Geschichten:Nicht mit leeren Händen - Winterreise

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Unterwegs, am späten Nachmittag des 15. Hesinde 1043 BF


Die täglichen Etappen waren schweigsam vonstatten gegangen. In der winterlichen Kälte gab es wenig Möglichkeiten, sich zu unterhalten, zu beißend war der Wind. In den Abendstunden saß allen Reisenden - Adligen, Bediensteten und bewaffneter Begleitung - die Kälte in den Gliedern, so dass sie sich nach einem deftigen Essen und einem wärmenden Getränk meist in ihre jeweiligen Unterkünfte zurückzogen. Auf einen Kern des gemeinsamen Anliegens, das man am Hofe der Kaiserin vorbringen wollte, hatte sich die Delegation verständigt - bei allen weiteren Punkten (wenn sie denn zur Sprache gekommen waren) musste man nicht mehr viel bereden, dann man war sich zumindest einig über die Uneinigkeit. Doch zumeist hatten die Damen Sigman sich in argumentativer Sicherheit und Einigkeit wiegen lassen, das könnte bei den kommenden Gesprächen zu einem Vorteil führen.


Dass die Temperaturen am heutigen Tag etwas milder ausgefallen waren, hatte die Gesamtlage der Reise nicht besser gemacht. Der leichte Schneefall war in Nieselregen übergegangen - aber der Regen war auf den gefrorenen Boden gefallen und hatte die gepflasterte Straße stellenweise in ein spiegelglattes Parkett verwandelt. An ein Vorankommen in der geplanten Reisezeit war kaum zu denken. Die Sonne hatte einige Male die Wolkendecke durchbrochen, nun neigte sie sich dem Horizont zu. Sigman von Weyringhaus schälte sich aus der Kapuze, die ihn mehr schlecht als recht vor der Kälte schützte, und rief seinen Reisegefährtinnen zu: “Es sind noch zwei Wegstunden bis zu dem Gasthaus, in dem man uns erwartet, schätze ich. Da wären wir dann kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Wollen wir das versuchen? Oder kehren wir im nächsten Gasthaus ein und schauen, wie viel Platz man uns dort kurzerhand schaffen kann?”

“Wir sollten sobald wie möglich einkehren”, erwiderte Leonore. “So wären wir bei unserer Ankunft dann auch ausgeruhter.”

“Auch wenn wir uns recht vorzüglich verstehen, Euer Edelgeboren, hier muss ich euch widersprechen und insistieren”, entgegnete Sibela. “Denn ein zu baldiges Einkehren würde unsere ohnehin schon verzögerte Ankunft bzw. unsere Pläne noch einmal deutlich dauern.” Leonores Bemerkung kam ihr - willentlich oder nicht - gut zupass, konnte sie sich doch nunmal nicht einig mit ihr positionieren. Dementsprechend warf Sibela ihr einen kurzen eindringlichen Blick zu, in der Hoffnung dass sie noch umschwenken würde.

“In der Tat, eine verzwickte Situation”, räumte Leonore ein. “Tatsächlich befürchte ich, dass es in Anbetracht der unübersichtlichen Umstände im Königreich, unsere Verpflichtung gegenüber dem Adel der Kaisermark ist, möglichst schnell bei Hofe vorzusprechen. Kommen wir zu spät, weil wir nicht bereit sind ein Wagnis auf uns zu nehmen, könnte das Blut unserer Kinder und Familien unnötig vergossen werden.” Nahm die erfahrene Hofdame den Einwand der Pfiffenstock auf, den Ernst der Lage für die Kaisermark unterstreichend.

“Dann sind wir uns einig”, fasste Sigman zusammen, auch wenn er seine eigene Meinung zu dieser Frage bisher noch gar nicht ausgesprochen hatte. “Also weiter.” Er schlang den Zügel kurzentschlossen um seine metallene Linke, denn beim Versuch, die Kapuze wieder aufzusetzen und zu schnüren, nutzte ihm die Prothese ohnehin nicht viel.

Sibela lächelte zufrieden in sich hinein.