Geschichten:Das zerfallende Herz
Schloss Sonnentor, Praios 1044 BF:
Auf leisen Sohlen pirschte sich Olbert von Königslinden an die reich mit Blattgold verzierte, doppelflügelige Tür des Schlafgemachs seines Herren. Als Kammerherr des Markvogtes Barnhelm von Rabenmund sollte es selbstverständlich sein, zu seinem Herrn vorgelassen zu werden. Doch dem war schon lange nicht mehr so.
Quietschend öffnete sich die Tür einen Spalt breit. Grothan Spalotin schaute hindurch. „Ach Konigslinden, was macht Ihr denn schon wieder hier?“ Die Stimme des Sekretärs des Markvogts wirkte gespielt überrascht.
„Sicherlich benötigt mein Herr meine Dienste, nicht? Ein kleiner Spaziergang im Schlosspark? Dafür muss er doch angekleidet werden. Oder … “ Doch Olbert wurde jäh von Spalotin unterbrochen.
„Königslinden, Eure Dienste werden nicht benötigt. IHR werdet hier nicht benötigt! Schimmelgeiß und Stechling kümmern sich um die Bedürfnisse unseres Herrn. Guten Tag!“ Abrupt schloss sich die Tür wieder und ließ Olbert unverrichteter Dinge zurück. Wie so oft.
Seitdem Rabenmund diverse Zipperlein plagten, wurde er kaum noch in der Öffentlichkeit gesehen. Das engste Umfeld – und zu dem gehörte Königslinden offenkundig nicht – tat alles, um den Markvogt abzuschirmen. Das war die Stunde der Hofschranzen, die nun den Takt auf dem politischen Parkett Sonnentors angaben.
Eine der einflussreichsten Personen am Hof war im vergangenen Götterlauf die Reichsedle Rymiona von Aimar-Gor, die zur wichtigsten Beraterin des Herrn der Kaisermark avanciert war und maßgeblich die Politik bestimmte. Die diplomatischen Fähigkeiten und das Gespür für politische Feinheiten der alternden Dame suchten ihresgleichen, und so waren der Kaisermärker Politik trotz der widrigen Umstände um den Gesundheitszustand des alten Raben durchaus Erfolge beschienen. Doch nach ihrer Erhebung zur Baronin von Vierok verließ die aranische Spinne den Hof – nicht jedoch ohne ihre Brut zurückzulassen, die nun versuchte, die Lücke der Aimar-Gor zu füllen.
Als Erster Rat der Kaisermark könnte sich schließlich der gewandte und um Ausgleich bemühte Gerion von Keres durchsetzen. Doch musste sich dieser seit seiner Berufung im Engen Rat immer wieder gegen die energische Ulmia von Weyringhaus und der durchtriebenen Brut der Aimar-Gor – Rimiona von Heiterfeld und Sibella Eorcaïdos von Aimar-Gor – behaupten. Gerüchten zufolge waren sich die herrschaftlichen Damen schon mehrmals massiv angegangen. Lautstarke Sitzungen des Rates gehörten nunmehr zur Tagesordnung – besonders wenn der Weitere Rat tagte. Die dort vertretenden Vertreter der Familien Isppernberg und Berg benahmen sich keinen Deut besser. So versank der Hof immer mehr in den Machtkämpfen der einzelnen Häuser und Familien. Von einem geeinten Hof, der sich anschickte, die Interessen der Kaisermark nach außen zu vertreten, konnte nicht mehr die Rede sein. Vielmehr regierten die sich widerstrebenden Partikularinteressen der einzelnen Mächtegruppen das politische Parkett Sonnentors. Da halfen auch alle gutgemeinten Appelle des gutmütigen Keres nichts. Dass die persönlichen Begleiter des Raben, die er noch aus Ochsenwasser mitgebracht hatte, eine regelrechte Globule um ihn erschaffen hatten, eröffnete den familiären Beutezügen weitere Freiräume.
Auch die Kaisermärker Heerführung zeigte sich zunehmend uneins. Die schneidige Obristin Elissa von Vairningen hatte alle Hände voll damit zu tun, die beiden Hauptleute Leomar von Weyringhaus-Ruchin und Ramin Eorcaïdos von Aimar-Gor in Schach zu halten, die sich bei jeder noch so kleinen Gelegenheit angingen.
Olbert von Königslinden, der am Hofe weilte, um selber aufzusteigen, kam diese Entwicklung nur recht. Nur Kaisermärker zu sein, reichte nicht mehr aus, um ein einendes Band zu formen. Nunmehr waren es die großen Häuser und einflussreichen Familien, hinter denen sich die anderen scharten. Nun war es für die Familien in der zweiten Reihe an der Zeit, die Gunst der Stunde zu nutzen. Gefolgschaft war auch immer ein Geben und Nehmen.
In Gedanken richtete Olbert seinen Blick gen Perricum. Der Markgraf hatte zur Heerschau geladen. Neben dem militärischen Tamtam eine wunderbare Gelegenheit für die großen Häuser, sich Gefolgschaften zu sichern, da war er sich sicher. Doch auch für die Seinen rechnete sich Olbert einiges aus. Eine Allianz mit den Aimar-Gor würde einen exklusiven Zugriff auf das aranische Getreide ermöglichen, gerade im Moment, wo so viele Bauern an den Waffen und nicht auf der Scholle waren, könnte das ein Machtfaktor sein. Oder doch lieber die wilden Reiterhorden oder unerschrockenen Söldner der Nebachoten? Auch die würden die Bauern entlasten. Dann müssten sich die Königslinden entweder an die umtriebigen Brendiltaler oder die undurchsichtigen Korbrunner halten. Die Weyringhaus hatten Beziehungen zu den Dürsten, wie Olbert wusste, die waren steinreich. Sicherlich auch eine gute Option. Ob nun Getreidesäcke, nebachotische Kämpfer oder Perricumer Dukaten – auf der Heerschau würde es für Familien wie die Königslinden einiges geben. Das Ringen um die Macht hatte erst jetzt so richtig begonnen.
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