Geschichten:Ungeahnte Konsequenzen
Nur einen Praiosläufe vor dem Besuch, war ein Bote eingetroffen und hatte diesen angekündigt. Nichts was die neue Hausherrin von Schloss Ulmenrain sonst aus der Bahn geworfen hätte, doch hatte Leonore von Vairningen in diesem Falle sehr konkrete Vorstellungen für die Vorbereitungen. Eine Reiterin mit kleiner Bedeckung, die zur Überraschung der meisten Schlossbewohner bereits kurz nach ihrer Ankunft in einen ganz speziellen Salon geführt worden war. Ein Raum der eigentlich ausschließlich der Familie vorbehalten war.
Niemand der heute im Schloss lebte, konnte noch die einst bescheidenen Ursprünge des damaligen Rittergutes erahnen, geschweige denn erkennen. Stattdessen strotzte alles nur so vor Prunk und Pracht. In den vergangenen Monden hatte sich allerdings so einiges gewandelt, die alten Portraits der Borstenfelds waren abgenommen und vernichtet worden, an ihrer statt waren nun Gemälde und Portraits der neuen Herrscherfamilie aufgehängt worden. Der Raum aber, in den die Gäste gebracht worden waren, barg ein ganz besonderes Kunstwerk. Seine Wände waren zur Leinwand für den Stammbaum der Familie geworden. Anders als ihr Gatte, sah Junkerin Leonore das Erbe der Familie mit Stolz und wollte diesem Gefühl auch Ausdruck verleihen. Sie selbst mochte nur eingeheiratet sein, allerdings wollte sie das Blut ihrer Familie die von Vairningens wertschätzen und dieses fand immerhin seinen Ursprung in die Zeit der Reichsgründung. Folglich war die Arbeit des Malers keine leichte gewesen. Nachdem man sich über viele Generationen auf den mächtigen Hauptstrang, dem Stamm, der Familie konzentriert hatte, fächerte das Astwerk in den jüngeren Generationen weit auf und offenbarte seine wahre Pracht.
Begleitet von ihrer Schwiegertochter, Rondriane, betrat die Junkerin den Salon. Dabei übernahm die jüngere Frau als erstes das Reden: „Im Namen der alveranischen Zwölf heiße ich Euch herzlich in Ulmenrain willkommen. Ich bin Rondriane von Vairningen, die Kastellanin des Anwesens, und dies ist Ihre Wohlgeboren Leonore von Vairningen, die Junkerin zu Borstenfeld.“ Aufgeweckt und freundlich grüßte sie die Gäste, ohne zu wissen wen sie dort empfing.
Die ruhige Stimme Leonores erfüllte den Raum, als auch sie ihre Gäste begrüßte: „Travia zum Gruße Hochgeboren. Es freut mich Euch persönlich kennen zu lernen und hier begrüßen zu dürfen.“ Nicht nur das ihre Gäste in diesem Salon waren, auch das förmliche Verhalten ihrer Schwiegermutter überraschte die Kastellanin. Wer nur waren ihre Gäste?
Während sich das Personal ausruhte oder damit beschäftigt war die Zimmer herzurichten, waren nur drei der Gäste anwesend. Ein junger Ritter und eine junge Ritterin die eine ebenso junge, doch höfisch gekleidete Frau begleiteten. Es war der Ritter der als erstes für die Gäste sprach: „In Travias Namen danken wir Euch für Eure Gastfreundschaft. Ich bin Ritter Randolph Angrawen von Vairningen.“ Stellte er sich selbst vor und während er fortfuhr um die beiden Damen in seiner Begleitung vorzustellen. Zugleich ging der Kastellanin endlich ein Licht auf. „Meine Schwester, die Hohe Dame Darpatia Svelinya von Vairningen …“ Dabei war auch ohne das er auf sie verwies eindeutig das er die ihm ähnlich sehende Ritterin meinte, die sich zudem dabei kurz verbeugte. „… und Ihre Hochgeboren Vea Raxa Timerlain von Vairningen, Baronin zu Vairningen.“
Ein schönes nachtblaues Kleid schmiegte sich sanft an den schlanken Leib der Baronin, deren freundliches Lächeln schnell ihr Gegenüber für sie vereinnahmte. „Ich danke Euch, dass Ihr uns so kurzfristig empfangen konntet. Ich denke das wir die Formalitäten nicht länger aufrechterhalten müssen, immerhin sind wir eine Familie.“
Rondriane wusste um die erneut geknüpfte Beziehung zur restlichen Familie, dennoch hatte sie nicht damit gerechtet gerade hier in Borstenfeld das Familienoberhaupt kennen zu lernen oder das dies eine derart junge Frau sein würde. „Dann würde ich vorschlagen, dass ich uns eine Kleinigkeit bringen lasse und wir den Grund für Euer Hiersein besprechen.“ Schlug sie stattdessen vor und zog dafür sie lediglich an einer unscheinbaren Kordel.
Die Zeit des Wartens nutzten die Gäste um sich die Wände genauer angesehen. „Es ist sehr schön geworden.“ Lobte die Baronin den Stammbaum auf an den Wänden. „Doch konntet Ihr auch einen Bezug zu diesen Namen herstellen?“ Als Vea das verneinende Kopfschütteln der beiden Frauen sah, wies sie auf den ältesten Eintrag. „Unser Ahnenvater oder zumindest der älteste belegte Angehörige unseres Hauses, damals, unter den Klugen Kaisern, war er der Edle von Markt Vairningen.“ Anschließend übersprang sie einige Generationen und zeigte auf einen weiteren Eintrag. „Ultan I. Er errang mit dem Ende der Priesterkaiser die Baronswürde.“ Dann ging sie zum Ende des Stammes, dorthin wo sich dieser Aufgabelte. „Chilperich von Vairningen diente damals unter Kaiser Perval, er ist der letzte gemeinsame Vorfahre den ich mit diesem Teil der Familie teile. Seine Tochter, meine Urgroßmutter Hiltpurga, war es der die Familie ihre heutige Verbreitung zu verdanken hat, auch wenn das mit Sicherheit nie ihre Absicht gewesen ist. Sie war eine grausame Frau, besessen von Macht und paranoid vor Angst sie zu verlieren. Sie war es die ihre beiden Halbbrüder, darunter auch der Vater Eures Gatten…“ Nickte sie in Richtung der Junkerin. „…, aus den Nordmarken vertrieb. Gerons Familie ließ sich damals in Garetien nieder und fasste nun endlich auch Fuß.“ Ein Umstand der mit hoher Sicherheit darauf zurückzuführen war, dass der Zweig zurück in den Schoss der Familie gekehrt war und von dessen Beziehungen profitiert hatte. „Nibelwulf zog es ins torbische, wo seine Nachkommen noch immer um die zwölfgöttliche Ordnung streiten. Doch nicht nur ihre Brüder hat sie vertrieben, auch ihre eigenen Kinder nahmen vor ihr Reißaus. Gerfried, der Oheim meiner Mutter, suchte sein Glück als kaiserlicher Offizier und war tatsächlich für eine Zeit lang Kronverweser des Windhag, noch heute leben seine Nachkommen in der Markgrafschaft. Amadan, sein Bruder, überwarf sich mit Hiltpurga und ehelichte eine Bürgerliche. Ich bin nicht stolz darauf Hiltpurga als Ahnin zu haben, aber dennoch hatte ihr Handeln etwas Gutes. Denn die Familie verfügt ihretwegen über das gesamte Reich verteilt über Ländereien.“ Nacheinander schritt sie die mit Rangkronen verzierten Namen ab. Aarwin, Reichsedler zu Bleichethal. Boromar, Edler zu Rindermühle, Dragowin, Junker zu Neu-Foerttingen. Vea, Baronin zu Vairningen. Drego, Edler zu Lüstern, Savertiin, Edler zu Liegstadt, Leubrecht, Reichsritter zu Neu-Auenwacht und schließlich Leonore, Junkerin zu Borstenfeld.
Leise klopfte es und eine Bedienstete brachte eine Auswahl zahlreicher Häppchen und Getränke. Derweil war Stille eingekehrt und die Worte der jungen Frau hatten sich bei den Anwesenden zum Nachdenken gebracht. „Doch ich schweife ab.“ Gestand sie ein, auch wenn deutlich war wie sehr sie sich freute fern der Heimat an eben diese und ihre Familie erinnert zu werden. Ich möchte Euch versichern, dass Ihr auch weiterhin auf den Beistand der Familie zählen könnt. Durch das Blut sind wir vereint und Blut hält zusammen. Leider wird sich nichts daran ändern, dass ich aus den Nordmarken keine helfenden Hände hierher schicken kann, doch hoffe ich das klingende Münze und der Kontakt zu uns wohlgesonnenen Kreisen auch weiterhin gute Dienste leisten werden.“
Als hätten sie es abgesprochen übernahm an dieser Stelle die etwas jüngere Darpatia das Wort: „Dennoch wird es künftig möglich sein Euch auch in anderen Konflikten beizustehen. Mein Bruder und ich werden gerne aus der Mark Rommilys herbeieilen, solltet Ihr unserer Klingen bedürfen. Noch bis vor kurzem wusste wir selbst nicht um unsere Familie, doch ein glücklicher Zufall hat dem Abhilfe geschaffen. Unsere Mutter war eine Darpatin aus der Mark und unser Vater, der leider noch vor unserer Geburt fiel, der Veas Oheim. Wir wuchsen als Vairningens bei der Familie unserer Mutter auf, wurden zu Rittern ausgebildet und wussten eigentlich nichts über die Familie unseres Vaters. Zumindest bis der neue Gesandte des Herzogs an den Hof der Markgräfin kam und dieser sich als Baron von Vairningen vorstellte. Zu ihren Lebzeiten hatte unsere Mutter nie einen Versuch unternommen die Familie unseres Vaters zu kontaktieren, schließlich waren sie nur wenige Monde verheiratet als er starb. Ich glaube sie hatte Angst davor auf Ablehnung zu stoßen.“
„Der Baron Schwester!“ Verhinderte Randolph ein Abschweifen seiner Darpatias.
„Ja, durch ihn nahmen wir Kontakt zu Vea auf und fanden endlich zu unserer Familie.“ Wieso Vea nicht lange gezögert hatte war dabei allzu offensichtlich, alle drei wiesen ähnliche Züge im Gesicht auf.
„Solltet ihr also Hilfe brauchen, können wir den wesentlich kürzeren Weg aus der Mark nehmen und Euch zu Seite stehen.“ Fasste Randolph den eigentlichen Gedanken hinter ihrer Reise nach Ulmenrain zusammen.
Aufmerksam hatten die beiden Damen aus der Kaisermark den Ausführungen zugehört. Tatsächlich war es interessant zu erfahren wer sich einst hinter den Namen dieses Stammbaumes verborgen hat, doch noch interessanter waren die aktuellen Bezüge ihrer Worte. Gleichermaßen waren sie eine Mahnung und eine Garantie. Die Familie stand zusammen, sie würde sich dieser Verantwortung nicht entziehen und erwartete von ihren Angehörigen dass sie es gleichermaßen hielten. Wie Bardo ihr einst einmal sagte: ‚Nach den Göttern, gilt unsere erste Pflicht dem Blut.‘ Getreu diesen Kredos schien nicht nur der alte Ritter zu leben, sondern auch die restliche Familie. Ein Abwenden würde es nun nicht wieder geben.
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