Geschichten:Bündnistreue - Gerüchteküche
Irgendwo in Garetien, im Spätherbst/Frühwinter 1043 Bf
"...Und du, ja, du mit dem roten Gesicht und den Pockennarben, gräm dich nicht deswegen. Du wurdest ebenfalls auserkoren von wichtigen Nachrichten zu künden. Niemand wird deine Narben mehr beachten, wenn du die Namen so hoher Herrschaften im Munde führst. Naja, vielleicht wird man sie doch beachten, sind ja kaum zu übersehen, jedoch wird deine Geschichte von Ruhm und Heldentum deine Hörerschaft dennoch verzücken, ich gebe dir mein Wort - und dieses kleine Säckchen, das bringt dann auch dich zum strahlen.", Selo fröstelte leicht aber war in seinem Element, der Großnarr predigte zu den Unternarren oder besser Unterunternarren. Wie ein überstolzer Gockel auf einem Heuhaufen posierte er vor den Leuten zu seinen Füßen, dabei dieser Blick und dieses leichte, frohsinnige Zucken im linken Auge. Die letzten Jahre hatten ihm gut getan, das Bekenntnis seines sog. Freundes und Bruders Alarich, die Haffax-Krise und dieses belanglose Geeifere in Haselhain - das er zum Glück seiner Frau überlassen hatte - wie es ihr wohl ging? Und letztlich die Offenbarung Korgonds und sein damit einhergehender Triumphzug an der Seite des Fuchsprinzen und in durch alle mehr oder minder politischen Betten Garetiens. Er genoss dieses aberwitzige Gespiel - und zu sehen wie Fall und Erhebung aufeinander folgte, wie ein guter pointierter Witz. Köstlich. Und das hier - diese Fehde - ein wahres Sahnehäubchen, mit verdammt viel Zucker und einer fetten Kirsche obendrauf. Dabei verabscheute er Kirschen. Er schmunzelte, als er sich ausmalte wie dem roten Narbengesichtigen ein grüner Stiel aus dem Kopfe wuchs - doch dessen irritiert abwartender Blick bedeutete ihm, dass er wohl schon eine Weil amüsiert grinsend vor dem Narbigen stand.
"...Aaaaaaah, ja,...du mein treuer Herold des Pöbels, Sprecher des einfachen Volkes, Seelenseher der...ach, lassen wir das. Du wartest sicherlich auf die Geschichte....Lass mich überlegen, welche hatten wir denn noch nicht so häufig...mh, achja, diese...", Selo murmelte und lächelte in sich selbst hinein ob dieser Erzählung, "...du hörtest doch sicherlich die Schmähgesänge der tapferen und edelmütigen Märker Ritterinnen und ihrer Soldaten dort drüben nicht wahr?" Der Narbige wägte ab ob er eingestehen sollte, dass er nur die Hälfte verstanden hatte und beim gestrigen Gelage hier im Ort wohl selber kaum noch ansprechbar gewesen war. Er knetete sein Barrett und nickte lieber.
"Sehr gut, Narbold, dann weisst du ja dass sie von einem der unrühmlichsten unter den Lumpigen aus Hartsteen kündeten - Benwir von Pfiffenstock. Sei nicht irritiert ob des Namens, Narbold, der Mann war ein Söldner aus fernen Landen, der an vorderster Front der Igeligen focht. Was die Grobschlechtigen Soldaten dorthinten aber in ihrer patriotischen Sicht übersahen, war ganz und gar die Offensichtlichkeit, dass besagter Benwir zwar wie lumpigste der Lumpenritter wirkte - auf den ersten Blick. Doch - und das können dir die Hartsteener sicherlich berichten - stand er auch als letztes treu zu seinem Schwur und Eid und ging ohne Klagesschrei unter den Waffen des Feindes nieder, frag die Hartsteener nur, wenn die Fehde vorüber ist."
Der Rotgesichtige schaute den absonderlichen Baron vor sich an, seinen Blick unentschlossen immer wieder senkend und seine Kopfbedeckung knetend. Selo setzte einen seltsam fragenden Blick auf, der sich schließlich erhellte. "Ach, mein guter Narbold, du darfst dich entfernen. Und berichte doch den Leuten denen du begegnest von dem was du mit deinen eigenen Ohren gehört und - mit etwas phexischer Perspektive - ja auch irgendwie gesehen hast, wie besprochen. Und nun geh...es ist schließlich Fehde und es kann viel passieren, mögen Land und Götter dir wohl gesonnen sein."
Der einfache, aber gute - oder gutgläubige - Mann machte kehrt und Selo konnte noch erkennen, wie er am Ausgang des Ortes seine erste Gesprächspartnerin fand. Er würde schon seinen Dienst tun, selbst wenn er die Geschichte nicht begriffen hatte und sie anders wiedergeben würde. Genau das war ja die Intention und Selo genoß es und hatte in den vergangenen Wochen etliche solcher und ähnlicher Wahrheiten, Halbwahrheiten und Gerüchte gestreut, dabei nicht alle so plump wie eben grade, auch ein Genie brauchte mal die Zerstreuung durch etwas Einfältigkeit. Meist gar in verschiedenen Versionen, das Chaos der Fehde tat sein Übriges.
Gerade die soeben überlieferte "Wahrheit" mochte ihm noch hilfreich sein, denn irgendwas war im Laufe der ersten Fehdemonate am Grenzübergang der Kaisermark zu Hartsteen passiert, was den Einfall der Kaisermärker erleichtert und nun etliche Gerüchte mit sich brachte. Und mittendrin sein Vetter Benwir, selber Vogt in Hartsteen, aber vorallem Söldnerseele. Zugegeben, er hatte selber mit solchen Gedanken gespielt und auch den ein oder anderen zweideutigen Gedanken in den letzten Briefen an den Vetter geschrieben, aber das Benwir nun tatsächlich den Einfall begünstigt hätte…nun das war…“ Selo wusste noch nicht wie er dies finden sollte. Amüsant in jedem Fall, gewollt – nun, das konnte man so direkt nicht sagen. Einseits passte es Selo gut in den Kram, andererseits mochte ihm der ritterliche Baron Felan – Benwirs Lehnsherr - seinem Vetter und ihm nun grämen würde. In seiner überbordenden Fantasie stellte er sich den tobenden Hartsteener vor. Bestimmt stieß er unschöne Dinge aus, bodenständig Hartsteensch geflucht, etwas vulgär, etwas kräftig - vielleicht etwas verallgemeinendes gegenüber Nebachoten, aber stets irgendwie anständig im Sinne von nicht lästerlich. Selo grinste wieder xeledonisch - dabei war er doch wohl der unnebachotischste Nebachot den Aventurien je gesehen hatte und lästerlich könnte man ihn stattdessen bezeichnen. Und so einem hatte sein Vetter Benwir - waschechter Nebachote und schlichte Söldnerseele - blindlinks vertraut und war nun doch mitten in irgendetwas verstrickt. Selo versuchte, sich an die genauen Worte seiner und Benwirs letzter Briefe zu erinnern, musste aber zu geben, dass alles etwas verschwommen-schwammig und überdeckt war von amüsanten Anekdoten und Zweideutigkeiten seinerseits und ungelenker Einfachheit Benwirs. Wie dem auch war, Benwir war nun tot und Baron Felan sicherlich erbost, aber wenn da seine als Vorsichtsmaßnahme gedachten Gegengerüchte nicht halfen, würde es vielleicht die Mär vom wütenden, nebachotioschen Söldnerhauptmann, einem tragischen Einzeltäter, tun – oder die vom wahrhaftigen Missverständnis – was es ja nun einmal irgendwie auch gewesen sein könnte. Und wenn es das nicht tat, würde ihm schon etwas einfallen. Fallen und wieder aufstehen, das war doch der ganze Witz. Irgendwann würde auch ihm das Ganze auf die Füße fallen, aber er wollte dabei wenigstens den Vogel abschießen.