eine einzige. Die Hoffnung, dass es bald und möglichst schnell geschah...
Da hörte sie plötzlich in der Ferne leises Flötenspiel. Innerlich lachte Nurinai. Zuerst hatte sie Yolande gesehen, warum sollte sie da Scanlail nicht auch hören? Sie spielte das Koscher Wiegenlied. Sie erkannte die feine, tragende Melodie. Nurinai mochte es. Es erinnerte sie an ihre Kindheit, an die Geborgenheit zuhause. An ihre Mutter, die es manchmal einfach so vor sich hin summte, ja manchmal auch sang. Es war ein schönes Lied, so voller Gefühl, voller Freude und auch voller Trauer. Ja wahrlich, ein schönes Lied. Ein sehr schönes sogar.
Sie folgte dem Flötenspiel, sodass es stetig lauter wurde. Und dann sah sie auch Scanlail. Die Skaldin saß in einer kleinen Senke, die Flöte an ihren Lippen. Es war jene, die Nella ihr geschenkt hatte, aber aus der Scanlail keinen Ton hervorgebracht hatte. Nur jetzt, jetzt in Nurinais Halluzination, da spielte sie darauf und entlockte ihr gar liebliche Töne.
„Nurinai?“, rief da Scanlail plötzlich und unterbrach ihr Flötenspiel, „Nurinai!“
Teilnahmslos schaute die Geweihte auf die zerzauste Skaldin hinab.
„Nurinai!“, versuchte sie es erneut und wedelte mit beiden Armen, um so endlich die Aufmerksamkeit ihrer Gegenüber auf sich zu ziehen, „Blühende Narzisse, hier bin ich. Hier drüben! Jetzt schau doch schon her!“
Noch immer guckte Nurinai apathisch.
„Totengräberin!“, brüllte Scanlail da, holte aus und warf ihrer Schwester mit voller Wucht die Beinflöte gegen den Kopf.
„Aua!“, entfuhr es da Nurinai, die sich augenblicklich die schmerzende Stelle an der linken Schläfe rieb, „Bist Du eigentlich bescheuert? Willst Du mich umbringen?“
Grimmig guckte die Skaldin ihre Schwester an: „Ich bescheuert? Du spinnst doch!"
„Scanlail?“, wisperte die Geweihte da, „Du... Du... Du bist es ja wirklich! Du...“
Und die Geweihte begann zu laufen. Stolperte und fiel. Rappelte sich auf. Lief weiter. Fiel erneut. Stand wieder auf. Und fiel schlussendlich ihrer Schwester unter Tränen in die Arme. Scanlail drückte die Geweihte ganz fest an sich.
„Oh, thorwalsche Rose!“, wimmerte Nurinai leise, „Wo warst Du nur? Wo hast Du Dich... nur versteckt? Ich hab dich... gesucht. So lange... gesucht. Überall gesucht.“
Auch Scanlail weinte: „Ich hatte solche Angst. Solch schrecklich... schreckliche Angst. Ich dachte... ich dachte... ich... ich hätte euch verloren. Dich und... Ailsa. Verloren. Für... für immer.“
„Ich auch“, wisperte die Geweihte und schmiegte sich ganz dicht an ihre Schwester, „Ich doch auch.“
„Was wäre ich denn... denn nur... ohne... ohne dich... ohne... ohne euch?“
„Nicht ganz!“, erwiderte die Geweihte, „Einfach nicht ganz.“
„Gütige Mutter“, hob Scanlail da an, „Mit welch großartiger Familie hast Du uns bedacht!“
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