Geschichten:Die Rückkehr der Pfortensteiner - Gut beraten
Ende Phex 1044 BF, Burg Luring, zur Mittagsstunde
Es war laut geworden im Thronsaal von Burg Luring. Die Gemüter der Streitenden als erhitzt zu bezeichnen wäre eine Untertreibung gewesen und mancher Lakai wäre sehr froh gewesen einen Grund zu haben, um nicht anwesend zu sein. Auf dem Thron der Reichsforster Grafen saß sehr unglücklich ausschauend Drego von Luring, während sich an der langen Tafel vor ihm sein Landrichter Emmeran von Erlenfall und seine Zollmeisterin Korisande von Radewitz heftig angingen.
„Es ist Hochverrat!“, donnerte Junker Emmran gerade seine Anklage erneut durch den Saal.
„Das ist Schwachsinn!“, konterte mit nicht weniger Überzeugung in der Stimme die Zollmeisterin.
„Bitte, meine Freunde“, bemühte sich der Graf zu schlichten. Ihm war die Situation mehr als unangenehm, erinnerte sie ihn doch schmerzlich an das Zerwürfnis mit seiner Gattin. Und unangenehme Gedanken waren das Letzte was er wollte. „Es muss dafür doch eine gerechte Lösung geben.“
„Die Pfortensteiner haben gräfliches Eigentum gestohlen und zerstört! Sie gehören unter Acht und Bann gestellt! Hier ist der notwendige Erlass. Ihr braucht ihn nur noch zu siegeln, Drego!“
„Euer Hochwohlgeboren“, wandte Korisande sich betont förmlich an den Grafen um seine Stellung herauszuheben. Die sehr vertraute Anrede durch den Erlenfaller war ihr nicht entgangen. „Das Problem liegt nicht in der Tat, sondern in der Ursache.“
Der respektvolle Ton der Radewitzerin schmeichelte Graf Drego. Wünschte er sich auch gerade allzu sehr seinen Intimus Rudon Langenlob herbei, damit dieser das Problem wie üblich für ihn lösen mochte, so missfiel es ihm in letzter Zeit doch zunehmend, wie manche seiner Freunde meinten über ihn, den Grafen, bestimmen zu können. Er hob die Hand in Richtung des Erlenfallers, um ihn zum Schweigen zu bringen, was dieser in seiner Verblüffung auch tat.
„Hohe Dame, wollt Ihr Euch bitte erklären?“
„Sehr gerne, Euer Hochwohlgeboren. Wie Euch sicherlich zu Ohren gekommen ist, liegen die Familien Erlenfall und Pfortenstein in Fehde.“
„Was? Nein, das ist mir neu. Aber warum? Ich dachte wir führen Fehde gegen die Kaisermärker und die Eslamsgrunder?“ Drego stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben. „Deswegen sind meine gräflichen Truppen mit Rudon doch gerade an der Südgrenze. Um die Eslamsgrunder in Schach zu halten.“
„Tatsächlich ist es so, dass diese Fehde bereits seit dem letzten Efferdmond andauert.“
„Emmeran, warum habt Ihr mir das nie erzählt?“ Verwirrt sah der Graf zu seinem Landrichter. „Wir haben uns doch jeden Praiostag gesehen um die Urteile durchzugehen.“
„Verzeiht, Drego, ich habe Euch mit dieser Kleinigkeit nicht belasten wollen.“ Zerknirscht deutete der Erlenfaller eine Verbeugung an und warf der Radewitzerin vernichtende Blicke zu.
„Aber warum befehden sich denn zwei meiner treuesten Vasallen, wenn wir doch vereint gegen die anderen Grafschaften streiten müssen?“
„Das, Euer Hochwohlgeboren, liegt an einer ungesühnten Beleidigung und Herabsetzung der Ehre, die von einer Ritterin aus der Familie Erlenfall gegen eine Ritterin aus der Familie Pfortenstein ausgesprochen wurde.“ Korisande ließ die Worte einen Augenblick wirken. Sie wusste um das große ritterliche Erbe, dessen sich Graf Drego bemühte gerecht zu werden. „Da eine Entschuldigung durch die Familie Erlenfall nicht erfolgt ist, nahm die Familie Pfortenstein ihr durch die Ochsenbluter Urkunde verbrieftes ritterliches Recht auf Fehde war.“
„Das ist Orkendreck!“, brüllte Emmeran dazwischen. „Die Pfortensteiner haben keine Ehre die man beleidigen könnte! Jeder in Reichsforst weiß, dass sie den Kaiserlichen schon vor hundert Götterläufen Tür und Tor in die Grafschaft geöffnet haben!“, giftete er.
„Die Taten von Junkerin Halwîne von Pfortenstein sind allgemein bekannt“, gab Korisane zu. „Aber auch, dass sie von Graf Adhemar persönlich, von Eurem Urahn, Euer Hochwohlgeboren“, wandte sie sich erneut an Graf Drego, „von Graf Adhemar, dem Großherzigen, in aller Öffentlichkeit begnadigt und von der Schuld für ihre Taten freigesprochen wurde.“
„Nun, dann ist die ritterliche Ehre der Pfortensteiner natürlich unbefleckt...“, begann der Graf unsicher und blickte hilfesuchend zu Korisande.
„Das ist sie! Zumal sie Reichsforst seither und erst kürzlich im Blutigen Jahr der Fehde treu gedient haben. Nicht einen Fuß haben die Kaisermärker nach Rallerspfort setzen können, wo die Stammburg der Pfortensteiner die Grenze nach Ochsenblut bewacht. Wo fast die gesamte Grafschaft das Ziel von plündernden Horden wurde, haben die Pfortensteiner die Grenze gesichert und ihre ritterliche Pflicht zum Schutz ihrer Untergebenen und der Grafschaft erfüllt. Etwas, das man von der Familie Erlenfall nicht unbedingt behaupten kann“, fügte sie listig hinzu.
„Bitte was?“, fuhr Emmeran hoch. „Was erlaubt Ihr Euch?“
„Ist es nicht so“, fuhr Korisande spitz fort. „dass Ihr es bisher nicht für nötig hieltet Eurem Baron, seiner Hochgeboren Drego von Altjachtern, belehnt und legitimiert von Eurem Grafen“, deutete sie auf Graf Drego auf seinem Thron, „seit seiner Belehnung vor genau einem Götterlauf, vor zwölf Monden“, betonte sie überdeutlich, „den Treueeid als Vasall zu leisten? Ist es nicht so, das keiner Eurer Ritter und Waffenknechte sich im Gefolge des Barons von Schwarztannen befand, als dieser im letzten Götterlauf mit dem Mute Rondrens die Nordgrenze Reichsforsts gegen die einfallenden Waldsteiner Plünderer verteidigte und diese vertrieb? Ist es nicht so, dass wegen Eurer Untätigkeit und Eurer fehlenden Unterstützung für Euren rechtmäßigen Lehnsherren fast ganz Schwarztannen verwüstet wurde, bis auf Eure eigenen Güter und Ländereien natürlich, welche wundersamerweise verschont blieben?“
Emmeran blieb die Spucke weg. Auch er wünschte sich gerade ganz sehnlich seinen Herrn und Meister Rudon Langenlob herbei. Zu gerne hätte er der Radewitzerin etwas Passendes entgegnet. Dummerweise entsprach jedes ihrer Worte der Wahrheit, was zuzugeben er in diesem Moment aber auch für ausgesprochen unklug hielt.
„Junker Emmeran? Wollt Ihr nichts erwidern?“, fragte Graf Drego verwundert in die betroffene Stille, welche den Thronsaal nach den Anschuldigungen der Radewitzerin erfüllte.
„Das kann er nicht, Euer Hochwohlgeboren“, antwortete stattdessen die Radewitzerin. „Denn dann müsste er zugeben, dass sich seine Familie in Unehre begeben hat und die Pfortensteiner jedes Recht haben, sich gegen die Familie Erlenfall zur Wehr zu setzen. Wenn man es genau betrachtet, so verteidigt die Familie Pfortenstein nicht nur ihre eigene Ehre, sondern auch die der Grafschaft Reichsforst. Denn die Erlenfaller schrecken in dieser ritterlich erklärten Fehde nicht davor zurück, Unbeteiligte und Unschuldige zu morden.“ Korisandes Stimme wurde leiser, drang in dem stillen Saal dennoch in jede Ecke. „Sie überfielen das Travia-Fest meines Vetters, dem Junker von Berstenbein, und schossen meiner greisen Mutter, der ehrbaren Cassia von Radewitz, die sich ihnen eine Erklärung fordernd mit bloßen Händen in den Weg stellte, einen Bolzen in die Brust. Die anwesenden Geweihten konnten ihr Leben zwar retten, doch folgte dem ein inzwischen mondelang andauerndes quälendes Siechtum.“
„Der Junker von Berstenbein ist mit den Pfortensteinern verbandelt und ein legitimes Ziel in der Fehde, welche die Pfortensteiner erklärt haben!“
„Junker Kolkja war bis zu Eurem feigen Überfall auf seine Travia-Feier nicht an dieser Fehde beteiligt! Euer unprovozierter Angriff auf meine Familie, der Mordversuch an Cassia von Radewitz, hat ihn in die Fehdehandlungen erst hineingezogen!“
„Die Pfortensteiner haben meinen Bruder getötet...“
„Euer Bruder Edelbrecht starb bei einem Überfall auf Pfortenstein!“, unterbrach Korisande den Erlenfaller sofort wieder wütend. „Er starb mit dem Schwert in der Hand, nachdem er den Gutshof Libellensee niedergebrannt hatte! Meine Mutter dagegen war ein argloser Gast auf einem Travia-Fest und wurde wehrlos niedergeschossen! Wollt Ihr das ernsthaft gleichsetzen?“
Wieder folgte Stille. Junker Emmeran rang nach Worten, konnte jedoch nicht viel mehr tun als der Zollmeisterin wütende Blicke zuzuwerfen, welche diese nun hasserfüllt erwiderte.
„Ich erkenne...“, sprach der Graf mit brüchiger Stimme in die unheimliche Stille und brach ab um sich zu räuspern. Mit etwas festerer Stimme begann er erneut. „Ich erkenne an, dass die Pfortensteiner offensichtlich zu Recht eine Fehde wider Euch führen, Emmeran. Trotzdem ist es mein ausdrücklicher Wunsch, dass diese Fehde so schnell als möglich endet. Der Unfriede zwischen den Familien Reichsforsts schwächt uns, wo wir doch gerade jetzt zusammenstehen und stark sein müssen, nicht wahr? Junker Emmeran, ich wünsche, dass Ihr alles unternehmt, um diese Fehde zu einem schnellen Ende zu führen und vor allem, dass Ihr meinem Freund Baron Drego gegenüber endlich jene Vasallenpflichten übernehmt, die ihm von Rechts wegen zustehen.“
„Natürlich, Graf Drego“, sprach der Landrichter und betonte dabei den Titel seines Gegenüber, „ich werde mein Möglichstes tun, um diese Fehde schnellstmöglich zu beenden. Wenn Ihr mich nun entschuldigt?“
Emmeran wartete kaum die entlassende Geste Dregos ab, bevor er sich auf den Hacken umdrehte und mit großen Schritten den Raum verließ. Ihm folgte das Gemurmel der Höflinge, aber vor allem der nachdenkliche Blick Korisandes, die sich fragte, welchen Schritt der Erlenfaller wohl als nächstes beabsichtigte zu tun. Denn das er seine Schuld eingestehen und Sühne leisten würde um die Fehde zu beenden, das wagte sie sich selbst in ihren kühnsten Gedanken nicht vorzustellen.