Geschichten:Weyringhaus - Abschied vom Erben III
Vor der Villa Geldana, zur nachmittäglichen Traviastunde des 4. Phex 1043 BF
Dramatis personae:
Oldebor von Weyringhaus, Burggraf von Kaiserlich Raulsmark
Merisa von Rabenmund, seine Gattin
Orlan von Weyringhaus-Rabenmund, ihr dritter Sohn
Friedwart von Wiesenbach, Secretarius des Burggrafen
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“Darf ich dir helfen, Liebste?” Burggraf Oldebor streckte seine Hand vor, damit seine Gattin sich beim Einstieg in die Kutsche darauf stützen konnte.
“Danke, mein Lieber.” Gern nahm Merisa die dargebotene Hand an und bestieg die Kutsche. Mit einem leisen Seufzen setzte sie sich und strich ihr Gewand glatt. Hoffentlich brachte die Gedenkfeier etwas mehr Ruhe in ihre Gedanken, so dass sie diesen Schicksalsschlag hinter sich lassen konnte.
Oldebor ließ sich schwer in den Sitz neben ihr fallen. Sein Seufzen war etwas vernehmlicher als ihres, aber sein Gewand strich er fast mit derselben Bewegung glatt wie die Frau, mit der er seit viermal zwölf Jahren verheiratet war. Er griff behutsam nach ihrer Hand. “Das wird noch einmal ein schwerer Gang heute…”
Vertrauensvoll ließ Merisa ihre Hand in Oldebors gleiten und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. “Ja, … schwer … für uns alle,” erwiderte sie. “Doch gemeinsam getragen wird der Schmerz erträglicher. Und hoffentlich gönnen die Götter unserer Familie nun endlich ein wenig Ruhe,” fügte sie noch hinzu. Trotz dieser schwachen Zuversicht, war Merisa ein klein wenig froh, dass sich ihr Aufbruch zur Kapelle noch ein wenig verzögerte, während sie auf Oldebors Secretarius Friedwart und ihren Sohn Orlan warteten.
‘Das Fehdejahr ist noch nicht vorbei’, dachte sich der Burggraf, aber sprach es nicht aus. Er drückte die Hand seiner Gattin noch einmal etwas fester.
Ein leises Klopfen lenkte die Aufmerksamkeit der beiden auf die Tür der Kutsche, in deren Fenster nun der Kopf Orlans erschien.
“Ich habe mich entschieden, doch neben der Kutsche her zu reiten”, erklärte er ohne den Hauch einer Regung in der Stimme und auch seine Miene schien unbewegt. Doch seiner Mutter entging nicht, dass seine rechte Hand leicht zitterte, als er sie nun rasch auf den Fensterrahmen legte, um eben dies zu verbergen. Ebensowenig blieb ihr verborgen, dass er sehr intensiv nach Minze roch.
Merisa legte ihre Hand auf Orlans und drückte sie sacht. “Tu das,” stimmte sie ihm zu. “Und genieß die frische Frühlingsluft. Wir können heute alle einen klaren Kopf gebrauchen,” fügte sie hinzu und klang dabei leicht mahnend wie in Orlans Kindheit, wenn sie ihm eine Möglichkeit gegeben hatte, einen Fehler zu beheben oder eine Untat rückgängig zu machen, bevor es dem Vater auffallen musste.
“Was deine Mutter sagt”, brummte Oldebor - ebenfalls eine Wendung, die Orlan aus seiner Kindheit weidlich bekannt vorkommen musste.
Friedwart hielt gebührenden Abstand vom Einstieg der Kutsche, damit Orlan zu seinem Ross gehen konnte. Er wollte den gefallenen Sohn des Burggrafen nicht noch mehr in Verlegenheit bringen, als dessen einfache Ankündigung an die Eltern vermutlich eh schon bedeuten würde. ‘Doch wer weiß?’, überlegte der betagte Secretarius und Vertraute Oldebors.
Er seufzte leise: Es war ein Jammer, dass den Zwillingen im Leben so viel Pech beschieden war, und der alte Mann war sich nicht sicher, wen er mehr bedauern sollte - Ondinai oder Orlan.
Zumindest in einem Punkt glaubte Friedwart jedoch Klarheit zu haben: Nach einem Leben, das im Schatten seiner Schwester begonnen hatte, würde Orlan nicht aus eigener Kraft einen Weg ins Licht und zum Glück finden. Der Minzgeruch, den sogar seine alte Nase einfing, bewies ihm nur die Wahrheit dieser Vermutung. Und diese Einsicht machte dem Weggefährten Oldebors mehr zu schaffen, als er sich eingestehen wollte.
Der Burggraf blickte seinem Sohn nach und erhaschte dabei einen Blick auf seinen Secretarius. “Meister Wiesenbach!”, rief er halblaut, “Gesellt Euch doch zu uns.”
Sein Weggefährte fuhr aus den düsteren Gedanken auf und rieb sich kurz übers Gesicht. “Natürlich, Euer Edelhochgeboren”, gab er zurück, stieg auf den Tritt und öffnete den Schlag.
Oldebor versuchte ein aufmunterndes Lächeln aufzusetzen. Es gelang ihm nicht recht.
Nun war es an Merisa, ihrem Gatten ein wenig Zuversicht zu geben. Immernoch lag ihre Hand in der seinen, doch nun strich sie mit ihrem Daumen sacht über seinen Handrücken. Sie nickte dem Secretarius einladend zu und richtete ein stummes Gebet an Travia, ihr für die kommenden Stunden die nötige Kraft zu geben.
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